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CONJURING - DIE HEIMSUCHUNG (USA 2013)

von Björn Lahrmann

Original Titel. CONJURING - DIE HEIMSUCHUNG
Laufzeit in Minuten. 112

Regie. JAMES WAN
Drehbuch. CHAD HAYES . CAREY HAYES
Musik. JOSEPH BISHARA
Kamera. JOHN R. LEONETTI
Schnitt. KIRK M. MORRI
Darsteller. VERA FARMIGA . PATRICK WILSON . LILI TAYLOR . RON LIVINGSTON u.a.

Review Datum. 2013-07-30
Kinostart Deutschland. 2013-08-01

Hypes, so Bert Rebhandl bei einer kürzlichen (auf vdfk.de nachhörbaren) Diskussion mit Georg Seeßlen, entstünden immer aus einer minoritären Außenseiterposition heraus - nie in den Machtzentren des Biz selbst, in Studios oder gar Marketingabteilungen. Dieser Definition nach wäre der enorme Wirbel, der gerade um CONJURING - DIE HEIMSUCHUNG veranstaltet wird, ein glatter Antihype: Er geht nämlich zurück auf die behördliche Altersfreigabe der MPAA, die dem Film statt des erhofften PG 13- ein R-Rating aufbrummte. Grund: nicht zu nackt, vulgär oder blutig, sondern schlicht zu scary gehe es in James Wans neuem Spukhausheuler zu - ein ungewöhnliches Verdikt, an das Warner Bros. gleich die erwartbar mit Schreckenssuperlativen lockende Werbekampagne hängte, komplett mit segenspendendem Priester an der Kinotür.

Der zyklische Standardverlauf des Hypes will es, dass auf vehemente Bestätigung noch vehementere Ablehnung folgt, bis sich am Ende alle darauf einigen, dass das fragliche Objekt schon irgendwie ziemlich okay war. Ich überspringe mal die zweite Phase, die - nach fast einstimmigen Leidensberichten zu Tode entzückter US-Kritiker (Kostprobe: "you may consider leaving halfway through, for fear you'll have a heart attack") - eigentlich anstünde, und komme zum überhaupt nicht abtörnend gemeinten Fazit: CONJURING ist schon irgendwie ziemlich okay. Der Film basiert auf einem "wahren" Fall des "echten" Parapsychologenpärchens Ed und Lorraine Warren, die auch die Vorlagen für AMITYVILLE und THE HAUNTING IN CONNECTICUT lieferten. Gespielt werden sie von Patrick Wilson und Vera Farmiga als graubrottrockene Superkatholiken, die glaubwürdigkeitshalber immer erst rationale Erklärungen für irrationale Phänomene suchen, bevor sie Weihwasser und großes Latinum auspacken.

Kein Grund für derlei Zögerlichkeiten besteht indes im neuen Heim der Bluecollar-Großfamilie Perron - Ron Livingston, Lili Taylor, fünf Töchter -, die sich nach ein paar zunehmend nervenzerfetzenden Polterabenden verzweifelt an die Warrens wenden. Hui Buh in da house, klare Sache - mehr an Plot gibt's und braucht's nicht. War Wans thematisch fast identischer Vorgänger INSIDIOUS noch kalt-monochrom in der Ausgestaltung und hitzig-kunterbunt in den Kapriolen, die das Drehbuch schlug, sind die Verhältnisse hier sehr vorteilhaft umgekehrt. Die milden Herbsttöne North Carolinas suggerieren eine anheimelnd falsche Sicherheit, die nicht nur die Kinder sofort zu Erkundungsgängen lockt: John Leonettis Kamera rauscht, schwebt, kippt und kreiselt zu Beginn mit digitaler Leichtigkeit durch Haus und Garten, bis man den letzten vorbildlich productiondesignten Winkel zu kennen meint - ein kalkulierter Fehlschluss, auf dem die ganze altmodische Gruselphilosophie des Films beruht: Never trust an establishing shot.

Es ist nämlich immer mehr da, als man gezeigt bekommt. Das scheinbar so gründlich erschlossene Anwesen wirkt innen auf beunruhigende Weise größer als außen und entpuppt sich zudem als rundum durchlässig; überall finden sich klaffende Löcher im Gehölz, geheime Keller, verborgene Stauräume. Das Grauen lauert hinter Wänden, unterm Parkett, vor allem an den Bildrändern: Mehrfach spielt Wan mit entsetzten Reaction Shots, die am Frame knapp vorbeizielen, mit diagonalen Zooms auf zuvor unauffällige Punkte, mit nicht ganz leinwandfüllenden Handspiegeln, in und vor und neben denen sich jede Sekunde Dämonenfratzen zu materialisieren drohen. Der Kamerablick ist begrenzt, der Radius des Unheimlichen aber 360°, und zuweilen ist nicht mal das Bildzentrum selbst sicher: In einer der schönsten Szenen braucht es nur ein zitterndes Mädchen, das insistierend auf eine nachtschwarze Nische mitten im Zimmer zeigt, um die Nackenhaare strammstehen zu lassen.

CONJURING verlagert seinen Horror ganz in die Rauminszenierung und macht damit elaborierte Backstories ebenso überflüssig wie allzu billigen Budenzauber. Wenn auch gelegentlich das übliche Holterdipolter ausbricht - magenschleudernd unterstützt von Joseph Bisharas knarzenden Glissandi und Vibrati -, liegt der hauptsächliche Reiz des Films doch in der gekonnt gehaltenen Suspense (vulgo: Verzögerung) vorm befürchteten Jump Scare, der dann immer öfter auch nicht eintritt. Wan verzichtet dabei weitestgehend auf CGI-Mätzchen zugunsten einer Fixierung aufs Haptische, die in ungeschlachten Texturen - zerschrammten Puppengesichtern, knorrigen Henkersbäumen - ein natürliches Unruhepotenzial ausmacht. (Überhaupt ein schöner Trend im derzeitigen Mainstreamhorror, den jüngst, am matschigen Ende des Genrespektrums, auch Fede Alvarez' phänomenales EVIL DEAD-Remake illustrierte.)

Ausgerechnet zum Finale hin gerät die gut geschmierte Geisterbahn allerdings merklich aus der Spur: Da schießt der Film sich allzu imitierwütig auf einen sakrosankten Besessenheitsklassiker ein, in dessen Bannkreis ihn die schiere Gottesfurcht lahmlegt (auch ideologisch, will man Andrew O'Hehirs reflexhaftem liberal rant auf Salon.com folgen). Freilich sind Wans Tricks überhaupt niemals originell, aber zumindest klug aus reicher Tradition zusammengesampled. Wenn einen (oder zumindest mich) CONJURING - DIE HEIMSUCHUNG letztlich doch eher wohlig mitreißt als durch die vielerorts versprochene Terrormühle dreht, liegt das gewiss auch ein stückweit daran: dass die Karten, mit denen er spielt, noch dann offen liegen, wenn man sich gerade wieder die Hände vor Augen hält.











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