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Special.
Auslese 2011 - Die Redaktion blickt zurück

Auslese 2011 - Die Redaktion blickt zurück

2011 ist vorbei: Historisch gesehen eines der mit bedeutenden Ereignissen vollgepacktesten Jahre seit Ewigkeiten - vom Filmgeschehen kann man das nicht so wirklich behaupten, vor allem an Drehbuchschreibern scheint's in Hollywood derzeit arg zu mangeln, aber wozu auch?
Solang einem alles in 3D um die Ohren fliegt scheint die Welt in Ordnung zu sein und so hat auch der neuste Michael Bay wieder weit über eine Milliarde (!) Dollar an den Kinokassen eingesammelt.

Wie die Manifest-Redaktion das Filmjahr erlebt hat, erfahrt Ihr in unserem ganz persönlichen Rückblick.

Autoren.
Hasko Baumann
Rajko Burchardt
Andre Becker
Benjamin Hahn
Thorsten Hanisch
Alexander Karenovics
Björn Lahrmann
David Leuenberger
Florian Lieb
Stefan Mader
Matthias Mahr
Sebastian Moitzheim
Andreas Neuenkirchen
Marc Zeller



Ein schlechtes Filmjahr war das, ohne große Höhepunkte und ohne das Gefühl, irgendwas wirklich Herausragendes gesehen zu haben. Allgemein scheinen die Erwartungen auf ein Minimum runtergedooft worden zu sein, anders sind die Lobeshymnen in Feuilletons für unterdurchschnittlichen Ranz wie etwa TRUE GRIT, BRAUTALARM oder SOURCE CODE nicht zu erklären. Der einzig begrüßenswerte Trend scheinen mir die ernsthaften Versuche in Sachen Franchise-Wiederbelebung zu sein: Der nächste FAST & THE FURIOUS, SNIPER, PLANET OF THE APES oder MISSION: IMPOSSIBLE kann gerne kommen.

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DER GROSSE CRASH - MARGIN CALL

DER GROSSE CRASH - MARGIN CALL (USA 2011)
Original Titel. MARGIN CALL Regie. JC CHANDOR
Ein kluger, unsentimentaler Börsenkrimi über den Anfang vom Ende. Herausragend gespielt von einem ausgezeichneten Ensemble, mit großem Gespür inszeniert von einem Filmemacher, der weiß, wo man das Fett abschneidet. Ein Film für Filmfreunde.

THE MECHANIC (USA 2011)
Original Titel. THE MECHANIC Regie. SIMON WEST
Einer der ästhetisch aufregendsten Kinofilme dieses Jahres. Kann zwar Michael Winners Original in Sachen Zynismus und Kaltschnäuzigkeit nicht das Wasser reichen, begeistert aber mit visueller Grandezza, grandioser Action und einem charismatischen Hauptdarstellerduo. Ein Film für Männer - und solche, die es werden wollen.

SUPER - SHUT UP, CRIME! (USA 2010)
Original Titel. SUPER Regie. JAMES GUNN
James Gunn läßt sich nicht festlegen, SUPER auch nicht. Eine wilde Mischung aus Klamotte, Drama, Persiflage, Vigilantereißer und Troma-Irrsinn, die berührt, verärgert, belustigt und richtig weh tut. Ein Film für Mutige.

FAST & FURIOUS FIVE (USA 2011)
Original Titel. FAST FIVE Regie. JUSTIN LIN
Die Überraschung des Jahres: Der fünfte Teil einer ungeliebten Proll-Franchise tunt sich selbst zum absoluten Renner hoch. Reizvolle Schauplätze, ein schneller Plot und absolut atemberaubende Action - Blockbusterkino vom Allerfeinsten. Ein Film für Lebenslustige.

THE VETERAN (Großbritannien 2011)
Original Titel. THE VETERAN Regie. MATTHEW HOPE
Die Engländer wissen wieder, wo es weh tut, und drücken den Finger im Kino schön tief in die offenen Wunden. Ein desillusionierter Veteran findet nach seiner Rückkehr nach London nur einen neuen Krieg und verliert auch diesen. Kraftvoller kann Nihilismus kaum sein. Ein Film für Realisten.

ASSASSINATION GAMES (USA 2011)
Original Titel. ASSASSINATION GAMES Regie. ERNIE BARBARASH
Van Damme, das Wunder. Niemand kann so tieftraurig schauen wie er. Sein neuester Streich führt ihn an die Seite von Action-Hotshot Scott Adkins; ein wunderbares Klopperduett. ASSASSINATION GAMES ist ein melancholischer Männerfilm, aufs wesentliche reduziert wie der französische Genrefilm der 80er. Ein Film für Humanisten.

MISSION: IMPOSSIBLE - PHANTOM PROTOKOLL (USA 2011)
Original Titel. MISSION: IMPOSSIBLE - GHOST PROTOCOL Regie. BRAD BIRD
Brad Birds Regie hat nichts Besonderes, und doch ist gerade das das Besondere an dieser Franchise-Wiederbelebung: Das Oldschoolige an Ethan Hunts neuen Abenteuern macht diese Mission so sympathisch. Und alles in Dubai steht eh ganz oben auf der Hitliste 2011. Ein Film für Weintrinker. Die einen guten Wein zu schätzen wissen.

THE STOOL PIGEON (Hong Kong 2010)
Original Titel. SIN YAN Regie. DANTE LAM
Ein reservierter Polizist mit gebrochenem Herzen, ein Kleinkrimineller im ausweglosen Strudel der Gewalt, ein dem Wahnsinn verfallener Ex-Spitzel und zwei Frauen mit Vergangenheit: Das sind die verlorenen, verletzten Seelen, die Dante Lams neuesten Film bevölkern. Das Ganze kulminiert in einem Finale zum Nägelkauen und entlädt sich in fürs Hongkong-Kino durchaus typischer Tragik. Ein Film für Romantiker.

OHNE LIMIT (USA 2011)
Original Titel. LIMITLESS Regie. NEIL BURGER
Von bunter Wish Fulfillment-Fantasterei zum ausgebufften Paranoia-Thriller und wieder zurück: Rasante, mitunter sogar originelle Unterhaltung, die leider kein befriedigendes, dafür aber ein immerhin ausgesprochen unmoralisches Ende findet. Cooper steht im Saft wie seit THE MIDNIGHT MEAT TRAIN nicht mehr. Ein Film für sexy Zyniker.

SNIPER: RELOADED (USA/Südafrika 2011)
Original Titel. SNIPER: RELOADED Regie. CLAUDIO FÄH
Kein SNIPER-Film ist schlecht, auch dieser Vierte nicht, der sich ebenfalls erfolgreich an einem Neustart versucht. Wenn Billy Zane mit seiner Superwumme plötzlich durch eine Mauerecke schießt und die Rübe eines Böswatzes damit zum Platzen bringt, entweicht dem geneigten Ballerfreund ein staunendes Jauchzen. SNIPER: RELOADED ist ein echtes Geschoß. Ein Film für Zocker.

Lobende Erwähnung: PLANET DER AFFEN: PREVOLUTION, X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG, THOR, DER PLAN, 72 STUNDEN - THE NEXT THREE DAYS, STREET KINGS 2: MOTOR CITY

flop

DICKSTE FREUNDE (USA 2011)
Original Titel. THE DILEMMA Regie. RON HOWARD
Repräsentativ für all die reaktionären Scheißkomödien aus den USA, in denen sich häßliche Männer wie Kinder aufführen.

BRAUTALARM (USA 2011)
Original Titel. BRIDESMAIDS Regie. PAUL FEIG
Reaktionäre Scheißkomödie aus den USA, die Männer mögen, weil sie glauben wollen, Frauen würden sie mögen.

5 DAYS OF WAR (USA 2011)
Original Titel. 5 DAYS OF WAR Regie. RENNY HARLIN
TOMORROW, WHEN THE WAR BEGAN (Australien 2010)
Original Titel. TOMORROW, WHEN THE WAR BEGAN Regie. STUART BEATTIE
WORLD INVASION: BATTLE LOS ANGELES (USA 2011)
Original Titel. BATTLE: LOS ANGELES Regie. JONATHAN LIEBESMAN
Widerwärtiges Propaganda- und Ertüchtigungskino, von dem man sich nur angeekelt abwenden kann.

TRANSFORMERS 3 (USA 2011)
Original Titel. TRANSFORMERS - DARK OF THE MOON Regie. MICHAEL BAY
SUCKER PUNCH (USA 2011)
Original Titel. SUCKER PUNCH Regie. ZACK SNYDER
Kino zum Kotzen von Menschen, die keine Filme machen sollten. Für Menschen, die Kino hassen.

THE SON OF NO ONE (USA 2011)
Original Titel. THE SON OF NO ONE Regie. DITO MONTIEL
Stellvertretend für all die Möchtegernfilme von Möchtegernfilmemachern, die nichts auf der Pfanne haben und uns mit ihren eitlen Schnulzen quälen.


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THE TREE OF LIFE

THE TREE OF LIFE (USA 2011)
Original Titel. THE TREE OF LIFE Regie. TERRENCE MALICK
John Waters nannte ihn den besten heterosexuellen Film des Jahres. Ich nenne ihn den raren Glücksfall eines grandiosen GGFÜA-Werks (by Knörer), eines ganz großen Films über alles. Mut zum Wahnsinn, Mut zum Malick. Liebe auf den ersten Blick.

CASSANDRAS WARNUNG (Deutschland 2011)
Original Titel. CASSANDRAS WARNUNG Regie. DOMINIK GRAF
Wunderschönes Gemenge aus Pulp-Thriller, Krimi-Irrsinn und allerreinstem Sleaze. Ein aufregendes erzählästhetisches TV-Experiment voll mit purer filmischer Energie. Ein wunderschönes Stück Genreerschließung.

THE INKEEPERS (USA 2011)
Original Titel. THE INKEEPERS Regie. TI WEST
Meisterhaftes Essay über die Spielarten des Horrorfilms. Zum kichern und gruseln, zum studieren und lernen. Ti Wests endgültige Erklimmung des gegenwärtigen Genreolymps.

MY SOUL TO TAKE (USA 2010)
Original Titel. MY SOUL TO TAKE Regie. WES CRAVEN
Ein Film, den kein Mensch gehört hat. Dabei ist des Altmeisters Stimme doch so klar und rein! "It's not okay for everybody to kill each other all the time." - Absolute Ultrakunst.

WER IST HANNA? (USA/Großbritannien/Deutschland 2011)
Original Titel. HANNA Regie. JOE WRIGHT
Ein Kindermärchen als unerbittlicher Übergangsritus-Actionfilm. Eine Reise voller Gefahren und Unwirtlichkeiten. In den vermoderten Überresten des Spreeparks im Plänterwald landet die böse Hexe im Wolfsmaul einer Wildwasserbahn - großes rares Kino.

THE TERRORISTS (Thailand/Deutschland 2011)
Original Titel. POO KOR KARN RAI Regie. THUNSKA PANSITTIVORAKUL
"One man's terrorist is another man's freedom fighter.", ein beeindruckendes Essay von Thunska. Schwierig, diskutabel und alles, was Film nur ausdrücken kann.

MEEK'S CUTOFF (USA 2010)
Original Titel. MEEK'S CUTOFF Regie. KELLY REICHARDT
Ein neuer Amerika-Film von Kelly Reichardt. Ein Vollbildwestern. Ein Kino der Akzente. Ästhetisch absolut rein, radikal in der leisesten Art und Weise. Die derzeit wahrscheinlich beste Filmemacherin der Welt.

DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE (Spanien 2011)
Original Titel. LA PIEL QUE HABITO Regie. PEDRO ALMODÓVAR
Melodramatische Perversion! Psychologische Abgründe! Maximal trügerische Arthauskultiviertheit! Ein disparater Gedankenstrom, der seine exploitativen Elemente allerhöchstens bildästhetisch verschleiert, inhaltlich jedoch genüsslich auskostet. Voller Schön- wie gleichermaßen Hässlichkeit und entscheidendem Blick fürs Bizarre.

DAS SCHLAFENDE MÄDCHEN (Deutschland 2011)
Original Titel. DAS SCHLAFENDE MÄDCHEN Regie. RAINER KIRBERG
Zurück in die 70er, zurück zur Düsseldorfer Kunstakademie! Eine Absage an die Kunst oder doch erst der Beginn ihrer emotionalen Erfassung? Ein toller Film, der es schlicht verdient, gesehen zu werden.

WEEKEND (Großbritannien 2011)
Original Titel. WEEKEND Regie. ANDREW HAIGH
Brief Encounter, ein Wochenende. Gespräche und Sex, Drogen und Abschied. Der wohl beste schwule Film seit BROKEBACK MOUNTAIN.


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BLUE VALENTINE

BLUE VALENTINE (USA 2011)
Original Titel. BLUE VALENTINE Regie. DEREK CIANFRANCE
Nicht gänzlich klischeefrei erzählte aber ungemein ehrliche und berührende "Boy meets girl" Variante im Independentfilm-Look. Zusammen mit den tollen schauspielerischen Leistungen von Michelle Williams (nach wie vor unterschätzt) und Newcomer Ryan Gosling sowie dem phantastischen Soundtrack von Grizzly Bear sicherlich die herzergreifendste Love-Story des Jahres. Happy End- Fanatiker gucken natürlich in die Röhre, aber davon sollte man sich definitiv nicht abschrecken lassen.

I SAW THE DEVIL (Korea 2011)
Original Titel. AKMAREUL BOATDA Regie. KIM JEE-WON
Kein anderer Thriller hat es in diesem Jahr geschafft auch nur annähernd an die zahlreichen Qualitäten von Kim Ji-woons knallharter Achterbahnfahrt anzuknüpfen. Trotz Überlänge wird die Spannungsschraube konstant angezogen und das nihilistische Ende hat wohl auch niemanden kalt gelassen. Nichts für zarte Gemüter, aber rundum sehenswert. Auf Südkorea kann man also auch weiterhin zählen. Ein Hollywoodremake ist (bislang) glücklicherweise noch nicht geplant.

SUCKER PUNCH (USA 2011)
Original Titel. SUCKER PUNCH Regie. ZAK SYNDER
Zack Snyders angenehm überdrehte (und seltsamerweise nicht in 3D gedrehte) Actionorgie wurde vielerorts ziemlich verrissen und zu Recht für die dünne Story kritisiert. Dennoch hat in diesem Jahr kein Film einen ähnlich knalligen Eindruck hinterlassen, der auch Monate später noch nachwirkt. Insbesondere der ungebremste Wille zum No-Nonsens-Spektakel sorgt für einen sehr hohen Spaßfaktor und viele erinnerungswürdige Krachsequenzen. Trotz der Mängel definitiv das unterhaltsamste Popcorn-Kinoerlebnis 2011.

BEGINNERS (USA 2010)
Original Titel. BEGINNERS Regie. MIKE MILLS
Mike Mills großartig inszeniertes Drama gehört zweifelsohne zu den schönsten Filmen des Jahres. Die Geschichte um den frisch verliebten Ewan McGregor und seinen todkranken, homosexuellen Vater Christopher Plummer vereint subtile Komik und tieftrauriges Drama und schafft es dabei erstaunlich unaufdringlich zu bleiben. Trotz bitterer Momente ein astreines Feel-good-movie, das durch die sichtbare Spielfreude der Hauptdarsteller zusätzlichen Reiz gewinnt.

THE MAN FROM NOWHERE (Korea 2010)
Original Titel. AJEOSSI Regie. LEE JEUNG-BEOM
Fetziges Actionbrett aus Südkorea mit hervorragender Kameraarbeit, überzeugenden Darstellerleistungen und perfekt getimten, kompromisslos harten Actionszenen. Auch wenn der ausgedehnte Showdown klar das Highlight des Films darstellt, sollte die südkoreanische Produktion nicht ausschließlich darauf reduziert werden. Darüber hinaus punktet der Film mit einer stringenten, sehr fokussierten Inszenierung, die ein wenig an 96 HOURS erinnert. Die sehr edle Optik und der kongeniale Soundtrack geben dem Film auch auf der optischen und akustischen Ebene den letzen Schliff.


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WER IST HANNA?

