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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
13. Japan Filmfest Hamburg
von Alexander Karenovics

13. Japan Filmfest Hamburg

Fukushima ist überall. Ob nun aus politischer, wirtschaftlicher oder ökologischer Warte betrachtet, die Dreifach-Katastrophe vom 11. März hat einen globalen Fußabdruck hinterlassen. Aber das Leben geht weiter. Auch auf der Leinwand; das cholerische Wunderkind Shion Sono beispielsweise hat sein letztes Werk HIMIZU spontan um ein paar biographisch angehauchte Wahrnehmungen vom atomaren Trauma bereichert. Auch Hamburg macht dieses Jahr Fukushima zum Thema: gleich dreimal haben die fleißigen Jungs und Mädels vom Nihon Media Team sich in die evakuierte Zone vorgewagt und Erinnerungen geborgen, um jetzt, beim 13. Japan Filmfest Hamburg, uns daran teilhaben zu lassen. Sei es nun als Terror-Thriller im Blockbuster-Gewand (BLACK DAWN), als spirituell angehauchtes Drama über einen gescheiterten Geschäftsmann, der mit reinkarnierten Mitgliedern seiner verstorbenen Familie einen Neuanfang wagt (A GENTLE RAIN FALLS FOR FUKUSHIMA), oder dokumentarischer Blick (RADIOACTIVISTS) auf eine neu aufkeimende Kultur des Ungehorsams; höchste Zeit: das letzte Mal, als Japan geschlossen auf die Straße marschierte, war Anfang der 60er, als die Regierung den Vertrag zur gegenseitigen Sicherheit und Kooperation mit den Vereinigten Staaten unterschrieb.

Das JFFH muß sich nicht hinter dem rosarotem Rücken der größeren Nippon Connection verstecken, hat sich längst als Event mit individuellem Appeal emanzipiert. Als größte Herausforderung entpuppt sich übrigens weniger die Suche nach einer möglichst zentral gelegenen (und bezahlbaren) Unterkunft, als der Versuch, das reichhaltige Programm mit persönlichen Vorlieben und Prioritäten abzugleichen. Festival-Junkies wissen jedoch längst, daß diese Vorbereitungsphase im Grunde die schönste ist: ohne schwere Entscheidungen wäre der Triumph, eine wahre Perle entdeckt zu haben, nur halb so groß.

Zwei der herausragendsten GODZILLA-Filme der Heisei-Ära in glorreichem 35 mm auf der großen Leinwand zu sehen, ist natürlich ein Erlebnis für sich. Als besonderer Geheimtip für exzentrische (und vor allem einmalige) Funde dürfte sich einmal mehr der "Osaka"-Fokus erweisen, welcher frisch von der Osaka University of Arts gefallenen Filmstudenten eine Plattform bietet, ihr Können erstmals einem größeren Publikum zu präsentieren. Hier darf auch Takashi Miike nicht fehlen, der natürlich niemandem mehr was beweisen muß, aber in Osaka aufgewachsen ist und in seinen Filmen wieder und wieder an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt. Sein Cannes-Beitrag HARA-KIRI: DEATH OF A SAMURAI, ein Remake des 62er Klassikers von Masaki Kobayashi, hat es bis nach Hamburg geschafft. Und wenn Shion Sono mit seiner jüngsten Epiphanie GUILTY OF ROMANCE einmal mehr unsere Moralvorstellungen von Grund auf umpflügt, dürfen wir sicher sein, den Kinosaal als andere Menschen zu verlassen; geläutert oder gebrochen - das ist die Frage.

Was? Keinen Bock auf alte Schinken und prätentiösen Arthouse-Schnickschnack, und Miike ist sowieso überbewertet? Kein Problem; spätestens wenn furzende Schulmädchen sich der Toilette entsprungenen Zombie-Horden erwehren, dürftet auch ihr auf eure Kosten kommen. Ja, MACHINE GIRL-Schöpfer Noboru Iguchi ist mit am Start und liefert einmal mehr den Beweis, daß er keinen Deut erwachsen geworden ist. Wäre ja auch zu schade. Oder ihr gönnt euch eine kleine Auszeit vom Filme-gucken und faltet 1000 Kraniche im Origami-Workshop, auf das euch die Götter einen Wunsch erfüllen.

