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GESPRÄCHE

Björn Eichstädt, Heiko Hanel und Sebastian Selig im Gespräch mit Shinya Tsukamoto

Mit 29 Jahren eroberte er aus der Vorhut heraus, als Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller in Personalunion, die Welt, zog gleich eine ganze Armee von Landsleuten hinter sich her, die es sich auf dem von seinem 1989er Erstling TETSUO frei gewüteten Platz gemütlich machten, und läutete das ein, was man heute gemeinhin als Beginn der Ära des J-Horror kennt: Das globale Revival des japanischen Genrekinos in den frühen 90er Jahren, das bis in die Gegenwart hinein anhält.

Doch der 1960 geborene Shinya Tsukamoto, der sich zunächst als japanischer Cronenberg bezeichnen lassen musste, der immer wieder das schmerzende Label Body Horror auf die Stirn geklebt bekam, wäre kein Vorreiter, wenn er nach weiteren konsistenten Werken wie TOKYO FIST oder BULLET BALLET nicht deutlich die Richtung gewechselt hätte. A SNAKE OF JUNE und VITAL präsentierten einen menschlich und künstlerisch gereiften Auteur, der vor allem die leisen Töne zwischen den Bildern zulassen konnte, der dem Zarten Raum ließ, sich inmitten der gewalttätigen Betonwelt zu behaupten.

Der düstere DV-Kurzfilm HAZE und Tsukamotos neuestes, höher budgetiertes Werk NIGHTMARE DETECTIVE sprechen wieder eine andere Sprache, eine, die zart und hart verbinden kann, die den Schmerz und die Liebe als zwei Aspekte eines Zustandes Seite an Seite stellt und auch langsam in Richtung der breiteren Masse strebt. Doch eines ist klar: Tsukamoto ist ein Mensch, der alles ändert und sich dabei trotzdem stets treu bleibt. Das verhilft ihm wahrscheinlich zu der Ruhe, der sichtlichen Gelassenheit, die er auch im folgenden Interview, das im Rahmen des japanischen Filmfestivals Nippon Connection bei Tsukamotos erstem Deutschlandbesuch stattfand, ausstrahlte.

Das Gespräch.

Herr Tsukamoto, in Ihren Filmen spielt körperlicher Schmerz häufig eine zentrale Rolle. Worin liegt die genaue Bedeutung dieses Schmerzes für Sie?
    Ich lebe in Tokio und ich arbeite dort auch die meiste Zeit. Wer schon mal in Tokio war, der weiß, dass es sich bei der Stadt um eine einzige große virtuelle Realität handelt, die sich fernab des wirklichen Lebens abspielt. Das versuche ich mit dem Schmerz aufzubrechen; er ist ein Medium, mit dem ich dem Virtuellen einen Riss verpasse, durch den das Wahre leuchtet.

Haze Ist die Realität denn so schön, ist sie denn im Gegensatz zum Virtuellen wirklich erstrebenswert?
    Für mich ist die Virtualität, die ich tagtäglich in Tokio vorfinde, eher etwas Einengendes. Ich kann nicht wirklich etwas Positives darin erkennen. Ich brauche immer wieder das Erleben der Natur, des Lebens außerhalb des Künstlichen als Gegenpol, um in meiner Lebenswelt zurechtzukommen.

Aber das Urbane mögen Sie doch trotzdem. Sie stellen die Stadt, die auch die Vereinsamung der Menschen fördert, ja in einer sehr ästhetischen Art und Weise dar. Ist das nicht sehr ambivalent?
    Ja sicher, diese Ambivalenz ist da. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass Tokio meine gewohnte Umgebung ist. Diese bedrängt mich zwar einerseits, andererseits lebe ich aber auch mit ihr und entwickele meine Kreativität aus ihr heraus. Technologie und Virtualität sind also nicht eindeutig schlecht, die reine Natur ist nicht ausschließlich gut. Damit spiele ich natürlich auch in meinen Filmen. Haze

Ist Filmemachen denn nicht auch eine Tätigkeit, die eher auf das Virtuelle hin abzielt? Wenn Sie es Unmittelbar wollten, dann wären Sie doch vielleicht eher Metzger geworden, oder?
    Nein, eigentlich gar nicht. Filmemachen hat sehr viel mit Blut, Schweiß und Tränen zu tun. Mit Menschen, die hart arbeiten, die aufeinander treffen, die sich am Set auch mal fetzen. Das ist eher so, wie die Tätigkeit als Bauarbeiter, was entsteht, das ist am Ende ein Haus. Hier ist es eben ein Film. Nein, das ist wirklich keine virtuelle Tätigkeit, sondern eine, die auch mal wehtut.

