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Special.
Eckige Augen oder (Keiner der üblichen Jahresrückblicke) - Ein Streifzug durch das Filmjahr 2015
von André Becker

Eckige Augen oder (Keiner der üblichen Jahresrückblicke) - Ein Streifzug durch das Filmjahr 2015

Jahresrückblicke sind für jeden Filmkritiker eigentlich eine dankbare Aufgabe. Noch einmal gedanklich zurückspringen in die vergangenen Monate und sondieren, welche Filme mächtig Eindruck hinterlassen und welche besonders verärgert haben. Als Ergebnis steht dann am Ende meist eine Aufstellung in Top und Flop. Das ist natürlich nicht verwerflich und genügt auch zuweilen als schneller Überblick. Das Problem ist allerdings, dass viele Jahresrückblicke einerseits einen oftmals sehr eingeschränkten Fokus wählen und/oder anderseits stark an der Oberfläche haften bleiben.

Konkret bedeutet dies, dass in der Regel der US-Mainstream im Zentrum steht und mal mehr, mal weniger ausführlich darlegt wird, welche Blockbuster, oder zumindest welche Filme mit regulärem Kino-Start, denn nun toll oder wahlweise so richtig scheiße waren. Die Folge ist das Nischen-Filme, respektive Produktionen, die ohne Kino-Auswertung erschienen sind, kaum Erwähnung finden. Das sich vereinzelt der eine oder andere räudige B-Film in eine Jahresliste mogelt, bestätigt diese Regel eher und taugt kaum dazu sie zu widerlegen. Weiterhin neigen viele der Rückblicke zu einer sehr oberflächlichen Perspektive. Bereits die Auflistung mittels Top und Flop schreit geradezu die Frage heraus: Und was war sonst, was gibt es darüber hinaus zu berichten?

Dieser Jahresrückblick ist der (hoffentlich geglückte) Versuch diese Leerstellen ein wenig zu füllen. Bewusst zweitrangig wird deshalb das Mainstream-Kino (allen definitorischen Unschärfen zum Trotz) behandelt. Klar war der neue MAD MAX ein ziemlicher Knaller und der fünfte TERMINATOR eine unfassbare Gurke, aber diese Einschätzungen finden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in zig anderen Artikeln. Der Schwerpunkt soll daher primär auf den (aus irgendeinem Grund erwähnenswerten) Filmen liegen, die ein eher kleineres Fan/Nischen/Genrefilm-Publikum ansprechen. Daneben soll hier zusätzlich aufgezeigt werden, welche Entwicklungen, Neuerungen, oder auch welche Wiederholungen das Filmjahr 2015 auszeichneten.

Neue und alt(bekannte) Extreme sowie die Suche nach echten Innovationen

2015 war ein Jahr, in dem Filmemacher rund um den Globus bewusst auf Reduktion setzten. VICTORIA und BIRDMAN ODER (DIE UNVERHOFFTE MACHT DER AHNUNGSLOSIGKEIT), angepriesen als Filme, die ohne einen einzigen Schnitt gedreht wurden, nutzten ihr Alleinstellungsmerkmal dabei besonders markant. Das permanente (freilich sehr medienwirksame) Hinweisen und Feiern dieses vermeintlich innovativen Stilmittels wurde jedoch schnell nervig und konnte einem die Lust auf die Filme gehörig verderben. Neue Wege beschritten daneben der vom Newcomer Nacho Vigalondo gedrehte OPEN WINDOWS und UNKNOWN USER. Beide Filme erzählten ihre Thriller/Horror-Handlung fast ausschließlich durch Webcam- und Laptopfenster-Einstellungen. Mit einem Extrem anderer Art arbeitete stattdessen die ukrainische Produktion THE TRIBE. Ohne Untertitel oder Erklärungen und nur mittels Gebärdensprache als Kommunikationsform verließ sich der Film komplett auf die Macht seiner Bilder. Für das Programmkino-Publikum eine Herausforderung, die in ihrer Wucht aber ihresgleichen suchte. Erstaunlich wenig Tamtam wurde dagegen um LOVE, den neuen Film von Gaspar Noe, gemacht. Explizite Hardcore-Sexszenen im Kino eignen sich scheinbar immer weniger für einen handfesten Skandal.

Vorstädte sind die wahre Hölle

Dies ist natürlich keine neue Erkenntnis, da nicht erst in diesem Jahr zahlreiche Filme und Serien die menschlichen Abgründe der Suburbs zum Thema hatten. Dennoch arbeiteten sich 2015 erstaunlich viele Genre- und Indieproduktionen mit je eigenen Interpretationsangeboten an der realen und übernatürlichen Hölle der Vorstädte ab. Allen voran der zu Recht in höchsten Tönen gelobte Horror-Hit IT FOLLOWS, der vorzüglich mit seinem Setting spielte und eine mehrdeutig interpretierbare Horror-Story erzählte. Großartig auch Gregg Arakis neuester Streifen WIE EIN WEIßER VOGEL IM SCHNEESTURM, der seine melancholische Coming-of-Age-Geschichte immer wieder mit den düsteren Abgründen seiner Figuren kreuzte und hier eine einzigartige melancholische Stimmung kreierte. Ana Lily Amirpours A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT atmete eine ähnliche Atmosphäre und schaffte es dabei gleichzeitig das Vampirfilm-Genre mit neuen Ansätzen und frischen Figuren zu befruchten. Gänzlich misslungen war dagegen die Literatur-Verfilmung PALO ALTO nach der Vorlage des Romans von James Franco. Ohne Tiefgang, dafür aber mit umso mehr pseudo-bedeutungsschwangeren Gefasel zeigte Regisseurin Gia Coppola, das sie von ihrer Nichte Sofia noch jede Menge lernen muss.

