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KAPITELWAHL

X-MEN TRILOGIE (USA 2000/2003/2006)

von Michel Opdenplatz

Original Titel. X-MEN . X-MEN 2 . X-MEN: THE LAST STAND
Laufzeit in Minuten. 328

Regie. BRYAN SINGER . BRETT RATNER
Drehbuch. BRYAN SINGER . DAVID HAYTER . ZAK PENN
Musik. MICHAEL KAMEN . JOHN OTTMAN . JOHN POWELL
Kamera. NEWTON THOMAS SIGEL . DANTE SPINOTTI
Schnitt. STEVEN ROSENBLUM . JOHN OTTMAN . MARK GOLDBLATT
Darsteller. HUGH JACKMAN . PATRICK STEWART . IAN MCKELLEN . FAMKE JANSSEN u.a.

Review Datum. 2012-06-23
Erscheinungsdatum. 2011-05-13
Vertrieb. 20TH CENTURY FOX

Bildformat. 2.35:1 (anamorph) . 2.40:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DTS/DD 5.1) . ENGLISCH (DD 5.1)
Untertitel. DEUTSCH . ENGLISCH . TÜRKISCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
X-MEN . EXPOSITION

Kein tiefenpsychologisch auszuleuchtendes Kindheitstrauma. Keine verseuchten, bissfreudigen Spinnentiere. Keine notexilierten Außerirdischen. Kein Radioactive Man. Das ist ja das Tolle an den X-Men: Ihre Fähigkeiten liegen in den Genen, sie sind lediglich die nächste Stufe in der Evolution der Spezies Homo sapiens. Das Geheimnis der X-Men-Mutanten, kurz gesagt: Sie sind halt so. Die eleganteste Ursache für Superkräfte, die je erdacht wurde. Und auch die Problematik der gesamten Comicreihe drängt sich somit geradezu auf. Denn kompliziert wird es immer dann, wenn gewisse Zeitgenossen Probleme damit haben, dass die Mutanten eben so sind, wie sie sind. Der Grundkonflikt ihrer großen Gesamtgeschichte ist die alte Formel, die schon oft wegbereitend für so manchen realhistorischen Konflikt war: Unwissenheit + Angst = Hass. Und nun kann man die Kerntrilogie der daraus entstandenen Filmreihe also gesammelt auf DVD bewundern.

Das sah wirklich durchaus vielversprechend aus damals, 2000, als die X-MEN-Trilogie mit ihrem ersten Teil in die Kinos kam. Mit Bryan Singer (OPERATION WALKÜRE) auf dem Regiestuhl, da konnte man tatsächlich nicht meckern. Der Karrierestart für Hugh Jackman. Und ja, selbst daran, dass man jeden Moment damit rechnet, dass Prof. Charles Xavier seinen Arm ausstreckt und in STAR TREK-Manier "Energie!" ruft, stört man sich auch heute, fast 12 Jahre später, nicht wirklich. Das ist Patrick Stewart, der darf das. Eine Fehlbesetzung jedenfalls ist er definitiv nicht für den säuselnden Mutantenwohltäter, der ausgestoßene Jugendliche, die nicht nur "irgendwie" anders sind, in seiner Privatschule aufnimmt. Enigmatische Führungspersönlichkeiten liegen ihm nun mal.

