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SOURCE CODE (USA/Kanada/Frankreich 2011)

von Björn Lahrmann

Original Titel. SOURCE CODE
Laufzeit in Minuten. 93

Regie. DUNCAN JONES
Drehbuch. BEN RIPLEY
Musik. CHRIS BACON
Kamera. DON BURGESS
Schnitt. PAUL HIRSCH
Darsteller. JAKE GYLLENHAAL . MICHELLE MONAGHAN . VERA FARMIGA . JEFFREY WRIGHT u.a.

Review Datum. 2011-04-27
Kinostart Deutschland. 2011-06-02

Zumindest, wer in Großstädten lebt, dürfte in SOURCE CODE, statt dem unbekümmerten Soft-Sci-Fi-Puzzle, das er ist, eine realistische Studie des öffentlichen Nahverkehrs erkennen: Irgendwer dreht immer durch, springt auf, rennt rum, blafft Leute an, etc. Dieser Jemand ist Cpt. Colter Stevens (Jake Gyllenhaal), Helikopterpilot und Irak-Veteran, der eines Tages im Pendelzug nach Chicago erwacht, ohne zu wissen, wie er dort hingekommen ist, ihm gegenüber eine Frau (Michelle Monaghan), die er nicht, sie ihn aber durchaus kennt, allerdings unter dem Namen Sean, Sean Fentress, dem wohl auch das fremde Gesicht gehört, das Colter aus dem Toilettenspiegel entgegen glotzt. Bevor jedoch die sich aufdrängende Frage, im Webjargon ziemlich präzise mit WTF benennbar, geklärt werden kann, explodiert eine Bombe, die den Zug in Stücke und Coltersean (Coan? Seolter?) aus dieser Realität in eine andere reißt, wo er...

Okay, kurzer Zwischenstopp! Es ist kein Geheimnis, dass man derartige Filme am besten mit Scheuklappen betritt, weil der Spaß an ihnen sich umgekehrt proportional zum gespoilten Vorwissen verhält. Ganz besonders trifft das auf SOURCE CODE zu, der nie wieder so vergnüglich ist wie während seines ersten, inskaltewasserschmeißerischen Akts. Wer daher die Gelegenheit zum Leseausstieg wahrnehmen möchte: Jetzt wäre der ideale Moment.

Für alle Verbliebenen ein grober Umriss des weiteren Geschehens: Colter wird den Unglückszug nicht zum letzten Mal von innen gesehen haben, er ist, gewollt oder nicht, Teil einer militärischen Zeitschleifenoperation, deren Mission es ist, die Bombe und ihren Leger zu finden - und zwar innerhalb von acht Minuten vor der Explosion. "Hitchcock inszeniert den Murmeltiertag als TWILIGHT ZONE-Episode", mag da als Tagline in Produzentenköpfen herumgespukt haben, bekommen tut man letztlich eher "Richard Donner inszeniert 12:01 als QUANTUM LEAP-Episode", was ja auch nicht das Allerschlechteste ist. Mit diesem Verdikt könnte die Rezension dann im Grunde auch schließen: Wer vergleichbare Stoffe - die ja nicht gerade im 10-Minuten-Takt die Multiplexe befahren - generell schätzt, trifft mit SOURCE CODE nicht die allerschlechteste Wahl und darf gern einen Blick riskieren. In diesem Sinne, viel Spaß im Kino.

Wer jetzt immer noch da ist, dem verrate ich ein Geheimnis: Mir hat der Film, obwohl ich zur Zielgruppe gehöre, nicht sonderlich gefallen. Die Gründe dafür sind nicht ganz leicht zu artikulieren und haben vielleich zu sehr mit persönlichen Vorlieben zu tun, als dass ich sie guten Gewissens verallgemeinern könnte. Da wäre zum einen: der Erzählton. Duncan Jones hat zuvor MOON inszeniert, der in ziemlich perfektem Ebenmaß tragikomisch war, also nie albern, nie sentimental, vor allem: nie prätentiös. SOURCE CODE dagegen ist mitunter nervtötend albern, seifig sentimental und geradezu anti-prätentiös in seinem Drang, bloß nicht ernst genommen zu werden. Jones, der in der klassischen Misere steckt, als Independent-Hotshot mit einem Fuß in der Tür nach Hollywood ein slickes Auftragsprodukt nachlegen zu müssen, um selbige aufzustoßen, scheint hier mit seinen Instinkten zu hadern: Die Fanbase mit einer kompetenten Fingerübung vergrätzen, oder das Fingerübungshafte daran extra betonen, um schon mal aufs nächste Meisterwerk zu vertrösten?