WER IST HANNA? (USA/Großbritannien/Deutschland 2011)
Original Titel. HANNA Regie. JOE WRIGHT
Thematisch ein KICK-ASS nicht ganz unähnlicher Film, geht es doch hier wie da um ein kleines Mädchen, das von seinem Vater als Werkzeug der eigenen Rache missbraucht wird. Der Unterschied liegt jedoch im Detail: Dort wo Matthew Vaughn sein kleines Hit-Girl am Ende scheitern und vom zum Mann gewordenen Kick-Ass retten lassen muss und so die Gender-Dekonstruktion seiner Charaktere zur bloßen Behauptung verkommen lässt, da dekonstruiert Joe Wright die Geschlechterrolle der Frau deutlich weiter, sodass sich am Ende zwei Frauen gegenüberstehen, beide gefühlskalt und berechnend und beide auf ihre ganze eigene Art gesellschaftlich isoliert. Doch nicht nur auf einer Gender-Ebene ergeben sich aus dem Film heraus interessante Diskurse: Gerade die in HANNA mitunter belächelte Thematik des Supersoldaten steht in einem interessanten Spannungsverhältnis zu der eher positiven Sichtweise auf die nicht ganz exakten, aber zumindest tendenziell ähnlichen Experimente in CAPTAIN AMERICA. In der Kombination beider Filme ergibt sich daraus ein höchst spannender, transfilmischer Diskurs.

CAPTAIN AMERICA - THE FIRST AVENGER (USA 2011)
Original Titel. CAPTAIN AMERICA - THE FIRST AVENGER Regie. JOE JOHNSTON
Anders als bei THOR hat man bei diesem Film, der natürlich unweigerlich im Zeichen des im nächsten Jahr kommenden AVENGERS-Films steht, nicht das Gefühl, dass man nur einer übermäßig langen Exposition beiwohnt. Stattdessen passiert auch wirklich etwas auf der narrativen Ebene und das, was da so verhandelt wird, ist ein wunderbar überdrehter Plot, den Regisseur Joe Johnston nicht nur der Comic-Vorlage, sondern auch der erzählten Zeit gegenüber angemessen inszeniert. Natürlich gäbe es hier und da etwas zu kritisieren (und sei es nur die leicht verkitschte, amerikanisch-romantische Liebesgeschichte, die man sich ehrlich gesagt auch hätte sparen können), aber nichtsdestotrotz macht CAPTAIN AMERICA richtig viel Spaß und das wohl vor allem deshalb, weil er sich recht erfolgreich bemüht, seinem Hauptcharakter Tiefe zu verleihen, ihm ein psychologisches Profil zu verpassen - und eben nicht die reine "Hau drauf"-Action in den Vordergrund rückt.

X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG (USA 2011)
Original Titel. X-MEN: FIRST CLASS Regie. MATTHEW VAUGHN
Nachdem das Franchise mit dem verhunzten dritten Teil und dem eher prolligen Machofilm WOLVERINE einen qualitativen Niedergang erlebt hatte, waren die Erwartungen an das diesjährige Prequel/Franchise-Reboot-Gemisch eher gering - völlig zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte, denn der in seinem Stil sehr James-Bond-eske Film von KICK-ASS-Regisseur Matthew Vaughn ist sowohl schauspielerisch, als auch dramaturgisch von einer überraschend hohen Qualität, dem es gelingt, nicht nur den Einzelcharakteren seines Ensembledramas angemessen viel Aufmerksamkeit zu schenken, sondern der auch zeitgleich die ihn den chronologisch später angesiedelten Filmen verhandelte Opposition aus Integration (Professor X) und Separation (Magneto) nachvollziehbarer begründet als dies die drei Vorgänger-Teile jemals versucht haben. Darüber hinaus ist es auch sein Umgang mit der literarischen Vorlage, der diesen Film besonders gut wirken lässt, denn bei genauerer Betrachtung erweist sich X-MEN: FIRST CLASS als eine raffinierte Re-Lektüre der Comics aus den 1960ern.

DIE JUNGS VOM BAHNHOF ZOO (Deutschland 2011)
Original Titel. DIE JUNGS VOM BAHNHOF ZOO Regie. ROSA VON PRAUNHEIM
Rosa von Praunheim gehört nicht gerade zu den Menschen, die es einem besonders schwer machen, ihn nicht zu mögen: Das liegt weniger an seinem Egozentrismus, der ihn regelmäßig Filme über sich selbst machen lässt, oder an seiner oftmals unangenehm aufdringlichen Aktivistennatur, sondern vielmehr an seinen trashigen und billigen Spielfilmen, denen jenes spielerisch camp-hafte fehlt, das die vergleichbar trashigen Filme von Christoph Schlingensief so genial macht. Doch das gilt nur für seine Spielfilme - im Dokumentarfilmbereich nämlich liefert von Praunheim seit Jahren wahre Perlen ab, so z.B. diese Dokumentation über die Berliner Stricherszene, die anhand von Einzelschicksalen einen interessanten Einblick in das Milieu bietet und auf ein oft verdrängtes Thema aufmerksam macht, nämlich die männliche Armutsprostitution und ihre Folgen für die nicht selten heterosexuellen Männer, die mit Frau und Kind von uns ignoriert am Rande unserer Wohlstandsgesellschaft leben.

THE TROLL HUNTER (Norwegen 2010)
Original Titel. TROLLJEGEREN Regie. ANDRE OVREDAL
Manchmal überrascht es mich, dass "Found Footage"-Filme auch gute 12 Jahre nach THE BLAIR WITCH PROJECT immer noch so eine große Sache und Ableger wie PARANORMAL ACTIVITY oder CLOVERFIELD kommerziell so erfolgreich sind - man muss das nicht gut finden, aber es ist eine schöne Tatsache, denn vermutlich nur deshalb kann ich hier jetzt über einen norwegischen Film dieses Genres reden, der noch lange nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die ihm gebührt: THE TROLL HUNTER erzählt seine Geschichte von geheimen Troll-Reservaten, Trolle jagenden Park-Rangern und Filmstudenten nicht nur sehr dicht und packend, sondern auch immer mit dem Fünkchen Selbstironie, dass den Film vor dem Absturz ins Lächerliche bewahrt. Die äußerst überzeugenden Effekte, die wunderschönen Naturaufnahmen, die überraschende Komplexität der Handlung und die mehr oder weniger subtile Kritik am Zynismus der Dokumentarfilmer tun ihr übriges. Ein durchdachter, unterhaltsamer Film und einer der besten Vertreter seines Genres.

SUCKER PUNCH (USA 2011)
Original Titel. SUCKER PUNCH Regie. ZACK SNYDER
Diesen Film hier in so einer Liste zu nennen ist eigentlich ein Affront wider dem Filmsachverstand und dennoch: seine Nennung an dieser Stelle ist keine reine Provokation. Zack Snyders Phantasmagorie ist der assoziative Bildersturm eines Gamers mit Computerspielversatzstücken ohne innere Kohärenz und ohne Tiefe. Ein anspielungsreiches l'art pour l'art, das nur sich selbst, aber sonst niemandem verpflichtet ist, das aus diesem Grund als filmisches Experiment eher der Kunst zugerechnet werden muss und das nur deshalb (noch) nicht als selbige wahrgenommen wird, weil Snyder nicht den Mut hat sich von einer konventionellen Narration vollends loszusagen und so sein eigenes Anliegen des Kunstfilms unterminiert. Gerade das aber macht SUCKER PUNCH zu einem der interessantesten Filme des Jahres: Kaum ein anderer Film in diesem Jahr wollte so radikal neu und anders sein, stand so zwischen den beiden Polen Kunst und Kommerz und fiel dabei so dermaßen auf die Fresse wie dieses surreale Märchen für die Generation Nerd. Filmtheoretisch ist das ganz großes Kino und ein Lehrstück des Scheiterns.

MELANCHOLIA (Dänemark/Schweden/Frankreich 2011)
Original Titel. MELANCHOLIA Regie. LARS VON TRIER
Dass die tiefe Depression einer jungen Frau just in dem Moment endet, in dem die unausweichliche Auslöschung der Erde bevorsteht, passiert wohl nur im Kino des Lars von Trier, der hier seine in ANTICHRIST begonnene Therapie mit der ultimativen Tabula Rasa zu einem bildgewaltigen Ende bringt: Die Zerstörung alles Seienden ist die einzige Möglichkeit für den Neubeginn (und dass der Film mit einer Vorausdeutung beginnt, das Ende in diesem Fall also der Anfang ist, erscheint da nur folgerichtig). Doch bevor sich von Trier endgültig von der Last seiner eigenen Depression befreit, fasst er in MELANCHOLIA seine Gedanken zur Schwermut zu einer interessanten Reflexion zusammen und gibt damit dem Zuschauer einen Einblick in die Welt des Melancholikers, der vielleicht weder die Genese, noch das Wesen oder gar die "Heilung" dieses Zustands erklären kann, dafür aber ein Gefühl für die daraus erwachsende Belastung für den Melancholiker einerseits und seine Angehörigen andererseits vermitteln kann und damit überhaupt erst ein Bewusstsein für den Zustand der Depression schafft.

FAST & FURIOUS FIVE (USA 2011)
Original Titel. FAST FIVE Regie. JUSTIN LIN
Nein, der Film landet nicht auf dieser Liste weil der Autor dieser Texte ein leidenschaftlicher BURNOUT-Spieler ist, sondern weil Regisseur Justin Lin mit seinem dritten Beitrag zum Franchise einen Film abliefert, der gekonnt ein Ensembledrama mit einem Actionthriller zu verbinden weiß und sich dabei nicht nur auf narrativer Ebene deutlich erwachsener als seine Vorgänger gibt, sondern gleiche Reife auch bei den Effekten zu tragen kommt. Die nämlich verabschieden sich von dem bis dato eher sehr gimmicky bis comichaft wirkenden Look und rücken eine handgemachte Action in den Vordergrund, die dann auch gleich doppelt so - naja - "cool" wirkt. Zwar hat das dann alles herzlich wenig mit dem eigentlichen Kern der Reihe zu tun, den illegalen Autorennen, dennoch kann das neue Konzept überzeugen: Trotz der Weiterentwicklung bleibt die FAST & FURIOUS-Reihe eine unterhaltsame, charmant prollige Große-Jungs-Fantasie.

flop

TRANSFER (Deutschland 2010)
Original Titel. TRANSFER Regie. DAMIR LUKACEVIC
Ein Film über weiße, reiche Senioren, die ihre Persönlichkeit in die Körper armer Afrikaner überführen lassen um so eine Art Unsterblichkeit zu erlangen. Was für eine verdammt großartige Prämisse! Doch Filmhochschulabsolvent Damir Lukacevic macht daraus eine unerträglich pseudo-intellektuelle Mischung aus Liebesdrama und Philosophiediskurs, in der außer bedeutungsschwangeren Blicken und pathetischen Dialogen gar nichts, aber auch wirklich absolut rein gar nichts passiert. So sieht man dann auch Minute um Minute guten Schauspielern bei ihrem hilflosen Versuch zu, diesem unausgereiften Science-Fiction-Stoff ein bisschen Leben einhauchen zu wollen und nach und nach drängt sich die Erkenntnis auf, dass sich hier ein junger Regisseur an seinem Film verhoben hat.

DICKSTE FREUNDE (USA 2011)
Original Titel. THE DILEMMA Regie. RON HOWARD
Dass Ron Howard mal gute Filme gemacht hat, ist spätestens nach diesem Schund nur noch schwer vorstellbar: Vince Vaughn spielt den besten Kumpel von Kevin James, der gerade massive Beziehungsprobleme mit seiner Frau (Winona Ryder) hat. Über die gesamte Laufzeit hinweg kann sich der Film nicht entscheiden, ob er jetzt Tragödie oder Komödie sein will, sondern eiert zwischen beiden Polen auf ziemlich nervtötende Weise hin und her. Dass Queen Latifah hier die zum comic relief degradierte Quoten-Schwarze geben darf, setzt diesem unerträglich platten Mist die Krone auf.

HANGOVER 2 (USA 2011)
Original Titel. THE HANGOVER: PART II Regie. TODD PHILLIPS
Zweiter Teil? My Ass. Das hier war der ganz schlechte Versuch mit möglichst wenig kreativem Aufwand einen ähnlich lukrativen Film wie den Vorgänger aus dem Hut zu zaubern - in der Welt von Regisseur und Produzent Todd Phillips bedeutet das eben nicht die Suche nach dem massenkompatiblen Humor hinter den Witzen, sondern das banale Wiederholen identischer Gags. Ist das eigentlich dreist oder ein dramaturgisches Armutszeugnis?

WORLD INVASION: BATTLE LOS ANGELES (USA 2011)
Original Titel. BATTLE: LOS ANGELES Regie. JONATHAN LIEBESMAN
Es kracht und knallt und scheppert und mittendrin im Chaos rennen ein paar heroische Soldaten umher, die ihren Waffen ganz bestimmt Spitznamen wie "Betsy" geben und sich garantiert jeden Morgen beim Blick auf die amerikanische Flagge einen runterholen. Irgendwo sind dann ja auch angeblich ein paar Aliens, aber die sieht man eher selten. Und wenn, dann nur von weiter Ferne. Und überhaupt: Wer braucht schon Aliens in einem Alien-Invasionsfilm, wenn er so harte Soldaten hat?

DER GROSSE CRASH (USA 2011)
Original Titel. MARGIN CALL Regie. J. C. CHANDOR
Vielleicht bin ich zu dumm für diesen Film. Oder zu unpolitisch. Fakt ist, dass mich dieser Film über die Finanzkrise zu keinem Zeitpunkt wirklich gepackt, sonder eher eingeschläfert hat. Da gibt es die Bösen "da oben", ein paar Idealisten und ganz viel Kapitalismuskritik - vielleicht für die US-Amerikaner ein wichtiger Film, weil er - immerhin hochkarätig besetzt - eine Position in den Wirren der Finanzkrise einnimmt, aber muss man das dann gleich so auch so furchtbar dröge inszenieren? Und muss man eigentlich wirklich von seinen Zuschauern verlangen, dass die mindestens jeden New York Times-Artikel zu dem Thema gelesen haben um auch nur ansatzweise mitzukommen?

KOTTAN ERMITTELT - RIEN NE VA PLUS (Österreich 2010)
Original Titel. KOTTAN ERMITTELT - RIEN NE VA PLUS Regie. PETER PATZAK
Ich gebe es zu: der österreichische Fernseh- und Kino-Kult "Kottan ermittelt" war mir bis zu diesem Jahr nur vom Hörensagen her ein Begriff. So mag es dann auch ein wenig unfair anmuten, dass ich über ein Werk innerhalb einer mir völlig unbekannten Franchise richte. Aber ich kann ja auch nichts daran ändern, dass mir dieser Film so absolut nicht zugesagt hat und das obwohl eigentlich die Voraussetzungen ziemlich gut waren: Österreichische Krimisatiren sind oftmals besser als man denkt (vor allem, wenn sie aus der Feder von Wolf Haas stammen) und eine ordentliche Prise Helge Schneider in Form von absurd-grotesken Dialogen und Charakteren hat auch noch keinem Film geschadet. KOTTAN ERMITTELT aber ist ein wirscher, unausgegorener, völlig willkürlicher und mega-selbstreferentieller Film, der vermutlich nur Hardcore-Fans der Reihe Spaß macht - und bei allen anderen für verstörte wtf?-Gesichter sorgt.

THE ROOMMATE (USA 2011)
Original Titel. THE ROOMMATE Regie. CHRISTIAN E. CHRISTIANSEN
PG-13-"Thriller" über ein junges Mädel am College, dass von ihrer "Psycho Bitch™"-Mitbewohnerin fertig gemacht wird. Hat alles, was man nicht sehen will: eine langweilige Dramaturgie, massives over-acting und strunzdumme Dialoge und Wendungen. Unangenehmster Nebeneffekt des niedrigen Ratings ist übrigens eine arg in die Länge gezogene Duschszene, der man ihren Willen zur tits'n'ass-Einstellung deutlich anmerken kann, die aber genau diesen Schritt wegen der Freigabe nicht wagen darf und sich deshalb solange an einem Bauchnabel-Piercing delektiert bis auch der hartgesottenste Kinogänger das Gefühl der Fremdscham verspürt.