So oder so: es gibt viel zu entdecken. Mein Kranich und ich wünschen sich viele spannende, aufregende, und bewegende Erfahrungen.

Mehr auf jffh.de


Wir werden euch täglich auf dem Laufenden halten - Hier an dieser Stelle!

2012-07-13
HANA NO FUKURO: BLUMENSCHACHTEL
Kurzreview. HANA NO FUKURO: BLUMENSCHACHTEL (Japan 2008) Direktlink
Kaum zu glauben, aber selbst Japaner kochen hin und wieder nur mit Wasser ... einen 148-Minuten Film über die wankelmütige Teenager-Liebe zu drehen ist ein wagemutiges Unterfangen. Vor allem wenn man sich dermaßen in alle Richtungen ausbreitet wie Akihiro Toda in seinem ziellos dahinplätschernden Highschool-Drama BLUMENSCHACHTEL. Dabei kann in Japan man das eigentlich recht gut - Filme drehen, in denen es um gar nichts geht, die aber trotzdem irgendwie die Zeit rumkriegen. "Coming of Age" lautet der Euphemismus für das Genre, und warum funktioniert das in Referenztiteln wie TENNEN KOKEKKO: A GENTLE BREEZE IN THE VILLAGE und LINDA LINDA LINDA so prächtig? Weil der Zeitrahmen in Sichtweite abgesteckt ist; es gilt einen Lebensabschnitt zu bewältigen, die Charaktere haben ein Ziel vor Augen.

In TENNEN KOKEKKO ist es das Ende der Sommerferien, bevor die Oberschule ihre Pforten öffnet, in LINDA LINDA LINDA müssen die Mädels rechtzeitig zum alljährlichen Schulfest ein Musikstück bühnenreif einstudieren. HANA NO FUKURO hingegen eiert so durch die Jahreszeiten, mal rechts, mal links: erste Sehnsucht, Schmetterlinge, trotzige Tränchen, heimlich weitergereichte Briefe im Klassenzimmer - kennt man alles, versteht man, dafür braucht man im Abi keine zweite Fremdsprache belegt haben. Und natürlich Kirschblüten soweit das Auge reicht. Und was im Frühling noch wichtig war, ist im Sommer bereits Schnee vom letzten Herbst: so rasch und unvermittelt, wie unsere jugendlichen Identifikationsfiguren ihre Vorlieben und Ansichten ändern, geht auch unser Interesse an den kleinen Dramen und Freuden des alltäglichen Lebens flöten. Und irgendwann ist es halt vorbei (hätte aber genausogut nochmal so lange weiterlaufen können - gewünscht hätten wir's uns nicht). Schön anzusehen ist das allemal; Toda weiß, daß er da auf Zelluloid filmt und nicht für die klaustrophobische Mattscheibe. Umso bedauerlicher, wenn uns dabei irgendwann die Äuglein zufallen und sanfter Schlummer weit hinfort treibt; immerhin ruhen wir wie auf Blumen gebettet, und das ist immer noch erholsamer, als aufrecht im Kinosessel wegzudösen ...


2012-07-13
PIRANHA
Kurzreview. PIRANHA (Japan 2011) Direktlink
Haruo Aoyagi war Lehrer bevor er wegen angeblicher sexueller Belästigung einer Schülerin seine Anstellung verlor. Jetzt plant er seine Rache: er will Piranhas im Dorfteich aussetzen und den Schulleiter und seinen Stellvertreter dort hineinlocken. Die stotternde Kellnerin Natsu (die eigentlich ein Auge auf den süßen Bento-Verkäufer geworfen hat) hilft ihm bei seinem Vorhaben; zwischen den beiden beginnt eine zarte Romanze Blüten zu schlagen.

Während mit dem Video-Boom in den 80ern der Prozentsatz an gehaltvoller Pornographie allerorten zu einer rasanten Talfahrt ansetzte, hat Japan sich seit den 60ern bis zum heutigen Tage als letztes Land so etwas wie eine Porno-Kultur bewahrt, welche parallel zur eingleisigen AV(Adult-Video)-Schiene ihr Plätzchen hartnäckig verteidigt; auch wenn in den Pinku Eiga-Studios aufwendige 35mm-Produktionen mittlerweile ausgestorben sind und vom flexibleren Digital-Format abgelöst wurden, darf hier der Sexfilm noch Geschichten erzählen, darf subversiv sein, politisch, spannend, romantisch, witzig, ohne deswegen gleich mit dem prätentiösen Arthouse-Prädikat hausieren zu gehen.

