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UNENDLICHE TIEFEN

Essay.
Das Heimkino im Lichtspielhaus – Eine neue Gefahr für den Filmtheaterbetrieb?
von Matthias Mahr

Heimkino im Lichtspielhaus

Oft schon wurde das Kino für tot erklärt. Beginnend mit der Etablierung von Fernsehgeräten über die Ausweitung von deren Programmgestaltung durch Videotheken und dem im deutschsprachigen Raum relativ spät einsetzenden Boom an Privatsendern bis zur Erfindung der DVD, dank der viele Menschen heute der Meinung sind, zuhause einen vollwertigen Ersatz, genannt Heimkino zu besitzen. Tatsächlich gab es immer wieder Perioden des Kinosterbens. Unbestreitbar hat bei heutigen Filmproduktionen die Zweitauswertung für zuhause einen großen Anteil in der Kalkulation, ob dies nun die DVD zum aktuellen Hollywood-Blockbuster ist, welche die Einnahmen an den Kinokassen mitunter noch überflügeln oder gar die um ein Vielfaches gestreckten Langversionen, die als TV-Miniserien das Budget hiesiger Produktionen auffetten.

Sieht man sich aber die Kinolandschaft zumindest in einer Millionenstadt wie Wien an, bekommt man im Kino ein breites Spektrum angeboten, das fast keine Wünsche offen lässt. Eine große Palette an Lichtspielhäusern, bringt fast alles, was auch in Deutschland an aktuellem Mainstream-Programm praktisch ohne oder nur mit geringer Verzögerung gebracht wird, und fast immer wahlweise auf Deutsch oder in Originalfassung, in ihre Säle. (Nur ganz wenige Perlen wie SHAUN OF THE DEAD fallen ab und an mal durch den Raster.) Programmkinos bieten darüber hinaus jede erdenkliche Vielfalt. Manche führen einen eigenen Verleih mit meist aktuellen Filmen, die (in anderen Ländern nicht oder höchstens tageweise gezeigt) im herkömmlichen Repertoirebetrieb gleich mehrere Wochen in den eigenen Kinos laufen. Filme wie DER TOD DES HERRN LAZARESCU, THE BROWN BUNNY oder (den in Deutschland wesentlich früher gestarteten) KEKEXILI – MOUNTAIN PATROL. Andere wechseln ihr Programm täglich und zeigen vermehrt ältere Raritäten.
Die Besucherzahlen können einen um so manchen Betrieb fürchten lassen, doch mit Subvention (wofür sich solche Kulturvermittler wirklich nicht genieren müssen) oder der Praxis, das Kino mit einem gut gehenden Szene-Lokal zu verbinden, kommen seit Jahren (das letzte größere Kinosterben war gegen Ende der 90er Jahre) alle über die Runden. Mitunter ist auch viel Idealismus und Entbehrung nötig, den Betrieb am Laufen zu halten. Etwa beim ältesten noch bespielten Kino Wiens, den Breitenseer Lichtspielen, gegründet 1905 als Zeltkino, ab 1909 unter Dach. Benachteiligt durch seine Lage in einem Außenbezirk, schert man sich nichts um eine erkennbare Ausrichtung, spielt Corman-Klassiker a'la DEATH RACE 2000 neben aktuellen Dokumentarfilmen aus Österreich wie AUS DER ZEIT und mischt (nicht mehr ganz) neue Blockbuster á la HARRY POTTER darunter. Nach der heurigen Sommerpause startet man mit Stummfilmen mit Live-Klavierbegleitung und Animes in die neue Saison, eine typische Paarung für diesen Betrieb, der mehr als Hobby geführt wird.

