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EIN RISKANTER PLAN (USA 2012)

von Michel Opdenplatz

Original Titel. MAN ON A LEDGE
Laufzeit in Minuten. 102

Regie. ASGER LETH
Drehbuch. PABLO FENJVES
Musik. HENRY JACKMAN
Kamera. PAUL CAMERON
Schnitt. KEVIN STITT
Darsteller. SAM WORTHINGTON . ELIZABETH BANKS . JAMIE BELL . ANTHONY MACKIE u.a.

Review Datum. 2012-01-25
Kinostart Deutschland. 2012-01-26

Ja, ein sehr doofer Titel. EIN RISKANTER PLAN klingt so danach, als hätte sich die Praxis deutscher Filmumbetitelung seit den 70er Jahren kein Deut verbessert... Ach ja, da war was...
Um es kurz zu machen: Diese "Übersetzung" wird dem Film nicht gerecht und nimmt zu viel vorweg. Ja, ich weiß, dass wir uns im Voraus immer wieder freiwillig von sämtlichen Trailern spoilern lassen, bis wir ohne Kinobesuch das Drehbuch rekonstruieren könnten, aber ich würde jetzt trotzdem gerne darüber mosern. Zunächst einmal nämlich geht es, wie der englische Titel wesentlich eleganter nahelegt, um einen man on a ledge, wie im US-amerikanische Polizeijargon offenbar Selbstmörder bezeichnet werden, kurz bevor sie sich vom Hochhaus stürzen.

Der Mann am Abgrund wäre also eine treffendere (wenn auch zugegebenermaßen nicht weniger reißerische) Übersetzung. Er begegnet uns in Gestalt von Nick Cassidy (Sam Worthington, TERMINATOR - DIE ERLÖSUNG), als der aus einer New Yorker U-Bahnsation emporsteigt - als gegengesetzte Bewegung dessen, was zuvor die vogelperspektivische Kamera getan hat. Als "Mr. Walker" checkt er in einem Hotel ein, was insofern wunderbar ironisch ist, dass er die meiste Zeit des Filmes über auf der Stelle stehend zubringen wird (ebenso wörtlich wie bildlich). In zwischengeschnittenen Rückblenden erfahren wir schließlich, dass er tatsächlich am Abgrund steht: Ein ehemaliger Cop ist er, im Knast hat er gesessen für einen Diamantenraub, seine Unschuld hat er stets unermüdlich beteuert. Als eine Gutachterin ihn fragt, ob er manchmal daran denke, sich zu verletzen, lautet seine zynische Antwort: "Verletzen, nein. Aber töten, jeden gottverdammten Tag." Also glauben wir ihm, nachdem er in seinem Zimmer die letzte Mahlzeit zu sich genommen hat, kurzzeitig völlig ruhig verweilt - und dann aufs Fensterbrett hinaussteigt, wo alles laut ist, wo die Autos hupen, wo die Leute unter ihm wuseln, wo Hektik und Höhe durch Kameraschwenks untrennbar miteinander verbunden werden, ohne dass es irgendwelcher Psychotricks mit der Figur Cassidy an sich bedürfte.

Wir erfahren, dass er auf der Beerdigung seines Vaters nach einer Schlägerei mit seinem Bruder Joey (Hardcore-Erdmännchen Jamie Bell, DER ADLER DER NEUNTEN LEGION) den Strafvollzug ebenso spektakulär wie vorzeitig beendet hat und dürfen uns an einer schmucken Autoverfolgungsjagd über den Friedhof erfreuen - auch mal was anderes! Und wie Cassidy da nun also so steht und vermeintlich springen will, versammelt sich die Meute auf der Straße, gafft, filmt, bereichert mit ihren Smartphones YouTube & Co. um Spektakuläreres als niedliche Tiervideos und grölt letztlich recht selbstverständlich: "Spring! Spring!" Trotzdem wird der Film dabei nicht gehässig, man möchte ihm eher eine abgeklärte Beobachtungsgabe attestieren. Die kommt auch zum Tragen, wenn er wie beiläufig den Kontrast beleuchtet, den das Verhalten der prompt aus dem Boden wachsenden Sensationsreporterin einmal hinter, einmal vor der Kamera bildet.