Die vordere Riege des Schauspielensembles ist ohnehin das, was den ersten Film glänzen lässt (die Story ist es nicht, aber dazu später mehr). Allen voran Ian McKellen (DER HERR DER RINGE) als Erik Lensherr alias Magneto. Vielleicht nicht die offensichtliche erste Wahl, ein hagerer britischer Gentleman in der Rolle einer Comicfigur, die den Betrachter zumeist mit wütigem Gesicht, grell leuchtenden Augen und muskelüberhäuftem Torso von Promozeichnungen entgegenbrüllt. Aber gerade das macht McKellens Interpretation von Xaviers Jugendfreund und Erzfeind der X-Men so interessant und seine Kräfte umso bedrohlicher. Denn dieses Casting betont - wie man mit guten Kumpels wunderbar grundsatzdiskutieren kann (über die X-Men lässt sich generell vorzüglich mit guten Kumpels grundsatzdiskutieren) - noch einmal den Kontrast, der zwischen den beiden Figuren Magneto und Prof. X besteht und beide definiert. Lensherr ist der brachiale Pragmatiker und handelt nach dem Motto: Wenn ein Krieg zwischen Menschen und Mutanten unausweichlich ist, dann besteht die einfachste Lösung darin, die schwächere Fraktion auszuradieren. Dass ihm die recht haptische Manipulation von Magnetfeldern und Metall zufällt, ist dadurch ebenso bildhaft wie Xaviers Telepathie, die es ihm erlaubt, die Gedanken anderer Leute zu kontrollieren. Denn er ist als Idealist und Kompromisssucher vor allen Dingen daran interessiert, die Art und Weise zu beeinflussen, wie Menschen und Mutanten übereinander denken.

Hugh Jackman als Logan alias Wolverine versteht sich wohl von selbst, dazu muss nicht viel gesagt werden. Er war ein Glücksgriff für das Franchise, und das Franchise war ein Glücksgriff für ihn. Alle glücklich. Überraschend gut erscheint mir jedes Mal wieder Ex-Bondgirl Famke Janssen (GOLDENEYE) als Dr. Jean Grey. Sie spielt eine von Film zu Film graduell immer verstörtere (und verstörendere) Figur mit Leichtigkeit und vermag sogar der stellenweise etwas gestelzten ménage à trois zwischen ihr, Wolverine und Cyclops sowohl Leben als auch Glaubwürdigkeit einzuhauchen.

Diese vier sind sogar so gut, dass man über den Großteil der miserablen Darsteller hinwegsehen kann: Halle Berry (VERFÜHRUNG EINER FREMDEN) als Storm hat nicht viel zu tun, was so aber auch besser ist. James Marsden (STRAW DOGS - WER GEWALT SÄT) als Cyclops ist wohl Geschmackssache, aber sein RoboCop-Laser-Sichtschutz unterstützt seine Schauspielkünste nicht unbedingt. Ray Park (STAR WARS EPISODE I) als Toad sowie Tyler Mane (HALLOWEEN) als Sabretooth geben ebenso notwendige wie notdürftige Handlanger (gnädig schweigen wollen wir davon, dass Sabretooth als Figur bereits in diesem Film völlig verkorkst wird und dadurch die Grundvoraussetzung für das Plothole des Todes entsteht, das uns X-MEN ORIGINS: WOLVERINE einige Jahre später bescheren sollte). Bleibt noch Anna Paquin (SCREAM 4) als Mutantenteenie-Ausreißerin Rogue, deren sexuelle Entfaltung ausgerechnet im Moment des ersten Kusses dummerweise von der gleichzeitigen Entfaltung ihrerselbst zum todbringenden Lebensenergiestaubsauger eingedämmt wird.

Ja, sie bleibt, und sie bleibt uns nicht erspart. Auch nicht auf DVD. Es liegt nicht mal so sehr an ihren schauspielerischen Fähigkeiten, schlimmer als die von Frau Berry sind die auch nicht (wenn auch nicht besser). Es ist die Figur. Oder die Art, wie die Figur verwendet wird. Oder… Ja, was ist es denn? Sie spiegelt irgendwie Wolverines Einsamkeit, okay; und sie symbolisiert das auch noch durch ihre Unberührbarkeit, was wir uns die gesamte Trilogie über in Rogues schmonzettenhafter Beziehung zu Bobby alias Iceman (Shawn Ashmore) ansehen dürfen. Aber warum denn, bitteschön? Um durch die Darstellung ihrer pubertären Lebens- und Liebesmühen das Teenagerpublikum stärker anzusprechen und dadurch die Einnahmen zu steigern? Vermutlich. Denn die einzige sinnvolle Rolle, die ihr im ersten Teil der Trilogie zukommt, ist die des MacGuffins.

