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Man weiß ja erst einmal überhaupt nicht, was man schreiben soll. Ist nicht alles schon gesagt? Die PR-Maschine für Tarantinos neuesten Film läuft seit einem Jahr auf Hochtouren. Die Dreharbeiten in Brandenburg, die Parties in Berlin, die privaten Screenings in Potsdam, für die Babelsberger Praktikanten im Kreuzberger Videodrom Quentins Wunschliste abarbeiten mussten; dann die lauwarme Reaktion auf den fertigen Film in Cannes, die schlappen Trailer, die Gerüchte um einen Umschnitt, den Produzent Weinstein angeordnet hätte und schließlich die pompöse Berlin-Premiere. Ja, und dann ist er da, der Film. Und die gute Nachricht ist: INGLOURIOUS BASTERDS ist eine Überraschung. Er ist überhaupt nicht das, was irgendjemand erwartet hat. Er ist kein Remake vom Castellaris Söldnerknaller von 1977, mit dem er einzig und allein den Titel gemein hat (und selbst den hat Tarantino "bastardisiert"), er ist auch keine Hommage an Landseraction wie DAS DRECKIGE DUTZEND, oh nein, INGLOURIOUS BASTERDS ist überhaupt kein Actionfilm. Was wir hier sehen, ist Schauspielerkino, auf der narrativen Ebene geteilt in fünf größtenteils kammerspielartige Vignetten, die Tarantino "Kapitel" nennt. Was paßt, denn sein Film beginnt mit der Prämisse "Es war einmal", und seine Widerstandsgeschichte im besetzten Frankreich des Zweiten Weltkriegs ist genau das: Ein Märchen.
Nach dem Vorspann, in dem Tarantino sich noch nicht einmal für einen "coolen" Schriftsatz entscheiden kann, sondern gleich ein halbes Dutzend verbraten muß, macht der Film bereits eine Vollbremsung: In einer viertelstündigen Sequenz besucht der charmant-dämonische "Judenjäger" Hans Landa (Christoph Waltz) einen französischen Bauern, bei dem er untergetauchte Juden vermutet. Diese Szene ist bereits über den grünen Klee gelobt worden, und das völlig zu Recht. Sie gehört in ihrer unnachgiebigen Spannung, mit ihrem exzellent geschriebenen Dialog nicht nur zu Tarantinos besten Arbeiten, sondern zu den aufregendsten Kinomomenten der letzten Jahre. Auch wenn der Film diese Form danach nicht wieder erreicht, ist der Startschuß gefallen für eine Ansammlung mitunter brillanter Momente, in denen es Tarantino - und das ist das Grandiose an diesem Film - vor allem um seine Figuren geht. Und das sind erfreulich vielschichtige Figuren: Die Widerstandskämpferin (Mélanie Laurent), die den Nazi-Führungskader in ihrem Kino bei einer Premiere zu verbrennen gedenkt, ist verbissen und kalt; der deutsche Soldat und Nationalheld Frederick (Daniel Brühl) ist so ambivalent, daß man bis zum Schluß nicht weiß, in welche Richtung er schwenken wird; August Diehl als unnachgiebiger Gestapo-Mann verängstigt mit seinem schleichenden Wahn und Sadismus, Sylvester Groth ist unglaublich komisch als Goebbels, und über allem steht natürlich Waltz, der große Freude an seiner farbenfrohen, detailreichen Rolle und diese auch mit allen nur denkbaren Nuancen ausstattet. Ausgerechnet die titelgebenden "Basterds", die Söldnertruppe amerikanischer Juden rund um Brad Pitt, bleibt blass. Das sind tumbe Typen ohne jede Charakterisierung mit der unerträglichen Hackfresse Eli Roth im Mittelpunkt; neben diesem Ami-Proll ist es ausgerechnet Til Schweiger, der wenigstens zum Schmunzeln einlädt und auch als Einziger eine wüste Backstory geschenkt bekommt. Die "Basterds" sind das schwächste Element in dieser Kollektion reicher Figuren. Und sie sind eh nur Nebensache.