Die Piranhas in Kishu Izuchis pinker Tragikomödie leben nicht lange; die gehören nämlich in Süßwasser-Gefilde. Ohne Zuckerguss, dafür umso pikanter geht's auf zwischenmenschlicher Ebene weiter: neben expliziten Einblicken in die Vorzüge weiblicher Anatomie kommt die Kamera den Protagonisten auch auf emotionaler Ebene näher. Und am Ende entpuppt sich mal wieder die Liebe als der hungrigste Raubfisch von allen ...


2012-07-13
CHILDREN WHO CHASE LOST VOICES FROM DEEP BELOW
Kurzreview. CHILDREN WHO CHASE LOST VOICES FROM DEEP BELOW (Japan 2011) Direktlink
Da versucht einer, den Miyazaki-Code zu knacken ... mit CHILDREN WHO CHASE LOST VOICES FROM DEEP BELOW legt Anime-Künstler Makoto Shinkai sein Bewerbungsschreiben für ein warmes Plätzchen im Ghibli-Olymp vor. Die Kern-Themen hat er gut verstanden: ein bißchen Mystery, ein bißchen japanischer Alltagstrott, ein bißchen Epos, abgeschmeckt mit einer Portion kultureller Exploitation: im vorliegenden Werk häufen sich Motive aus der mittel- und südamerikanischen Geschichte, der Götter- und Sagenwelt der Inkas, Maya und Azteken. Dabei geizt er nicht mit Schockeffekten: verstörende Traumsequenzen, blutige Verletzungen; beileibe kein Horror, aber doch mehr MONONOKE als ARRIETTY. Ein großes Abenteuer für die ganze Familie sollte dabei herauskommen - für Shinkai durchaus Neuland: seine New Age-angereicherten Coming of Age-Meditationen waren bislang eher was für Filmfans, die jeden Abend vorm Schlafengehen zum großen Oshii beten, und HARUHI SUZUMIYA neben Friedrich Nietzsche einsortieren (und daran gar nicht mal so unrecht tun). Individualität blitzt in der visuellen Gestaltung durch: der photorealistische Detailgrad von Naturphänomenen zeugt von feiner Beobachtungsgabe, keiner malt schönere Lens Flares als Makoto Shinkai.

Nur was Charakterentwicklung angeht, besteht Nachhilfebedarf: Shinkais Frauenbild ist antiquiert, bedient Klischees; Mädchen sind schüchtern, zerbrechlich, müssen beschützt werden und erröten bei jeder Kleinigkeit, lassen lediglich bei haushälterischen Tätigkeiten Selbständigkeit durchblicken, während die Ghibli-Girls längst ihren eigenen Kopf haben dürfen und diesen auch entsprechend hoch tragen. Das Ergebnis ist eine absolut passive Heroine, die vom Regen in die Traufe stolpert und stets auf tapfere Männer angewiesen ist, die zu ihrer Rettung eilen (und dies auch tun) ... nur wenn wir uns Herausforderungen selber stellen, können wir daran wachsen, und keiner hat das besser verstanden als die herzensgute KIKI (nach wie vor mein ungeschlagener Ghibli-Favorit).


2012-06-15
HARA-KIRI: DEATH OF A SAMURAI
Kurzreview. HARA-KIRI: DEATH OF A SAMURAI (Japan/Großbritannien 2011) Direktlink
Ich stelle mal die gewagte These auf, daß Takashi Miike nichts von seinem aufregenden Pioniergeist verloren hat, und immer noch dieselben Filme dreht, für die wir ihn Anfang des Jahrtausends abgefeiert haben. Er hat lediglich sein Genre-Repertoire erweitert, und so jetzt die Gelegenheit, eine größere Zielgruppe mit seinem rebellischen Funken zu entfachen.