Tja, und jetzt kommt der Plot. Denn Magneto benötigt dummerweise Rogues Kräfte, um ihr seine eigenen Fähigkeiten zu übertragen, damit sie an seiner Stelle die (für den Benutzer dummerweise natürlich ebenfalls todbringende) Maschine betreiben kann, welche die unter der Freiheitsstatue zur Weltkonferenz versammelte Riege der mächtigsten Politiker mit einem Schlag in Mutanten verwandeln soll, sie jedoch dummerweise in Wirklichkeit töten würde, was wiederum Magneto dummerweise nicht weiß. Puh. Das ist auf jeden Fall ganz großes Comickino! Viel interessanter ist jedoch, dass der Film in erster Linie als Auftakt zur Vergangenheitserschließung bzw. -Bewältigung Wolverines fungiert. Auch das kommt jedoch nicht zu kurz, und diese beiden Haupthandlungsstränge halten sich in X-MEN durchaus ansehnlich die Waage.

Eher weniger ansehnlich sind in diesem ersten Teil noch die Spezialeffekte. Wenn Magneto oder die telekinetisch begabten Mutanten Dinge verbiegen, sieht das irgendwie immer stark nach Stop-Motion aus. Vielleicht liegt's am Budget? Jedenfalls ist das ärgerlich und lässt so manche Actionszene (vor allen Dingen während des Showdowns auf der Freiheitsstatue) ein wenig billig erscheinen. Zu erwähnen wäre in dieser Hinsicht vielleicht noch Storm, die einfach immer aussieht, als würde sie von Drahtseilen statt von wohldosierten orkanartigen Böen in die Höhe gezogen (hat Halle Berry am Ende in echt gar keine Superkräfte?!) - und nein, das wird auch in den anderen Filmen nicht besser. Liegt am Cape, schätze ich.

Aber alles in allem? Doch, durchaus gut. Macht Spaß, zu gucken. Weder zu lang, noch zu kurz. Eine anschauliche Einleitung, nach der man sich auf das freut, was da noch kommt...

X-MEN 2 . HAUPTTEIL

… und das völlig zu Recht! Die Spezialeffekte sind besser. Die Schauspielriege aus dem letzten Teil noch immer in Topform (oder wenigstens nicht schlechter geworden). Bryan Singer sitzt noch immer im Regiestuhl. Rebecca Romijn (ROLLERBALL) darf sich als Magnetos zweckdienlichste Handlangerin Mystique diesmal so richtig austoben, und ihre Verwandlungen wirken nicht nur optisch ansprechender sondern auch besser dosiert als im ersten Teil. Keine allzu auffällige Angeberei mit Spezialeffekten mehr. Abgesehen natürlich von Magnetos Flucht aus dem Strafvollzug: Lediglich mit Hilfe drei murmelgroßer Metallkügelchen aus dem Gefängnis auszubrechen und es dabei noch gänzlich zu demolieren - eine sehr feine Idee, sehr fein umgesetzt.

Und freilich abgesehen von der Tintentropfen-im-Wasserglas-Optik der Teleportationsfähigkeiten von Nightcrawler, den Standardfreak Alan Cumming (ebenfalls GOLDENEYE) routiniert zum Besten geben darf. Außer als erstes Opfer des problematischen Kontrollserums für Mutanten und einer dünnen Romanze mit Storm hat er zwar ähnlich wenig zu tun wie Rogue, ist jedoch wesentlich weniger nervig.
Sogar eine kurze gemeinsame Szene mit Mystique (im Comicuniversum seine Mutter) wird ihm zugestanden, was Hardcorefans gefallen dürfte. Außerdem ist er natürlich ein besonderes Schmankerl für aufmerksame Mutantensammler (ebenfalls in mehr oder weniger größeren Rollen oder Cameos vertreten, wenn auch mit oftmals stark veränderter Storyline: Pyro (Aaron Stanford), Lady Deathstrike (Kelly Hu), Kitty Pryde (Katie Stuart) und Colossus (Daniel Cudmore)).