JAMES CAMERON'S SANCTUM (USA/Australien 2011)
Original Titel. SANCTUM Regie. ALISTER GRIERSON
Kein Film von James Cameron, sondern "clevere" Vermarktung. Mein Tipp an James: In Zukunft besser drüber nachdenken, ob man seinen Namen wirklich für jeden Schund hergeben muss. Das Drama um eine Gruppe von Höhlenforschern, die sich nicht mehr rechtzeitig aus einer voll Wasser laufenden Höhle retten können, ist erstaunlich unspannend, dämlich und öde inszeniert. Zudem gelingt es der Kamera nicht wirklich eindrucksvolle Bilder einzufangen, geschweige denn das 3D Münder offenstehen lassend einzusetzen. Fazit: Ganz großer Quark.

BEASTLY (USA 2011)
Original Titel. BEASTLY Regie. DANIEL BARNZ
Überflüssige Neu-Adaption der "Schöne und das Biest"-Erzählung, die sich im Fahrwasser der TWILIGHT-Filme an einer verkitschenden Modernisierung klassischer Sagen-Gestalten versucht und dabei nicht nur inhaltlich, sondern auch inszenatorisch auf dem Niveau 10-jähriger Mädchen bleibt. Dass der Film über die Überwindung der Oberflächlichkeit dabei selbst erschreckend oberflächlich bleibt, verwundert da auch nicht mehr. Einziger Lichtblick in dieser filmischen Zumutung: Man weiß jetzt immerhin, was mit Lady Gagas aufgetragenen Kostümen passiert: Sie landen im Kleiderschrank von Mary-Kate Olsen.

TRANSFORMERS 3 (USA 2011)
Original Titel. TRANSFORMERS - DARK OF THE MOON Regie. MICHAEL BAY
Ein dahingerotztes, sexistisches und peinlich pathetisches und plattes CGI-Fest, das mit Bombast davon abzulenken versucht, dass es mit seinen plumpen Schauwerten die vom Regisseur behauptete Substanz nur vorgaukelt; eine faserige, zusammengetackerte und nur ganz knapp haltende Franchise-Exploitation, die mit all dem Knall-Bumm ihre Zuschauer für 2 1/2 Stunden regelrecht lobotomisiert, damit bloß niemand die schlechte Regie und das lückenhafte und konfuse Drehbuch bemerkt. Hätte man diesen Film eingedampft auf die Chicago-Situation und darum eine ordentliche Story gebastelt, es hätte der Invasionsfilm der Dekade werden können. Stattdessen: Müll, Müll, Sondermüll.


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ASSASSINATION GAMES

ASSASSINATION GAMES (USA 2011)
Original Titel. ASSASSINATION GAMES Regie. ERNIE BARBARASH
Die ewig das Gleiche fordernde Fanschar ist immer noch tieftraurig weil Van Damme keinen Spagat mehr macht, Actionliebhaber mit weiterem Horizont freuen sich. Kein 80er-Jahre-Haudegen hat in den letzten Jahren eine dermaßen spannende Entwicklung durchgemacht wie die ehemals dauerzugedröhnte Kampffritte. Auch ASSASSINATION GAMES erfreut das Herz: Zusammen mit dem derzeit heißesten Fighter-Nachwuchs Scott Adkins empfiehlt sich Jean-Claude in einem packenden Thriller im besten 70er-Jahre-Stil als legitimer Charles-Bronson-Nachfolger, der auch in leisen Szenen mühelos überzeugt. Bitte, bitte, weiter so!

SUCKER PUNCH (USA 2011)
Original Titel. SUCKER PUNCH Regie. ZACK SNYDER
Zack Snyder etabliert sich mit SUCKER PUNCH als ausgefuchster Autorenfilmer im sündhaften teuren Blockbuster-Blazer. Wer sich traut, dem immer dümmer und dümmer werdenden Hollywood-Auswurf (TRANSFORMERS 3 dürfte wohl den momentanen Tiefpunkt markieren) einen cleveren, metaphorisch-metaleptisch aufgeladenen Plot und eine jede Konventionalität sprengende Bildgewalt, die die Liebe zum Kino in jeder Einstellung spüren lässt, entgegenzusetzen, hat schon dicke Eier. Ich kann seinen SUPERMAN kaum abwarten, auch wenn nach dem finanziellen Desaster seiner wegweisenden Mischung aus avantgardistischem Cyber-Märchen und Publikumsdemontage wohl zu erwarten ist, dass dem wilden Jungen die Zähne gezogen werden.

FAST & FURIOUS FIVE (USA 2011)
Original Titel. FAST FIVE Regie. JUSTIN LIN
Bombenüberraschung. Als ob man sich mit einem Rotstift die Vorgänger nochmal vorgenommen hat und nun das Fazit dieser Optimierung präsentiert: Ein funktionaler, aber mitreißender Plot, eine bestens aufgelegte Cast und schlichtweg atemberaubende Action, weitgehend frei von jeglichem Computerfirlefanz. Warum nicht gleich so?

F - LONDON HIGHSCHOOL-MASSAKER (Großbritannien 2010)
Original Titel. F Regie. JOHANNES ROBERTS
Uhi! Die Briten muffeln derzeit nicht nur in Sachen Eurokrise rum, sondern scheinen so langsam auch den Franzosen in Sachen Garstigkeit im Kino den Rang ablaufen zu wollen. Ganz so blutrünstig wie bei den Franzmännern geht's in F, einem argentoesqen Slasher des dereinst mit FOREST OF THE DAMNED unangenehm aufgefallenen Johannes Roberts - zwar nicht zu, dafür intensiviert der höhere Realitätsbezug das Geschehen deutlich. Eine Schule wird in den Abendstunden von mit Kapuzenshirts vermummten Jugendlichen angegriffen - ein alkoholkranker Lehrer setzt sich zur Wehr. Das ist dank der enorm kurzen Laufzeit zugegebermaßen etwas arg oberflächlich, allerdings auch verdammt spannend und mit klugem Gore-Einsatz und einem durch und durch garstigen Ende garniert.

THE VETERAN (Großbritannien 2011)
Original Titel. THE VETERAN Regie. MATTHEW HOPE
Gleich nochmal England. Düsterer, völlig paranoider Thriller um einen Afghanistan-Heimkehrer, der zwischen Drogenbanden und sinistren Geheimdienstler gerät und erkennen muss, dass er sich immer noch im Krieg befindet. Gnadenlos, regelrecht nihilistisch, ohne Zugeständnisse an irgendwas oder irgendwen. Traurig, dass so ein Glanzstück hierzulande auf dem Fantasy Filmfest verheizt wurde.

OHNE LIMIT (USA 2011)
Original Titel. LIMITLESS Regie. NEIL BURGER
In wunderbaren, einfallreichen Bildern umgesetzter Thriller um eine Wunderpille, die wohl jeder gerne hätte. Bradley Cooper beweist erneut leading man- Qualitäten, Robert De Niro strengt sich mal wieder etwas mehr an und soviel Unmoral am Ende hätte man gerne öfters.

SNIPER: RELOADED (USA/Südafrika 2011)
Original Titel. SNIPER: RELOADED Regie. CLAUDIO FÄH
Dass DTV-Sequels nicht zwangsläufig minderer Qualität sein müssen, beweist die SNIPER-Franchise. Tom Berenger ist leider nicht mehr dabei, aber auch ohne ihn lässt der vierte Teil die Muskeln spielen. Ein ernsthafter, spannender Plot in exotischer Location, gute Darsteller und absolut sehenswerte, clever umgesetzte Action erfreuen das Herz - wenn nur alle Sequels so fein wären...

BEDEVILLED - ZEIT DER VERGELTUNG (Korea 2011)
Original Titel. KIM-BOK-NAM SAL-IN-SA-EUI JEON-A Regie. CHUL-SOO JANG
Eingekleidet in sonnendurchflutete Inselromantik wird von einer armen, geschundenen Frau in einer Dorfkommune erzählt, die sich gegen eine patriarchalischen Übermacht zur Wehr setzen muss und dabei auch von der emotional vernarbten Großstadtfreundin schmählich im Stich gelassen wird. Regisseur Chul-soo Jang gelingt dabei eine wagemutige Gratwanderung zwischen Exploitation und Tragödie: Das Schicksal der sympathischen, liebenswerten Frau wird unter Umschiffung jeglicher Klischees bis weit über die Hälfte des Films so DERMASSEN gnadenlos geschildert, dass schlussendlich wohl selbst Gandhi den finalen Griff zur Sichel herbeilechzen würde, doch BEDEVILLED stellt seinem Publikum ein unverhofftes Bein - Die (blutige, sehr blutige) Abrechnung kommt, das erlösende Moment bleibt allerdings aus...

I SAW THE DEVIL (Korea 2010)
Original Titel. AKMAREUL BOATDA Regie. JEE-WOON KIM
Natürlich zückten auch hier schon flugs nach Erscheinen des Films die obligatorischen Internetbesserwisser zwanghaft die "overhyped"-Karte - alles Blödsinn. Kim Jee-Wons Gewalt-Operette hat jeden Zentiliter Zuspruch ehrlich verdient, solch einen radikalen Genrefilm (in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht) hat man lange nicht mehr gesehen und so hält I SAW THE DEVIL selbstbewusst in einer herrlich frechen Szene schon in den ersten Minuten dem US-Vorzeigethriller SE7EN den gestreckten Mittelfinger ins verstaubte Antlitz. Wo Fincher einst aufhörte, macht Jee-Won g.n.a.d.e.n.l.o.s weiter: Die Guten gibt's nicht mehr, der allgegenwärtige Tod ist hässlich, gemein und kommt in dieser edlen Hochglanz-Umgebung noch viel perfider.

DETECTIVE DEE UND DAS GEHEIMNIS DER PHANTOMFLAMMEN (China/Hong Kong 2010)
Original Titel. DI RENJIE ZHI TONGTIAN DIGUO Regie. TSUI HARK
Comeback 2011: Tsui Hark ist wieder da! DETECTIVE DEE UND DAS GEHEIMNIS DER PHANTOMFLAMMEN ist die sehnsüchtig herbeigesehnte Rückkehr zur alten Form! Zwar völlig retro, aber retro kann Mr. Hark offenbar am Besten, vorbei die Zeiten halbgarer Experimente. Tolle Story, super Besetzung, irre Schauwerte und endlich wieder sorgfältig und konzentriert umgesetzt - und gleichzeitig ein schöner Ersatz für den missratenen letzten INDIANA JONES.

Weitere nennenswerte Titel: BLITZ, UNTHINKABLE, UNKNOWN IDENTITY, DEVIL, STREET KINGS 2: MOTOR CITY
Ansonsten war 2011 gewohnt mau. Die meisten sehenswerten Filme gelangen mittlerweile gar nicht mehr ins Kino, gute Genreware gibt's offenbar nur noch im DTV-Bereich und das Hollywood-Kino wird parallel zu den immer perverser ansteigenden Budgets (ein offenbar zwischen zwei Meetings hingerotzter DICKSTE FREUNDE kostet $70 Millionen? Wollt Ihr mich verarschen?) immer schlampiger und lebloser, nur Internetschreck Uwe Boll sorgte auch in diesem Jahr wieder für beste Unterhaltung:
Das Schönste an AUSCHWITZ war die Rezeption der Rezeption. So gnadenlos hat sich die selbsternannte Online-Filmexpertenelite noch nie demontiert. VOR der Veröffentlichung von AUSCHWITZ wurde Bolls Film bereits zerrissen, weil jeder sich den ultimativen KZ-Folterschocker zusammenfantasierte. NACH der Veröffentlichung von AUSCHWITZ klammerte man sich, Boll hatte frecherweise das Bestellte nicht geliefert, verzweifelt an "schlechter Recherche" oder an irgendwelchen Aussagen des vom kleingeistigen Pöbel völlig zu Recht genervten Regisseurs. (Nur über den Film wurde selbstredend kaum ein Wort verloren.) Hab sehr gelacht. Danke, Uwe!


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KIDNAPPED

KIDNAPPED (Spanien/Frankreich 2010)
Original Titel. SECUESTRADOS Regie. MIGUEL ANGEL VIVAS
In 12 marternden Einstellungen dokumentiert Vivas den verzweifelten Überlebenskampf einer Familie in den Händen einer Einbrecher-Gang. Auf dem Papier nicht gerade ingeniös, aber formal eine Offenbarung: selbst wenn Vivas hier und da einen hektischen Moment für einen versteckten Schnitt in Hitchcock-Manier genutzt haben sollte, täte dies der unmittelbaren Wirkung seines drastischen Home-Invasion-Thrillers keinen Abbruch. Rücksichtsloses Echtzeit-Erfahrungs-Kino, daß einen schluckt, durchwalkt und wieder auskotzt.

WASTED ON THE YOUNG (Australien 2010)
Original Titel. WASTED ON THE YOUNG Regie. BEN C. LUCAS
Als ein Teenager erfährt, daß Klassenkameraden seiner besten Freundin auf einer Party K.O.-Tropfen verabreicht und sie vergewaltigt haben, brennen bei ihm die Sicherungen durch ... Ben C. Lucas' stylisher Thriller klammert die Erwachsenenwelt aus - spannendes Stilmittel, welches den Kids Freiraum lässt, Konflikte nach eigenem moralischen Gutdünken zu lösen oder wahlweise eskalieren zu lassen. Der Alltag an einer Elite-Highschool, wo jeder Geld, ein I-Pad und einen Facebook-Account hat, aber nur die wenigsten echte Freunde, entwickelt so seine ganze eigene Dynamik. Macht ist die Währung; entweder man herrscht, dient oder passt sich an … Rebellen geraten unter die Räder. Bilder so kühl und glatt wie eine Hochhauswand aus Stahl und Glas, innovativer Schnitt und jede Menge talentierter Jungstars machen WASTED ON THE YOUNG zu meinem persönlichen Geheimtip 2011.

BLACK SWAN (USA 2010)
Original Titel. BLACK SWAN Regie. DARREN ARONOFSKY
Dies ist der Film, den wir uns alle von Dario Argento gewünscht haben: ein fiebriger Alptraum, in dem sich Wahn, Paranoia und Tchaikovsky im Unterbewußtsein von Natalie Portman eingenistet haben und nun von innen heraus ihre Seele in ein Puzzle zerlegen. Wohin das alles führt, ist unschwer zu erraten, aber der Weg dorthin ist gespickt mit psycho-sexuellen Spitzen und knalligen Schocks. Ein lupenreiner Giallo, so unlogisch wie unwiderstehlich.

THE GUARD: EIN IRE SIEHT SCHWARZ (Irland 2011)
Original Titel. THE GUARD Regie. JOHN MICHAEL MCDONAGH
Komödien, die ich 2011 im Kino gesehen habe, kann ich an der verletzten Hand abzählen ... darunter immerhin die Beste - so jedenfalls versicherte man mir: THE GUARD gehört zu jenen tollen Filmen, die Humor durch ihre Charaktere definieren, anstatt den Plot mit Witzen zu verkrüppeln. Das irische Hinterland und seine einzigartigen Bewohnern, jeder mit seiner persönlichen Macke, ist ein dankbares Setting für einen durchweg glaubwürdig gespielten Krimi, der erst in seinen melancholischen Momenten so richtig aufblüht. Wer BRÜGGE SEHEN... UND STERBEN? zu seinen Lieblingsfilmen zählt, sollte sich diese stimmungsmäßig ähnlich gepolte Perle keinesfalls entgehen lassen.

CONFESSIONS: GESTÄNDNISSE (Japan 2010)
Original Titel. KOKUHAKU Regie. TETSUYA NAKASHIMA
Tetsuya Nakashima bleibt seinem plakativen Live-Action-Anime-Stil treu, komponiert aber eine Oktave tiefer: sein exquisit bebildertes Highschool-Drama könnte auch als Videoclip zu Radioheads "Last Flower" durchgehen, wäre da nicht der verschachtelte Plot über die Rache eine Lehrerin, deren Tochter von zwei ihrer Schüler getötet wurde. So einen Film - so kalt, so trostlos, so wunderschön - wünsche ich mir von Tim Burton.