Die Vorlage von 1962 ist First Class-Material für einen, der gerne querschießt; Masaki Kobayashi wagte bereits damals, den Begriff von der unerschütterlichen Samurai-Ehre aufzuweichen und ein Szenario zu kreieren, welches den Zuschauer in seinem moralischen Urteilsvermögen zwischen die Stühle purzeln lässt. Miike hält sich in seinem Remake weitgehend an das Originalskript, der titelgebende rituelle Suizid sorgte beim Hamburg-Screening aufgrund seiner schonungslosen Darstellung für einige Walkouts (die Kamera scheint uns schier nicht erlösen zu wollen), danach nimmt er sich jedoch umso mehr Zeit, eindringlich darüber zu berichten, was einen bereits leidenden Menschen dazu antreibt, sich solch unirdischen Schmerz aufzubürden. HARA-KIRI gehört zu Miikes emotional involvierendsten Werken; ein bewegendes Period-Drama, welches gänzlich von der Darstellung seiner starken Charaktere lebt und auf ironische Brechung und Effektgewitter verzichtet. Am Ende löst er sich dann von der Vorlage und überrascht (statt einem generischen Showdown) mit einer Antiklimax, welche jedoch aus retrospektiver Warte betrachtet das Original an Wucht und Bedeutung noch übertrifft.


2012-06-11
GETAWAY
Kurzreview. GETAWAY (Japan 2010) Direktlink
Yuji, ein überforderderter Angestellter einer Elektronikfirma, will sich als Schriftsteller verwirklichen, träumt vom großen Durchbruch beim Literaten-Wettbewerb; keine leichte Aufgabe in einer Gesellschaft, in der man mit seiner Unterschrift auf dem Arbeitsvertrag zugleich in eine Zwangsehe mit dem Firmenchef einwilligt. Auf einmal geschehen merkwürdige Dinge: die Charaktere aus Yujis Roman machen sich selbständig, eine Gruppe fanatischer Ukulelenspieler ist ihm auf den Fersen, er rennt und rennt, vom Regen in die Traufe, in einem Maid-Hostessen-Betrieb seiner Kleidung beraubt, mit Arschtritt in den Rinnstein. Und warum sind eigentlich der Samurai, ein Ninja-Girl, und sein Chef (der ihn mit seiner transsexuellen Tochter vermählen will) hinter seinem Skript her?

Nonsens mit Methode, oder die Kunst, mit einem kaum nennenswertem Budget trotzdem keine Kompromisse einzugehen. An Flucht ist nicht zu denken: GETAWAY fesselt uns mit Tempo, mutigen Darstellern und einem ausweglosen Szenario, bei dem wohl der Herr Möbius Pate gestanden hat. Infantil, subversiv, atemlos.


2012-06-07
MINOMAN
Kurzreview. MINOMAN (Japan 2007) Direktlink
Minoman ist das klemmende Rädchen in einem kleinen Handwerker-Betrieb. Ein in sich verschlossener Typ, der nicht immer alles richtig macht, von seinen Kollegen gemobbt wird und bis auf die kranke Mutter keine sozialen Kontakte pflegt. Erst in seinen ausufernden Tagträumen blüht er auf, wenn er als Super-Samurai das hübsche Fräulein aus der Verwaltung vor fiesen Wegelagerern beschützt.

In seinem ersten Film hat Schauspieler Takeshi Irie zugleich die Hauptrolle übernommen. Als Veteran der Samurai-Schwertkunst und mit Schwarzgurt in Karate kann er sich ganz auf seine Physis verlassen, muß keine behelfsmäßigen Kompromisse eingehen; die Duelle sehen aus wie bei den Großen. Leider ist er dann beim Endschnitt doch in die Adobe Premiere Anfänger-Falle getappt, wenn er nämlich arg an Sättigungs-/Farbpaletten-Rädchen rumdreht und Szenenübergänge mit flashigen Überblend-Effekten zukleistert. Weniger wäre mehr gewesen. Am interessantesten ist in MINOMAN nämlich nicht die Form, sondern wie Irie die Grenzen zwischen den Welten zunehmend aufweicht: ist der Samurai nur ein Konstrukt in der Vorstellung des Losers Minoman, auf den dieser seine Vergeltungsphantasien projezieren kann, oder gar das feudale Japan die reale Ebene, und Minoman ein Dämon, der den tapferen Krieger ins Straucheln bringen will? Sympathisches Debüt, welches eine kleine goldene Idee in 53 Minuten auch nicht länger auswalzt als notwendig.


