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I SPIT ON YOUR GRAVE (USA 2010)

von Thorsten Hanisch

Original Titel. I SPIT ON YOUR GRAVE
Laufzeit in Minuten. 107

Regie. STEVEN R. MONROE
Drehbuch. MEIR ZARCHI . STUART MORSE
Musik. COREY A. JACKSON
Kamera. NEIL LISK
Schnitt. DANIEL DUNCAN
Darsteller. SARAH BUTLER . DANIEL FRANZESE . CHAD LINDBERG . ANDREW HOWARDS u.a.

Review Datum. 2010-12-20
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Was einen immer wieder an der nicht enden wollenden Flut (ältere Semester dürften in den letzten Jahren den größten Teil ihrer filmische Sozialisation erneut erlebt haben) an wiederaufbereiteten Stoffen stört, ist der Umstand, mit welcher Einfallslosigkeit zu Werke gegangen wird. Ein Remake muss ja per se nichts Schlechtes sein, im günstigsten Fall wird aus der originalen Idee etwas Neues geschaffen (siehe z.B. THE SORCERER), im weniger günstigen, aber immer noch akzeptablen, Fall entsteht eine respektvolle Rekontextualisierung des ursprünglichen Films (THE HILLS HAVE EYES) und in Unfällen wird einfach die Vorlage durch einen defekten Kopierer gezogen (THE HITCHER als Platzhalter für einen ganzen Berg).

Oder ein Regisseur versucht mit einem Fleischhammer das subversiv-wilde damalige Werk irgendwie in das Korsett eines x-fach so teuren Studiofilms zu klopfen, aber die ehrbaren Bemühungen um die Integrität des Originals kollidieren empfindlich mit dem Produktionsrahmen und resultieren in einen für sich genommen zwar merkwürdigen, aber nicht grundüblen Film, der aber als Remake aufs Fürchterlichste versagt. Womit wir beim Update von LAST HOUSE ON THE LEFT wären, das wiederum in einem nicht uninteressanten Verhältnis zur hier zu besprechenden Wiederaufbereitung von I SPIT ON YOUR GRAVE steht.

Dennis Iliadis Version von Wes Cravens berühmt-berüchtigten Terrorklassiker LAST HOUSE ON THE LEFT sorgte 2009 für zwiespältige Reaktionen: Man spürt in der ersten Hälfte das Bemühen der Macher, dem Original nahezukommen, es wird sich regelrecht daran geklammert, anderseits kappt man aber sorgsam sämtliche subversiven Spitzen, selbst die Missbrauchsszenen im Wald, die dem Cravens Film zahlreichen Ärger mit Moralaposteln einbrachte, wirken seltsam züchtig. Im krassen Gegensatz dazu steht dann aber der Tonlagenwechsel in der letzten Hälfte: Hier wendet sich der Film von seiner Vorlage ab und mutiert zu einem grotesk-überdrehten Brutalo-Cartoon, der so gar nicht mit dem Vorbau harmonieren will. Diese Zweigeteiltheit findet sich auch in I SPIT ON YOUR GRAVE, allerdings ist Steven R. Monroes Neufassung eines schwer verdaulichen Stücks 70er-Jahre Kinos weitaus radikaler.

Am Basis-Plot hat sich nichts geändert: Die junge und äußerst attraktive Schriftstellerin Jennifer Hills (wahnsinnig gut: Sarah Butler) sucht eine einsame Hütte im Wald auf um an ihrem nächsten Buch zu arbeiten. Bald darauf gerät sie unfreiwillig ins Visier der fiesesten und unangenehmsten Bösewichte der letzten Jahre (exzellent: Ted Branson als Aggro-Proll und Oliver-Krekel-Lookalike Andrew Howard als ekliger Grinse-Sheriff), die die junge Frau dann auch auf bestialische Art missbrauchen. Doch Jenny überlebt und nimmt grausam Rache. Genre-Kino in seiner pursten Form also.

I SPIT klammert sich wie LAST HOUSE anfänglich an den Rockzipfel des Originals, die großen Abweichungen kommen später. Anders als Iliadis Film, und hier ist es offenbar von Vorteil, dass I SPIT für kleines Geld von einer Independent-Schmiede fabriziert wurde, flacht Monroe die Vorlage aber nicht ab, sondern tritt seinem Publikum lieber ausgiebig in die Nieren. Während LAST HOUSE in den zentralen Missbrauchs-Szenen verschämt auf Distanz geht und zudem auch immer einer gewissen Ästhetisierung erlegen ist, zieht der in erdigen, ausgewaschenen Farben gedrehte I SPIT alle Register um den Zuschauer so nah wie möglich an das brutale Geschehen heranzuführen. Als besonders raffiniert-perfides Stilmittel erweist sich hier der gelegentliche Blickwinkel durch die Videokamera eines mitfilmenden Peinigers, eine gemeine, aber ungemein wirkungsvolle Antwort auf die immer apathischer werdenden Schnetzeleien von SAW & Co.: Der Zuschauer wird zur Distanzüberwindung förmlich gezwungen, das Schicksal der überaus sympathischen Jennifer trifft einen bis ins Mark.

Regisseur Monroe platziert seinen Film bis zu diesem Zeitpunkt eher neben MARTYRS als neben HOSTEL und deswegen überrascht der Tonlagenwechsel im letzten Drittel umso mehr. Der bis dato so streng durchkomponierte und radikale Film beschreitet, im etwas zu gut gemeinten Bemühen, die häufig geäußerte Kritik am Original (Missverhältnis zwischen Tat und Reaktion) auszubügeln, schließlich dann doch konventionelle Genre-Pfade und pumpt die Heldin mit einem erzählerisch arg gewagtem Sprung zur biblischen Rächerin, zur Miss Jigsaw auf, die ihre Peiniger mit abenteuerlichen Konstruktionen ins Jenseits befördert, wobei sich der Film anderseits aber wieder den so beliebten showcase-gore der letzten Jahre (den auch LAST HOUSE reichlich zelebriert) dankenswerterweise verkneift - wer massig Innereien will, muss sich anderweitig orientieren.

Interessanterweise bietet Jennifers finales Großreinemachen auch knuspriges Futter für Gender-Forscher: Während im Original (etwa in der berüchtigten "Schnipp-Schnapp-Schnippi-ab"-Badeszene) noch der eigene Körper als Waffe gegen den Feind eingesetzt wird, malträtiert die moderne Jennifer ihre Opfer auf durchgeplante, technische, eher männliche Art. Und trotz fehlender Ambivalenz der Täter wird aufgezeigt, dass sämtliche Figuren Gefangene ihres patriarchalischen Weltbilds sind (so meint einer der Täter selbst in einem Moment ärgster Bedrängnis: "I don't take orders from no fucking woman!"), die einer selbstbestimmten Frau, die sich übrigens, fernab jeglicher Klischees, ihren späteren Angreifern nie offenherzig zeigt, in ihrer Hilflosigkeit gar nicht anders begegnen könnten. I SPIT hinterfragt also auf gewisse Art und Weise auch Rollenverteilungen bzw. bildet deren Umverteilung ab.

So könnte man es sehen, man könnte die Neu-Bearbeitung von Meir Zarchis Reißer aber auch einfach nur als top gespielten Halb-Exploiter begreifen, der dem Genre das zurückgibt, was es lange verloren hat: Intensität. I SPIT ON YOUR GRAVE 2010 ist düster, brutal und packend: Ein kontroverser Film, der garantiert niemanden kalt lässt.











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