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SCOTT PILGRIM GEGEN DEN REST DER WELT (USA/Großbritannien/Kanada 2010)

von Alexander Karenovics

Original Titel. SCOTT PILGRIM VS. THE WORLD
Laufzeit in Minuten. 114

Regie. EDGAR WRIGHT
Drehbuch. MICHAEL BACALL . EDGAR WRIGHT
Musik. NIGEL GODRICH
Kamera. BILL POPE
Schnitt. JONATHAN AMOSS . PAUL MACHLISS
Darsteller. MICHAEL CERA . MARY ELIZABETH WINSTEAD . ELLEN WONG . KIERAN CULKIN u.a.

Review Datum. 2010-10-02
Kinostart Deutschland. 2010-10-21

Wer ist Scott Pilgrim? Scott Pilgrim (Michael Cera) ist ein ganz normaler Junge. Und ein Nerd. Aber eigentlich auch ziemlich cool, nämlich Scott Pilgrim hat all das, von dem andere Jungs in seinem Alter nur träumen: Er datet eine 17-jähriges chinesisches Schulmädchen, knackt im Arcade-Parlour jeden Highscore und spielt Bass in der Rockband Sex Bob-omb. Und Sex Bob-omb rockt. Sagt zumindest Knives Chau (Ellen Wong), sein Schwarm und größter Groupie. Trotzdem fühlt sich Scott unausgefüllt; etwas fehlt in seinem Leben. Vielleicht ist Knives doch nicht die Richtige für ihn, oder seine Band loost in Wirklichkeit voll ab ... die Antwort auf seine Krise kommt auf Inline-Skates in sein Leben gerollt - die Eine oder Keine! Ramona Flowers (Mary Elizabeth Winstead), das abgeklärte Girl mit blauen Haaren und sieben teuflischen Ex-Lovern im Rücken, die alle Scott zum Duell fordern; vorher ist nichts mit entspannt Händchen-Halten.

Die Idee ist reizvoll; schließlich sind Nerds auch nur Jungs, und nicht auszuschließen, daß sich mal einer in ein Mädchen verguckt, deren Kurven nicht gerade einem besonders raffinierten, Hardware-schonendem Anti-Aliasing Algorithmus entstammen. SUPERBAD, ebenfalls mit Michael Cera in einer Hauptrolle, hat das (zu großen Teilen) hip und charmant gelöst. SCOTT PILGRIM GEGEN DEN REST DER WELT nähert sich dem Thema Geeks vs. Erste Liebe weitaus unsubtiler, und sprenkelt sein kunterbuntes Nerd-Universum mit Meta-Gags aus der verpixelten Wahrnehmung seiner ADHD-infizierten Zielgruppe: penetrante Pop-Up Fenster, schrille Onomatopoetika und hysterische grafische Metaphern. Oft ist das witzig, manchmal nervig, und meistens albern bis überflüssig. Wenn Scott auf's Klo geht, springt eine Pee-Bar im C64-Font ins Bild und entleert sich lautstark. Wer sich den durchaus pfiffigen Dialog-Witz im ersten, noch relativ am Boden gebliebenen Akt nicht entgehen lassen will, sollte zumindest ein Screening im O-Ton aufsuchen. Die Synchronisation ist zwar ordentlich gesprochen, schafft es aber mit bewundernswerter Präzision, knapp am richtigen Timing oder rechten Wort vorbei, Gags ins Nirvana zu schießen.

Vollkommen abheben tut der Film in den Duell-Szenen, die als Beat-em-Up nach Tekken-Vorbild visualisiert nichts mehr mit gemeiner Realität zu tun haben. Scott Pilgrim mutiert zum Alles-könnenden Martial Arts-Akrobaten, besiegte Gegner explodieren in einer Wolke aus Münzen. Zwar abwechslungsreich inszeniert, können flotte Duelle nicht darüber hinwegtäuschen, daß zugleich die Geschichte zum Stillstand kommt. Die Action funktioniert weder als Allegorie noch als Spannungsmoment; Scott Pilgrim fechtet keinen inneren Kampf aus, sondern prügelt seinen Konkurrenten tatsächlich im physischen Sinne die Pixel aus dem Leib: Level für Level für Level, Bollywood-Tanzmonster, Veganer-Rockstars, lesbische Superbabes, und kommt so seiner Angebeteten Ramona näher ohne etwas dazuzulernen, sich sonderlich anzustrengen oder gar etwas zu verändern. Umso absurder, wenn Zwischensequenzen tatsächlich Empathien für die Charaktere wecken wollen.

In einem Videospiel können Dialoge per Knopfdruck übersprungen werden, in SCOTT PILGRIM wartet man irritiert auf den nächsten Fight, und wenn dieser dann kommt, wünscht man sich einen Film, in dem Action und Plot einander sinnvoll bedingen. Am besten funktioniert das noch, wenn plötzliches Understatement das absurde Konzept dekonstruiert: "Oh, Münzen. Cool!" sagt Scott nachdem er seinen ersten Kontrahenten in den Staub geschickt hat, und als er diese aufsammelt, lakonisch feststellt: "2,40 Dollar. Reicht nicht mal für ein Bus-Ticket nachhause". Schluß mit lustig ist spätestens, wenn in einer Amp-vs-Amp Battle (Gitarre gegen Synthesizer) CGI-Monster aus den Saiten, bzw. Tasten kriechen und sich über den Köpfen der Konzert-Besucher bekriegen; da sind wir nämlich bei KUNG FU HUSTLE angekommen.

Vielleicht hätte man das Skript einfach mehr Leuten unter die Nase halten sollen; Leuten, die nicht nur die Comic-Vorlage total 1337 und epic finden und/oder als Kind ausschließlich mit Pac-Man und Zelda gespielt haben. Hier war die Chance, eine rasante, unterhaltsame Liebesgeschichte vor dem sozialen Hintergrund einer Generation, die Nullen und Einsen mit der Muttermilch aufgesogen hat, zu erzählen. Nerds, Geeks, Menschen, die Automaten-Spieleklassiker wie Tetris und Pong zur Religion erhoben haben, dabei trotzdem coole Musik hören. Und Zocken ist ja auch nix Schlimmes, man muß nur darüber reden. Regisseur Edgar Wright hat diese Chance vergeigt, indem er eine Coming-of-Age Komödie gedreht hat, in der nichts auf dem Spiel steht, nichts von Bedeutung ist, und das Erfahrungspunkte-Konto aller Beteiligten letztendlich denselben Status Quo aufweist wie zu Beginn.

Ein kurzweiliger Film, aber kein guter. Zumindest kein Film, den man guten Gewissens Freunden weiterempfiehlt, die in Tekken nur eines von 30 Kostümen freigespielt haben. Man darf aber davon ausgehen, daß auch dieser Film irgendwann den Kult-Stempel aufgedrückt bekommt; seine Zielgruppe hat er sich anscheinend bereits zusammen mit der Vorlage ausgesucht, so daß ich hier eher bei einem Diskurs angelangt bin, ob SCOTT PILGRIM überhaupt hätte gedreht werden sollen. Und solche Diskussionen sind immer müßig. Ich dachte halt, ich gehöre dazu. Und das tut mir leid.











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