Wie jeder zweite Teil einer Trilogie (oder einer dreiteiligen Filmrezension…) hat auch X-MEN 2 den Vorteil, dass alle relevanten Personen eingeführt sind und somit nun auf langwierige Expositionen verzichtet werden kann. Diese Chance nutzt er auch virtuos. Jedoch kann er nicht nur deshalb als Herzstück der Trilogie angesehen werden, weil er gekonnt die Geschichte von Wolverines Vergangenheit mit der Hauptbedrohung durch den rachsüchtigen Colonel Stryker (Brian Cox) verbindet, sondern vor allem, weil sich in seinem Verlauf die Kernproblematik der X-Men-Saga entfaltet, wie ich sie bereits im ersten Abschnitt über den Klee gelobt habe: Die Angst der unmutierten Gesamtbevölkerung, die schon im ersten Teil latent vorhanden war, bündelt sich hier in der Figur von William Stryker, der es sich - getrieben von der niemals akzeptierten Mutation seines eigenen Sohnes - zum Ziel gesetzt hat, eine Endlösung für die Mutantenfrage zu finden. Diese historische Parallele ist nur eine Facette der Figur, die Brian Cox (R.E.D.) mit einer Kaltblütigkeit verkörpert, die im Zuschauer noch im Hochsommer das unbehagliche Verlangen weckt, das Thermostat höherzudrehen.

Die Gefahr, die er darstellt, zwingt die X-Men von Prof. X und die Mutantenbruderschafft unter Magneto dazu, zusammenzuarbeiten. Natürlich ist da diverses Grubengraben auf allen Seiten vorprogrammiert, und auch Wolverines offenbar nicht ganz koschere Vergangenheit, zu der Stryker entscheidend beigetragen hat, macht allmählich deutlich: Ganz so einfach ist das vielleicht doch nicht mit den X-Men, mit gut und böse, mit mutiert und nichtmutiert. Alles, was in diesem Film passiert, kreist um diese Problematik und bildet dadurch sogar noch im Showdown beim Kampf um eine durch Mutantenkräfte kontrollierte Massentötungsmaschine (zugegeben, das haben wir wohl schon mal irgendwo gehört…) die Unterdrückungs- und Vereinfachungsmechanismen der Gesamtgesellschaft ab, in der jedes einzelne Individuum gefangen ist. Am leicht verführbaren Mutantenjüngling Pyro wird zudem deutlich, dass zwar die Entscheidung jenes einzelnen oftmals zweipolig zugespitzt sein mag (entweder der Mutantenbruderschaft beitreten oder bei den X-Men verweilen). Doch allein das Setting des Films lässt bereits hier die eindeutige Trennung von "Gut" und "Böse" nicht mehr zu. Und selbst wenn es doch so simpel wäre, macht uns der Film klar, so wäre doch Pyros Entscheidung wieder in einen größeren Kontext eingebettet, der trotzdem völlig ungeahnte Folgen nach sich ziehen kann. Es ist alles ein Netz, ein Geflecht, auf die wirklich wichtigen Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten.

Stärker noch kommt der individuelle Aspekt zum tragen, als das vor Stryker flüchtende Teenietrio aus Rogue, Pyro und Iceman Bobby im Haus von dessen Eltern Unterschlupf sucht. Denn Bobby ist bei seiner Familie "ungeoutet", doch die Umstände zwingen ihn zum entscheidenden Schritt. "Hast schon mal versucht, einfach kein Mutant mehr zu sein?", fragt seine Mutter ihn hilflos. Und dann verrät ihn ausgerechnet sein kleiner Bruder an die Ordnungshüter. Es sind Momente wie diese, die die X-Men-Saga im Allgemeinen und X-MEN 2 im Speziellen von anderen Superheldengeschichten unterscheiden: Ihre Figuren sind keine Superkräftebesitzer mit zwischenmenschlichen Problemen, sondern ihre Superkräfte sind ihre zwischenmenschlichen Probleme. Behutsam und trotzdem deutlich zeigt gerade dieser zweite Teil der Trilogie, dass er den sozialkritischen Subtext der zugrundeliegenden Comicmaterie versteht: Kann jemand, der unveränderlich nicht ins Bild seiner Gesellschaft passt, mit dieser Gesellschaft auskommen? Und sie mit ihm? Wenn ja, wie?

