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STRAW DOGS - WER GEWALT SÄT (USA 2011)

von Björn Lahrmann

Original Titel. STRAW DOGS
Laufzeit in Minuten. 109

Regie. ROD LURIE
Drehbuch. ROD LURIE
Musik. LARRY GROUPÉ
Kamera. ALIK SAKHAROV
Schnitt. SARAH BOYD
Darsteller. JAMES MARSDEN . KATE BOSWORTH . ALEXANDER SKARSGARD . JAMES WOODS u.a.

Review Datum. 2011-11-30
Kinostart Deutschland. 2011-12-01

Betrachtete man Remakes nicht als Neuinterpretationen, sondern Attacken auf ihre Originale, wären die zwei radikalstmöglichen Angriffsstrategien: Mimikry und Einverleibung. Beides kann eine spannende Angelegenheit sein: Je präziser man einerseits das Original kopiert, desto stärker treten die Unterschiede hervor (siehe Gus Van Sants PSYCHO). Je weniger man andererseits vom Original übrig lässt, desto schärfer zeichnen sich Gemeinsamkeiten ab (siehe Jim McBrides BREATHLESS zu Godards AUSSER ATEM oder, was immer man davon halten mag, Rob Zombies HALLOWEEN).

Schon das Postermotiv weist darauf hin, dass Rod Luries STRAW DOGS es auf Imitation abgesehen hat. Ein gewagter Ansatz in diesem speziellen Fall: Sam Peckinpahs 40 Jahre alter Skandalfilm ist einer von ganz wenigen, dessen Trauma die zwischenzeitliche Zuschauerabhärtung überlebt hat, ein Meisterwerk inhumaner Abscheulichkeit, dem bis heute mit glühendem Hass und wütender Ablehnung begegnet wird. Dabei ist es weniger der gern als Beschwerde vorgebrachte stumpfe Barbarismus, der den Film so nachhaltig unerträglich macht, als die fürchterliche Schlüssigkeit, mit der dieser Barbarismus kultiviert wird: Weil alle Figuren rücksichtslos egozentrische Schweine sind, ist zwangsweise jeder auch Sympathieträger und Verbündeter im Kampf gegen die anderen. Die berüchtigte Vergewaltigungsszene, in der Susan George unentscheidbar zwischen Grauen und heimlichem Genuss schwankt, ist die extremste Ausformung dieses zentralen Affronts.

Obwohl Lurie sicher nicht bewusst vorhatte, den Stoff zu zähmen, wird sein Remake von jeder kreativen Entscheidung, die er fällt, entkräftet. Indem er den Plot - Großstadtpärchen bekommt es in der Provinzheimathölle der Frau mit Säufern, Kinderschändern und Exfreunden zu tun - mitsamt üppiger Dialogpassagen szenenfolgengenau übernimmt, setzt er zum Einen auf platte Reproduzierbarkeit des ursprünglichen Eskalations- und Schockeffekts. Zum Anderen kann er es nicht lassen, den bei Peckinpah ungefiltert hervorbrechenden Chauvinismus mit bräsigen Reflexionsmomenten abzufedern: Dass etwa David (vormals Dustin Hoffman, jetzt James Marsden) nicht Mathematiker, sondern Drehbuchautor ist, der gerade einen Stalingradfilm schreibt (foreshadowing!) und mit Amy (Kate Bosworth) eine Schauspielerin geheiratet hat, der er quasi von Berufs wegen die Worte in den Mund legt, lädt sofort zur distanzierenden Patriarchatsmetaphernlektüre ein. Wo dem Original die rohe Triebgewalt in Mark und Bein steckte und jeder intellektuellen Rechtfertigung standhielt, gibt Lurie dem Zuschauer die Möglichkeit, sich mit wissendem Nicken ins boulevardakademische Sicherheitsnetz zu kuscheln.

Auch inszenatorisch ist dem neuen STRAW DOGS jederzeit anzusehen, dass sein Urheber schon mal den Begriff male gaze gehört hat: Überall Spanner! Um für die passende Sleaze-Atmosphäre zu sorgen, ist die Handlung jetzt, statt im schmutziggrauen Cornwall, im schwülen Dampf von Mississippi angesiedelt. Mit superappetitlichen Großaufnahmen von Kate Bosworths verschwitztem Körper wird das Publikum in Komplizenschaft zu Amys späterem Vergewaltiger getrickst, den Alexander Skarsgard als wandelndes Sixpack mit Schlafzimmerblick verkörpert; der Akt selbst ist diesmal eindeutig unerwünscht, sieht dafür aber hübscher aus. Wo die nihilistische Hässlichkeit des Originals jedes einzelne Bild unverhohlen ins Zeichen der Verderbnis stellt, artikuliert sich in der Softporno-Ästhetik der Neufassung der immergleiche postmodern-ironische Bruch zwischen der Fassade und den Abgründen, die dahinter lauern.

In seinem durchsichtigen Konditionierungsversuch des Zuschauers, sich über die eigene Lust zu schämen, erweist sich Lurie als eine Art Pulp-Haneke, bei dem alles Böse als Existenzberechtigung irgendeine diffuse Lektion über die menschliche Natur enthalten muss. Sein Finale ist dementsprechend eine zwar heftige, aber kaum außergewöhnliche Standardübung in Thriller-Katharsis - kein Vergleich zu Peckinpahs erlösungsresistentem Zeitlupen-Furioso, das einem das Adrenalin ins Blut steigen und selbiges zugleich in den Adern gefrieren ließ. Die gefährliche Ambivalenz des Abstoßenden und Erregenden, die das Original seinem Publikum zumutete, weicht im Remake einer schulmäßigen Läuterungslogik: Wer seinen Genuss an der Gewalt nur artig hinterfragt, darf ruhigen Gewissens aus dem Kino spazieren.











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