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UNENDLICHE TIEFEN

Special.
Durch die Nacht mit... Yannick Dahan & Xavier Gens
von Jan Zeleny

Durch die Nacht mit... Yannick Dahan & Xavier Gens

Der französische Horrorfilm hat in den letzten Jahren durch kaum mehr als eine Handvoll Produktionen und den unbedingten Willen zum gerne auch mal selbstzweckhaften Extrem weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Woher diese Welle kommt, scheint sich jedoch kaum jemand erklären zu können und jede zweite Kritik zu INSIDE oder MARTYRS endet mit der hilflos in den Raum gestellten Frage, was zur Hölle eigentlich mit den Franzosen los sei. Höchste Zeit also, dem Ganzen vor Ort auf den Grund zu gehen.

Ursprünglich sollte diesmal Xavier Gens, Regisseur von FRONTIÈRE(S) und HITMAN - JEDER STIRBT ALLEINE, mit Pascal Laugier, Regisseur von MARTYRS, dem bisherigen Gipfelwerk der neuen Welle extremen französischen Genrekinos, durch die Nacht ziehen. Der konnte sich allerdings nicht mit dem geplanten Programm anfreunden und sagte kurz vor Drehbeginn ab. Kurzfristigen Ersatz stellte Yannick Dahan, Filmjournalist, Moderator und neuerdings ebenfalls Regisseur (LA HORDE), der zunächst einmal durch seine hyperaktive Art auffällt.

Gens dagegen, mit seiner untersetzten Statur, der buschigen Gesichtsbehaarung, Cap und buntem Schal schon äußerlich eher das Gegenteil von Lederjacken-Windhund Dahan, erinnert an einen knuddeligen Wermutbruder und macht auf herzlich unbedarfte Art vor allem seine Leidenschaft für das, was er tut, deutlich. Der erste Eindruck festigt sich bei der Begegnung der beiden: Dahan kaspert für die Kameras, Gens fragt verschmitzt grinsend "Gehen wir Kinder töten?" Auf dem Weg offenbart sich Dahan dann sogleich als Freund grosser Monologe, echauffiert sich über Zensur und beschwört eine Revolte am Horizont herauf.

Die erste Station führt die beiden in die Banlieue Évry südlich von Paris zu Lamence Madzou, einem ehemaligen Gangleader. In einem verwinkelten kleinen Studio, in dem gerade ein paar Kids Musik machen, erörtern die drei verfehlte französische Innenpolitik und die Parallelen von Rap und Genrekino. Danach geht es wieder zurück in die City; zur Überbrückung der längeren Fahrt werden Foie Gras, Lachs im Blätterteig, Wein und Dosenbier gereicht. Ferreri hätte seine helle Freude gehabt. Nach getanem Gelage entsteht ein kurzes Gespräch, in dem Dahan erneut vor allem durch große Gesten und offene Fragen glänzt, während Gens mit ruhiger Stimme seine Sicht der Dinge darlegt. Immerhin beweist Dahan soviel Hellsicht zu erkennen, dass das Drehen von Genrefilmen eine eher bourgeoise Form des Protests sei.

Wieder in Paris steht ein leider recht belangloser Besuch bei zwei jungen Parkourläufern auf dem Programm, der trotz allen höflichen Staunens und wohlmeinenden, aber oberflächlichen Nachfragens von Dahan wenig Neues vermittelt. Beim anschließenden Besuch des Filmkollektivs KOURTRAJME kommt es dann zu einer mitunter etwas wirren Unterhaltung über die unterschiedlichen Arbeitsweisen, Popularität und Provokation. Immerhin endet der Besuch damit, dass Dahan scheinbar seine ursprünglich nicht allzu hohe Meinung über die Arbeit von KOURTRAJME revidiert und auf der Fahrt zur letzten Station in einer weiteren flammenden Rede eine neue Brüderlichkeit postuliert.

Abschließend besuchen die beiden eine Hälfte des Retro-Synth'n'Drum-Duos ZOMBIE ZOMBIE, Bilderbuchgeek Etienne Jaumet. Der verwirkt Dahans Gunst umgehend, als er auf dessen vollmundige Eigenwerbung, LA HORDE wäre der erste französische Zombiefilm, nur - ganz Nerd - stirnrunzelnd "Wirklich der erste..?" einwendet. Der Abend endet nach einer weiteren Autofahrt, auf der Dahan sich vor allem über Jaumets Geekiness ereifert, ein wenig abrupt vor Dahans Haustür.

Die französische Kultur hat in den letzten Jahren in sämtlichen Bereichen beständig Extreme, oft um ihrer selbst Willen, ausgelotet und ist nun unweigerlich am Scheitelpunkt angekommen. Eine selbstzufriedene Stagnation scheint sich auszubreiten – der Einzige, der in dieser Nacht noch echte Wut ausstrahlt, ist Madzou, während selbst die Jungs von KOURTRAJME sofort einräumen, dass ihr Ziel in erster Linie die Produktion populärer Filme ist. Es entsteht eher der Eindruck einer Kultur des diffusen, bourgeoisen Widerstandes, die selbst nicht so genau weiss, warum und wogegen sie eigentlich aufbegehrt und für die letztlich doch vor allem "Fressen, Saufen und Rauchen" (Dahan) Priorität haben. Gerade angesichts Dahans in weiten Teilen unreflektierter Affirmation, die stets nur den geringsten gemeinsamen Nenner sucht, kommt man nicht umhin sich zu fragen, wie wohl die Begegnung zwischen Gens und Laugier, dem depressiven Misanthropen, der Paris kürzlich in einem Interview noch als "toten Ort" bezeichnete und die Existenz jeglicher Gegenkultur verneinte, verlaufen wäre.

Und so vergeht die Laufzeit dieser durchaus unterhaltsamen, formal wie üblich über jeden Zweifel erhabenen Folge (besonders die kongeniale Auswahl und der Einsatz der musikalischen Untermalung seien hervorgehoben) zwar nicht zuletzt dank Dahans unablässigen Wortschwalls und Gens' klugen Einwürfen wie im Fluge, allerdings weiß man am Ende kaum mehr als vorher – und vor allem immer noch nicht, was zur Hölle jetzt eigentlich mit den Franzosen los ist..?!



Kritik von Jan Zeleny
Special zur Folge YANNICK DAHAN & XAVIER GENS

Durch die Nacht mit... Forum





















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