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ATMEN (Österreich 2011)

von Florian Lieb

Original Titel. ATMEN
Laufzeit in Minuten. 93

Regie. KARL MARKOVICS
Drehbuch. KARL MARKOVICS
Musik. HERBERT TUCMANDEL
Kamera. MARTIN GSCHLACHT
Schnitt. ALARICH LENZ
Darsteller. THOMAS SCHUBERT . GERHARD LIEBMANN . GEORG FRIEDRICH . KARIN LISCHKA u.a.

Review Datum. 2011-12-03
Kinostart Deutschland. 2011-12-08

Glaubt man dem Theravada, einer der ältesten Schultraditionen des Buddhismus, unterstützt die buddhistische Atemmeditation Anapanasati (wörtlich: Achtsamkeit beim Ein- und Ausatmen), den Weg von Verfehlungen zur Erleuchtung. Und im Grunde dokumentiert ATMEN, das Regie- und Drehbuchdebüt des Wiener Schauspielers Karl Markovics (DIE FÄLSCHER), denselben Prozess, geht es doch um die Katharsis des 19-jährigen Jugendstraftäters Roman Kogler. Dieser wird fast durchweg stoisch-apathisch von Newcomer Thomas Schubert dargestellt, der sich durch eine Welt manövriert, in der er nichts verloren zu haben scheint.

Als Heimkind, wie ihn einer der Wärter an einer Stelle outet, fehlt ihm klar die soziale Nähe. Abgeschoben wurde er und unerwünscht ist er. Sein Sozialarbeiter (Gerhard Liebmann) schlägt sich mit ihm herum, weil er es muss und weder in der Jugendhaftanstalt noch auf seinen Freigängen scheint er besonderen Kontakt zu Mitmenschen zu haben. Durch die Leinwand hinweg springt die Unnahbarkeit des Protagonisten auch aufs Publikum über. So beobachtet man Roman zu Beginn mit einem Interesse wie bei einem Zootier, wenn er sich eine Stelle als Schlosser in der ersten Einstellung des Films durch sein hysterisches Verhalten selbst verbaut.

Stattdessen wählt er eine Position in einer Bestattungsfirma, wo er ebenso wenig erwünscht zu sein scheint. Als die erste Leiche abgeholt werden muss, wird Roman durch einen Arbeitskollegen (Georg Friedrich) zynisch dem Publikum gegenüber als Mörder offenbart. Eine Tat, die dem spröden Schlacks nicht unbedingt zuzutrauen gewesen wäre. Überraschenderweise fühlt sich der Teenager inmitten der Toten trotz anfänglicher Berührungsängste besser aufgehoben. Infolgedessen stabilisiert sich sowohl das Verhältnis zum Kollegen als auch zu seinem Sozialarbeiter. Konflikte tauchen erst wieder auf, nachdem Roman seine Mutter ausfindig macht und eine Aussprache sucht.

In ATMEN muss die Hauptfigur erst lernen, ihre Identität zu finden und damit letztlich auch zu sich selbst. Hierbei gelingt Markovics eine ruhige und besonnene Charakterstudie einer Figur, die nicht nur ihre Umwelt (einschließlich des Publikums) falsch bewertet hat, sondern selbst sich auch. Dass dabei stets nur die Oberfläche angekratzt wird, nimmt dem Film nichts von seiner Intensität. Markovics präsentiert vielmehr authentische Charakterschablonen, derer sich der Zuschauer zur Figurengestaltung selbst bedienen kann. Das gut aufspielende Ensemble, bei dem lediglich Karin Lischka überfordert wirkt, unterstützt diesen Prozess.

Somit setzt sich der positive Trend im österreichischen Kino nach Filmen wie REVANCHE weiter fort und untermauert, dass gutes Charakterkino immer öfter jenseits des Inns zu finden ist. Auch wenn ATMEN um gelegentliche Längen bei Romans Freigängen nicht herumkommt, wo ein verstärkter Blick in seinen Gefängnisalltag vielleicht geschickter gewesen wäre. Schließlich liegt hier eine Titelanalogie, dass gerade im Gefängnis die Luft zum Atmen fehlt, besonders nahe. Denn auch die Freigänge und die in ihnen kulminierende Katharsis der Hauptfigur bestätigen jenen Satz Theodor Fontanes, den er in Der Stechlin schrieb: "je freier man atmet, je mehr lebt man".











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