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Kinder können grausam sein ... selbstverständlich nicht das eigene; eigentlich nur jene minderjährigen Missetäter, für die sich Zeitung und Fernsehen interessieren und so wieder und wieder für bildungspolitische Strohfeuer sorgen. Tetsuya Nakashima packt in seinem aktuellen Film ein heißes Eisen an, wenn er von einer Lehrerin berichtet, die zwei Schülern HIV-infiziertes Blut in die Frühstücksmilch schmuggelt und damit einen groß-angelegten Rache-Plan initiiert, der geschickt die Eigendynamik einer aus dem Ruder laufenden maroden Klassengemeinschaft ausbeutet. Den Kinder/Erwachsenen-Aspekt schiebt er zunächst aufs Abstellgleis ... alle Beteiligten agieren auf Augenhöhe: primär gibt es Täter und Opfer, dann erst Altersunterschiede.
Tetsuya Nakashima wird von Leuten, die mehr als einen Film von ihm gesehen haben, gerne mal als "der Tim Burton Japans" bezeichnet. Ob das nun Stigma oder Auszeichnung ist, sei dahingestellt, auf einen flüchtigen Blick leuchtet diese Assoziation sogar ein: Sowohl KAMIKAZE GIRLS, als auch PACO AND THE MAGICAL BOOK spielten in einem zuckersüßen Paralleluniversum - ein Alptraum für Diabetiker - dessen Gesetze einer eigenen, schrägen Logik folgten. Morbide Elemente traten am prominentesten in MEMORIES OF MATSUKO hervor, eine grausame, traurige Biographie in bonbon-farbener Verpackung ... jetzt, in seinem neuesten Werk GESTÄNDNISSE (deutscher Titel), hat endlich mal jemand die Smarties vom Kuchen gekratzt: CONFESSIONS ist so wunderschön und bitterkalt wie ein Wintermorgen in Hokkaido; statt Schnee fallen Kirschblütenblätter, trotzdem weht stimmungsmäßig ein solch scharfer Wind, daß man im Kino unwillkürlich zu frösteln beginnt.
In blaustichigen, kontrastreichen, dabei akribisch komponierten Bildern von berückend schöner Videoclip-Ästhetik erzählt CONFESSIONS von Yuko Moriguchi (Takako Matsu), Lehrerin an einer Mittelschule, die ihren Schülern an ihrem letzten Tag, bevor sie den Dienst quittiert, vom Tod ihrer vierjährigen Tochter berichtet. Im Schwimmbecken ertrunken. Ein tragischer Unfall - so der allgemeine Konsens. Yuko Moriguchi glaubt jedoch an ein Verbrechen: zwei Schüler ihrer Klasse sollen sie ermordet haben, und weil das Gesetz minderjährige Täter vor Strafverfolgung schützt - so ihre Ankündigung - wird sie selbst die Schuldigen entlarven und dafür büßen lassen. Die Hauptperson in Moriguchis Visier heißt Shuya Watanabe (Yukito Nishii), ein hyper-intelligenter Sozial-Phobiker, der zuvor gerne mittels allerhand selbstgebastelter elektronischer Fallen seine Mitschüler foppte. Tatsächlich reichen ihre Andeutungen aus um beide Verdächtigen zu entlarven und so einer erbarmungslosen Mobbing-Kampagne auszusetzen. Und bevor jetzt das große Spoiler-Geschrei losgeht: hier beginnt auch erst der eigentliche Film.
Selten genug begegnet man in Rache-Thrillern Protagonisten, welche durch mehr als den bloßen Wunsch nach Vergeltung beflügelt werden. Takako Matsu (K-20: LEGEND OF THE MASK) spielt die haßerfüllte, trauernde Lehrerin und Mutter mit Härte, Würde und Charisma - die wirklich interessanten, weil differenzierten Charaktere finden sich jedoch zwischen den Fronten: Große Teile der Handlung erleben wir durch die Augen der 14-jährigen Mizuki Kitahara (Ai Hashimoto): Mizuki vermittelt zwischen Moriguchi und Shuya, wird zu einem Zeitpunkt gar Shuyas Freund, beläßt aber ihre wahren Motive im Schemenhaften, während sie an ihrem ganz eigenen kryptischen Lebensziel feilt: Mizuki gehört einer Gemeinschaft an, die einem Mädchen, das ihre gesamte Familie vergiftet hat, huldigen. Bekannt als "Lunacy Girl" hat es die junge Serientäterin dank medialer Aufmerksamkeit zum kultisch verehrten Online-Phänomen gebracht.
Die Handlung folgt keiner linearen Struktur ... wie in RASHOMON spult Nakashima immer wieder an den Anfang zurück und erzählt dieselben Schlüsselereignisse aus der Sicht unterschiedlicher Personen und fügt so dem Verbrechen und seinem Nachbeben Geständnis für Geständnis neue Facetten hinzu; manches wird klarer - manches unschärfer und zunehmend grauer - der Zuschauer bleibt nüchterner Beobachter, aufgrund stetem Voice-Over mehr intellektuell als emotional involviert. Auf ein true-life Crime-Drama sollte man sich nicht einstellen - passend zur aalglatten Cinematographie folgen die Charaktere in ihren Aktionen eher stilisierten Mustern, wie man sie aus einem Manga kennt, eine kurze Musical-Sequenz irritiert und verzaubert zugleich, und Dialoge sind von nicht unerheblichem Pathos geprägt. Spannend ist das trotzdem - allerdings versäumt so Nakashima auch ein bißchen die Chance, dem Zuschauer sein geschliffenes Werkzeug richtig schmerzhaft ins Fleisch zu drücken - an CONFESSIONS wird man sich länger erinnern, keine Frage, wenn auch weniger an provokante Sideplots über Mobbing und Mord, als an schillernde Bilder, inflationäre Zeitlupen und den elegischen Soundtrack irgendwo zwischen Bach und Radiohead. Ein audio-visuelles Glanzstück, welches in einer wuchtig bebilderten Epiphanie-Szene kulminiert, wie sie selbst Toshiyaki Toyoda schöner nicht hätte träumen können, und in die Tetsuya Nakashima anscheinend derart verliebt war, daß er sie gleich mehrfach vor unseren Augen abspielen läßt: vorwärts, rückwärts. Und dann noch einmal.
Mit CONFESSIONS mag uns vielleicht nicht der erhoffte BATTLE ROYALE-Killer geboren worden sein, dafür kratzt er mit seiner Reader's Digest-Psychologie zu sehr an der Oberfläche, tischt uns arg gekünstelte Twists auf und bleibt für solch eine abgründige Thematik schlichtweg zu leicht konsumierbar, aber es ist erquicklich dabei zuzusehen, wie hier ein talentierter Künstler zu guter Letzt erwachsen wird und sein Repertoire für höhere Ziele einsetzt, als das x-te One Trick-Pony in der Villa Kunterbunt durch den Schoko-Donut springen zu lassen. Eine kleine LADY VENGEANCE ist uns hier schon herangewachsen ... eine Lady, wie wir gerne noch mal ein paar Jahre später, wenn sie zur reifen Frau herangewachsen ist, besuchen würden; vielleicht sogar unter der Leitung von Tim Burton (sofern dann die Belegschaft seiner Schokoladen-Fabrik endlich mal in Rente gegangen ist).
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