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GEDRUCKTES IST TOT

MARIO BAVA – ALL THE COLORS OF THE DARK (2007, 1. Auflage)
von Björn Eichstädt

Original Titel. MARIO BAVA – ALL THE COLORS OF THE DARK
Seiten. 1128

Autor. TIM LUCAS

Review Datum. 2007-11-27
Erscheinungsdatum Deutschland. 2007-08-24
Verlag. VIDEO WATCHDOG

Erscheinungsformat. HARDCOVER
Sprache. ENGLISCH

Die Geschichte von MARIO BAVA – ALL THE COLORS OF THE DARK ist vor allem auch die Geschichte seines Autors Tim Lucas. Denn dass diese Buch jemals erscheinen würde, das hatte die weltweite Fangemeinde des Italohorrors und Giallo-Films wohl kaum mehr zu hoffen gewagt. Zu lange – ganze sieben Jahre – hatte Lucas die Fans um Geduld gebeten, hatte der Herausgeber des Film-Geek-Blatts Video Watchdog neue Quellen aufgetan, verschwundene Bava-Schätze ausgegraben und noch den letzten lebenden Beteiligten der Dreharbeiten zu BLUTIGE SEIDE oder DER DÄMON UND DIE JUNGFRAU befragt.

Nun sind sieben Jahre eine lange Zeit. Doch noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass Lucas zum Zeitpunkt seiner ersten Ankündigungen bereits 25 Jahre an MARIO BAVA – ALL THE COLORS OF THE DARK gearbeitet hatte. Am Anfang noch per Hand oder auf Schreibmaschine verfasst, begleitete die Entstehung des Buchs die Entwicklung der modernen Medientechnologien. Als Lucas sein Unterfangen in den mittleren 70ern startete, konnte er vor allem auf zerschnittene, fehlerhaft synchronisierte und mit Les-Baxter-Soundtracks versehene AIP-Releases der Bava-Filme zurückgreifen, die zu später Stunde im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurden. Die Konservierung des Gesehenen war ihm damals ebenso wenig möglich, wie die genaue Analyse durch Mehrfachsichtungen. Erst VHS veränderte in den 1980ern die Möglichkeiten, Laserdisc und später DVD taten ihr übriges. Mario Bava selbst war lange verstorben, als der PC und in den mittleren 90er Jahren das Internet die Arbeitsweise seines Biographen am dramatischsten veränderten. Die ästhetischen Meisterwerke Bavas wurden langsam salonfähig. Erste umfangreiche Bücher wie THE HAUNTED WORLD OF MARIO BAVA von Troy Howarth erschienen, und aus Lucas dem Visionär schien so langsam Lucas der neuzeitliche Sisyphos zu werden.

Dass sich irgendein Verlag für das inzwischen auf viele hundert Seiten angeschwollene Werk interessieren würde, glaubte Tim Lucas irgendwann wohl selber nicht mehr. Also startete er eine Eigenfinanzierungskampagne, ließ begeisterte Bava-Fans das Buch für 120 US-Dollar pro Exemplar vorbestellen und dokumentierte den Fortschritt seines Werks bei Video Watchdog und später auf seiner Homepage. Vor einigen Jahren kam ein eigenes Weblog hinzu, das detailliert über den steten Kampf des Autors mit seinem Werk, den Ärger mit heimischen Druckereien und das Outsourcing des Auftrags nach China berichtete. Die Freude über erste Probedrucke wurde ebenso ausführlich in Szene gesetzt, wie das Verzweifeln über den Fund eines neuen verschollenen Werks oder eines längst verstorben geglaubten Protagonisten der Bava-Story

Irgendwann wurde der Herstellungsprozess des Buchs zu einer eigenen Geschichte, die Hundertschaften von Bava-Fans weltweit an ihren Computerbildschirmen verfolgten, und die im August 2007 tatsächlich in einem Happy End mündete. Das Erscheinen von MARIO BAVA – ALL THE COLORS OF THE DARK wurde von Tim Lucas stolz per Pressemitteilung in aller Herren Länder verbreitet. Und die Fakten sind eindrucksvoll: 800.000 Wörter, 1128 großformatige Seiten, über 1.000 Abbildungen und ein aktueller Preis von 290 Dollar als Resultat. Wohl dem, der vor Jahren eine Vorbestellung Richtung Amerika schickte und sich so über die Hälfte des imposanten Preises sparen konnte.

