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GERMAN ANGST (Deutschland 2014)

von André Becker

Original Titel. GERMAN ANGST
Laufzeit in Minuten. 111

Regie. JÖRG BUTTGEREIT . MICHAL KOSAKOWSKI . ANDREAS MARSCHALL
Drehbuch. JÖRG BUTTGEREIT . GORAN MIMICA . ANDREAS MARSCHALL
Musik. MUSICA PESANTE . SCHLAFES BRUDER
Kamera. SVEN JAKOB-ENGELMANN
Schnitt. MICHAL KOSAKOWSKI . ANDREAS MARSCHALL
Darsteller. LOLA GAVE . AXEL HOLST . ANDREAS PAPE . MATTHAN HARRIS u.a.

Review Datum. 2015-05-02
Kinostart Deutschland. 2015-05-07

GERMAN ANGST ist nicht die Rettung des deutschen Genre-Kinos. Der über Crowdfunding finanzierte Episodenfilm ist aber definitiv ein riesiger Schritt nach vorn. Drei Stories im Spannungsfeld zwischen nervenzerrendem Kammerspiel, heftiger Gewalt und sexuell aufgeladenem Body-Horror. Ein Berlin-Film der etwas anderen Sorte. Radikal und streckenweise ausgesprochen ungemütlich, dennoch gleichermaßen faszinierend und fordernd. Inszeniert von Jörg Buttgereit (SCHRAMM), Michal Kosakowski (ZERO KILLED) und Andreas Marschall (TEARS OF KALI, MASKS). Drei Geschichten, die sowohl inhaltlich, als auch stilistisch ganz eigene Wege beschreiten und dabei tief in die Abgründe der deutschen Gesellschaft blicken.

FINAL GIRL von Jörg Buttgereit ist die kürzeste und zugleich sperrigste Episode der Anthologie. Mit fast schon zärtlichen Augen folgt der Regisseur dem grausamen Treiben eines jungen Mädchens (Lola Gave). Unter Verwendung verschiedener Stilmittel (zahlreiche extreme Nahaufnahmen, grobkörnige Super 8-Aufnahmen etc.) erzählt Buttgereit in unbequemen, aber nichtsdestotrotz künstlerischen Bildern von dysfunktionalen Familien, Missbrauch und Vergeltung. Nicht nur die verdreckte Wohnung fungiert diesbezüglich als Spiegel einer Gesellschaft, in der hinter verschlossenen Türen das nackte Grauen regiert. Den Beginn der Episode markiert ein seltsam distanziert vorgetragener Monolog über das Verhalten von Meerschweinchen. Mehrere Einstellungen später schwenkt die Kamera in ein dunkles Zimmer in dem ein gefesselter Mann (Axel Holst) liegt. Man ahnt es bereits: Diesem Menschen steht Schreckliches bevor. Täterin ist das titelgebende Final Girl und gleichzeitig die Tochter des Mannes, die in aller Seelenruhe die passenden Werkzeuge für ihr Vorhaben zusammensucht und ohne jegliche Gefühlsregungen ihr Werk beginnt.

Buttgereit verweigert eindeutige Aussagen und verzichtet auf erhellende Kommentare zum Gezeigten. FINAL GIRL will sein Publikum kalt erwischen und verstören. Zumindest dieses Ziel erreicht das erste Segment der Horroranthologie hervorragend. Die Ausübung psychischer und physischer Gewalt findet meist im Off statt. Bereits die kakophonische Geräuschkulisse sorgt allerdings dafür, dass mehrere Szenen schwer auszuhalten sind. Zartbesaitete Zuschauer werden insofern sehr schnell an ihre Grenzen getrieben. Was mitunter fehlt ist eine tiefere Bedeutungsebene. Buttgereits Episode lässt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Diese werden jedoch lediglich angedeutet und kaum konkretisiert, so dass es entsprechend schwer fällt wirklich passende Kontexte und Deutungsmuster zu identifizieren. Letztlich bleibt man an der Oberfläche kleben, was sicherlich daran liegen mag, dass der Berliner Regisseur seine Täterfiguren fast schon charakterlos angelegt hat und Identitäten und Beziehungskonzeptionen eher anreißt statt hier brauchbare Einblicke in das Innenleben seiner Figuren zu gewähren. Nach dem Film bleibt vor allem ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, das noch lange nachwirkt und sich durch die nächste Episode noch verstärkt.

MAKE A WISH von Michal Kosakowski stellt sich als zugänglicher, aber auch weniger experimentierfreudig als Buttgereits Rachephantasie heraus. Wie Buttgereit widmet sich Kosakowski der Umkehrung von Täter- und Opferrollen und den daraus resultierenden Machtpositionen. Im Gegensatz zu FINAL GIRL wird hier auf phantastische Elemente zurückgegriffen. Die Episode beginnt mit einer folgenschweren Entscheidung. Ein verliebtes Paar, beide taubstumm, erkunden ein altes Fabrikgelände. Der junge Mann Jacek (Matthan Harris) erzählt seiner Freundin Kasia (Annika Strauss) dabei von einem alten Talisman, der magische Kräfte verspricht und sich gegenwärtig in seinem Besitz befindet. Einst rettete der Glücksbringer einem jungen Mädchen in Polen bei einem Überfall der Nazis im zweiten Weltkrieg das Leben. Gedankenverloren dringt das Paar immer tiefer in die einzelnen Räume der Fabrik ein. Plötzlich treffen sie auf eine Gruppe von gewaltbereiten Neonazis (u.a. Andreas Pape). Schnell wird beiden klar, dass sich ihnen keine Fluchtmöglichkeit bietet und sie der Gruppe hilflos ausgeliefert sind. Als sich die Situation zuspitzt setzt Kasia die sagenumwobenen Kräfte des Talismans gegen ihre Peiniger ein.