A NIGHT IN NUDE: SALVATION (Japan 2010)
Original Titel. NUDO NO YORU: AI WA OSHIMINAKU UBAU Regie. TAKASHI ISHII
Takashi Ishii is back ... so richtig weg war er ja nie, nur hat man von ihm schon länger keinen Film mehr gesehen, wo sich Sex und Dialoge in etwa die Waage hielten ... sein kinky Rotlicht-Thriller hat endlich wieder alles was man als Fan von einem "echten" Ishii erwartet: starke Frauen, wunderschöne kalte Bilder, mehr Noir-Klischees als eine "Max Payne"-Cut Sequence, Fetisch und Sleazegalore, und hier und da eine Prise unfreiwillige Komik. Danke, Nippon-Connection!

SUCKER PUNCH (USA 2011)
Original Titel. SUCKER PUNCH Regie. ZACK SNYDER
Snyder scheißt auf Erzählkino und wählt den kleinsten gemeinsamen Nenner als Aufhänger: Bilder! Ein bißchen Anime, ein bißchen Steampunk, ein bißchen ALICE IN WONDERLAND meets SOPHIES WELT, und (leider erst im Director's Cut) obendrein sogar eine Musical-Nummer. Ein mutiger Versuch, Kino neu zu erfinden - leider gefloppt ... die breite Masse war noch nicht bereit für Zack Snyders exzentrische Pop-Vision.

COLD FISH (Japan 2010)
Original Titel. TSUMETTAI NETTAIGYO Regie. SHION SONO
Mein allerliebster Menschenfeind dreht derzeit einen Knaller nach dem anderen. Filme, die man abscheulich, pervers, wirr und irritierend finden darf, aber vergessen wird man sie nie wieder. In COLD FISH liegen galliges Gelächter und nihilistische Schocks so dicht beieinander, daß man ob dem Versuch, beide voneinander zu trennen, schier wahnsinnig werden kann; ein bißchen wie der Hauptdarsteller: ein einfacher Geschäftsmann, der zum Komplizen eines Serienkillers wird, und dabei ein paar dunkle Flecken auf seiner Seele entdeckt, die alsbald auch auf seine Familie abfärben.

THE WOMAN (USA 2011)
Original Titel. THE WOMAN Regie. LUCKY MCKEE
Was kochte hier die Internet-Gerüchteküche: von handfesten Skandalen auf dem Sundance-Festival war zu lesen, hässliche Worte wie "Misogyn", "Ketchum" und "Torture Porn" drehten die Runde, und am Ende? Alles halb so wild. Den schmierigen Negativ-Hype hätte THE WOMAN jedenfalls nicht gebraucht, das Endergebnis trägt zum Glück mehr die Handschrift von Lucky McKee als Jack Ketchum, und ist, drücken wir's mal vorsichtig aus, einer der intensivsten Horror-Thriller der letzten Jahre. Nicht etwa, weil die Kamera besonders lange draufhält, sondern weil der Film auf weiteren Ebenen funktioniert: zum Beispiel als satirisches Porträt von mittelständischem Spießertum, dabei (Charakteren zum Trotz, bei denen man einfach schlucken muß, daß sie bereits zu Beginn einen Großteil ihrer Menschlichkeit abgelegt haben) in letzter Konsequenz sogar mit feministischer Note abgeschmeckt.

WER IST HANNA? (USA/Großbritannien/Deutschland 2011)
Original Titel. HANNA Regie. JOE WRIGHT
Wenn ich an Actionfilme 2011 denke, fallen mir zwei großartige Sequenzen ein, welche mit formaler Perfektion für Atemaussetzer sorgten: zum einen die Szene im koreanischen A MAN FROM NOWHERE wenn der Kameramann dem Helden ohne erkennbaren Schnitt durch eine zerberstende Fensterscheibe hinterher auf die Straße springt, die andere beginnt als Eric Bana in Joe Wrights WER IST HANNA? in Berlin aus dem Bus steigt, in den folgenden 5 Minuten von Attentätern hinab in eine U-Bahn-Station verfolgt wird, und endet mit einer beeindruckend realistisch choreographierten Kampfszene. Alles in einem Take. Wenn dann noch der Rest geschickt sämtliche Klischees umschifft und ein paar Charaktere vorstellt, deren Schicksal uns nicht egal ist, haben wir alle Zutaten für den besten Film des Jahres zusammen.

flop

AND SOON THE DARKNESS (USA/Argentinien/Frankreich 2010)
Original Titel. AND SOON THE DARKNESS Regie. MARCOS EFRON
Das größte, was dieses einfallslose Remake vollbracht hat, ist unsere Aufmerksamkeit auf das Original zu lenken: ein kleiner, feiner, ungemein atmosphärisch komponierter Thriller. Und die Neuverfilmung? Bloß ein profilloser Fast-Food-Krimi, der seine wenigen guten Ansätze mit lauten Slasher-Elementen zukleistert; ein schales Zugeständnis an eine ADHD-gesteuerte Zielgruppe, die ohnehin lieber einen anderen Film gesehen hätten.

JONAH HEX (USA 2010)
Original Titel. JONAH HEX Regie. JIMMY HAYWARD
Die lange und traurige Produktionsgeschichte von JONAH HEX ist ein Paradebeispiel dafür, wie man das opportunistisch aufgezäumte PG-13-Pferd samt Sattel, Sporen und Scheiße an den Hufen vom Galopp über den biologisch gedüngten Acker ins Grab reitet. Nichtssagende Dutzendware, die von sämtlichen Ecken und Kanten befreit, dahindümpelt, und vorbei ist bevor sie angefangen hat. Was hätte den Film gerettet? Mehr Steampunk, mehr enggeschnürte Korsetts, mehr Malkovich außer Rand und Band. Und einen heißen Feger wie Megan Fox derart undankbar zu verheizen, dafür braucht es schon Talent.

I SPIT ON YOUR GRAVE (USA 2010)
Original Titel. I SPIT ON YOUR GRAVE Regie. STEPHEN R. MONROE
Meir Zarchis Original aus den 70ern war ein räudiges, destruktives Stück Exploitation, wie man es selten zu sehen bekommt. Das Remake hatte die Chance mehr zu sein ... ein Thriller, ein Drama, eine Charakterstudie, whatever. Leider opfert Steven R. Monroe nach einer verdammt intensiv gespielten ersten Hälfte die starke Prämisse einem überdrehten Folter-Comic mit abstrus konstruierten Verstümmelungs-Mechanismen à la SAW und vergisst darob gänzlich das Leid seiner Hauptfigur (furchtlose Performance von Sarah Butler). Leider ist auch das Gemantsche nur halb so lustig wie so mancher Lacher beim Fantasy Filmfest-Screening implizierte. Eigentlich nur traurig. Und ärgerlich. Verschenkt.

GANTZ (Japan 2010)
Original Titel. GANTZ Regie. SHINSUKE SATO
Inszenatorische Unzulänglichkeiten mag es schon in der gezeichneten Vorlage gegeben haben, so richtig häßlich treten die aber erst ohne schwarze Umrandungen zutage: schnuckelige Jungs und Mädels rennen zweieinhalb Stunden vor Monstern davon ohne ihre Mega-Wummen abzufeuern - warum auch … ? Die töten nämlich mit einem Schuß, und es gäbe keinen Grund mehr, die Story in zwei Teile aufzusplitten, um so gleich zweimal bei den Anime-Nerds abzusahnen. Die werden in der glattgebügelten Blockbuster-Konvertierung allerdings die misanthropisch angehauchte Exploitation des Mangas vermissen. Schade, dabei hätte die Idee durchaus legitimes Seifenoper-Potential.

TRANSFORMERS 3 (USA 2011)
Original Titel. TRANSFORMERS - DARK OF THE MOON Regie. MICHAEL BAY
"Drück mir den Würfel in die Brust" lautete der prägnanteste, nur leidlich intelligente Satz des ersten Teils. Wie sieht also ein Film aus, der sich diese Worte zu Herzen genommen, und drumherum einen kompletten Handlungsrahmen auf demselben Niveau gestrickt hat ... ? 90 Minuten willkürlich zusammengewürfelter Bullshit, bei dem keine Szene auf der vorhergehenden aufbaut, sondern jedesmal von Neuem mit einem Establishing Shot beginnt, gefolgt von 45 Minuten chaotischem Dauergetöse, ungeführt, bar jedweder Choreographie und Megan Fox; Hauptsache laut und in fucking 3-D - drückt euch den Würfel in den Arsch!


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DIE LIEBESFÄLSCHER

DIE LIEBESFÄLSCHER (Frankreich/Italien/Belgien 2010)
Original Titel. COPIE CONFORME Regie. ABBAS KIAROSTAMI
Die Kunst, formalistische Versuchsanordnungen leichterhand zum Leben zu erwecken, hat Kiarostami immer schon beherrscht. Wie er hier aber sperrige Mimesistheorie in sonnig-mediterrane Liebesdiskurspraxis überführt und sein quasselndes Flaneurpärchen dabei unbeschadet durch eine David-Lynch-Volte schleust, die den Film eigentlich sprengen müsste - das ist, man verzeihe mir die thematische Ironie: unnachahmlich.

MYSTERIES OF LISBON (Portugal/Frankreich 2011)
Original Titel. MISTÉRIOS DE LISBOA Regie. RAÚL RUIZ
Portugal um 1800: Ein Junge sucht seinen Platz in der Welt in einem Guckkasten voller Geschichten. Unerhörter als alle Begebenheiten ist die veteranenhafte Gelassenheit, mit der Ruiz sie einfängt: Zwischen erodierenden Identitäten und Häusern in Aufruhr spielt seine Kamera in aller Seelenruhe Mäuschen, durchstreift das labyrinthische Treiben in langen, weichen, mild amüsierten Pirouetten. Ein ansteckender Erzählrausch, der auteristische Eitelkeiten beinah hinter sich gelassen hat.

DAS TURINER PFERD (Ungarn/Frankreich/Deutschland 2011)
Original Titel. A TORINÓI LÓ Regie. BÉLA TARR
So lässt man im Kino die Welt untergehen (I'm looking at you, Lars von Trier): Als granitschwarze Todesfuge - Wind, Cello, Kartoffeln, Cello, Kartoffeln, Wind, Wind, Kartoffeln, Cello -, die wie ein endlos kreisender Mühlstein erst die Erinnerung an andere Filme, andere Menschen, überhaupt alles Leben und ganz zum Schluss sich selbst auslöscht.

BRAUTALARM (USA 2011)
Original Titel. BRIDESMAIDS Regie. PAUL FEIG
Wie die besten amerikanischen Komödien steckt auch diese voller Hier und Jetzt. Am Körper- und Sprachgestus, am Umgang der Freundinnen miteinander ist immer nur so viel Konvention, wie man zum Greenlighten braucht. Drama ist zwar reichlich vorhanden, die Essenz des Films sind aber die langen Trödelphasen dazwischen: Erzählprokrastination, bei der man gern zwei Stündchen und länger verweilt. Und dass eine Kristen Wiig zwanzig Katherine Heigls, ein Jon Hamm zwanzig Gerard Butlers etc. wettmacht, muss ich hoffentlich nicht erwähnen.

ANOTHER YEAR (Großbritannien 2011)
Original Titel. ANOTHER YEAR Regie. MIKE LEIGH
"Friedlich und heiter ist dann das Alter", my ass. Nach diversen Abstechern ins Humanistische ergreift Leigh wieder die totale Desillusion. Im frühlingshaften Glück eines Herbstpärchens spiegelt sich grotesk vergrößert das Unglück im Freundeskreis: Armut, Verbitterung, Fettsucht, Erbärmlichkeit. Ein schwer alkoholisiertes Dornenstück, eine bodenloses Cougar-Trauerspiel, fast ein Horrorfilm.

ARRIETTY - DIE WUNDERSAME WELT DER BORGER (Japan 2010)
Original Titel. KARI-GURASHI NO ARIETTI Regie. HIROMASA YONEBAYASHI
Aus üppigen Fantasiegefilden kehrt Ghibli in die gute Kinderstube zurück. Das Milieu ist posher als bei TOTORO, die Grundstimmung schwermütiger - aber wenn sich die winzige Heldin auf Expedition in die Menschenküche begibt, um riesenhafte Zuckerwürfel zu stibitzen, stellt sich ein wohlbekannter Zauber ein. Niemand beseelt das Profane wie Miyazaki und Co.

DREILEBEN: KOMM MIR NICHT NACH (Deutschland 2011)
Original Titel. DREILEBEN: KOMM MIR NICHT NACH Regie. DOMINIK GRAF
Zusammen mit dem bizarren POLIZEIRUF-Giallo "Cassandras Warnung" attackiert Graf die öffentlich-rechtliche Guteabendunterhaltung: Beide Filme sind randvoll mit Irritationsmomenten, Zooms auf bedeutungslose Objekte, hochpointierte Zwiegespräche aus reiner Laberlust, verwaiste Subplots mit rätselhaften Connections zur Haupthandlung. Und für sein stetig wachsendes Bildarchiv regionaler Infrastruktur könnte man ihm im Namen künftiger Generationen eigentlich jetzt schon mal danken.

BLACK SWAN (USA 2010)
Original Titel. BLACK SWAN Regie. DARREN ARONOFSKY
Aronofsky unter Prätentionsverdacht zu stellen ist als Reflex vernünftig, in diesem Fall aber ein heilloses Missverständnis. Natalie Portmans flatteratmige Verspanntheit, der dauerparanoide Kindchenblick, die milchig-dicken Schweißperlen auf Brust und Stirn - so eine wunderbar plumpe Form von an die Oberfläche geschwemmter "Figurenpsychologie" gab's zuletzt im Eurosleaze der seligen 70er (vgl. Edwige Fenech in DIE FARBEN DER NACHT). Und als Grand-Guignol-Nägelaufroller war das Ding dieses Jahr eh konkurrenzlos.

THE TREE OF LIFE (USA 2011)
Original Titel. THE TREE OF LIFE Regie. TERRENCE MALICK
Schwenk zum Himmel: "That's where God lives." Dass ich an dieser Stelle nicht kotzen, sondern heulen möchte, ist im Nachhinein das größte Wunder dieses unter Wundern fast zusammenkrachenden Films. Es gibt kluge, fundierte Verrisse zu Malicks majestätischem Licht- und Weihefest und nur wenige Lobpreisungen, die nicht zumindest ein bisschen verblendet klingen. Endstation Bauchgefühl. "Zum Hirnausschalten", sagt man meist abschätzig. In Wahrheit vielleicht doch ein Segen.

DIE HÖHLE DER VERGESSENEN TRÄUME (Kanada/USA 2010)
Original Titel. CAVE OF FORGOTTEN DREAMS Regie. WERNER HERZOG
He will look where we cannot: 3D-Kino als archäologisches Wirklichkeitsreservoir, darüber können auch eingefleischte Ludditen nicht meckern, und der Rest staunt Bauklötze. Beinah faszinierender als die sich in den Zuschauerraum wölbenden Pferdebilder ist die prähistorische Kunsthalle selbst, die Chauvet-Höhle mit ihren wie zum Reinstarren gemachten Kavernen, funkelnden Kalkkämmen, wächsernen Knochenresten. Wenn dazu noch ulkige Forscher ernst aus der Tiefe glubschen und Herzog närrische Philosopheme wispert, hat die ekstatische Wahrheit einmal mehr über den Discovery Channel triumphiert.

flop

DIE ABENTEUER VON TIM UND STRUPPI (Neuseeland 2011)
Original Titel. THE ADVENTURES OF TINTIN Regie. STEVEN SPIELBERG
Während J.J. Abrams' formvollendetes Spielberg-Konfekt SUPER 8 nur knapp die Top 10 verfehlt hat, übt sich der Meister selbst in stubenreiner Virtuosität zum Ab- und Einnicken. Die großen Setpieces sind mindestens doppelt so sophisticated wie, sagen wir, KUNG FU PANDA 2, machen aber nicht halb so viel Spaß. Kein Wunder, dass Serkis sich so leidenschaftlich in den sternhagelvollen Haddock reinlehnt: Gegen die aufwändig emulierte Piefigkeit der Vorlage hilft wirklich nur noch Saufen.

