|
You can't go home again. Man kann nie wirklich dahin zurückkehren, wo man herkommt, da man sich selbst zu stark verändert. Von dieser im englischen Sprachraum bekannten Redensart hat Gary King (Simon Pegg) entweder noch nie gehört, oder er ignoriert sie gezielt. Denn Gary will nichts anderes als das: Zurückkehren, nicht nur an seinen Heimatort Newton Haven, sondern an seinen Heimatort in einer ganz bestimmten Nacht seines Lebens, in der er als Teenager mit seinen Freunden den Versuch anstellte, die "Golden Mile" zu absolvieren - eine Sauftour durch alle 12 Pubs des beschaulichen Dorfes. Bis zum letzten Pub "The World's End" haben sie es nie geschafft, doch Gary hatte schon damals das Gefühl, dass das Leben danach nie mehr so gut sein wird - "And you know what?", fragt er seine Selbsthilfegruppe zu Beginn von Edgar Wrights THE WORLD'S END: "It never did."
Gary ist eine nahezu unausstehliche, jämmerliche, aber auch tragische, bemitleidenswerte Figur. Er bringt seine alten Freunde, mittlerweile allesamt gut situiert und längst über ihre Teenager-Jahre hinweg, durch Lügen dazu, sich seinem neuen Versuch eines pub crawls anzuschließen. Seinem ehemals besten Freund Andy Knightley (Nick Frost), der nach einem zunächst nur als "the accident" bezeichneten Vorfall mit Gary gebrochen hat, erzählt er gar, dass seine Mutter gestorben sei und er auch ihr zu Liebe die Beziehung mit Andy wieder aufnehmen möchte - "She always liked you." Er holt seine Freunde ab in demselben Auto, dass er vor 20 Jahren fuhr und spielt dieselben alten Tapes - "I'm free to do what I want" singt er zu den Soup Dragons mit und weiß offenbar nicht mehr, dass die nächste Zeile "Love me, hold me" lautet.
So, wie Gary King ein ambivalenterer, weniger liebenswerter Protagonist ist als die Helden der bisherigen gemeinsamen Filme von Edgar Wright und Simon Pegg, so ist THE WORLD'S END auch im Ganzen eine andere Art Film als SHAUN OF THE DEAD und HOT FUZZ: Wright und Pegg, die erneut das Drehbuch zusammen schrieben, sind weniger auf fan service aus, übertragen in diesem letzten Teil der "Blood and Ice Cream"-Trilogie nicht einfach die Formel der Vorgänger - amerikanische Genrefilme aus der Perspektive britischer Durchschnittstypen - auf ein weiteres Genre.
THE WORLD'S END ist eher ein Film darüber, warum sie, selbst wenn sie wollten, keinen weiteren SHAUN drehen könnten - und funktioniert gerade deshalb so gut als Schlusspunkt nicht nur für die Trilogie, sondern für den gesamten ersten Abschnitt von Edgar Wrights Karriere. Der Film ist eine letzte Liebeserklärung, aber auch ein Abgesang auf die man children, an denen Wright sich schon in der ebenfalls mit Simon Pegg realisierten Sitcom SPACED, später in den ersten beiden Teilen der Cornetto-Trilogie, ja auch in SCOTT PILGRIM GEGEN DEN REST DER WELT, seinem ersten Ausflug nach Amerika (ohne Simon Pegg), abarbeitete. Wright und Pegg setzen ein Zeichen gegen Stillstand, für Weiterentwicklung und Erwachsenwerden.