Durch die Machtspiele im Dreieck aus Prof. X, Magneto und Stryker deutet der Film außerdem an, dass auf absehbare Zeit keine endgültige Lösung eines solchen Konfliktes gefunden werden kann, ob nun durch Dialog oder mit Gewalt. Denn schließlich gibt es da ja auch noch "die" Gesellschaft, die genau in der Mitte des Konfliktes steht und nach ihren ganz eigenen Regeln funktioniert. Eine wankelmütige Angelegenheit ist diese Gruppe, sagt uns der Film und symbolisiert sie durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten (Cotter Smith, leider ein Missgriff, der an entscheidender Stelle lieber verwirrt nach der Regie zu schielen scheint anstatt sich in unerträglichen Todesschmerzen zu winden). Der lässt sich nämlich zu Beginn des Filmes ebenso bereitwillig von Stryker manipulieren, wie er sich am Ende von Xavier über die wahren Vorgänge aufklären lässt. Was, wenn also plötzlich Magneto mit einer dritten Meinung ins Oval Office spaziert käme?

Zu diesem eher ernüchternden Ausgang gesellt sich außerdem der Cliffhanger um Jean Grey und ihre sich immer stärker ausprägenden telekinetischen Fähigkeiten, der schließlich zur vollen Entfaltung des "Dark Phoenix"-Handlungsstranges im dritten Teil führt. Dieser dritte Teil jedoch ist ein Thema für sich, und es wäre wünschenswert, über den erst gar keine Rezension schreiben zu müssen… Doch bevor wir uns zwangsläufig mit ihm befassen werden, sei an dieser Stelle noch einmal festgehalten: X-Men 2 ist der Höhepunkt der Kerntrilogie. Eine Fortsetzung seiner erzähl- und filmtechnischen Raffinesse sollte lange und schmerzlich auf sich warten lassen, bis Matthew Vaughn 2011 für X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG auf dem Regiestuhl Platz nahm.

X-MEN: DER LETZTE WIDERSTAND . KATASTROPHE

Ist er wirklich so schlimm? Diese Diskussion führe ich oft, und es gibt ja tatsächlich einige Argumente, die für ihn sprechen. Die akzeptiere ich auch. Aber das ändert trotzdem nichts daran, dass X-MEN: DER LETZTE WIDERSTAND ein undurchdachtes Flickwerk ist, das aus allen Nähten platzt. Ein den ersten beiden Teilen lustlos hinterhergeworfener Kartoffelsack, in dem nicht mal Kartoffeln drin sind, obwohl's außen draufsteht. Liegt es nur am Regiewechsel hin zu Brett Ratner (RED DRAGON)? Das ist schwer zu sagen, kann man doch letztlich immer nur vom Ergebnis aus urteilen. Und da weiß man eigentlich gar nicht so recht, wo man anfangen soll.

Beim geringsten Problem vielleicht. Es ist ja schön und gut und Fanservice, so viele Mutanten wie möglich in einen X-Men-Film zu packen; aber dann doch bitte auch wirklich nur so viele wie möglich! Während Nightcrawler unerklärt verschwindet, taucht nicht weniger unerklärt Dr. Hank McCoy alias Beast auf, den Kelsey Grammer (die englische Stimme Tingeltangel-Bobs aus den SIMPSONS) zwar fachgerecht zum Besten gibt, der aber als Mutantenminister unter dem neuen Präsidenten bei aller offensichtlichen Intention doch dermaßen deplatziert wirkt, als hätte er sich aus der Seesamstraße in den Film verlaufen. Wenigstens gelingt es dem Film, seine Figur ein wenig in den Fokus zu rücken. Alles andere, was die Geschichte an neuen Mutanten auffährt, ist Beiwerk. Es schleicht sich das Gefühl ein, dass Cyclops nicht nur aus Gagegründen einfach aus dem Film herausgeschrieben wurde sondern vor allem, um Platz zu machen für Colossus, Angel (Ben Foster) und Magnetos neue Mutantenbruderschaft, die nun eher einer mormonischen Großfamilie ähnelt. Eine Mutantin vielleicht noch: Kitty Pryde (diesmal Ellen Page). Sie hat die Aufgabe, die von erzwungener Enthaltsamkeit geprägte Beziehung zwischen Rogue und Bobby zu zerrütten, vor allem jedoch ihre Dialoge.