2012-05-30
ABOUT THE PINK SKY
Kurzreview. ABOUT THE PINK SKY (Japan 2011) Direktlink
Izumi hat ihren eigenen trotzigen Teenager-Kopf, ignoriert gerne mal Ratschläge, die der rationale Part ihres Gehirns ihr zuflüstert. So auch, als sie auf der Straße eine Geldbörse mit 300000 Yen findet. Anstatt es bei der städtischen Fundstelle abzugeben, leiht sie einem abgebrannten Bekannten 100000 und verschleudert den Rest mit ihren Freundinnen. Als dann doch das schlechte Gewissen anklopft (und eigentlich sieht der Junge auf dem Ausweisphoto ja auch ganz süß aus) und die drei Mädchen an der Haustür des Eigentümers klingen, wartet eine Überraschung: der süße Oberschüler hatte das Geld selbst gestohlen. Wer hat jetzt eigentlich wen in der Hand?

ABOUT THE PINK SKY ist einer von den raren Glückstreffern, die man zwischen zwischen Sono und Miike en passant mitnehmen wollte, und sich im Nachhinein als Highlight entpuppten. In seinem Heimatland hat die sensationell gespielte Coming of Age-Tragikomödie bereits Preise abgesahnt, von mir bekommt sie den ganz persönlichen Best of JFFH-Award. Ohne Soundtrack, in schwarz-weiß, aber mit talentierten Newcomern besetzt, begeistert der Indie-Flick durch peppige Dialoge und ausbalancierten emotionalen Content. ABOUT THE PINK SKY ist kein Film, bei dem jede Szene so lange wiederholt wird, bis Gesten und Worte exakt den Vorstellungen des Regisseurs genügen; Authentizität und Spontaneität sind die Zauberworte: in langen Einstellungen und noch längeren Tracking Shots tun die drei Mädels all das, was wir tun, wenn wir uns unbeobachtet fühlen: an der Nase kratzen, Grimassen ziehen oder sich dumm anstellen beim Schuhe zubinden. Dialoge sind witzig und temporeich, werden in Halbtotalen ausgespielt, und wenn eine Träne fließt, ist das mindestens so ansteckend wie ein herzliches Lachen.

Keiichi Kobayashis beeindruckendes Debüt lief in der Arthouse-Reihe, was ihn jedoch, trotz b/w-Cinematographie, nicht wichtiger oder (Gott behüte) "künstlerischer" (schreckliches Wort, sorry) macht als andere Filme, die einfach nur, so gut es geht, eine mitreißende Geschichte erzählen wollen. Wenn dann noch formale und technische Details überzeugen: Jackpot! ABOUT THE PINK SKY ist vielleicht nicht der farbenprächtigste Film des Festivals, und trotz beschwingter Erzählweise wirkt der Alltag von Izumi und ihren Freundinnen alles andere als rosarot (welcher Teenager würde das schon von seinem Leben behaupten ...), aber mit Sicherheit ein Kandidat für den kunterbuntesten.


2012-05-28
SCHOOLGIRL APOCALYPSE
Kurzreview. SCHOOLGIRL APOCALYPSE (Japan 2011) Direktlink
Ausgerechnet ein amerikanischer Regisseur wagt die überfällige Abrechnung mit einem Genre, welches mit grotesk übersteigerten Fetisch-Visionen primär westliche Klischee-Vorstellungen bedienen soll. MACHINE GIRL und ROBO-GEISHA dürften im Ausland mittlerweile größeren Bekanntheitsgrad erklommen haben als im Land der aufgehenden Arterien. Mit SCHOOLGIRL APOCALYPSE kommt das befreiende Fuck-You, ein überraschend ernsthaftes und entschleunigtes Untoten-Armageddon, in dem unser Alpha-Girl in Uniform sich Schritt für Schritt in eine metaphysische Traumwelt verirrt und in stilisiert animierten Sequenzen kryptische Dialoge mit der Karikatur eines rothaarigen Jungen aus den Englisch-Lektionen ihres Schulbuches führt. Dazu gibts hypnotische Progressive Rock-Riffs von dem einen da, ihr wißt schon, der auch beim POLTERGEIST II-Sound Design mitgemischt hat. Oder so. Glaube ich. Hoffentlich fragt keiner nach. Und statt Fatalities in voller graphischer Pracht zu zelebrieren, irritiert John Cairns mit plötzlichen Abblenden, nur um gut 30 Sekunden später ein antiklimaktisches Pay-Off nachzuliefern; Gore-Bauern, seid gewarnt: hier bekommt ihr euer Schnitzel nicht gar! Obwohl rund um die ländliche Fuji-Gegend gefilmt wurde, ist Japans berühmteste tektonische Auffaltung kein einziges Mal im Bild. "Wir hatten eine Handvoll traumhafter Shots, aber ich habe sie alle herausgeschnitten", so Cairns im anschließenden Q&A. "Ich wollte keine Klischees." Auch seine Heroine (Higarino - zugleich Titelmotiv der diesjährigen JFFH-Promo) gibt sich selbständig, schweigsam und zielstrebig - kreischt nicht, errötet nicht, und verzichtet sogar auf albernes Mega-Bitch-Posing, wenn sie mit Pfeil und Bogen mal ins Weiße des Auges trifft; ist von Halstuch bis Söckchen auf Survival eingestellt.

