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PACO AND THE MAGICAL BOOK (Japan 2008)

von Andreas Neuenkirchen

Original Titel. PAKO TO MAHO NO EHON
Laufzeit in Minuten. 105

Regie. TETSUYA NAKASHIMA
Drehbuch. TETSUYA NAKASHIMA
Musik. nicht bekannt
Kamera. nicht bekannt
Schnitt. nicht bekannt
Darsteller. AYAKA WILSON . KOJI YAKUSHO . ANNA TSUCHIYA . SATOSHI TSUMABUKI u.a.

Review Datum. 2008-12-16
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Filmen von Tetsuya Nakashima kann man immer mit einer entspannten Vorfreude entgegensehen. Den besten Film der Welt hat er mit KAMIKAZE GIRLS schon gemacht, da kann man nicht verlangen, dass er das noch mal hinkriegt. Aber mit der filmischen Wundertüte MEMORIES OF MATSUKO konnte er immerhin seinen Ruf als brillanter Stilist und Erzähler zementieren, sodass man davon ausgehen darf, dass bei weiteren Werken schon nichts schiefgehen wird. Jetzt hat er seinen bislang teuersten Film und seinen ersten Kinderfilm fertiggezaubert. Wer noch keine Kinder hat, sollte schnell welche zeugen oder adoptieren, um sie von PACO AND THE MAGICAL BOOK nach Strich und Faden versauen zu lassen.

Die kleine Paco (Ayaka Wilson) ist ein wahrer Sonnenschein, sie hat aber nach einem traumatischen Erlebnis ein Problem: sie kann sich nie weiter zurückerinnern als bis zum morgendlichen Aufwachen. Deshalb lebt sie in einem kunterbunten Sanatorium unter singenden Drag Queens und musizierenden Mumien, zusammen mit einem Mann, der sich für eine Schnecke hält, sowie einem ehemaligen Kinderstar, der seinen Karriereknick nicht verkraftet, und beaufsichtigt von Personal, das auch nicht ganz fit ist. Der Arzt möchte lieber Theater spielen, eine Schwester könnte ein Vampir sein, und mit der anderen ist erst recht nicht zu spaßen. Einen echten Narren hat Paco am alten Onuki (Koji Yakusho) gefressen, einen verbitterten, bösartigen und gewalttätigen Ex-Industriellen. Egal, wie brutal er sie zurückweist – am nächsten Tag ist für Paco alles neu, und sie steht wieder lächelnd mit ihrem Lieblingsbuch über einen Froschkönig vor Onuki. Langsam erweicht sie sein Herz, sodass er sogar beschließt zum alljährlichen Anstaltsereignis ‚Summer Christmas‘ die Geschichte ihres Buches als Theaterstück aufzuführen, mithilfe aller Insassen und Beschäftigten des Sanatoriums.

So weit, so viele vergebliche Worte. Eine Nacherzählung der Handlung ist das Letzte, was einer Beschreibung des Films gerecht würde. Schon ganz früh, wahrscheinlich schon während der eröffnenden Hula-Party-Tanznummer, fragt man sich: Was ist denn hier passiert? Hat Guy Maddin mit einem dekadenten Budget die Augsburger Puppenkiste verfilmt? Ist das ein Final-Fantasy-Spiel nach Motiven der Muppets Show für die PlayStation 4? Ist es Narnia auf Crack? Nein, es ist nur ein Film, bei dem ein Regisseur augenscheinlich völlig freie Hand und einen Blankoscheck hatte. Ob den Produzenten im Vorfeld bekannt war, dass der Regisseur komplett plemplem ist, weiß man nicht. Man weiß nur: es ist alles zum Besten des Zuschauers. PACO AND THE MAGICAL BOOK ist ein derartiger Angriff auf die Sinne, dass man zunächst glaubt, man würde die freilaufende visuelle Kreativität und die skurrilen Charaktere nie geistig ordnen können. Man stellt sich darauf ein, das Ganze einfach als Trip zu erleben, und man ist damit nicht unzufrieden. Aber es kommt noch besser. Es wäre kein echter Nakashima, wenn all das Hula-Hula-CGI-Fasching-Knallbonbon-Kabarett nicht auf einem soliden emotionalen Fundament gebaut wäre. Die grellen Figuren bekommen Konturen und menschliche Züge, ohne dass die Inszenierung je den Fuß vom Hula-Gaspedal nehmen würde. Das Verhältnis zwischen Paco und Onuki wird zum Fixpunkt der Erzählung, um den herum sich die anderen Ereignisse soweit ordnen lassen, wie es notwendig ist. Das Ensemble hat daran keinen geringen Anteil. Die strahlende Ayaka Wilson und der grummelige Koji Yakusho haben eine fantastische Chemie. Freunde der KAMIKAZE GIRLS wird freuen, dass Rocksängerin/Schauspielerin/Model/Prominudel Anna Tsuchiya (Kamikaze Girl Ichigo) wieder dabei ist als furchteinflößende Krankenschwester. Dank ihres russischen Genanteils ist Tsuchiya im japanischen Kino auf die Rollen mit dem etwas herberen Charme abonniert, und das macht ihr offenbar großen Spaß. Und uns erst.

Wie jeder epochale Kinderfilm ist auch PACO AND THE MAGICAL BOOK nicht nur eitel Froschteichschabernack. Jede Generation braucht ihren Bambi-Schock, und PACO liefert ihn. Vielleicht machen sich da die kleinen Racker von heute Luft mit: "Sie haben [...] getötet!" "Ihr Schweine!" Aber da muss man durch. Trotz spätem Todesfall kriegt der Film schlussendlich die Kurve zu einem versöhnlichen, den Umständen entsprechend fröhlichen Ende. Und das ist Nakashimas große Kunst: Er überfrachtet jedes Bild mit Kitsch, aber dahinter steckt kein parodistischer Zynismus, sondern aufrichtige Liebe zum Kitsch, die sich ohne Verluste auf den Zuschauer überträgt.











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