MIDNIGHT IN PARIS (USA/Frankreich 2011)
Original Titel. MIDNIGHT IN PARIS Regie. WOODY ALLEN
Weiß gar nicht, was mich an Woodys sagenhaft stupidem Namedropping-Parcours durch die Goldenen Zwanziger ("Guten Tach, ich heiße Hemingway") mehr stört: Die Suhlerei in abgestandener Pseudo-Meta-Nostalgie oder Owen Wilsons Lieb'-Hascherl-Modus (Idealbesetzung zum Vergleich: siehe James L. Brooks' quietschvergnügt neben der Spur fahrende Romcom WOHER WEISST DU, DASS ES LIEBE IST?). Ein Alterswerk fürs Altersheim.

COLD FISH (Japan 2010)
Original Titel. TSUMETTAI NETTAIGYO Regie. SHION SONO
"Der Mensch ist schlecht!" Ach nee.

Während bei den oberen Filmlistenplätzen durchaus noch was geht (ohne die Vorgabe des Deutschlandstarts wäre z.B. Clio Barnards lippensynchron nachgespielte Talking-Heads-Doku THE ARBOR reingerutscht), ist die Sache im Seriensektor völlig klar: Nichts kam dieses Jahr an die zweite Staffel von LOUIE heran. Written, produced, edited and directed by Louis C.K., der sich dazu auch noch selbst spielt: ein New Yorker Comedian und geschiedener Vater im beständigen losing battle gegen romantische Dürre, soziale Überforderung und den eigenen Körper ("I'm always in a 48-hour window of diarrhea"). In kaum zehnminütigen, um Kontinuität und Kalkulierbarkeit herzlich wenig bemühten Segmenten steht Louie Mal um Mal als Tor vor dem Absurden, das in der nüchternen Diskrepanz zwischen Lenny-Bruce-Stadtvilla und 7000-Dollar-Kontostand ebenso Ausdruck findet wie in einem Obdachlosen, dem ein Müllauto den Kopf vom Rumpf fährt. Zwischendurch destillieren passioniert unflätige Standup-Bits die nötige Komik aus einem Alltag, der grundsätzlich zum Toaster-in-die-Wanne-Schmeißen ist. Und doch: Wenn LOUIE von irgendetwas handelt, dann von der Frage, warum es sich zu leben lohnt (beste Antwort: um beim Autofahren zu The Who auszuticken). Die aufrichtige Empathie, mit der er dabei noch den abseitigsten Glücksentwürfen begegnet (Christians Against Masturbation!), ist beispiellos. "You're so afraid of life that you're boring", muss Louie sich einmal anhören. Auf seine Show trifft gerade das Gegenteil zu.


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MIDNIGHT IN PARIS

MIDNIGHT IN PARIS (USA/Frankreich 2011)
Original Titel. MIDNIGHT IN PARIS Regie. WOODY ALLEN
Das größte Kinoereignis des Jahres: Wer einen Film mit der vollständigen Einspielung von Sidney Bechets "Si tu vois ma mère" eröffnet, der erobert mein Herz im Sturm - handelt es sich doch um ein Standard eines meiner Lieblings-Jazzmusiker! Wenn dann auch noch ein magischer Film folgt, in dem es für Zeitreisen, skurrile Begegnungen und ein bisschen Tea-Party-Bashing keinerlei Erklärungen bedarf, weil solche Dinge in einem Film nun mal geschehen können, kann es tatsächlich passieren, dass ich dreimal reingehe. Selbstverständlich hilft es, wenn man sich gegenüber den irrationalen Grundprämissen des Films öffnet und die Namen Hemingway, Cole Porter, Picasso und Toulouse-Lautrec schon mal gehört hat. Ein herrliches kleines Filmchen - anspruchslos vergnüglich und vergnüglich anspruchslos. In diesem Sinne: Lithuanians and Letts do it, let‘s do it, let‘s fall in love.

THE ASCENT (Montenegro 2011)
Original Titel. POSLJEDNJE POGLAVLJE Regie. NEMANJA BECANOVIC
Der Thriller des Jahres: Was könnte langweiliger klingen als vier urige Bergbewohner und ein frustrierter Schriftsteller, die sich in einer gottverlassenen montenegrinischen Berghütte tagelang anschweigen? Tatsächlich habe ich aber dieses Jahr keinen Film gesehen, der eine dermaßen dichte Spannung aufbaut (und in der letzten Viertelstunde so drastisch auflöst), und dies mit einem solch sparsamen Einsatz von Budget, Dialog und Kamerafahrten. Hollywood und das westeuropäische Kunstkino könnten sich bei diesem Regiedebüt aus dem Balkan eine Scheibe abschneiden. Ein deutscher Kinostart steht zwar nicht fest, aber es bleibt zu hoffen, dass die vielleicht dritten Programme THE ASCENT 2012 mal zeigen werden.

FOUR LIONS (Großbritannien 2010)
Original Titel. FOUR LIONS Regie. CHRISTOPHER MORRIS
Die schwarze Komödie des Jahres: Hier kann man über islamistische Terroristen genau so lachen wie über den Umgang des Westens mit ihnen. Dabei verfällt der Film nie in lahmen Klamauk. Sicher: der fanatische Konvertit, der grenzdebile Proll und der schüchterne Religiöse werden als Klischees eingesetzt. Die hochgradig ambivalente und vielschichtige Figur des Omar, des scheinbar mit beiden Füßen auf dem Boden stehenden Familienvaters, macht diese Vereinfachungen wieder wett und wirft viele Fragen auf, glücklicherweise ohne fest gefügte Antworten liefern zu wollen. Der Zuschauer sympathisiert mit dem Menschen Omar, ohne ihn vollständig vom Terroristen Omar abkoppeln zu können. Die zweite Sichtung war sehr lohnenswert, da zwischen beiden Sitzungen die Tötung Osama Bin Ladens lag: dies verlieh dem Film eine sehr interessante zusätzliche Bedeutungsebene.

THE FUTURE (USA/Deutschland 2011)
Original Titel. THE FUTURE Regie. MIRANDA JULY
Der kleine charmante Indie-Film des Jahres: Die zweite Sichtung lohnt sich auf jeden Fall! Der Zuschauer kann sich dann sehr viel besser auf die rein metaphorischen Ebenen dieses... dieses... Beziehungsdramas?... konzentrieren. Das heißt nicht, dass man sich über das Beziehungsviereck um ein 35-jähriges Pärchen, einem wesentlich älteren Transparenten-Verkäufer und einer verletzten Heimkatze stundenlang den Kopf zerbrechen muss. Vielmehr lebt der Film von vielen kleinen liebenswürdigen Ideen und Gedankenbruchstücken, die erst bei der zweiten Sichtung mehr als die Summe ihrer Teile ergeben.

MAD CIRCUS (Spanien 2011)
Original Titel. BALADE TRISTE DE TROMPETA Regie. ÁLEX DE LA IGLESIA
Der verrückte Film des Jahres: Das Werk um den (metaphorischen) blutigen Todeskampf zwischen einem republikanischen traurigen und einem franquistischen lustigen Clown ist keineswegs perfekt. Dafür sind einerseits die meisten Action-Sequenzen zu hektisch inszeniert, andererseits hätte der Film eine gewisse Straffung der Handlung als Ausgleich vertragen können. Trotzdem schuf de la Iglesia einen unvergesslichen, aberwitzigen, schockierenden, nachdenklichen, überraschenden Film, der alle Liebhaber von Historiendramen, Komödien, politischen Satiren, Melodramen, Splatter- und Horrorfilmen wenn nicht vollständig befriedigen, so doch ausgiebig unterhalten dürfte.

1810 - FÜR EINE HANDVOLL KASPRESSKNÖDEL (Österreich 2011)
Original Titel. 1810 - FÜR EINE HANDVOLL KASPRESSKNÖDEL Regie. HARALD HALLER . DANIEL LENZ
Das skurrilste Kinoerlebnis des Jahres: Ein Findelkind wird vom tirolerischen Bauer Point adoptiert. Aufgrund einer Sprachstörung wird der Junge, Alldie genannt, zum Außenseiter im Dorf: statt Tirolerisch spricht er Preußisch. Damit aus ihm doch mal was wird, geht er zu Hattori Hans, um die Kunst des Sichelkämpfens zu lernen. Als die französische Armee in Österreich einmarschiert, wird Alldie zum Helden des Tiroler Freiheitskampfes... Sicher: die Filmemacher haben nicht die Klasse von Monty Python. Klar: manchmal wissen sie nicht, wann ein Witz nicht mehr lustig ist oder eine skurrile Situation einer Auflösung bedarf. Bestimmt: 85 statt 105 Minuten hätten auch gereicht. Aber einen solchen durch und durch österreichischen Film im einzigen Programmkino von Graz zu sehen ist ein unvergessliches Erlebnis! Ob die Sichtung der DVD im heimischen Preußen, Baden, Westfalen oder Thüringen genau so interessant wird, kann ich (noch) nicht garantieren.

MELANCHOLIA (Dänemark/Schweden/Frankreich 2011)
Original Titel. MELANCHOLIA Regie. LARS VON TRIER
Das gescheiterte Meisterwerk des Jahres: Der Prolog und die letzten paar Minuten waren die überwältigendsten Kinomomente des Jahres 2011. Dazwischen lagen fast zwei Stunden mit einer völlig hysterischen Wackelkamera. Diese hatte den negativen Nebeneffekt, dass weite Teile des Films die ästhetische Qualität eines schlechten Amateurpornos hatten, was die großartige Story leider oft überlagerte. Andererseits wurde mir durch die "Kameraführung" stellenweise so übel, dass ich fast meinen Mageninhalt auf die Sitzreihe vor mir entleert hätte. Deshalb hieß es zwischendrin immer wieder: Augen zu (oder auf die Knie richten) und durch. Denn die nicht umsonst in Anlehnung an Sade benannte Justine-Figur und ihre fantastische Darstellerin Kirsten Dunst waren viel zu faszinierend, um vor dem lächerlichen Kamera-Rumgewackel zu kapitulieren. Der Lohn für die Beharrlichkeit war ein zweiter Weltuntergang, der die Intensität des ersten trotz kürzerer Dauer sogar noch übertraf.

flop

CONTAGION (USA/Vereinigte Arabische Emirate 2011)
Original Titel. CONTAGION Regie. STEVEN SODERBERGH
Für einen Katastrophenfilm zu lahm, für einen Thriller null Spannungsaufbau, für ein Familien- oder charakterzentriertes Drama viel zu viele (Quantitätsproblem) und viel zu hohle Charaktere (Qualitätsproblem)... und für einen Film über eine ansteckende Krankheit erstaunlich steril! CONTAGION vermittelt einem, wie man sich in einer Einführungsvorlesung für Mediziner wohl fühlen würde. Das Kino ist aber kein Hörsaal, sondern eine Kultstätte für das Medium Film. Das vergisst Soderbergh leider oft und reduziert Kate Winslet lieber mal zu einem Whiteboard-Marker-schwingenden Erklärbär. Einige kleine starke Momente bilden leider auch in der Summe kein Ganzes und enttäuschen umso schwerer, als sie ein enormes, aber verschwendetes Potential andeuten.

EINE DUNKLE BEGIERDE (Kanada/Deutschland/Großbritannien 2011)
Original Titel. A DANGEROUS METHOD Regie. DAVID CRONENBERG
Der neue Cronenberg-Film ist besser als A HISTORY OF VIOLENCE und TÖDLICHE VERSPRECHEN, was bei diesen beiden üblen Machwerken allerdings auch keine große Kunst ist. Das Problem liegt nicht darin, dass Cronenberg sich zum Mainstream-Regisseur wandelt, sondern dass er zu einem ziemlich schlechten Vertreter dieser Gattung mutiert. EINE DUNKLE BEGIERDE ist dank ausufernder Dialoge in unorigineller Schnitt-Gegenschnitt-Präsentation öde, trivial und schulmeisterlich geraten. Die menschlichen Konflikte der Hauptfiguren werden unglaubwürdig inszeniert, wie auch überhaupt der Film sich für die Figuren nur wenig zu interessieren scheint. Dies lässt dem Zuschauer fast nichts mehr übrig, worauf er seine Aufmerksamkeit lenken könnte. Da helfen Viggo Mortensen und Michael Fassbender - beide exzellent - und einige witzige Pointen auch nicht weiter. Mal schauen, in welcher Rubrik COSMOPOLIS es in der Top-und-Flop-Liste 2012 schafft: ich hoffe natürlich auf das beste und befürchte leider das schlimmste.

AUF BRENNENDER ERDE (USA 2008)
Original Titel. THE BURNING PLAIN Regie. GUILLERMO ARRIAGA
Ich habe mich zwar schon einmal über diesen Film ausgelassen, verreiße ihn an dieser Stelle aber gerne erneut: AUF BRENNENDER ERDE ist prätentiöser und überflüssiger Bockmist, der erfrischende Erzähltechniken des mexikanischen Kinos von vor zehn Jahren in eine Anhäufung öder Klischees umgewandelt hat - befremdlicherweise in Personalkontinuität. Das ganze wird gekrönt mit vielen langweiligen / dämlichen / unausstehlichen / peinlichen Figuren (bevorzugtes bitte ankreuzen) und einer Handlung, die so voraussehbar ist, dass jeder Zuschauer sich in knapp 100 Minuten mindestens ein Dutzend Male wie ein Nostradamus im Taschenformat fühlen darf. Warum dieses Machwerk von 2008 nun doch 2011 in die deutschen Kinos gebracht wurde, ist mir ein Rätsel? Vielleicht um Flop-Listen aufzufüllen?


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DU GEHST NICHT ALLEINE

DU GEHST NICHT ALLEINE (USA 2010)
Original Titel. TEMPLE GRANDIN Regie. MICK JACKSON
Diese HBO-Produktion begleitet wichtige Lebensphasen der US-amerikanischen Tierwissenschaftlerin und Autistin Temple Grandin. Claire Danes wurde völlig zu recht für ihre Leistung mit einem Emmy und einem Golden Globe ausgezeichnet. Jackson gelang mit seiner TV-Biographie ein oftmals bewegendes und unterhaltsames Porträt.

VIER LEBEN (Italien/Deutschland/Schweiz 2010)
Original Titel. LE QUATTRO VOLTE Regie. MICHALANGELO FROMMARTINO
Stillschweigend überschreitet Frammartino die Grenzen zwischen Dokumentation und Spielfilm und folgt der Seelenlehre des Pythagoras. Dabei liefert er faszinierende Bilder aus Kalabrien, an deren Ende ein imposantes Konstrukt steht, das in seiner Entstehung wie Produktion aufzeigt, wie sich Form und Materie verändern.

DOGTOOTH (Griechenland 2009)
Original Titel. KYNODONTAS Regie. GIORGOS LANTHIMOSK
Ungemein faszinierend folgt der Film dem Marquis de Sade: "Jedes universale Moralprinzip ist ein vollkommenes Hirngespinst". Es wird nicht viel gesprochen oder agiert in dieser Geschichte über Aufklärung und Selbstbestimmung. Das Resultat sind zahlreiche absurd-komische Erziehungsmaßnahmen und damit der lustigste Film des Jahres.

WASTE LAND (Brasilien/Großbritannien 2010)
Original Titel. WASTE LAND Regie. LUCY WALKER
Über 7.000 Tonnen Müll produziert Rio de Janeiro jeden Tag, die auf der Mülldeponie Jardim Gramacho landen. Hier recyclen Müllsammler den Abfall, von denen einige in eine Kunst-Installation involviert wurden. Walkers Film zeigt, wie man aus wertlosen Dingen wertvolle Kunst macht - und dabei das Leben von Menschen verändert.

ANOTHER YEAR (Großbritannien 2010)
Original Titel. ANOTHER YEAR Regie. MIKE LEIGH
Leigh präsentiert eine absurd harmonische Ehe, was sich allerdings nur dadurch feststellen lässt, da sie stets mit der tristen Einsamkeit ihrer scheinst trostlosen Umgebung kontrastiert wird. Ohnehin ist das exzellent gespielte Drama ein an Höhepunkten armes Charakterkino erster Güte, dessen eigentliche Stars seine deprimierend depressiven Verlierer sind.