So manche Notration Bier, welche in weiser Voraussicht an der Bar gekauft wurde, dürfte gar nicht mehr aufgemacht worden sein. Erwartungen nicht erfüllt. Zuwenig Action, kaum Blut, kein einziger Schlüpfer. Scheiße gelaufen. Guter Film.


2012-05-27
RED TEARS
Kurzreview. RED TEARS (Japan 2011) Direktlink
So langsam kommen die Filme, die man feiern darf ...

Angeblich hat Takanori Tsujimoto für RED TEARS sich vom Hong Kong-Detective-Genre inspirieren lassen, dafür steht ihm jedoch eine flache Digitaloptik und kitschige Dialoge, welche so auch unredigiert aus einem Teen-Manga hätten übernommen werden können, im Wege. Und dann könnte man sich noch drüber aufregen, daß die Aufgabe des einzigen weiblichen Mitglieds der Crime-Unit lediglich darin besteht, ihre männlichen Kollegen mit Kaffee zu versorgen, während diese wie ungefickte Schuljungen sich gegenseitig anrüpeln und aufziehen. Genauso gut könnte man aber auch einfach den herrlich unbeschwerten, rasanten Crowd-Pleaser genießen, den Tsujimoto hier vom Stapel lässt. Yoshihiro Nishimuras blutige Handschrift ist unverkennbar, mit überkandideltem Folter-Splatsick á la HELLDRIVER hält man sich allerdings zurück (von einer offensichtlichen ICHI THE KILLER-Hommage abgesehen) und konzentriert sich stattdessen ganz auf rasante Vampire vs. Police-Duelle, zwischen denen sogar Platz für eine niedliche Romanze bleibt. Der campy Low Budget-Reißer punktet mit angesagten, attraktiven Gesichtern der jungen Pop-Celebrity-Szene, überrascht mit Choreographie und dynamischem Schnitt, und der exponentiell ansteigende Blutzoll sollte jedem noch so hungrig knurrenden Gore-Hund das Maul stopfen. Für den knapp 25-minütigen Showdown hat anscheinend Ryuhei Kitamura seinen Segen gegeben; hier besinnt man sich wehmütig alter Zeiten, als Filme wie VERSUS noch The hottest Shit on the Planet waren ...


2012-05-27
THE PLACE YOU'LL FIND ANYWHERE IN THE WORLD
Kurzreview. THE PLACE YOU'LL FIND ANYWHERE IN THE WORLD (Japan 2011) Direktlink
In einem Zoo treffen sich die Insassen einer Nervenheilanstalt zum familiären Picknick: Kranke, verrückte, traumatisierte Menschen. Der WWII-Veteran, der zusammen mit einem neurotischen Geschichtslehrer mit Plastik-Sturmgewehren fiktive al-Quaeda Terroristen jagt; zarte Annäherungsversuche zwischen dem Teenager-Mädchen, das an der Alzheimer-Diagnose ihres Vaters zerbrochen ist, und dem Jungen, der seine Mutter erstochen hat; eine ehemalige Ginza-Hostesse (ein Wiedersehen mit TOHOs Goldmädchen der 50er und 60er, Kumi Mizuno), die der Schließung ihres Clubs hinterhertrauert und immer noch in den 70er Jahren lebt; gescheiterte Actricen und Musiker. Und so mancher, der sich Arzt nennt, hätte ebenfalls einen Therapeuten nötig. Schon bald werden fremde Elemente die Grundfesten jenes scheinbar heilen, hermetisch abgesiegelten Wunderlandes gehörig durchrütteln; die Münder der Beklopptesten werden die weisesten Aphorismen sprechen, und nur der Elefant behält den vollen Durchblick.