Ehrensache ist hier, wie in manch anderen Kinos noch, was menschenmöglich ist auf 35mm- oder zumindest 16mm-Kopien zu zeigen und, wo das nicht geht, zumindest das Medium öffentlich anzugeben. Leider gewähren nicht alle Kinos diese Transparenz. Und bei jenen, die sich da bedeckt halten, verstärkt sich in den letzten Jahren der Eindruck, dass auch ohne Not manch Videoband, manche DVD auf die Leinwand gebeamt wird, weil diese billiger und leichter verfügbar sind. Und das schlimmste an dieser Praxis: Kaum jemand stößt sich daran. Die meisten Leute goutieren, die "Raritäten", die ihnen hier geboten werden und machen da keinen Unterschied. Konditioniert von dem Gedanken, zuhause ja selbst ein Heimkino zu haben, nehmen sie leichter in Kauf, dass auch auswärts das Bild pixeln darf. Zudem kennt man ja nicht erst seit dem dies imitierenden GRINDHOUSE vorwiegend an den Rollenenden verschmutzte Kopien, womöglich noch mit einzelnen Fehlkadern. Manch einer wirft hier Äpfel und Birnen zusammen. Wie oft liest man in Internet-Postings zu DVD-Veröffentlichungen Meldungen wie Die Bildqualität lässt zwar zu wünschen übrig, aber das ist ja bei einem so alten Film normal, auch wenn das nicht von einer verschrammten Theaterkopie, die als Quelle der Abtastung diente, herrührte sondern von einem verrotteten Masterband aus der VHS-Ära.
Dass die meisten Kinos derzeit noch nichtmal state oft he art bei der Videoprojektion sind, verwischt die Grenzen noch weiter. Normalerweise sollte heutzutage bei einem auf Video gedrehten Film, eine dem Ausgangsmaterial adäquate Digitalprojektion möglich sein, in der Praxis fährt man mit einer Faz auf 35mm in so gut wie jedem Wiener Programmkino wesentlich besser. Bei so gut wie jedem in Österreich auf Video gedrehten und für den Kinoeinsatz bestimmten Film werden die zusätzlichen Kosten dafür in Kauf genommen. Das birgt zwar einen enormen konservatorischen Vorteil mit sich, digitale Speichermedien sind weit weniger haltbar und neigen dazu irgendwann mal durch nicht mehr kompatible neue Systeme ersetzt zu werden. Dem Produzenten sind solche Sorgen üblicherweise egal, die Qualität der Projektion zum Glück aber nicht, auch wenn man sich bei diversen Projekten doch auch gewünscht hätte, dass sie erst gar nicht auf DV gedreht worden wären.
So darf man sich nicht wundern, wenn so mancher "Heimkino-Philer" angesichts dieser Umstände die scheinbare Bestätigung verspürt, zuhause echte Kinoqualität zu haben.

Verlassen wir nun die Programmkinos: Ein noch kurioserer Aspekt ist die Kinoauswertung von SLASHER, die nun in Deutschland wie Österreich vor der Tür steht. Nichts gegen Herrn Montag persönlich: Es ist natürlich jedem unbenommen, seine Freizeit zu verbringen, wie er das möchte. Ein Projekt wie das Seine ist als Hobby durchaus ambitioniert und aufwändig. Bislang versuchte man aber solche Gore-Epen höchstens als Videokassetten bei einschlägigen Börsen und im Versandhandel an ein Publikum zu bringen, das auch durchaus bekam, was es wollte. Heutzutage bietet sich dafür, finanzieller Gewinn ist da ohnedies in den seltensten Fällen angepeilt, noch You Tube als Möglichkeit an. Warum der Fall hier nun aber eine ganz andere Qualität hat, man bei ihm andere Maßstäbe setzen muss, ist eben der Umstand, dass SLASHER einen regulären Kinostart kriegt. Wenn man bedenkt, wie unwahrscheinlich das bei Titeln wie THE THREE BURIALS OF MELQUIADES ESTRADA oder EXILED scheint, kann man schon ob der Ungerechtigkeit eine Krise kriegen. Selbstredend ist dieser Vergleich etwas unfair, SLASHER nimmt solchen Filmen keinen Platz im Kinosaal weg, einfach weil er wegen billiger (Video-) Kopienanfertigung und vor allem kulanter Verleihkonditionen ein weit geringeres finanzielles Risiko bringt als der Start eines professionellen Films. Andererseits ist ein österreichweiter Start mit 5 Kopien (glaubt man der OFDb) alles andere als ein Pappenstiel, viele professionellere heimische Produktionen, die ohne große Namen auskommen, laufen mit weniger an. Das Schlimmste hier aber ist, dass ein guter Teil des Publikums, das nicht so genau Bescheid weiß, was es hier erwartet, sich kräftig verarscht vorkommen muss. Wenn die Praxis, solche Amateurwerke ohne jegliche Nachbearbeitung einfach ins Kino zu werfen, Schule macht, wird auch die technische Nachrüstung der Videobeamer (in der Hinsicht kann man den Multiplexen, die SLASHER bringen, keine Versäumnisse vorwerfen), keine Verbesserung der Lage bringen. So mancher wird sich hier (zu Recht) wohl endlich verarscht vorkommen.

Es ist davon auszugehen, dass obige Beobachtungen sich nicht nur auf Wien beschränken, auch da oder dort in Deutschland vorzufinden sind. Ob Programmkino oder Multiplexx, die Reaktion des einzelnen Konsumenten muss aber die Gleiche bleiben: Den Ärger nicht einfach runterschlucken und sich schon gar nicht weismachen lassen, dass es besser halt nicht möglich ist. Zumindest höflich anregen, beim Kassier, beim Vorführer, im Optimalfall beim Chef des Hauses, künftig doch besser zu informieren was denn da vorgeführt wird. Es ist schon wichtig, dass die Verantwortlichen wissen, dass dies nicht jedem egal ist. Wenn alles nichts hilft, bleibt im Wiederholungsfall halt nur noch, betreffendes Kino zu boykottieren.
Ob diese Praxis nun denn doch das endgültige Ende des Kinos einläutet? Mit Sicherheit nicht. Aber wenn sich niemand dagegen wehrt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Qualität, die einem wichtig ist, einmal auf der Strecke bleibt.




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