Da es in dieser Plotte keine Hauptfigur gibt, muß man auf den Mann zu sprechen kommen, der ohnehin der selling point dieses Film ist: Quentin Tarantino selbst. Nach seinen letzten zwei mißlungenen Filmen hält sich der redselige Filmemacher erstaunlich mit Mätzchen zurück. Die wenigen "typischen" Tarantino-Momente wie etwa die seltenen Freeze Frames mit Namenseinblendungen wirken hier wie Störfaktoren; als würde der Mann sich selbst noch nicht so recht über den Weg trauen. Als würde er rufen: "Hey, keine Sorge, jaja, das ist ein Film von mir." Die Hommagen sind aufgesetzt (schon nach 20 Minuten muß Fords THE SEARCHERS ohne Sinnzusammenhang dran glauben), die Insiderwitze nerdig (Eli Roth darf sich als "Antonio Margheriti" vorstellen - der Name eines der profiliertesten Italoknaller-Regisseure) und die Musikauswahl planlos. Es ist ja schön, daß Tarantino ein Herz für unbekanntere Filmmusiken hat und ja, auch ich mag Morricones "Un Amico" aus REVOLVER sehr. Aber muß man die eigene Plattensammlung in einem Spielfilm so penetrant zur Schau stellen? Der gewollt krasse Stilbruch mit David Bowies CAT PEOPLE-Song "Putting Out Fire" lädt in seiner Plattheit zum Fremdschämen ein. Aber jenseits dieser Mißgriffe stellt sich Tarantino als Regisseur komplett in den Dienst seiner Figuren. Seine langen, vielen Zuschauern zu langen Dialogszenen sind teilweise ohne erkennbare Handschrift inszeniert - zumindest in der Kellerkneipensequenz hätte ich mir ein paar Verdichtungen gewünscht - weil nichts ablenken soll von diesen großartigen deutschen und österreichischen Schauspielern (mal abgesehen von der unterirdischen Diane Kruger, die nicht mehr deutsch sprechen kann, höchstens mit französischem oder auch mal amerikanischem Akzent) und diesen ausgefeilten, von Tom Tykwer brillant übersetzten Dialogen. Das mag den einen oder anderen vor den Kopf stoßen, aber das sind vor allem diejenigen, die Tarantino eher über seine Epigonen begreifen denn über seine eigenen Filme. Denn das ist immer noch der Regisseur von JACKIE BROWN.
Derlei Zurückhaltung sorgt immerhin dafür, daß der Einsatz filmischer Stilmittel noch eine Bedeutung hat. Haben Regisseure wie Michael Bay mit ihrer Holzhammerregie ein sinnfreies Dauerfeuer zu ihrer Maxime gemacht, hat eine Zeitlupe bei Tarantino tatsächlich noch eine Bedeutung. Wir sehen hier einem Mann zu, der das Kino liebt. Er liebt nicht uns, sein Publikum. Ihm ist es egal, daß die Leute - besonders in seinem Heimatland - scharenweise aus einem Film rennen werden, in dem sie dazu gezwungen sind, Untertitel zu lesen, und das einen Großteil des Films lang. Hinter all dem Irrsinn, den Tarantino ausstrahlt, hinter dem bescheuerten Image, das er nach draußen trägt und dem Quatsch, den er erzählt, steckt ein Filmemacher, der noch großen Respekt vor dem Medium hat. Ein Gegenbeispiel liefert er gleich mit: Den Film, den der Führer letztlich bei der Premiere zu sehen bekommt, durfte sein Kumpel Eli Roth drehen, und der hat ganz offensichtlich noch nie einen Film aus den 40er Jahren gesehen. Und sich auch nicht die Mühe gemacht, das nachzuholen. Tarantino hingegen verneigt sich mit BASTERDS vor allem vor der deutschen Filmindustrie, vor Pabst, vor Jannings, aber auch vor Winnetou und Edgar Wallace. Er hat, und daher vielleicht auch die inszenatorische Zurückhaltung, seinen deutschen Film gemacht.
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