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X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG (USA 2011)

von Benjamin Hahn

Original Titel. X-MEN: FIRST CLASS
Laufzeit in Minuten. 127

Regie. MATTHEW VAUGHN
Drehbuch. ASHLEY EDWARD MILLER . ZACK STENTZ . JANE GOLDMANN . MATTHEW VAUGHN
Musik. HENRY JACKMAN
Kamera. JOHN MATHIESON
Schnitt. LEE SMITH . EDDIE HAMILTON
Darsteller. JAMES MCAVOY . MICHAEL FASSBENDER . ROSE BYRNE . KEVIN BACON u.a.

Review Datum. 2011-06-01
Kinostart Deutschland. 2011-06-09

Wie viele Zeichen kann man über einen Film schreiben, wenn sich die komplette Kritik auf einen Satz zusammenfassen lässt? Unternehmen wir einen Versuch...

Es war Bryan Singers erster X-MEN-Film aus dem Jahr 2000, der den Anstoß zur heute immer noch andauernden Welle der Comicverfilmungen lieferte. Drei Jahre später dann brachte Singer mit X-MEN 2 ein kleines Meisterwerk ins Kino, das sich mühelos mit dem im Jahr zuvor gelaufenen SPIDER-MAN messen konnte. Doch dann übernahm im Jahr 2006 Bratt Ratner das Steuer und mit ihm kam der qualitative Niedergang der Filmreihe. Während Singer in seinem Ensembledrama um Mutanten mit übermenschlichen Fähigkeiten Schauwerte mit einer soliden Portion Tiefgang verknüpfen konnte, fehlte Ratner das Gespür für eine Ausgeglichenheit zwischen Charakterentwicklung und Action und so verlor er sich zusehends in einem reichlich enttäuschenden Effektgewitter.

Eigentlich hätte das der Todesstoß für weitere mit den X-Men assoziierte Filme sein müssen, doch da ausgerechnet der schlechteste Teil der Reihe der erfolgreichste gewesen war, ließ man die Story um das weltrettende Team von Professor Charles Xavier ein paar Jahre ruhen und konzentrierte sich stattdessen in einem spin-off der Reihe auf einen Einzelcharakter, genauergesagt auf den Publikumsliebling Wolverine, den Rebell und "bad boy" der Truppe. Doch statt den schlechten Eindruck von Ratners X-MEN: DER LETZE WIDERSTAND auszumerzen, stellte der von Gavin Hood gedrehte X-MEN ORIGINS: WOLVERINE schmerzhaft unter Beweis, dass man das Franchise noch weiter ruinieren konnte: lustlos aneinander gepappte Actionszenen, blasse Charaktere und Wendungen aus dem Klischeehandbuch. Entsprechend gering waren dann auch die Erwartungen an das nun anlaufende Sequel X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG und das obwohl mit Matthew Vaughn ein Regisseur verpflichtet worden war, der bereits mit DER STERNWANDERER und KICK-ASS ein gewisses Talent unter Beweis gestellt hatte.

Und ja, Matthew Vaughn gelingt das kleine Wunder mit X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG für all die schlechten X-MEN-Verfilmungen seit Singers Weggang vom Regiestuhl zu entschädigen. Seine Regie (und die Kameraführung von John Mathieson) ist zwar nicht gerade als innovativ zu bezeichnen, aber anders als Ratner gelingt es Vaughn die Charakterentwicklung seiner Figuren mit spannenden Actionszenen (die zwar an und für sich klein sind, aber groß wirken) zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Und gerade diese Ausgeglichenheit ist angesichts der Handlung von immenser Bedeutung, geht es doch in diesem Film um nichts anderes als die existentielle Frage "Wie wurden die X-Men eigentlich die X-Men?".

Vaughns vor dem Hintergrund der Kuba-Krise im Jahr 1962 spielender Film gibt darauf durchaus dramatische, aber immer logische und in sich stimmige Antworten. Egal ob es die von gegenseitiger Bewunderung gekennzeichnete Rivalität zwischen Charles "Professor X" Xavier und Erik "Magneto" Lehnsherr oder die Existenz der Mutantenschule von Xavier ist - kaum eine Wendung wirkt aufgesetzt oder ist nicht logisch und emotional nachvollziehbar. Lediglich die coming-of-age-Geschichte um Mystique und die Biestwerdung von Beast erscheinen ein wenig sehr klischeehaft, machen aber innerhalb der Dramaturgie des Films Sinn und sind damit verzeihlich als kleinere Makel eines unterhaltsamen, spannenden und komplexen Films.

Dass Vaughns gelegentlich so wunderbar in den Sixties eines James Bond schwelgende Verfilmung so überzeugt, verdankt er aber nicht zuletzt auch seinen Darstellern: James McAvoy spielt seinen Charles Xavier mit sichtbarer Freude an der Rolle und legt in seinem Charakter mit einer gewissen Ungezwungenheit und einer Prise Optimismus jene Züge an, die bei Patrick Stewarts Prof. X für eine angenehme Brechung des an sich eher ernsten Charakters sorgten. Ihm zur Seite steht Michael Fassbender als Erik Lehnherr bzw. Magneto, der zwar schon mit seiner Rolle in HUNGER für Furore gesorgt hatte, sich aber spätestens jetzt mit X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG als Kandidat für Hollywoods A-Liste empfohlen haben dürfte.

Ihren Gegenspieler finden die beiden späteren Rivalen in Kevin Bacon, dessen Sebastian Shaw eine konsequente, aber stellenweise immer noch zu stereotype Weiterentwicklung des Typus verrückter Wissenschaftler vor dem Hintergrund der Mutationen ist. Das jedoch kann Bacon durch ganz überzeugende schauspielerische Leistungen wieder wett machen. Er erfindet seinen Forscher mit Gottkomplex zwar nicht wirklich neu, aber seine Interpretation als lässiger Geschäftsmann und Wissenschaftler (die zuweilen an Kevin Spaceys Lex Luthor in SUPERMAN RETURNS erinnert) ist doch recht unterhaltsam und mitunter gar charmant. Wegen des Sebastian Shaw-Charakters lohnt sich übrigens die Sichtung der Originalversion: Bacon spricht teilweise deutsch - zwar radebrechend, aber immerhin grammatikalisch korrekt!

Ein Lob an dieser Stelle auch an die Drehbuchautoren: Obwohl X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG ein Ensembledrama ist, rückt jede Figur für eine angemessene Zeit in den Fokus und obwohl sich der Film eben diese "Ausreißer" leistet, kehrt er zum jeweils perfekten Zeitpunkt immer wieder zu der Dreiecksbeziehung zwischen Shaw, Lehnsherr und Xavier zurück, verliert sich nicht im Gestrüpp der Einzelcharaktere, sondern bewahrt sich eine nahezu perfekte Balance zwischen den kleinen Dramen und dem großen Ganzen.

Nun sind es doch über 5000 Zeichen geworden und dabei ließe sich die gesamte Kritik an X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG eigentlich ganz simpel zusammenfassen: Ein nicht ganz makelloser, aber trotzdem sehr gelungener Film und ein äußerst überzeugender Revitalisierungsversuch für die X-MEN-Reihe. Anschauen lohnt sich!











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