Doch ist Masse auch Klasse? Und lohnt sich der Erwerb des Buchs auch für die Zuspätgekommenen, die ihr Filmjahresbudget für den dicken Schinken auf den Tisch legen müssen? Nun, um es kurz zu machen: "Mario Bava – All the Colors of the Dark" ist wohl das interessanteste, vollständigste und durchgehend am besten geschriebene Filmbuch der kurzen Geschichte des Filmbuchs – und mit Sicherheit auch das schwerste. Tim Lucas hat sich dermaßen tief in die Materie eingearbeitet, dass es einem schlicht den Atem verschlägt. Und erst jetzt erkennt man, was er in all den Jahren getrieben haben muss.

Zu Bavas Filmen hat der Autor jeweils knapp 30 eng beschriebene, großformatige Seiten zusammengetragen, die neben einer ausführlichen Erzählung der Entstehungsgeschichte, zahllosen Fotos und Abbildungen von Filmplakaten und einer ausführlichen Beschreibung des Plots auch aberwitzige Details zu Haupt- und Nebendarstellern und zu den Einflüssen von Bavas Filmen auf die weitere Filmgeschichte bieten. Dabei geht Lucas teilweise derart ins Detail, dass das Buch wohl auch die bislang ausführlichste Biographie des ein oder anderen Nebenprotagonisten sein dürfte. Und dass es hier "nur" um Mario Bava geht, kann man auch nicht wirklich behaupten: Die komplette Historie des populäre italienischen Kinos arbeitet der Kinochronist fast wie nebenbei in akribischer Detailversessenheit ab. Vater Eugenio Bava kommt hier ebenso ausführlich zum Zug, wie Sohn Lamberto Bava. Sogar Enkel, Tanten, Cousins und Schwippschwager bekommen eigene Absätze, in denen selten genaue Daten und Fakten fehlen. Und wem das immer noch nicht reicht, für den bietet "Mario Bava – All the Colors of the Dark" dann auch noch in "Mario Bava's Secret Filmography" die ausführliche Beschreibung von Filmen, an denen Bava mitarbeitete, ohne dass sein Name jemals in den Credits erschien. Eine umfangreiche, wahrscheinlich sogar komplette Auflistung aller Super-8-, VHS- und DVD-Veröffentlichungen sowie aller Soundtracks auf Vinyl oder CD ist natürlich eine seitenfüllende Selbstverständlichkeit.

Man muss es gesehen und vor allem gehoben haben, um die absolute Einmaligkeit dieses Buchs im wahrsten Sinn des Wortes begreifen zu können. Im Weblog zum Bava-Buch geben inzwischen begeisterte Filmemacher wie Martin Scorsese oder Joe Dante ihre Statements ab, die Bava-Familie kommt aus dem Staunen und Jubilieren nicht mehr heraus und überwältigte Fans aus aller Herren Länder senden fotografische Selbstporträts mit Buch an den Autor. Dieser schreibt die scheinbar unendliche Geschichte des Buchs mit der Dokumentation seiner multimedialen und interaktiven Rezeption fort. Es wäre ja auch erstaunlich, wenn er das Projekt nach über 30 Jahren einfach so beenden könnte. Denn inzwischen ist die Geschichte von Tim Lucas einfach zu eng mit der Geschichte seines Betrachtungsgegenstandes verwoben. Lucas, das kann man sicherlich ganz leichtfertig so sagen, ist zum Gedächtnis Bavas geworden.





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