Natürlich reichern Wright und Pegg ihre zunächst bodenständige, realistische Geschichte erneut mit Genre-Elementen an, die diesmal Science-Fiction-Klassikern wie INVASION OF THE BODY SNATCHERS, aber auch der britischen Serien-Institution DOCTOR WHO entliehen scheinen. Was jedoch fehlt, ist das Parodistische, die Lust am Dekonstruieren und Kommentieren des Genres. Die Sci-Fi-Elemente stehen diesmal, mehr als in den Vorgängern, im Dienste der Charaktere und ihrer Beziehungen, sie dienen dazu, die emotionalen Themen des Films metaphorisch zu untermauern - wofür Science Fiction ja im Grunde auch gedacht ist. THE WORLD'S END ist keine Genre-Parodie, sondern ein straighter Science-Fiction-Film - der beste in einem für Genre-Fans ansonsten eher schwachen Jahr.
Das heißt allerdings nicht, dass Wright und Pegg ihren Humor verloren haben. THE WORLD'S END ist noch immer verspielt und sehr, sehr komisch, manchmal auf subtile, manchmal auf brachial-alberne Art. Pegg liefert als Gary King nicht nur seine bisher vielschichtigste Performance, sondern spielt auch zum ersten Mal in einem Wright-Film nicht den straight man, darf also mehr als zuvor seine komische Seite ausleben. Die straight man-Rolle ist zunächst Nick Frost vorbehalten, doch auch der darf im Laufe des Films (das heißt: nach dem sechsten Bier) mehr von seinem komödiantischen Talent zeigen, und auch die teils eher für ernstere Rollen bekannten Nebendarsteller gehen in ihren Charakteren auf, allen voran Eddie Marsan als Mauerblümchen der Gruppe, der in vielen Szenen so subtil-komisch ist, dass man THE WORLD'S END eigentlich mehrfach ansehen und dabei mindestens einmal ausschließlich auf Marsan achten muss.
Doch was von THE WORLD'S END hängen bleibt ist nicht der Humor, nicht die Genre-Elemente, nicht die wie immer bei Wright virtuos inszenierten Actionszenen. Es ist die Melancholie, die den Film durchzieht. Nach und nach bricht die unterhaltsame, lustige, actionreiche Fassade und gibt den Blick frei auf die tiefe Traurigkeit, die darunter liegt, auf das, wovon Wright und Pegg eigentlich erzählen wollen: Eben vom Ende - dem Ende der Jugend, dem Ende von Freundschaft und, naja, dem Ende der Welt. Ja, auch SHAUN OF THE DEAD und HOT FUZZ hatten ihre emotionalen Momente, doch selbst die konnte man, wenn man wollte, stets noch als Nachstellen von Genre-Klischees sehen - wenn Shaun seine eigene Mutter erschießt, ist das sicher emotional und traurig, aber letztlich eben auch einfach ein klassisches Zombiefilm-Motiv, das zwar noch immer berührt, aber nicht überrascht oder herausfordert und auch nicht unbedingt etwas über die Autoren des Films preisgibt. Bei THE WORLD'S END dagegen besteht kein Zweifel daran, dass Wright und Pegg hier einen extrem persönlichen, intimen Film gemacht haben, und dass es ihnen wichtig ist, dass die emotionalen Momente des Films für sich stehen und wirken - auch, wenn das für die Zuschauer, gerade Fans, die Wright und Pegg vor allem für ihre Comedy schätzen, manchmal schwierig mitanzusehen ist, so düster ist so manche Offenbarung über Gary Kings Vergangenheit und seine Beziehung zu seinem ehemals besten Freund, und so konsequent verweigern sich Wright und Pegg, alle Konflikte des Films sauber und harmonisch aufzulösen.
Letztlich dürften gerade solche Momente Gründe sein, aus denen viele Fans der Vorgänger von THE WORLD'S END enttäuscht sein oder sich vor den Kopf gestoßen fühlen werden. Es sind aber auch die Momente, die THE WORLD'S END zu dem machen, was er ist: Ein definitiver, zwar etwas bitterer, aber dafür konsequenter und mutiger Abschluss der Blood and Ice Cream-Trilogie - und der bisher beste Film in Edgar Wrights ohnehin beeindruckender Karriere.
|
|
|