WINTER'S BONE (USA 2010)
Original Titel. WINTER'S BONE Regie. DEBRA GRANIK
Getreu einer buddhistischen Legende sehen, hören und sagen die Figuren in diesem Mittelstaaten-Drama nichts Böses. In einer maskulin dominierten Welt voller Tristesse und Hoffnungslosigkeit obliegt es dem unbändigen Willen der jungen Ree, die Existenz ihrer Familie zu sichern. So packend und spannend wie kein zweiter Film 2011.

DIE HAUT IN DER ICH WOHNE (Spanien 2011)
Original Titel. LA PIEL QUE HABITO Regie. PEDRO ALMODÓVAR
Der Mann aus La Mancha untermauert sein Können mit diesem grandiosen Horror-Thriller, in welchem er sich nicht zu schade ist, seinen Twist bereits im zweiten Akt zu präsentieren. Fortan entwickelt sein Film eine Sogwirkung, die schlussendlich zu einem vorhersehbaren, konsequenten und trotz allem dadurch nicht minder packenden Ende führt.

THE TREE OF LIFE (USA 2011)
Original Titel. THE TREE OF LIFE Regie. TERRENCE MALICK
Wie in all seinen Werken präsentiert Malick den ewigen Zwiespalt zwischen Natur und Gnade - hier mit besonders prägnanten metaphysischen Analogien. Audiovisuell so anmutig erhaben wie schlichtweg meisterlich, fetischisieren die Bilder von Emmanuel Lubezki die physikalische Natur zu einem Kaleidoskop von Filmgemälden.

INSIDE JOB (USA 2010)
Original Titel. INSIDE JOB Regie. CHARLES FERGUSON
Die Wirtschaftskrise kostete Millionen Menschen ihr Vermögen, ihre Jobs und ihr Eigentum. In seinem Erklärstück zeigt Ferguson, wie es dazu kam. Am Ende raucht einem zwar der Kopf vor lauter Deregulierungspolitik, aber Fergusons Film überzeugt durch sein ehrliches und strukturiertes Anliegen nebst humorvollen Auflockerungen.

SENNA (Großbritannien 2011)
Original Titel. SENNA Regie. ASIF KAPADIA
Die Geschichte des brasilianischen Ausnahmesportlers ist voller legendärer Momente, die Kapadia chronologisch begleitet. Fabelhaft musikalisch untermalt, brilliert diese Doku durch die unglaubliche Arbeit der Cutter, die ausschließlich aus Archivmaterial ein dramaturgisch stringentes, vielschichtiges und atemberaubendes Stück Film konstruierten.

flop

TRON: LEGACY (USA 2010)
Original Titel. TRON: LEGACY Regie. JOSEPH KOSINSKI
Obschon sich Kosinski an einigen Actionszenen versucht, verkommt der Film letztlich doch zu einem nichtsagenden und vor allem gähnend-langweiligen Vehikel. Dessen Scheitern lässt sich exemplarisch in seinem Finale ausmachen, während die eigentliche Klimax zugleich nie wirklich bedrohlich wirkt. Ein Film, zum Scheitern verurteilt.

INTO ETERNITY (Dänemark/Finnland/Schweden 2010)
Original Titel. INTO ETERNITY Regie. MICHAEL MADSEN
Die hässliche Schwester zu Lucy Walkers Themennahen COUNTDOWN TO ZERO. Madsen inszenierte ein dröges und langweiliges Dokument über nukleare Endlagerung in Skandinavien, das letztlich auch dank seiner öden und belanglosen Talking Heads durchweg ermüdend ausfällt. Als Schlaftablette jedoch durchaus geeignet.

BRAUTALARM (USA 2011)
Original Titel. BRIDESMAIDS Regie. PAUL FEIG
Wie die meisten Apatow-Filme ist auch der hier überlang geraten, was sich besonders dadurch bemerkbar macht, da er nichts zu erzählen hat. Das Problem dieser komödiantischen Geschmacksverirrung ist ihre fehlende Kreativität und ihre bloße Existenzberechtigung durch den Erfolg des nicht minder vulgären Zotenwerks HANGOVER.

EINE DUNKLE BEGIERDE (Kanada/Deutschland/Großbritannien 2011)
Original Titel. A DANGEROUS METHOD Regie. DAVID CRONENBERG
Möglicherweise der Tiefpunkt in Cronenbergs Karriere, in welchem er erneut Viggo Mortensen auf die Welt loslässt und ihm zugleich Keira Knightley an die Seite stellt, die schlangengleich ihren Kiefer auf Wunsch ein- und ausrenken zu können scheint. Bin mehrfach bei der Sichtung fast eingenickt - was wohl besser gewesen wäre.

HEREAFTER - DAS LEBEN DANACH (USA 2010)
Original Titel. HEREAFTER Regie. CLINT EASTWOOD
Dieses kitschig-sülzige Mystik-Drama in fehlgeleiteter Tradition von Shyamalans "The Sixth Sense” jagt den Zuschauer mit einem grässlichen Kinderdarsteller, Matt Damon und dem grausigen Pianogeklimper von Eastwood selbst. Alten Leuten sollte neben dem Führerschein irgendwann vielleicht auch die Regieerlaubnis entzogen werden.

13 (USA 2010)
Original Titel. 13 Regie. GÉLA BABLUANI
Babluani re-inszeniert seinen Film 13 TZAMETI, nur dieses Mal voller zweitklassiger Darsteller (Sam Riley, David Zayas, 50 Cent) und eben auf Englisch sowie in Farbe. Kurzum: ohne jegliche Atmosphäre oder Aura. Ein einziges Ärgernis, visuell wie narrativ ausgesprochen schlecht umgesetzt und eine Schande für die gute Vorlage.

ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN (Großbritannien/USA 2010)
Original Titel. NEVER LET ME GO Regie. MARK ROMANEK
Und schon wieder die olle Knightley, dieses Mal mit gemeiner Unterstützung durch die nicht minder nervigen Andrew Garfield und Carey Mulligan. Bemerkenswert, wie Romanek es geschafft hat, sich in seiner aufgeblasenen Adaption weder für die Handlung noch die Figuren von Ishiguros (im Übrigen total überschätzen) Vorlage zu interessieren.

WER IST HANNA? (USA/Großbritannien/Deutschland 2011)
Original Titel. HANNA Regie. JOE WRIGHT
Das lose Handlungsgerüst des Films trägt diesen nur in den seltensten Fällen und wird auch nicht von seinem prätentiösen Märchenkonstrukt entschuldigt. Vielmehr sind die meisten Szenen ungemein anstrengend, wie die gesamte Vortäuschung einer Geschichte, die den Antrieb für Wrights erste (und hoffentlich letzte) Auftragsarbeit darstellt.

EINE FLEXIBLE FRAU (Deutschland 2010)
Original Titel. EINE FLEXIBLE FRAU Regie. TATJANA TURANSKYJ
Wenn experimentelles Theater bereits sperrig ist, so ist es Turanskyjs ziellos-experimentelles Theater-Kino noch viel mehr. Zeitweise hat man das Gefühl, irgendwie könnte das zumindest mitunter ein ansehnlicher Film sein. Wie die Hoffnung eines Patienten, die Diagnose des Arztes lautet doch nicht Krebs - dem ist dann aber leider nicht so.

WORLD INVASION: BATTLE LOS ANGELES (USA 2011)
Original Titel. BATTLE: LOS ANGELES Regie. JONANTHAN LIEBSMAN
Michael-Bay-Gedächtnis-Kino bzw. dumpfe US-Kriegsspielchen mit viel Bumm-Bumm, aber keiner Handlung. Bemerkenswert infantil die hollywoodsche Vorstellung à la KRIEG DER WELTEN, dass Aliens planlos eine Invasion vornehmen (im Stile der USA). Zudem hat der Film nicht einmal ein Happy End - die Menschen gewinnen nämlich.


Ist vom abgelaufenen Filmjahr die Rede, so kann man sich im Grunde nicht davor drücken, das Offensichtliche anzusprechen: 2011 war, um es betont anglophil auszudrücken, das Jahr der Sequels, Prequels, Spin-Offs, Lead-Ins, Remakes, Reboots und Reimaginations und perpetuierte somit den Trend der letzten Jahre, sich dem Risiko neuer Stoffe nicht zu viel auszusetzen. Kreative Wüste Hollywood also? - Ja und nein, denn einerseits muss es nicht immer Hollywood sein (auch wenn die Traumfabrik die folgende Liste dominiert) und andererseits konnten im abgelaufenen Jahr gerade Adaptionen bekannter Stoffe positiv überraschen: einige Comicverfilmungen etwa oder das Remake eines 40 Jahre alten Westerns.

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BLACK SWAN

BLACK SWAN (USA 2010)
Original Titel. BLACK SWAN Regie. DARREN ARONOFSKY
Fesselnde Inszenierung, dichte Atmosphäre, wundervolle Bilder sowie zwei große Darbietungen von Mila Kunis und vor allem Natalie Portman - keine Frage, BLACK SWAN wird seinen Lorbeeren gerecht. Darren Aronofskys Ballett-Psychodrama ist weder kitschig noch zimperlich und deshalb völlig zu Recht hier vertreten.
Komisch nur, dass beide Hauptdarstellerinnen gleich darauf mit NO STRINGS ATTACHED (Portman) und FRIENDS WITH BENEFITS (Kunis) in thematisch ähnlich gelagerten RomComs zu sehen waren. Go figure...

NICHTS ZU VERZOLLEN (Frankreich 2010)
Original Titel. RIEN À DÉCLARER Regie. DANNY BOON
Angeblich kann RIEN À DÉCLARER Danny Boons BIENVENUE CHEZ LES CH'TIS ja nicht das Wasser reichen, in Unkenntnis des europaweiten Hits war der neue Film des Franzosen aber dennoch erfrischend komisch. Die Auseinandersetzungen der französischen und belgischen Zollbeamten zünden mit einer fast ein bisschen anachronistisch wirkenden Mischung aus Dialoghumor und Slapstick. Da fällt der arg vorhersehbare Plot gar nicht mehr ins Gewicht.

THE KING'S SPEECH - DIE REDE DES KÖNIGS (Großbritannien/Australien 2010)
Original Titel. THE KING'S SPEECH Regie. TOM HOOPER
The times, they are a-changin'. Wurde das britische Königshaus noch vor 15 Jahren im öffentlichen Diskurs gerne als gefühlloser, verstaubter Haufen von Schmarotzern diffamiert, so wird der Royal Family heute viel freundlicher begegnet. Wohl noch besser als an der letztjährigen Hochzeitsmanie lässt sich das an Filmen festmachen. Nachdem Königin Elizabeth bereits 2006 von Helen Mirren und Stephen Frears in THE QUEEN filmisch rehabilitiert wurde, erhielt nun auch deren Vater, George VI., mit THE KING'S SPEECH eine mediale Sympathiebezeugung. Die hervorragenden, nuancierten Darstellungen von Colin Firth, Geoffrey Rush und Helena Bonham-Carter tragen den Film still und leise über die Ziellinie.

THOR (USA 2011)
Original Titel. THOR Regie. KENNETH BRANAGH
Nicht nur weil ihre Zahl mittlerweile Legion ist, sondern auch aus persönlicher Präferenz muss eine Comicverfilmung mit auf die Liste. Als alter DC-Anhänger hätte ich an dieser Stelle nur zu gern GREEN LANTERN genannt, aber leider war Hal Jordans Leinwandauftritt selbst für den Fanboy in mir bloß "okay", während Marvel seine Helden derzeit ganz einfach liebevoller und besser inszeniert.
Die positivere Überraschung aus dem Marvel-Stall war zwar CAPTAIN AMERICA, auf meiner Liste landet jedoch Kenneth Branaghs THOR, weil der Film auch für sich allein funktioniert, sich mit einer überschaubaren Handlung begnügt, Chris Hemsworth seinen Thor gleichermaßen sympathisch wie größenwahnsinnig gibt und schließlich weil mit Kat Dennings' Darcy eine Figur als comic relief eingebaut wurde, die mir ausnahmsweise mal nicht auf die Nerven geht.
(Und überhaupt: Kyle Rayner FTW!)

TRUE GRIT (USA 2010)
Original Titel. TRUE GRIT Regie. JOEL & ETHAN COEN
Wenn die Coen-Brüder mit Jeff Bridges zusammenarbeiten wird ohnehin Großes erwartet. Insofern ist die Neuentdeckung in TRUE GRIT wohl Hailee Steinfeld, deren Mattie zu Bridges' grantigem Rooster passt wie die Faust aufs Auge. Ein entschleunigter Film, dessen Härten und auch Komik deswegen umso deutlicher hervorstechen.


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ATTACK THE BLOCK

ATTACK THE BLOCK (Großbritannien 2011)
Original Titel. ATTACK THE BLOCK Regie. JOE CORNISH
Hält nicht ganz, was der furiose Trailer verspricht, macht aber immer noch sehr, sehr viel Spaß. Spätestens nachdem ich den überraschend köstlichen TUCKER & DALE VS. EVIL doch nicht in die Jahresliste gesetzt habe (weil ich ihn trotz Kinostarts 2011 für etwas zu alt hielt und selbst 2010 gesehen habe) musste der auf jeden Fall rein.

DON'T BE AFRAID OF THE DARK (USA 2010)
Original Titel. DON'T BE AFRAID OF THE DARK Regie. TROY NIXEY
Der Film, auf den man seit DEVIL'S BACKBONE von Guillermo del Toro wartet. Allerdings zeichnete er hier nur für Drehbuch und Produktion verantwortlich, Regie führte ein Newcomer. Und der verknüpft überzeugend klassischen Horror mit teils recht makaberen Effekten, Atmosphäre mit Spannung.

POLICEMAN (Israel 2011)
Original Titel. HASHOTER Regie. NADAV LAPID
Ein israelischer Elite-Squad-Thriller, der den prominenteren aber eher drögen TROPA DE ELITE 2 klar auf die Ränge verweist. Zwar ist HASHOTER recht steril gestaltet. Das gewollt politisch korrekte Setting mit den jüdischen Terroristen könnte man auch bemängeln. Muss man aber nicht, aus dem ambivalenten Gefühl, das für die Einsatztruppe daraus resultiert, wird sehr viel herausgeholt, somit verkommt dieser Aspekt nicht zu reinem Selbstzweck. Vor allem ist hier aber ein verdammt spannender Polizeifilm daraus geworden.

WINTER'S BONE (USA 2010)
Original Titel. WINTER'S BONE Regie. DEBRA GRANIK
Weniger spannend, trotzdem von großer Dichte und nuancenreich gestaltet. Puristen mögen protestieren, aber auch wenn "nur" auf der Red, nicht auf Film, gedreht für mich vielleicht sogar der gestalterisch schönste, stimmungsvollste Film des Jahres und das trotz ländlichen Settings. (Im urbanen Umfeld liefert die Kamera meines Erachtens nach sonst überzeugendere Resultate.)

STILLLEBEN (Österreich 2011)
Original Titel. STILLLEBEN Regie. SEBASTIAN MEISE
MICHAEL und ATMEN vermochten auch durchaus zu überzeugen, aber die größte Überraschung heuer aus Österreich war wohl dieser Film. Porträtierte MICHAEL den Täter als Mensch, geht STILLLEBEN den konträren Weg: stellt den Menschen als Täter in Frage. MICHAEL verspielte zudem etwas Potential durch einen recht unnötigen Epilog, STILLLEBEN hat das vielleicht prägnanteste Filmende des Jahres, bizarr und dennoch in sich völlig stimmig.

TROLL HUNTER (Norwegen 2010)
Original Titel. TROLLJEGEREN Regie. ANDRE ØRREDAL
Eine weitere Horrorkomödie, diese im Gewand einer Mockumentary. Auch wenn nicht alles hundertprozentig stringent realisiert ist (Ton- und Kameracrew einmal voneinander getrennt werden ohne den daraus logischen Folgen) steckt doch soviel Liebe zum Detail, dass man den Film einfach lieben muss, allein schon wegen der Mythen, die offensichtlich aus dem nordischen Märchen- und Sagenschatz gezogen wurden und auch einem völlig vorkenntnisfreien Publikum auf die Weise erschlossen werden. CGI und Humor passen auch bestens in dieses spritzige Werk.