"Habe ich dich jemals unter Druck gesetzt?", fragt Bobby theatralisch; Rogues Antwort: "Du bist ein Kerl, Bobby. Du denkst doch an nichts anderes." Dazu fällt einem vor allem nichts mehr ein. Und da läuft der Film erst ein paar Minuten. Er wird noch gespickt sein mit ähnlich scharfsinnigen drehbuchschreiberischen Höchstleistungen: "Gute und böse Menschen nutzen Macht unterschiedlich." Aha. Mein Favorit jedoch bleibt das Schicksal von Mystique: Das Serum, um das sich der Film (unter vielem anderen) dreht, beraubt sie ihrer Fähigkeiten, nachdem sie sich schützend vor Magneto geworfen hat; sie liegt nackt vor ihm; er dankt es ihr mit den Worten: "Du bist nicht mehr länger eine von uns." Okay, da kann man doch noch viel draus machen. Wofür aber entscheidet sich der Film? Für einen tonlosen Verhörvideoausschnitt, der die entmutierte Mystique zeigt, wie sie fröhlich und freimütig alles über Magnetos Bruderschaft ausplaudert. Kommentar des US-Präsidenten: "Die Rache einer Frau." Geborgter Kommentar Severus Snapes: Man möchte brechen.

Ja, das Antimutantenserum… Darum geht es zunächst mal in diesem Film. Vertrieben von einem bösen Pharmakonzern, gewonnen aus einem unschuldigen Mutantenkind, "heilt" es die Mutanten, indem es sie ihrer Fähigkeiten beraubt. Gesellschaftskritisch? Mitnichten, denn die Einführung dieses Serums macht die Kernproblematik der beiden Vorgängerfilme völlig zunichte. Zwar werden bildgewaltige Großdemonstrationen aufgefahren, die zeigen sollen, wie die Mutantenschar unter Druck gesetzt wird; in Wirklichkeit jedoch wird nichts komplizierter sondern alles banaler, jeder einzelne Mutant reduziert auf die Entscheidung: "Heilung" annehmen oder "Heilung" verweigern? Das ist platt, nach allem, was uns bisher geboten wurde. Nun gut, ein so radikaler Schnitt ist gewagt, er könnte ja durchaus Anerkennung finden. Auch hier könnte man sagen: Das gefällt eben, oder es gefällt nicht. Wirklich problematisch ist jedoch, dass nach dieser Radikalität am Ende des Films wieder hastig zurückgerudert wird: Magneto, letztlich doch Opfer eines Serumpfeils geworden und eigentlich "entmutiert", darf plötzlich mit entschlossenem Blick doch wieder eine Metallschachfigur verschieben. Das sagt mir vor allem eins: Nix passiert!

Dafür jedoch ist in diesem Film eine ganze Menge passiert! Nicht nur das Schicksal von Prof. X (das natürlich nach dem Abspann in einer abermaligen 180-Gradwendung wieder umgeworfen wird) hat einen da schon beschäftigt, sondern auch die bereits angedeutete Beziehungskrise (oder nennen wir es Krisenbeziehung?) zwischen Rogue und Bobby: In einer Kurzschlussreaktion, die der Film uns vor allem durch Rogues angestrengtes Gesicht als ausgewogen zu verkaufen versucht, legt sie eine Entscheidung hin, die selbst Bella aus der TWILIGHT-Saga erwachsen und besonnen wirken lässt, und unterzieht sich der Heilung, um mit Bobby Sex haben zu können und somit persönlich den ganzen Müll zu bestätigen, den sie vorher verzapft hat (s.o.). Insofern passen die vorhin ausgeführten Dialoge wunderbar zum neuen Ton des Films und torpedieren alles, was die Teile 1 und 2 aus- und starkgemacht hat. Was bleibt, sind plumpe Gemeinplätzchen und leidende Schauspielermienen.