Wo Professionalität und Künstlerstolz derart aneinander rasseln, entstehen Unebenheiten. Recht gut lässt sich das anhand des Kontaktpersonals demonstrieren, das Colter in seiner Zeitkapsel per Videoschirm zugeschaltet ist: Missionsleiterin Goodwin sowie Dr. Rutledge, Entwickler der geheimen Technologie. Gleichermaßen glänzend gespielt werden sie von Vera Farmiga und Jeffrey Wright, allerdings, als entstammten sie verschiedenen fiktiven Universen (Spoiler: tun sie nicht): Während Goodwin eine zartfühlige, fast mütterliche Bindung mit Colter aufzubauen sucht, fährt Rutledge allenthalben als Klischee des gewissenlosen Forschers dazwischen, der mit fahrigem Geflüster und Hinkebein einer Frankenstein-Parodie entsprungen scheint. Die beiden verkörpern gewissermaßen die gespaltene Seele eines Films, dem man sich emotional nie ganz sicher sein kann; hat man sich einmal ernsthaft an die Figuren und ihre Sorgen herangefühlt, schreien sie einem schon ins Gesicht: "Keine Sorge, ist nur Spaß!"

Das Problem liegt, neben inkonsequenter Schauspielführung, natürlich auch am Skript. DTV-Schreiber Ben Ripley (SPECIES III & IV) hat die Geschichte sehr ordentlich auf Rasanz hin konstruiert, verfährt in Sachen Charakterzeichnung allerdings lax bis chaotisch. Colter etwa schwankt willkürlich zwischen Hysterie, militärischem Schneid und charmanter Spitzbüberei - allesamt Modi, die Gyllenhaal auf Knopfdruck beherrscht, was jedoch, je hektischer man den Autor besagte Knöpfe drücken hört, zunehmend irritiert. Hinzu kommt, dass Ripley das Strukturelement der achtminütigen Zyklen enttäuschend linear auflöst: Statt sich in der Zeitschleife unauffällig einzurichten, ihre Muster zu studieren und geschickt zu manipulieren, dreht Colter immer wieder aufs Neue durch, springt auf, rennt rum, blafft Leute an, etc. Wo Phil Connors sich den perfekten Murmeltiertag noch in penibler Feinarbeit erschließen musste, basieren Colters Ermittlungserfolge auf grobem Zufall und Drehbuchbelieben; der Whodunit-Aspekt des Films - jeder Fahrgast könnte der Täter sein! - verpufft dadurch weitgehen, zumal die Mitreisenden samt und sonders Staffage bleiben.

In amerikanischen Medien ist SOURCE CODE überwiegend gut weg gekommen, und man versteht im Grunde ja auch, warum: Er ist klein, schick, flott, leichtherzig, und das in einem Genre, das in jüngeren Jahren immer fetter, hässlicher, träger und gravitätischer geworden ist. Dennoch werde zumindest ich das Gefühl nicht los, es mit einem Film zu tun zu haben, der seine eigenen Tugenden nicht erkennt, sich vielmehr für sie geniert und sein Heil fälschlicherweise in campiger, schlampiger Überdrehtheit sucht. So ist denn auch das einigermaßen haarsträubende Finale, das in den USA zahlreiche Boards zum Glühen gebracht hat, bloß eines von vielen Symptomen für die eigentliche Malaise des Films: SOURCE CODE ist deutlich läppischer, als er sein müsste, und zwar, weil er sich für deutlich läppischer hält, als er tatsächlich ist.











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