COLD FISH (Japan 2010)
Original Titel. TSUMETAI NETTAIGYO Regie. SHION SONO
Der längste Film meiner persönlichen Bestenliste, äußerst knapp, da es der an sich sehr überzeugende ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA gerade so nicht rein geschafft hat. Filme von 140+ Minuten zu gestalten, ohne dass einem die Füße einschlafen, ist eine hohe Kunst, an der das Blockbusterkino aus Hollywood regelmäßig scheitert. (Der flockigste Film aus dem Sektor war dieses Jahr entsprechend wohl auch PLANET DER AFFEN mit schlanken 105 Minuten.) COLD FISH beginnt langsam und scheinbar harmlos, lässt sich ähnlich wie LOVE EXPOSURE lange Zeit, um auch nur die Startcredits zu zeigen, und schraubt die Spannungsschraube dann immer erbarmungsloser an. Überzeugender als LOVE EXPOSURE, das mir dann doch zu verfahren und ausufernd wird, vom im direkten Vergleich (nach starkem Beginn) doch schon wieder enttäuschenden zähen "Kurzfilm" GUILTY OF ROMANCE gar nicht zu reden.

NADER UND SIMIN - EINE TRENNUNG (Iran 2011)
Original Titel. JODAEIYE NADER AZ SIMIN Regie. ASGHAR FARHADI
Der Titel täuscht, die Trennung ist in erster Linie Katalysator für diverse Verwicklungen, die überaus packend vor Gericht aufgelöst werden, mit der eigentlichen Scheidung aber nicht direkt zu tun hat. Äußerst intensiv ist eine Szene, in der eine Altenpflegerin von einem Religionswächter am Telefon die Erlaubnis dafür erhalten will, einen Greis, der in die Hose gemacht hat, zu reinigen. Geschickt mischt Farhadi (aus westlicher Sicht) Regimekritik in ein spannendes, auch schauspielerisch wunderbares, Ensembledrama.

ATTENBERG (Griechenland 2010)
Original Titel. ATTENBERG Regie. ATHINA RACHEL TSANGARI
Aus einem Land, dass man filmisch primär nur mit dem Sirtaki tanzenden Antony Quinn und mit Theodoros Angeolopoulos verbindet, kommt dieser erfrischend "andere, ungriechische" Film. Formal ein Spiel mit vier Personen: der Protagonistin, ihre beste Freundin, ihre erste Liebe sowie ihr Vater. Man erwartet eine Verschiebung in der Bedeutung der Figuren, bekommt die zum Teil auch, aber doch wiederum auf eine andere Weise. Der Einstieg in den Film ist ungemein gekonnt, das nimmt einen gleich für den Rest gefangen. Zumal erinnert das Gehabe der beiden Freundinnen an Marie I und Marie II aus TAUSENDSCHÖNCHEN, ihre tänzerischen Raumdurchschreitungen mitunter auch an Monty Python. Damit sticht man bei mir zugegeben ins Schwarze, zur Verzückung über dieses kleine, in Wahrheit sehr, sehr großes Filmjuwel ist das aber nicht nötig.

DIE FRAU, DIE SINGT (Kanada 2011)
Original Titel. INCENDIES Regie. DENIS VILLENEUVE
Eine Frau verfügt testamentarisch, dass ihre beiden Kinder Bruder und Vater finden und jeweils einen Umschlag übergeben, sonst verweigert sie ihren Grabstein. Schon bald erfährt der Zuschauer, dass die Verstorbene der christlich-maronitischen Minderheit angehörte, deren Massaker an Palästinensern spätestens seit WALTZ WITH BASHIR jedem Filminteressierten untergekommen sein dürfte. Sie selbst war aber durch einen palästinensischen Flüchtling schwanger, der noch vor der Niederkunft von ihrer Familie ermordet wurde. Stets zwischen Spurensuche, Kriegs- und Folterdrama, bis hin zur antiken Tragödie schwankend, in Rückblenden verschachtelt, versteht der Film ungemein Spannung aufzubauen. Dabei geht er mit dem Wissen, dass er austeilt klug und gezielt vor und dabei ganz anders als in langläufigen Krimis, in denen der Kommissar im letzten Moment eine Info aus dem Hut zaubert, die dem Publikum bislang verborgen war. Im Gegenteil, zeigt er meist mehr, als seine "ermittelnden" Protagonisten bereits wissen und lässt sie offen sichtbar falsche Schlüsse ziehen. Und dennoch überrascht und berührt dieses Drama immer wieder erheblich, ein Zeichen ganz hoher filmischer Erzählkunst.

Das Filmjahr 2011 war erstaunlich gefüllt mit großen Filmen in unserem Raum meist völlig unbekannter Newcomer, sieht man gerade von Shion Sono und vielleicht noch Asghar Farhadi ab. Das heißt nicht, dass die alte Garde mit ihren teilweise lang erwarteten Werken durchwegs enttäuschte, TRUE GRIT der Coen Brothers, Lars von Triers MELANCHOLIA, Aronofskis BLACK SWAN, sie alle waren reinste Auteurfilme, die voll überzeugten und in einem schwächeren Jahr wohl auch hineingerutscht wären. Mit leichten Abstrichen würde ich auch DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE oder LE HAVRE empfehlen. Polanski (trotz witziger Dialoge und toller schauspielerischen Leistung) und Cronenberg enttäuschten zwar etwas und Woody Allens MIDNIGHT IN PARIS nervte doch abgesehen von einer wirklich guten Pointe gegen Ende ziemlich. So richtig, richtig schlimm in der Riege war aber eigentlich nur Werner Herzogs DIE HÖHLE DER VERGESSENEN TRÄUME. Man mag honorieren, dass man hier Einblicke in einen faszinierenden, nicht öffentlich zugänglichen Bereich bekommt, aber filmisch scheitert das auf allen Linien: 3D als Kürzel für dröges Doku-Dingens, zum Fremdschämen. Eine weitere Enttäuschung ist allerdings, dass mit Ivette Löckers großartiger Berlin-Doku NACHTSCHICHTEN, immerhin der Dokumentarfilmsieger der Diagonale 2010 noch immer weder in Deutschland noch in Österreich einen Start hatte. Das lässt hoffen auf weitere Neuentdeckungen 2012.


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FRIGHT NIGHT

FRIGHT NIGHT (USA 2011)
Original Titel. FRIGHT NIGHT Regie. CRAIG GILLESPIE
So wie im Comic-Genre, nachdem die wirklich bekannten Helden langsam ausgehen, mittlerweile auch die zweite und dritte Riege der Superhelden ihren Leinwandauftritt bekommt, fallen auch der Remake-Welle längst nicht mehr ausschließlich anerkannte Klassiker oder Kultfilme mit einem etablierten, kommerziellen Erfolg versprechenden Markenwert zum Opfer. Im Falle von FRIGHT NIGHT, dem Remake des gleichnamigen, mittlerweile kaum noch bekannten Originals von 1985 ist das aber durchaus zu begrüßen, denn die Neuauflage ist, obwohl sicher nicht perfekt, dem Original klar überlegen. BUFFY-Autorin Marti Noxon schrieb ein Drehbuch, das nicht nur durch Selbstironie und pointierte Dialoge überzeugt, sondern vor allem durch einen Vampir, der anders als heutzutage üblich nicht als leidender Außenseiter mit Gewissensbissen, sondern als klassisches Monster daherkommt.

BRAUTALARM (USA 2011)
Original Titel. BRIDESMAIDS Regie. PAUL FEIG
BRAUTALARM wurde allerorten als "der weibliche HANGOVER" bezeichnet, was dem Film höchstens ansatzweise gerecht wird: Das Hochzeits-Thema und der teils brachiale Humor mögen durchaus an Todd Phillips' Kassenerfolg erinnern, doch Hauptdarstellerin und Autorin Kristen Wiig fand in ihrem Drehbuch auch Raum für glaubwürdig gezeichnete Charaktere und Beziehungen und auch die hervorragende Besetzung (neben Wiig unter anderem mit Maya Rudolph eine weitere SNL-Veteranin und der aus THE IT CROWD bekannte Chris O'Dowd als Wiigs love interest) überzeugt in den leiseren Momenten ebenso wie in den sketchartigen, over-the-top Comedy-Szenen.

MIDNIGHT IN PARIS (USA/Frankreich 2011)
Original Titel. MIDNIGHT IN PARIS Regie. WOODY ALLEN
Woody Allens 41. Film ist zugleich sein bester seit Jahren: Leichtfüßig, humorvoll und ein Bisschen sentimental erzählt Allen seine Geschichte um einen Schriftsteller, der auf wundersame Weise ins Paris der 1920er Jahre gerät und dort seine literarischen Idole trifft. Owen Wilson ist - überraschenderweise - einer der besseren Woody-Stand-Ins und spielt den klassischen Woody-Allen-Charakter mit einer erfrischenden Naivität und Wärme, auch die übrige Besetzung ist, wie von Allen gewohnt, beeindruckend. Vor allem aber findet Allen die ideale Balance in der Darstellung von Gils Nostalgie, seiner Sehnsucht nach und Verklärung von Vergangenem, die er gleichermaßen bedient und parodiert.

HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES - TEIL 2 (USA 2011)
Original Titel. HARRY POTTER AND THE DEATHLY HALLOWS - PART 2 Regie. DAVID YATES
Das - neben TWILIGHT - wohl wichtigste Franchise der letzten zehn Jahre fand mit HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES - TEIL 2 seinen Abschluss. Der insgesamt achte Film der Reihe und der vierte unter Regie von David Yates mag im Vergleich zum großartigen Vorgänger etwas abfallen, führt die Reihe aber dennoch zu einem würdigen Ende. Yates fängt die Atmosphäre der Vorlage erneut perfekt ein und beweist vor allem ein Gespür dafür, das Dreieck Harry-Ron-Hermione (unterstützt von seinen schauspielerisch gereiften Hauptdarstellern) in Szene zu setzen. Die wohl größte Stärke des Films ist jedoch, dass jederzeit spürbar ist, was für Harry und co. auf dem Spiel steht: Die Protagonisten erleiden echte Verluste, dem Zuschauer wird emotional mehr zugemutet als im Blockbuster-Mainstream gewohnt, wodurch auch die etwas kitschigeren Momente und das sentimentale Ende nicht nur erträglich werden, sondern berühren können.

X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG (USA 2011)
Original Titel. X-MEN: FIRST CLASS Regie. Regie.
Zwischen all den mal mehr (CAPTAIN AMERICA) mal weniger gelungenen (THOR, GREEN LANTERN), brav nach Schema F die im Grunde nur marginal unterschiedlichen Origin-Storys nacherzählenden Comic-Verfilmungen dieses Jahres war es leicht, X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG zu übersehen bzw. nicht die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken (schließlich fehlen dem Film sowohl die ganz großen Stars als auch der Bezug zum kommenden THE AVENGERS). Dabei machte der neueste Teil der zuletzt schwächelnden X-MEN-Reihe eindrucksvoll vor, wie es richtig geht: Als Prequel zu den bisherigen Filmen der Reihe erzählt der Film ebenfalls eine Origin-Story, doch anstatt die üblichen Plot-Points abzuklappern und den Rest mit seelenlosen Action-Szenen aufzufüllen, konzentrieren sich Regisseur Matthew Vaughn und seine Co-Autoren darauf, zu erzählen, was ihre beiden Protagonisten (James McAvoy als Charles Xavier und Michael Fassbender als Erik Lensherr/Magneto) wirklich ausmacht, was sie verbindet und unterscheidet und schaffen so eine glaubhafte Beziehung zweier vielschichtiger Charaktere, die den Plot des Films vorantreibt. Wie wenig eindeutig hier Gut und Böse definiert sind und wie spärlich, aber gezielt Action eingesetzt wird ist für eine Comic-Verfilmung ungewöhnlich, macht diesen Film aber zu einem der interessantesten Beiträge zum Genre seit langem.

SUBMARINE (Großbritannien 2011)
Original Titel. SUBMARINE Regie. RICHARD AYOADE
Richard Ayoade, bekannt wohl in erster Linie als Über-Nerd Maurice Moss aus der britischen Serie THE IT CROWD, gab nach einigen Arbeiten im Musikvideo-Bereich mit SUBMARINE (adaptiert von dem gleichnamigen Roman von Joe Dunthorne) sein Kino-Debüt als Regisseur und Autor. Aus den altbekannten Elementen für quirky Indie-Filme (Teenie-Romanze, dysfunctional family, schrullige Figuren) macht Ayoade einen überraschend eigenständigen Film, dessen Protagonisten (Craig Roberts und Yasmin Paige) trotz aller Verschrobenheiten nicht nur wie echte Teenager aussehen, sondern sich auch so verhalten - inklusive Ich-Bezogenheit, Überempfindlichkeit und sozialer Unbeholfenheit. Aus seiner Musikvideo-Vergangenheit bringt Ayoade nicht nur ästhetische Einflüsse mit, die er gezielt einsetzt, ohne den Film zum bloßen Video-Clip verkommen zu lassen, sondern auch die musikalische Untermalung: Alex Turner, für dessen Band Arctic Monkeys Ayoade mehrere Videos drehte, liefert mit melancholisch-verträumten Songs den perfekten Soundtrack für diese Teenage-Angst-Dramedy.

RED STATE (USA 2011)
Original Titel. RED STATE Regie. KEVIN SMITH
Sein View Askewniverse hat Kevin Smith schon lange hinter sich gelassen, doch mit RED STATE wagt er sich zum ersten mal wirklich aus seiner comfort zone: Statt Comedy mit liebenswerten Slacker-Charakteren als Protagonisten gibt es Horror ohne Heldenfiguren, statt Nerd-Dialogen über STAR WARS und co. eine so überdrehte wie beängstigend glaubhafte Predigt von einem großartigen Michael Parks als Fred Phelps-Verschnitt und zynische Kommentare zu Religion und Politik. Auch in puncto Inszenierung präsentiert sich Smith (wenn auch sicher nicht virtuos) experimentierfreudiger als je zuvor. Es wäre ein Verlust, sollte er seine Ankündigung, nach nur einem weiteren Film seine Karriere als Filmemacher zu beenden, wahr machen, denn RED STATE beweist, dass Kevin Smith noch einiges zu sagen hat und Potential hat, das ich ihm bisher selbst als Fan nicht zugetraut hätte.

ATTACK THE BLOCK (Großbritannien 2011)
Original Titel. ATTACK THE BLOCK Regie. Joe Cornish
Joe Cornish, eigentlich Komiker und Radiomoderator, versuchte sich mit ATTACK THE BLOCK zum ersten Mal als Regisseur. Das Ergebnis ist ein beeindruckender Film über eine Gruppe von jugendlichen Kleinkriminellen in London, die ihr Viertel gegen eine Alien-Invasion verteidigen müssen. Cornish führt seine Protagonisten durch die Augen eines ihrer Opfer, Krankenschwester Sam (Jodie Whitaker), als gewaltbereite Verbrecher ein und lässt sie nach und nach menschlicher, auch kindlicher wirken. Diese genaue Charakterzeichnung und Milieu-Beobachtung kombiniert er mit Horror-Elementen, klaustrophobischer Action und trockenem Humor zu einem so unterhaltsamen wie relevanten und vor allem äußerst originellen Genre-Film.

WER IST HANNA? (USA/Großbritannien/Deutschland 2011)
Original Titel. HANNA Regie. JOE WRIGHT
WER IST HANNA? hat wenig mit dem bisherigen Werk von Regisseur Joe Wright (ABBITTE) zu tun und ist auch ansonsten recht schwer zu fassen, ignoriert er doch konsequent jegliche Konventionen und Genregrenzen. Der Plot pendelt irgendwo zwischen Thriller/Suspense, Action, Coming-of-Age und leichtem Sci-Fi-Einschlag, Märchen-Motive und cartoonhafte Antagonisten stehen neben realistisch-kühlen Bildern - und dennoch wirkt WER IST HANNA? nie unentschlossen oder überladen. Denn im Mittelpunkt steht immer die 15jährige, seit frühester Kindheit von ihrem Vater (Eric Bana) zum Überleben und Töten trainierte Hanna (hervorragend gespielt von Saoirse Ronan), die, auf der Flucht vor einer skrupellosen CIA-Agentin (Cate Blanchett), zum ersten Mal andere Menschen als ihren Vater sieht und sich in der ihr fremden Welt zurechtfinden muss.