Kosakowski zeigt ungeschönte Gewalt, die betont realistisch angelegt ist und nur in den Rückblenden zur Vorgeschichte des Talismans mit den Darstellungsformen des Splatterfilms arbeitet. Dies ist nicht unproblematisch, weil das sehr nüchtern gefilmte Martyrium der Neonaziopfer dadurch an Ernsthaftigkeit verliert. Nichtsdestotrotz schafft es der Regisseur in den Sequenzen in der Fabrik den Zuschauer die gesamte, zutiefst menschenverachtende Bandbreite der Folgen von Fremdenhass vorzuführen. Während das Thema Ausländerfeindlichkeit in deutschen Fernsehfilmen und Kinoproduktionen oftmals zu zurückhaltend und somit im Endeffekt trivialisierend aufbereitet wird, zeigt Kosakowski die Taten in all ihrem Sadismus und nähert sich so auf seine Weise dem Kern ideologischer Verblendung und den Allmachtphantasien seiner Täter.

Leider neigen einige der Darsteller aus der Neonazigruppe zum Overacting, was durch die souveränen Darstellerleistungen von Matthan Harris und Annika Strauss nicht gänzlich kompensiert werden kann. Trotz der Mankos verfehlt die Episode jedoch nicht ihre Wirkung. Nicht zuletzt aufgrund der finalen Wendung regt Kosakowski sein Publikum zur Selbstreflexion über die eigene Haltung zu Gewalt und Gegengewalt an. Im Kontext eines Genre-Films ist dies durchaus beachtlich. Allein schon deshalb lohnt sich der Blick auf und die Beschäftigung mit Kosakowskis MAKE A WISH.

Das letzte Angst-Segment wurde von Andreas Marschall inszeniert und erinnert an den Body-Horror von David Cronenberg und die mythologisch aufgeladenen Phantasiewelten von H.P Lovecraft. ALRAUNE ist zugleich die zugänglichste Geschichte der Anthologie. Darüber hinaus ist es gleichzeitig die Episode, die am stärksten Genre-Konventionen befolgt. Mit streng stilisierten Bildern erzählt das Segment von dem Fotografen Eden (Milton Welsh), der nach einem Blind-Date von seiner neuen Bekanntschaft Kira (Kristina Kostiv) in die geheime Welt eines mysteriösen Clubs gelockt wird. Dort erwarten Eden nicht nur bizarre sexuelle Ausschweifungen, sondern auch Schmerz, Selbstzerstörung und die transzendentale Kraft einer todbringenden Pflanzenart.

ALRAUNE schafft es von Anfang an eine sehr einnehmende, surreale Atmosphäre zu kreieren, die durch die hervorragende Kameraarbeit und den bedrohlichen Score ein sehr stimmiges Gesamtkonzept bildet. Marschall gelingt es dabei die, bereits mehrfach verfilmte Geschichte von Hanns Heinz Ewers, adäquat in die Gegenwart und die pulsierende Urbanität Berlins zu übertragen. Die Settings (düstere Nachtclubs, dunkle Gassen, verwinkelte Wohnungen mit geheimen Räumen) sind diesbezüglich besonders bedeutsam. Stehen sie doch für unausgesprochenes Verlangen, Exzesse aller Art und den Wunsch Grenzen bewusst zu überschreiten. Während der Regisseur in der ersten Hälfte der Episode primär auf den Aufbau einer unheilvoll-morbiden Stimmung setzt und in erster Linie mit kurzen Andeutungen und subtilen Schocks arbeitet, zeichnet sich die zweite Hälfte durch mehrere explizite Aufnahmen und ein effektvolles Finale aus, das den Vergleich mit internationalen Produktionen definitiv nicht zu scheuen braucht. Jede Einstellung wirkt wohldurchdacht und mit einer klaren Intention versehen. Schnell entsteht ein hypnotischer Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. ALRAUNE ist somit in der Gesamtbetrachtung ebenfalls die sinnlichste und optisch reizvollste Episode des Films.

GERMAN ANGST ist kein leicht konsumierbarer Film. Dies war angesichts der vergangenen Werke der Beteiligten auch nicht anders zu erwarten. Dennoch oder gerade deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen und stilistischen Eigenheiten der entsprechenden Segmente. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft weitere Regisseure den Mut finden ohne staatliche Filmförderung eigene Projekte umzusetzen und damit einen Gegenpol zur glattgebügelten Mainstream-Unterhaltung aus deutschen Landen zu schaffen.

Ab dem 07.05. wird der Film in ausgewählten Kinos auf der großen Leinwand zu sehen sein.











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