Retro-Mania und der Blick zurück im neuen Gewand

Die Retro-Welle die seit einigen Jahren in der Popkultur irgendwo zwischen Stagnation und spielfreudiger Neuinszenierung oszilliert machte auch 2015 vor dem Genre-Film nicht halt. Das Heraufbeschwören der guten alten Zeit glückte diesbezüglich häufig erstaunlich gut. Nicht nur Adam Wingards rasanter Genre-Mix THE GUEST beschwor auf treffsichere und verspielte Weise den Geist des Kinos vergangener Tage herauf, sondern ebenfalls spaßige und enorm kurzweilige B-Movies wie TURBO KID, oder die Giallo-Hommage THE EDITOR. Besonders sehenswert war zudem der fetzige Kurzfilm KUNG FURY, der noch einmal untermauerte wie essentiell heutzutage alternative Finanzierungsformen wie Crowdfunding für die Verwirklichung von kreativen Filmideen sind.

Nicht totzukriegen: Genre-Filme made in Germany

2015 wurden außergewöhnlich viele deutsche Genre-Produktionen auf das Publikum losgelassen. Sei es die Horror-Anthologie GERMAN ANGST vom Dreiergespann Buttgereit/Marschall/Kosakowski, der schwarzweiße Arthouse-Alptraum TRUE LOVE WAYS, der Insekten-Schocker STUNG, der mit deutschen Geldern finanzierte Actionfilm BIG GAME oder die wenig beachteten Found-Fottage-Filme DIE PRÄSENZ und TAPE 13. Ob 2016 eine ähnlich reichhaltige Anzahl von Produktionen folgt bleibt abzuwarten, dennoch ist es erfreulich, dass der Genre-Film aus deutschen Landen mit langsamen Schritten an die Öffentlichkeit tritt.

Fette Beats, heftige Gewalt und alte Bekannte

Im asiatischen Kino sorgten eher alte Bekannte für Aufmerksamkeit. Sion Sono zeigte das Bandenkrieg und Hip Hop auch in Japan wunderbar harmonieren und bescherte den Fans mit seinem durchgeknallten TOKYO TRIBE einen weiteren Knaller. Sehr viel positive Resonanz erntete gleichfalls Tetsuya Nakashimas verstörender THE WORLD OF KANAKO, der auf dem Fantasy Film Fest sehr wohlwollend aufgenommen wurde. Erfreulicherweise wurde hierzulande zudem der unterkühlte philippinische Thriller ON THE JOB veröffentlicht. Ein Film, der trotz massig Vorschusslorbeeren nicht über gutes Mittelmaß hinauskam und wohl kaum dazu beitragen wird, dass weitere Genre-Produktionen aus eher unterrepräsentierten asiatischen Ländern hier erscheinen werden. Insgesamt fristet das asiatische Kino im deutschsprachigen Raum sowieso fast noch mehr als in den Vorjahren ein Nischendasein. Kino-Starts erhalten fast ausschließlich Arthouse-Filme wie z.B. UNSERE KLEINE SCHWESTER. Genre-Filme finden primär als Direct-to-dvd-Veröffentlichung bzw. gar nicht den Weg in unsere Breitengrade. Selbst für Big-Budget-Produktionen wie ATTACK ON TITAN, die international große Aufmerksamkeit generieren konnten, steht eine deutschsprachige Veröffentlichung noch in den Sternen.

Rar gesäte Highlights im Bereich B-Action

Nein, so richtig viele Lichtblicke gab es im Bereich der B-Film-Action nicht. Dafür umso mehr Enttäuschungen. Der neue Streifen mit Jean Claude Van Damme POUND OF FLESH erwies sich trotz einer gar nicht mal so uninteressanten Story als lahme Schlaftablette mit viel zu viel mieser CGI-Action und lahmen Kampfszenen. Auch IN THE BLOOD, nach HAYWIRE die zweite Hauptrolle für die MMA-Fighterin Gina Carano blieb eine zwar hübsch fotografierte, aber reichlich öde Angelegenheit, die ihre Hauptdarstellerin viel zu selten richtig von der Leine ließ und ihre Actionmomente seltsam undynamisch inszenierte. Die wenigen Highlights setzten vor allem das Dolph Lundgren/Tony Jaa Vehikel SKIN TRADE sowie der knackige, erstaunlich kompromisslose EVERLY, in dem eine schießwütige Salma Hayek für mehrere erinnerungswürdige Szenen sorgte.

Was vom Filmjahr 2015 bleibt sind vor allem die Eindrücke, die mehrere wirklich tolle Filme hinterlassen haben. Die hier aufgeführten Entwicklungen, inszenatorischen Experimente, High- und Lowlights zeigen dass 2015 ein sehr lebendiges und nicht zuletzt sehr vielschichtiges Jahr für das Medium Film war. Seien wir also gespannt was 2016 so bringt und ob uns ein ähnlich reichhaltiges Programm wie 2015 erwartet.




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