Der einzige Lichtblick ist die filmische Umsetzung des "Dark Phoenix"-Handlungsstranges aus der Comicvorlage, in dem Jean Greys jahrelang unterdrückte zweite Persönlichkeit an die Oberfläche drängt und mit ihren Kräften, denen selbst die mächtigsten Mutanten nichts entgegensetzen können, die gesamte Menschheit bedroht. Famke Janssen macht das großartig. Und hätte sich X-MEN: DER LETZTE WIDERSTAND darauf konzentriert, er hätte grandios werden können. Auch diese Geschichte mag dramatisch sein, da letztlich ausgerechnet Wolverine, der sie liebt, der einzige ist, der Jean aufhalten kann. Wenn sich das jedoch nach "zu viel" anfühlt, liegt das lediglich am pseudotragischen Seifenoperstil (mit entsprechender Musik), der das überfrachtete Gesamtmachwerk durchweht, das dieser Film darstellt. Der einzige wirklich passende Lacher, der uns gewehrt wird: Magnetos Kommentar, nachdem er die Golden Gate Bridge aus den Angeln gehoben hat, um sie krachend als Landverbindung zu Alcatraz in Position zu bringen: "Charles wollte doch immer Brücken bauen."

Im Gedächtnis bleibt ein Film, aus dem man mindestens drei hätte machen können: einen über Jean Grey, einen über Magnetos letztes Aufgebot und einen (wenn's denn unbedingt hätte sein müssen) über das gottverdammte Serum. Darin wären dann aber noch nicht einmal angemessene Verarbeitungen von tendentiell vielversprechenden Handlungssträngen wie denen Pyros oder Nightcrawlers enthalten. X-MEN: DER LETZTE WIDERSTAND will zu viel und traut sich zu wenig. Mit dieser Einstellung musste das Franchise dann leider auch noch durch den etwas ansehnlicheren, wenn auch erzähltechnisch ebenso verkorksten ORIGINS: WOLVERINE torkeln, der es immerhin schafft, irgendwie mit der Geschichte von Logans Vergangenheit aufzuräumen. Zu hoffen bleibt, dass FIRST CLASS, sollte er tatsächlich eine Prequeltrilogie begründen, ausreichend Schwung auf seine Nachfolger übertragen kann. Denn in James McAvoy (DER LETZTE KÖNIG VON SCHOTTLAND) und Michael Fassbender (INGLOURIOUS BASTERDS) als jüngere Versionen von Charles Xavier und Erik Lensherr hat er schauspielerisch ein ebenso hohes Potential wie die ersten Filme. Bleibt zu hoffen, dass dem Produktionsteam diesmal kurz vorm Ziel nicht schon wieder die Puste ausgeht!

DVD.
An der optischen Qualität ist nichts auszusetzen, außer vielleicht, dass sie selbst die schlechteren Spezialeffekte deutlich betont (vor allem im ersten Teil, aber auch der brechendem Staudamm in Teil 2 macht sich dadurch nicht gerade besser). Der Sound ist ausgewogen zwischen Dialogen und Explosionen. Was die Extras angeht, ist die DVD zum ersten Teil definitiv am besten bestückt, wo die anderen beiden lediglich mit den üblichen trockenen Audiokommentare aufwarten. Vor allem aber hätte man sich eine ansprechendere Aufmachung wünschen können: eine schlabberige Dreier-DVD-Packung im Pappschieber, die DVDs selbst nicht in einheitlicher Optik. Ein wenig lieblos. Trotzdem: Wer die Kerntrilogie der X-Men-Saga praktisch als Gesamtpaket erwerben möchte, kann hiermit nichts verkehrt machen.








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