Also auch hier der Schmerz? Was reizt Sie daran besonders?
    Für mich ist der reale Schmerz nichts wirklich Erstrebenswertes. Aber er ist oft notwendig, um zu einer neuen Weltsicht zu gelangen. Das ist ja der Punkt in vielen meiner Filme: Der Schmerz transformiert einen Menschen und sein Tun, er bringt ihn auf eine neue Ebene.

Das ist ja eigentlich in allen Ihren Filmen so: Es geht um einen Prozess, den die Protagonisten durchlaufen. Sie beginnen an einer Stelle und kommen an einer ganz anderen raus. Wie ist das denn bei Ihnen selber? Wenn Sie Ihre Karriere von TETSUO bis NIGHTMARE DETECTIVE betrachten - welchen Prozess, welche Veränderungen haben Sie durchlaufen? Tetsuo
    (Schmunzelt) Das kann ich gar nicht so objektiv beurteilen, dazu fehlt mir ein wenig die Distanz zu meinen Filmen. Aber natürlich waren Filme wie TETSUO oder TOKYO FIST eher auf die Brutalität, auf vordergründigere Effekte ausgerichtet. In der Phase ab A SNAKE OF JUNE ging es mir dann eher um das Menschliche, die Annäherung zwischen den Protagonisten. NIGHTMARE DETECTIVE liegt da doch schon eher wieder bei meinen Wurzeln. Ich habe in der Umsetzungsphase aber auch gemerkt, dass all die Themen wie Großstadt, Entfremdung, Körper und Seele noch in mir stecken, dass ich sie bislang in meinen Filmen noch nicht vollständig verarbeitet habe. Die werden immer wiederkehren und auch künftig in meinen Filmen eine Rolle spielen.

Kann man dieses Thema denn final bearbeiten? Es geht doch vielmehr um eine Annäherung, um ein Umkreisen eines Themas, das sich ja mit der Zeit auch immer weiter entwickelt. Ist das Tokio von heute denn noch das Tokio der TETSUO-Zeit?
    Ja, da haben Sie recht. Das kann man wahrscheinlich nicht zu Ende bearbeiten. Ich will mich deshalb künftig auch auf ein zusätzliches Feld stürzen: Die Natur. Die kam bislang immer eher am Rande vorher, zum Beispiel in VITAL, da ist sicher noch Einiges zu bearbeiten. In diese Richtung werde ich sicher expandieren, gleichzeitig aber auch die alten Themen weiter beackern.

Tetsuo Zunächst war Ihr Kino ja sehr unmittelbar, sehr wenig auf eine Erzählung konzentriert, das änderte sich dann bei A SNAKE OF JUNE, um schließlich ab HAZE wieder in die andere Richtung auszuschlagen. Wollen Sie sich künftig eher auf das Unmittelbare konzentrieren oder die Geschichte wieder stärker ins Zentrum stellen?
    Mit HAZE und NIGHTMARE DETECTIVE bin ich tatsächlich eher wieder zu den unmittelbareren Wurzeln zurückgekehrt, da haben Sie recht. Die sind beide sehr direkt. NIGHTMARE DETECTIVE war auch ein Projekt, das ich schon ziemlich zu Anfang meiner Karriere geplant hatte, das aber zunächst nicht zustande kam. In dieser Richtung möchte ich mich derzeit noch ein wenig mehr austoben (Lacht). Da werden noch ein oder zwei Filme folgen, die wirklich wild sein werden.

Was genau planen Sie denn als nächstes?
    Ich werde zwei Fortsetzungen von NIGHTMARE DETECTIVE machen, die direkt hintereinander abgedreht werden. Das hat sich die Produktionsgesellschaft so gewünscht, weil sich der erste Teil vor allem außerhalb Japans sehr gut verkauft hat. Die Dreharbeiten sollen Mitte Juli beginnen, aber das Buch ist noch nicht fertig, ich muss mich also sputen.

Worum wird es in NIGHTMARE DETECTIVE 2 gehen?
    Das wird ein Film, der sich sehr stark am J-Horror-Stil orientieren wird. Manche Kritiker haben das ja schon über den ersten Teil behauptet, da gebe ich nicht so Recht. Aber im zweiten Teil werde ich mich stark an dieses Genre anlehnen. Der dritte Teil wird dann eher einen märchenhaften, fantastischen Zug bekommen.

Vital Im jetzt vorgestellten ersten Teil von NIGHTMARE DETECTIVE spielt wieder eine Frau die Hauptrolle. Weibliche Charaktere haben in Ihren Filmen ja eine sehr spezielle Rolle, sie sind oft Opfer von schwachen Männern.
    Nein, die Frauen sind keine Opfer. Weder in meinen Filmen noch in der Realität. Im Gegenteil: Sie sind eigentlich die stärkeren Persönlichkeiten. Ich denke, sie agieren nur anders, sie halten mehr aus. Ein Mann kann sich in den Finger schneiden und schon heult er los, eine Frau verhält sich da schon anders. Sie steht viel mehr mit beiden Beinen auf dem Boden, ist nicht so sehr in ihrem eigenen Leiden gefangen.