Polizeipsychologin Lydia Mercer (erstaunlich überzeugend: Elizabeth Banks, 72 STUNDEN - THE NEXT THREE DAYS), die ihr ganz eigenes berufliches Trauma zu verarbeiten hat, wird sodenn zu Cassidy geschickt, um das Schlimmste zu verhindern. Und allmählich dämmert uns Deutschen, die wir ja gottseidank schon wissen, dass mehr hinter der ganzen Story stecken muss als ein popeliger Selbstmord, worum es hier eigentlich geht - spätestens wenn Bruder Joey und seine Verlobte Angie (was fürs Auge: Génesis Rodríguez) ins gegenüberliegende Bürogebäude von Diamantenhändler und Immobilienhai (was für eine Mischung!) David Englander (Ed Harris, THE WAY BACK - DER LANGE WEG) einzubrechen beginnen. Wir ahnen so langsam, was der Plan sein könnte, und warum der so riskant ist.

Was den wahrlich sehr bösen Englander angeht ("If you want it bad enough, you get it back"), schrammt der Film dann doch mit seinem Beitrag zur Lage der wirtschaftskriselnden Nation nur knapp am alten Klischee vorbei... Vielleicht kollidiert er sogar frontal mit ihm. Ich fühle mich zu befangen, um darüber abschließend zu urteilen, denn:
1. macht es mir einfach immer wieder Spaß, Ed Harris beim Bösesein zuzugucken,
2. hat die Figur in ihrer Niedertracht doch wirklich fetzige Sprüche drauf: "In this city we don't go to work - we go to war!" (Nebenbei bemerkt, eingedenk des über uns schwebenden Memento mori der Titelübersetzung: Wie die das wohl synchronisiert haben...?), und
3. bleibt Englander nicht der einzige geldgeile Sack, den diese Geschichte zu bieten hat: Auch das filmende Fußvolk lässt sich an einer Stelle schwer beeindrucken, als Cassidy mit Dollarscheinen um sich zu werfen beginnt.

Mehr über den Plot könnte man sagen, will ich aber nicht. Manche Wendungen mögen vorhersehbar sein, doch das ist einem dann auch egal, weil der Film stets gute Gegengewichte einzubringen versteht. Zum Beispiel gibt es eine sehr nette Abwandlung des alten Finde-den-Verräter-Suchspiels, die geschickt die Stereotypen von good cops und bad cops einbindet. Die Story hat buchstäblich ihre Höhen und Tiefen, die sie immer wieder gewinnbringend gegeneinander ausspielt; ganz ähnlich, wie auch die beiden Protagonisten Cassidy und Lydia nicht nur zusammen sondern vor allem mit- und gegeneinandner funktionieren. Wirklich genervt haben mich hin und wieder bloß die teils weniger originellen Beziehungsstreitigkeiten des verlobten Amateureinbrecherduos Joey und Angie sowie die grottige Musik Henry Jackmans, die uns dauernd ins Ohr schreit, wie dramatisch und spannend doch gleich alles wird - dabei hat der Film solch zweifelhafte Hilfestellung nicht im Geringsten nötig.

Alles andere ist nicht nur schön anzusehen sondern vor allem schön zu beobachten: So wie sich aus der kleinen Verletzung an Cassidys Fingerknöcheln zu Beginn des Films Schritt für Schritt eine komplexe Vorgeschichte herauskristallisiert, entwickelt sich auch das vermeintliche Einzelschicksal eines Selbstmörders in (ok, einmal schreib ich das jetzt noch) EIN RISKANTER PLAN zu einem Netzwerk aus Subplots, die den Zuschauer interessieren und aufs Beste unterhalten. Wenn Regie-Newcomer Asger Leth mehr von derselben Sorte liefern könnte, wäre das sehr zu begrüßen! Ich werde dann wieder im Kino sitzen - aller teutonischen Titelvergewaltigungen zum Trotz!











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