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ANTICHRIST (Dänemark/Deutschland/Frankreich 2009)

von Stefan Rybkowski

Original Titel. ANTICHRIST
Laufzeit in Minuten. 109

Regie. LARS VON TRIER
Drehbuch. LARS VON TRIER
Musik. nicht bekannt
Kamera. ANTHONY DOD MANTLE
Schnitt. ANDERS REFN . ÅSA MOSSBERG
Darsteller. WILLEM DAFOE . CHARLOTTE GAINSBOURG u.a.

Review Datum. 2009-08-26
Kinostart Deutschland. 2009-09-10

Die Vertreibung aus dem Garten Eden, dem Paradies, war schließlich der Frau zuzuschreiben, die vom Baum der Erkenntnis aß und ihrem Mann dann ebenfalls den Apfel reichte. Es ist die Frau, in der der Teufel steckt. Hinterhältig, unberechenbar und nicht umsonst als Antichrist von von Trier bezeichnet, der dies mit dem Symbol der Weiblichkeit im Titelschriftzug unmissverständlich klar macht. Was nach reichlich Misogynie klingt, mag dies vielleicht auch sein. Vielleicht aber auch nicht. So richtig weiß das von Trier wohl selbst nicht. Wie so vieles im Film. Vielleicht ist er sich dessen aber auch allem bewusst, täuscht den Zuschauer und schwebt erhaben über den Dingen. Nicht, dass es für die Rezeption absolut von Nöten wäre, die Intention des Autors zu kennen, nein, aber etwas nachdenklich stimmen von Triers eigene Aussagen zum Film dann irgendwie doch: Er habe das Skript als Therapie gegen seine Depressionen geschrieben, das Ganze ohne jeglichen Enthusiasmus gedreht und Szenen ohne bestimmte Gründe hinzugefügt. Und dennoch, es sei der wichtigste Film seiner ganzen Karriere. Vielmehr entstand ANTICHRIST aus Träumen, die er während seiner depressiven Phase hatte. Hermeneutischer Zirkel hin oder her, aber genau das sieht man dem Film auch an. Fast möchte man vielmehr von einem Essay-, als von einem Spielfilm reden. Einem ambivalenten, und das in jeglicher Hinsicht.

Von Trier unterteilt seinen Film in klassische Formen: den Prolog, vier Akte und den abschließenden Epilog. Bereits der Prolog weist dabei die Richtung; in schwarz-weiß und Slow-Motion gehalten, funktioniert er als in das setting einführende Exposition, wie auch als sanfter Horror. Es dauert nicht lange, bis man die erste Penetration in Zeitlupe und im Close-Up zu sehen bekommt und man weiß, wie sich das Publikum in Cannes wohl fühlen musste. Hinzu kommt eine Optik, die zwar durchaus ihren Reiz besitzt, aber irgendwie auch wie ein Calvin-Klein-Werbespot aussieht, nur eben in der Hardcoreversion. Unterlegt mit Händels "Rinaldo, lascia ch'io pianga" geht der vermeintliche Symbolismus dann auch schon los, bis der große Knall kommt. Was hier noch einigermaßen greifbar erscheint, nämlich ein von Freud geprägtes Szenario vom Siege der Emotio über die Ratio. Und dennoch manifestiert sich hier bereits ein Nachgeschmack, der irgendwo zwischen Selbstüberschätzung des Autors und prätentiösen Bildern anzusiedeln ist. Was im Verlauf der nächsten einhundert Minuten noch alles auf uns zukommt, das wurde ja bereits in den ersten Besprechungen aus Cannes breitgetreten, so dass man meint, man sei bereit dafür. Das erstaunliche dabei ist aber weniger die Tatsache, dass der blutige Penis eines bewusstlosen Willem Dafoe befriedigt wird, Schamlippen mit einer Schere beseitigt werden oder Füchse plötzlich sprechen - Anleihen von Exploitation eben, genau das, was ich mit der Aufzählung selbiger ja auch betreibe -, sondern vielmehr die Tatsache, dass dies alles so unglaublich aufgesetzt und prätentiös daherkommt, dass man nicht nur ob der Aktion selbst nicht hinsehen will, sondern auch aus Ekel vor der puren Selbstzweckhaftigkeit von Triers.

Und dennoch verweilt man spätestens nach dem Epilog, wenn "Er" (Willem Dafoe) von gesichtslosen Frauen buchstäblich gejagt wird, zwiegespalten im Sessel verweilend, ob dieser unfassbar großen Wucht, mit der man gerade erschlagen wurde. ANTICHRIST ist nicht nur ein den Zuschauer erschlagender Bilderregen, sondern auch ein so vielschichtiger Film, der zwar immer wieder durch das Prätentiöse in ihm einen faden Beigeschmack bekommt, je länger man ihn wirken lässt, aber auch immer besser, ja klarer, wird. Vielleicht ist es wie mit einem guten Wein, ich weiß es ehrlich gesagt nicht so richtig. Es ist dem Ganzen natürlich auch irgendwie inhärent, denn Metaphorik und Symbolismus liegen bedeutungsschwangeren Bildern dann ja doch auch sehr nahe. Dass der Film jedoch nicht einfach würde, das war schon lange vor Cannes klar. Bei all der Schwere, die ANTICHRIST mit sich bringt, ist aber auch vor allem Cannes das Stichwort, denn eigentlich ist das jene Art von Film, an die man eigentlich völlig unbefangen herangehen sollte. Nicht, weil die Schockmomente dann in noch größerer Form wirken, sondern weil gerade dann der Blick ein anderer, freierer ist. Von Triers Film ist das, was ich wohl als "zwischen Kunst und Kommerz" bezeichnen würde, vielleicht dauert es ja nur noch, bis ich mich für eine Seite entschieden habe. Vielleicht sollte ich es aber auch überhaupt gar nicht. Vielleicht will ich einfach nur hervorragendes Schauspielkino (ohnehin wäre das Ganze auch im Theater nicht falsch aufgehoben), denn das ist ANTICHRIST in jedem Falle. Charlotte Gainsbourg schultert dabei einen Großteil des Filmes mit ihrer unglaublich physischen Performance, so dass es einer der Aspekte bleibt, die selbst bei allem Ekel und Widerwillen, die man bei ANTICHRIST bisweilen empfinden mag, in Erinnerung bleibt und die man frei von allem anerkennen muss. Mit ANTICHRIST zeigt von Trier, dass er ein enfant terrible des Autorenkinos bleibt. Oder auch nicht.











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