SUPER (USA 2010)
Original Titel. SUPER Regie. JAMES GUNN
Wo KICK-ASS seinen Comic-besessenen Nerd, der als Superheld ohne Superkräfte gegen das Verbrechen kämpft, am Ende dann doch zum großen Helden stilisiert und die Klischees des Superhelden-Films, die er anfangs noch parodiert, letztlich (wenn auch äußerst unterhaltsam) selbst bedient, dekonstruiert SUPER den Superhelden-Mythos und stellt Fragen über Gewalt und Selbstjustiz. Der "Held" ist in diesem Fall kein nerdiger Teenager, sondern der frustrierte Fastfood-Koch Frank (Rainn Wilson), der eigentlich viel lieber Polizist gewesen wäre und, nachdem ihn seine Frau (Liv Tyler) verlässt, seine angeblich göttliche Bestimmung im Kampf gegen das Verbrechen findet, dabei aber meist eher als gewalttätiger Psychopath als als echter Held daherkommt (Wilson brilliert hier ebenso wie Ellen Page in der für mich beeindruckendsten Schauspielleistung des Jahres als sein übereifriger "kid sidekick"). Stilistisch kombiniert Gunn Comic-Einflüsse mit grotesk-verstörenden Traumsequenzen und expliziter Gewalt, sodass SUPER auch visuell so ambivalent und teils fordernd daherkommt wie inhaltlich.

flop

SUCKER PUNCH (USA 2011)
Original Titel. SUCKER PUNCH Regie. ZACK SNYDER
Es gab dieses Jahr eine ganze Menge schlechter und noch mehr uninspirierte, langweilige Filme sowie die ein oder andere herbe Enttäuschung (TRON: LEGACY), doch keiner war so schlimm wie SUCKER PUNCH. Gleichzeitig überfrachtet und einfallslos breitet Zack Snyder seine pubertären, sexistischen Masturbationsphantasien (die er - ich würde, wäre Snyder seinen Filmen nach zu urteilen nicht so komplett humorlos, auf Selbstironie tippen - auch noch als feministische Kritik am Nerd-Frauenbild verkaufen möchte) auf 109 Minuten aus, von denen man jede einzelne auch in quälender Eintönigkeit spürt. Nachdem er mit 300 schon einen der, wenn nicht den schlechtesten Film der letzten Dekade gedreht hat, hat Snyder mit SUCKER PUNCH auch für das laufende Jahrzehnt schonmal gut vorgelegt.

Wie schon im vorherigen Jahr musste man auch 2011 für jede halbwegs originelle Idee dankbar sein, die es ins Kino geschafft hat. Die wirklichen Highlights fanden indes (mal wieder) im (natürlich nicht deutschen) Fernsehen statt: Da wäre zum Einen Charlie Brooker, Guardian-Kolumnist und TV-Kritiker, der sich nach DEAD SET zum zweiten Mal im Fiction-Bereich betätigte: BLACK MIRROR, eine dreiteilige BBC-Miniserie, erkundete in drei nur thematisch, nicht aber in Inhalt und Setting verbundenen Episoden die dunklen Seiten moderner Technologie und lieferte einige der eindrucksvollsten, intensivsten TV-Momente seit langer Zeit. Zum Anderen begeisterte Louis CK, der als Stand-Up-Komiker ohnehin längst in einer eigenen Liga spielt, mit der zweiten Staffel seiner Serie LOUIE, die gleichzeitig komisch und deprimierend, surreal und doch authentisch war, und jegliche Mechanismen und Konventionen von TV-Comedy sprengte. CK bekundete übrigens kürzlich Interesse daran, die Einnahmen aus seinem letzten, auf seiner Homepage für wenig Geld zum Download bereitgestellten Stand-Up-Special in einen Kinofilm zu investieren, den er unter denselben Bedingungen wie seine Serie (komplette kreative Kontrolle) produzieren würde. Er mag nur halb im Ernst gesprochen haben, doch angesichts der beeindruckenden Qualität von so ziemlich allem, was er im Moment anpackt, ist dieser Gedanke spannender als die meisten bisher für 2012 angekündigten Filmprojekte zusammen.


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SUCKER PUNCH

SUCKER PUNCH (USA 2011)
Original Titel. SUCKER PUNCH Regie. ZACK SNYDER
Das Feuilleton besprach SUCKER PUNCH mit einer Verbissenheit, als hänge die Fortexistenz des Feminismus von diesem Film ab. Zugegebenermaßen trugen daran Äußerungen des blöden Regisseurs eine Mitschuld, aber auf so was sollte man grundsätzlich nicht hören. Das wäre das erste Mal, dass ein Regisseur seinen Film besser versteht als das Publikum. SUCKER PUNCH ist nicht nur eine Wucht, sondern gleich vier bis fünf Wüchte. Seit tausend Jahren dichten ewig Gestrige jedem neuen Farbfilm an, er würde in Musikvideo- oder Computerspiel-Ästhetik daherkommen, als wäre das etwas Schlechtes. Bei SUCKER PUNCH stimmt der Vorwurf endlich mal, Gott sei Dank. Mehr noch: SUCKER PUNCH suhlt sich geradezu in Musikvideo- und Computerspiel-Ästhetik. Und noch mehr noch: SUCKER PUNCH macht bei der Musikvideo- und Computerspiel-Ästhetik nicht halt, sondern bedient sich auch noch der Musikvideo- und Computerspiel-Dramaturgie, und zwar in jeder Hinsicht konsequent, mit Gesang und Tanz und Quests und Levels. Große Bilder, große Gefühle, großes Kino. Wenn das auch noch feministisch ist, umso besser. Wenn das kein Stück feministisch ist, auch nicht wild. Der Feminismus wird es überleben.

I SAW THE DEVIL (Korea 2010)
Original Titel. AKMAREUL BOATDA Regie. JEE-WOON KIM
Die Sachertorte unter den Rachedramen. Zu süß, zu fett, zu viel, zu ungesund, zu gut. Nährwertloser Genuss mit ganz viel Reue, aber was wäre das Leben ohne Reue. Wäre fast Platz 1 geworden, habe mich aber aus politischen Gründen dann doch für den Außenseiter entschieden.

GESTÄNDNISSE - CONFESSIONS (Japan 2010)
Original Titel. KOKUHAKU Regie. TETSUYA NAKASHIMA
Stimmt ja gar nicht, dass Tetsuya Nakashima mit GESTÄNDNISSE - CONFESSIONS endlich erwachsen geworden ist. Erstens, wieso "endlich", und zweitens, was ist das überhaupt für eine seltsame Kategorie? Nakashima beweist mit GESTÄNDNISSE - CONFESSIONS erneut, dass er als Regisseur ein Gefühl für die angemessene Bebilderung eines Stoffes hat. Dieses wandlungsreiche, emotionale Drama ist mit seinen punktgenau fallenden Regentropfen, stahlgrauen Bildern, explodierenden Milchtüten und Bomben genauso visuell durchkomponiert und erzählerisch verspielt wie die Popexzesse von KAMIKAZE GIRLS, MEMORIES OF MATSUKO oder PACO AND THE MAGICAL BOOK. Nur anders.

AFTERSHOCK (China 2010)
Original Titel. TANGSHAN DADIZHEN Regie. XIOGANG FENG
Leise Töne statt Erdbeben-Gedröhn. Vier Jahrzehnte Familiengeschichte, die wie im Flug vergehen. Vier Jahrzehnte Landesgeschichte, die etwas kritischer hätten betrachtet werden dürfen. Dennoch eines der erfreulicheren volksrepublikanischen Großfilmprojekte der letzten Zeit.

GANTZ (Japan 2010)
Original Titel. GANTZ Regie. SHINSUKE SATO
Ich kann mich an GANTZ nicht mehr im Detail erinnern, aber ich erinnere mich daran, dass Sachen durch die Gegend geflogen sind und ich mich gut unterhalten habe. So steht der Film stellvertretend für all die Final Destinations, Screams, Saws und X-Männer, die mich 2011 ebenfalls gut unterhalten haben, ohne mir allzu viel abzuverlangen. Man wird nicht jünger, und es kann sehr anstrengend sein, sich von einem Film nachhaltig mitreißen zu lassen. Es lebe das gepflegte, unaufdringliche Mittelmaß!

flop

BUNRAKU (USA 2010)
Original Titel. BUNRAKU Regie. GUY MOSHE
Man weiß gar nicht, was einen aggressiver macht: Der gelangweilt-ironische Ton des Off-Erzählers, oder das gelangweilt-ironische Underacting der Schauspieler. Ein Klischee augenzwinkernd als ein Klischee zu benennen macht das Klischee nicht besser. Und automatisch clever, lustig oder meta ist das auch nicht, wenn man außer einem gelangweilt-ironischem Klischee nach dem nächsten nichts zu bieten hat. Der Filmtitel spielt auf das gleichnamige japanische Figurentheater an, dessen Look imitiert werden sollte. Wenn einem schon nichts einfällt, was sich auf den Inhalt statt die Form bezieht, wäre 08/15 COMPUTERGRAFIK der ehrlichere Titel gewesen.
Das alles bezieht sich wohlgemerkt nur auf die erste halbe Stunde, mehr hält man ja im Kopf nicht aus.

A BETTER TOMORROW 2K12 (Korea 2010)
Original Titel. MUJEOGJA Regie. HAE-SUNG SONG
"Hey, machen wir doch ein Remake von A BETTER TOMORROW!"
"Aber das ist doch bestimmt sehr schwierig, mit all der Action und den fabelhaften Darstellern damals ..."
"Ach was! Wir lassen einfach die ganze Action weg und nehmen die Bleichgesichter, die in jeder koreanischen Schnulze mitspielen!"
"Und warum sollte man sich das ansehen?"
"Weil es in 3D ist!"
"Au ja, das machen wir!"

SCOTT PILGRIM GEGEN DEN REST DER WELT (USA/Großbritannien/Kanada 2010)
Original Titel. SCOTT PILGRIM VS. THE WORLD Regie. EDGAR WRIGHT
Verstünde man doch nur, was Scott an der Alten findet. Dann könnte man der Story vielleicht halbwegs involviert folgen. Aber ich verstehe es nicht. Als Videospiel-Nummernrevue funktioniert es auch nicht, denn die Nummern sind bloß albern ohne lustig zu sein. Wie es richtig geht, hat unlängst ein blöderer Regisseur vorgemacht. Dem Regisseur von SPACED und George-Michael aus ARRESTED DEVELOPMENT rufe ich zu: Sofort zurück ins Fernsehen!

BLACK SWAN (USA 2010)
Original Titel. BLACK SWAN Regie. DARREN ARONOFSKY
Natalie Portman kann alles. Nur nicht dieses öde Horrordrama mit seinem Holzhammer-Symbolismus und seiner zehntausendfach durchgenudelten Story retten. Dann doch lieber wieder Romcom.

THE CHILD'S EYE (Hong Kong 2010)
Original Titel. THE CHILD'S EYE Regie. OXIDE PANG CHUN . DANNY PANG
Wer beruhigt glaubte, dass die Pang-Brüder mit RE-CYCLE das Dümmste schon hinter sich hätten, wird mit THE CHILD'S EYE eines Schlimmeren belehrt. Wenn es doch nur an den völlig vermurksten Jahrmarkt-3D-Effekten läge. Oder an der Story, die immerhin passables Kurzfilmpotential hat. Oder an den Darstellern, die so blass sind wie die Figuren, die sie spielen. Das alles hätte man nach zwei Bier schlucken können, wenn der Film wenigstens die drei Hauptmerkmale selbst der einfältigsten Pang-Filme hätte: Stil, Stil und Stil. Es ist nun aber so, als hätten die Brüder das Filmhandwerk völlig verlernt. Etliche Kameraeinstellungen wirken wie zufällig, in vielen Szenen herrscht kompletter Leerlauf oder Stillstand, als hätte man am Schluss vergessen zu schneiden.


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THE KING'S SPEECH - DIE REDE DES KÖNIGS

THE KING'S SPEECH - DIE REDE DES KÖNIGS (Großbritannien/Australien 2010)
Original Titel. THE KING'S SPEECH Regie. TOM HOOPER
Für mich ganz klar der Film des Jahres und ein Beispiel für unprätentiöse, formvollendete Filmkunst. THE KING'S SPEECH zeigt, was man mit zwei begnadeten Schauspielern, dem richtigen Gespür für Timing und einem bockstarken Drehbuch aus dem Hut zaubern kann: Einen intelligenten, spannenden Ausnahmefilm ohne Bombast und Bumm-bumm, dafür mit reichlich Herz und Verstand. Unter der ernsten Schale stecken einige der lustigsten Kinomomente der letzten Jahre - shit, fuck, so muss großes Kino aussehen!

I SAW THE DEVIL (Korea 2010)
Original Titel. AKMAREUL BOATDA Regie. KIM JEE-WOON
Dass das südkoreanische Kino in den vergangenen Jahren einige Perlen abseits vom Mainstream lieferte, braucht man dem Cineasten ebenso wenig erzählen wie dass Kim Jee-woon einer ist, vom dem man am besten keinen Film verpasst. I SAW THE DEVIL heißt sein jüngstes Werk, und es ist derartig gewaltig gut und gewalttätig grausam, dass man am liebsten gleichzeitig Hin- und Wegschauen würde. Dieser visuelle Tritt in den Magen entlarvt den abgründigen Wahnsinn hinter den Rachekonstrukten, die ansonsten gern allzu kalt serviert werden.

BLACK SWAN (USA 2010)
Original Titel. BLACK SWAN Regie. DARREN ARONOFSKY
Viel interessanter als der Blick hinter die Kulissen des Ballettgeschäfts ist die Art und Weise, wie diese Einsicht gewährt wird: Mit Aronofskys typischer Over-the-top-Inszenierung, die immer und überall voll auf die zwölf ist - ein visueller Exzess voll Grauen und Schönheit. Matthew Libatiques Kamera taucht Aronofskys Vision in gewohnt bizarre Bilder, in denen eines trotz viel Drumherum eines doch immer sichtbar bleibt: Natalie Portmans astreine Performance, die sich nahtlos in den hochintensiven Rausch von BLACK SWAN einfügt.

flop

THOR (USA 2011)
Original Titel. THOR Regie. KENNETH BRANAGH
Der hünenhafte Donnergott ist als Superheld irgendwie so übermächtig, dass er als Charakter - ähnlich wie Superman - kaum als Spannungsträger taugt. Wenn die Story des blonden Hammerschwingers dann auch noch so langatmig erzählt und belanglos inszeniert ist wie hier, ist es kein Wunder, dass trotz zum Teil anständiger Besetzung ein schnell vergessener, schnarchlangweiliger Film herauskommt. Nicht so ärgerlich wie etwa CATWOMAN oder DER UNGLAUBLICHE HULK, trotzdem einer der ganz unnötigen Comicfilme.

HANGOVER 2 (USA 2011)
Original Titel. THE HANGOVER: PART II Regie. TODD PHILIPS
HANGOVER war lustig, auch wenn das so mancher Kritiker anders sehen wollte. HANGOVER 2 dagegen war dagegen eine Enttäuschung der herben Art, die man selbst mit viel Wohlwollen nicht wegdiskutieren kann. Gleiche Grundkonstellation: Okay. Gleiche Witze: Nicht okay. Abseits von einigen souveränen Schmunzlern bleibt eine Fortsetzung, die so eager to please daherkommt, dass man das Wollen in jeder Einstellung erkennen und das Können in jeder Szene schmerzlich vermissen muss.

TRANSFORMERS 3 (USA 2011)
Original Titel. TRANSFORMERS: DARK OF THE MOON Regie. MICHAEL BAY
Meine Güte, die Transformers sind Kinderspielzeug. Dass es über sie nun schon drei Filme gibt, von denen allein der jüngste Teil irrsinnige 200 Millionen Dollar kostete, ändert daran rein gar nichts. TRANSFORMERS ist auch in der dritten Auflage unflätig laut, lächerlich pompös und heillos albern. An den peinlichen schauspielerischen Leistungen kann es eigentlich auch nicht liegen, dass Michael Bays Goldroboter mehr als das Fünffache der Produktionskosten einspielten. Kurz gefasst: Traurig, dass solcher Mist so erfolgreich ist.




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