Godzilla-Veteran Kazuki Omori nimmt die Leiden seiner Charaktere ernst, führt sie nicht vor, schöpft aber ungeniert aus dem komischen Potential und erzählerischer Dynamik, wenn verquere Ansichten und Lebensphilosophien aufeinandertreffen. Viel Geld braucht er für seine tragikomische Vision nicht, im Zusammenspiel werden die vielfältigen Macken zum Selbstläufer. Die beste Methode, uns zum Nachdenken zu bringen, ist uns lachen zu lassen - nur um uns dann den Spiegel vorzuhalten, daß wir da gerade über uns selbst gelacht haben.


2012-05-26
MORE
Kurzreview. MORE (Japan 2011) Direktlink
Ein Callgirl auf der Suche nach ihrem Prinzen, eine Fotografin trifft eine Jugendliebe wieder, und ein junges Glück, daß an der Routine zu zerbrechen droht. Ausreichend Stoff für drei Staffeln einer Vorabend-Telenovela, seltsamerweise nicht genug um uns knappe zwei Stunden bei der Stange zu halten. Und abends treffen sich die drei jungen Frauen im Café und reden. Und reden. Reden mehr über ihre Gefühle als diese zu zeigen.

Die Art von Film, in der man als US-Produktion Jennifer Aniston erwarten würde; die lacht aber zuviel. Glückliche Menschen sind langweilig und machen uns eifersüchtig. Filme wie MORE florieren erst bei konstanter Schlecht-Wetterfront und wenn jedes Problem vor laufender Kamera ausdiskutiert wurde; zwar vermag die Regie so einige ungefilterte, authentische Emotionen einzufangen, das prätentiöse Muster, nach dem Nichtigkeiten konsequent zu erderschütternden Dramen aufgebauscht werden, nervt aber irgendwann. Hin und wieder, selten genug, wenn die Regie den Schauplatz von beengten Räumlichkeiten an die frische Luft verlagert, das gesprochene Wort auf ein Minimum zurückfährt und stattdessen Bildern und Musik Raum bietet sich zu entfaltet, wird uns ein anderer Film angeteasert, den wir stattdessen lieber gesehen hätten. STRAWBERRY SHORTCAKES. Zum Beispiel (alles, außer einen Film mit Jennifer Aniston).


2012-05-25
BLACK DAWN
Kurzreview. BLACK DAWN (Japan 2012) Direktlink
Terroristen nutzen die Wirren des 11. März 2011 um einen nuklearen Anschlag mit nordkoreanischem Plutonium in die Wege zu leiten; eine nach dem 11. September 2001 gegründete Task Force des Tokyo Metropolitan Police Department ermittelt. Habt ihr euch schon mal gefragt, woher in gängigen Actionfilmen die wichtigen Anzugtiere all die essentiellen Informationen herhaben, die es dem Helden ermöglichen, die Welt zu retten? Nur mit Muckies und großer Knarre gewinnt man keinen Krieg, und BLACK DAWN füllt diese Lücken: statt großangelegter Action-Szenarien treiben Recherche, Intrigen, Verrat, Double-Crossings und Animositäten mit dem alten Feind Korea die Handlung voran. Und das ist gar nicht mal so unspannend. Und vor allem schick gefilmt. Ob dafür wirklich 130 Minuten nötig waren, steht auf einem anderen Blatt, aber die Kino-Adaption einer erfolgreichen japanischen Fernsehserie (GAIJI KEISATSU) besticht in erster Linie durch handwerkliche Finesse, der Rest folgt konventioneller Blockbuster-Dramaturgie. Und auch wenn oberflächliche Thrills den Vordergrund beherrschen und Themen rund um den Fukushima-GAU angetackert wirken, bei der ein oder anderen authentisch gefilmten Szene in Tsunami-verwüsteten Küstendörfern darf man schonmal schlucken. Einen gesonderten Vermerk verdient der Tonschnitt: sobald das SWAT-Team das Feuer eröffnet (aber auch in ruhigen Momenten) ist die exquisite Akustik Balsam in die Gehörgänge von Cineasten, welche Filme in erster Linie mit den Ohren schauen.

Ein schöner Auftakt (sogar als Weltpremiere) mit Luft nach oben; so muß das sein.




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