Das haben Sie ja vor allem in TOKYO FIST deutlich herausgearbeitet.
    Ja, ich denke auch, dass das in TOKYO FIST besonders herauskam. Männer besitzen oft so eine Sklaventreibermentalität, sie versuchen Frauen zu beherrschen. Auf der anderen Seite begeben sich Frauen oft bewusst in die passive Rolle, aus der heraus sie dann agieren und eher subtil doch der stärkere Part in einer entsprechenden Konstellation sind.

Vital Lassen Sie uns einmal über die Herstellung Ihrer Filme sprechen. Sie haben - bis auf wenige Ausnahmen - immer die Regie geführt, das Drehbuch geschrieben, eine tragende Rolle gespielt und sich auch um die Finanzierung gekümmert. Das wirkt so, als würden Sie ungern Verantwortung abgeben. Wollen Sie das weiterhin so handhaben oder denken Sie nun auch in Richtung größerer Budgets, in Richtung von Fremdproduktionen?
    Fremdproduktionen wie HIRUKO THE GOBLIN oder GEMINI habe ich schon gerne gemacht, solche Aufträge werde ich auch in Zukunft wieder annehmen. Aber ich will die künstlerische Kontrolle haben. Bei TOKYO FIST habe ich einmal versucht, mit einem Fremdautor zu arbeiten, aber das hat nicht funktioniert. Meine eigene Vision ist mir an der Stelle schon sehr wichtig.

Wie ist das denn am Set? Wie arbeiten Sie mit Schauspielern?
    Ich lasse die Schauspieler eigentlich recht frei agieren. Klar gebe ich meine Anweisungen, aber ich bin kein Diktator am Set.

Auch nicht gegenüber den Frauen? Sie meinten doch, dass die gerade aus der Unterdrückung heraus stark agieren.
    (Lacht etwas verlegen). Nein nein, auf keinen Fall. Da bin ich wirklich ganz lieb.

Aber sich selber verlangen Sie doch schon einiges ab, wenn man sich Filme wie TOKYO FIST oder HAZE anschaut.
    Das stimmt natürlich. In meinem Privatleben bin ich eigentlich ein ganz gemütlicher Typ. Deshalb sind die Dreharbeiten, bei denen ich natürlich alles gebe, schon immer sehr anstrengend, gerade was das Körperliche angeht. Ich selber kann das gar nicht so genau beurteilen, aber Andere sagen mir schon, dass ich mich während des Drehs oft in einen anderen Menschen verwandle.

Tetsuo II - Body Hammer Wandel ist ein generelles Thema Ihrer Filme. Die Menschen am Set wandeln sich, die Protagonisten der Geschichte verwandeln sich, soll sich auch der Zuschauer in eine bestimmte Richtung bewegen, wenn er einen Ihrer Filme gesehen hat?
    Die Filme handeln natürlich von Dingen, die ich subjektiv empfinde. Probleme wie Isolation, wie die Abkehr vom Urzustand des Menschen sehe ich weltweit in allen Metropolen. Auch wenn es sich um meine Sicht handelt, denke ich schon, dass Zuschauer überall auf der Welt verstehen, was ich meine. Und wenn sie es dann verstehen, dann kommt natürlich eine Verbindung zwischen Werk und Betrachter zustande. Man könnte das eine Message nennen.

Sind Sie deshalb auch so erfolgreich auf Festivals auf der ganzen Welt?
    Das hoffe ich. Es gibt globale Entwicklungen, die ich beschreibe und die unterschiedlichsten Zuschauer verstehen können, auch auf Festivals. Tetsuo II - Body Hammer

Mit NIGHTMARE DETECTIVE sind Sie ja tendenziell etwas mehr in Richtung des Mainstreams gerückt. Ist das eine Notwendigkeit, um noch mehr Zuschauer mit Ihren Botschaften erreichen zu können?
    Ja, ich möchte inzwischen mehr Leute erreichen, das ist wahr. Zu Beginn wollte ich vor allem kleine Gruppen ansprechen, das hat sich verändert. Allerdings kämpfe ich noch immer ein wenig mit mir, denn mehr Zuschauer bedeuten natürlich auch immer mehr Kompromisse.

Welche Filme sehen Sie denn selber gerne als Zuschauer?
    Ich bin vor allem von Filmen wie DIE SIEBEN SAMURAI, TAXI DRIVER, ALIEN oder BLADE RUNNER beeinflusst worden. In der Tendenz mag ich wohl vor allem Filme, die meinem eigenen Werk ähnlich sind.




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