Wie kann etwas so schreckliches nur so schön sein. Der Hungerstreik des IRA-Mannes und Maze-Prison Häftlings Bobby Sands im Jahr 1981 ist das Letzte, was mich als Kinofilm interessiert hätte. Der englische Film- und Videokünstler Steve McQueen hat mit seinem ersten Spielfilm HUNGER ein Monster an poetischer Wucht geschaffen, das der deutsche Verleih nun trotz eigentlich geplanter DVD-Veröffentlichung mit wenig Kopien ins Kino bringt. Zum Glück: HUNGER verliert viel auf dem Bildschirm.
Wie soll man diesen Film beschreiben, der aus zwei fast dialogfreien Kapiteln besteht, die den Rahmen für eine schnittlose Einstellung bilden, in der Bobby Sands einem Priester die Notwendigkeit des Hungerstreiks und seines abzusehenden Todes so bestechend logisch erklärt, dass das man dem folgenden Dahinsiechen innerhalb der Logik des Films nur Respekt zollen kann.
Der IRA-Knast wird als Ort des Schreckens eingeführt. Regelmäßig von den Wärtern misshandelt, fordern die Häftlinge ihren Status als politische Gefangene ein, indem sie sich aus Protest nicht mehr waschen und sich die Haare wachsen lassen. Fäkalien sammeln sich in den Zellen und Fluren. Am Alptraum von erzwungenem Haarschnitt und Wäsche nimmt der Zuschauer abwechselnd aus der Sicht von Gefangenen und prügelnden Wärtern teil. Zwischen den Strafmaßnahmen herrscht endlose Langeweile und Maden kriechen durch den Dreck.
McQueen entschleunigt das Knastleben bis zum nächsten Übergriff der Staatsmacht. Gnadenlos handelt auch die IRA. Ein Gefängniswärter wird vor den Augen seiner dementen Mutter in deren Altenheim hingerichtet. Nach einer Exposition mit wenigen Erklärungen für den Zuschauer fordert Bobby Sands zum Hungerstreik auf. Ein IRA-naher Priester versucht ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Moralische und pragmatische Argumente widerlegt er. Es ist der richtige Zeitpunkt, der richtige Grund und Sands weiß, dass er sterben wird. Diese spektakuläre 20-minütige Diskussion ohne Schnitt und Kamerabewegung wurde vom großartigen Liam Cunningham und dem noch besseren Michael Fassbender viele Wochen lang mehrmals am Tag geprobt. Mit Erfolg: sie lässt den Zuschauer nicht unberührt.
Danach liegt Sands nur noch im Bett und die Zeit bis zu einem Tod wird unendlich langsam. Kleine Gesten begleiten das Sterben. Seine Eltern kommen zu Besuch und ein Pfleger kümmert sich um die aufplatzenden Geschwüre und Druckstellen, die Mangelernährung so mit sich bringt. Duschen und wieder ins Bett. Extreme Tiefenschärfe verkleinert den von Sands wahrgenommenen Radius immer mehr. Kameramann Sean Bobbitt lässt trotzdem keine Spur von Manierismus zu. Die Bildkompositionen sind bis in die Winkel durchdacht, wunderschön und man wundert sich über die in diesem Korsett möglichen Schauspielerleistungen. HUNGER ist eine betörend schöne Meditation über Tod und Unbeirrbarkeit.
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