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Denis Villeneuve eine Fortsetzung zu DER BLADE RUNNER machen zu lassen, ist eine naheliegende Wahl gewesen. Wenngleich mit wechselndem Geschick hat sich der kanadische Regisseur und Drehbuchautor als Spezialist für enigmatische Stoffe erwiesen - sei es nun DIE FRAU DIE SINGT, PRISONERS, SICARIO, ENEMY oder zuletzt ARRIVAL. Und was gibt es Geheimnisvolleres als den sich schleichend entziehenden Unterschied zwischen dem Menschen und immer raffinierter konstruierten Cyborgs oder Replikanten? Umso ärgerlicher ist es, dass Villeneuve zu viel Zeit damit verplempert, BLADE RUNNER 2049 zu einem dystopischen Epos im Stile des TERMINATOR-Franchise aufzublähen statt sich auf das zentrale Rätsel und seine allmähliche Enthüllung zu konzentrieren. Villeneuves vornehmeste Tugenden, das grausame Spiel mit der Zeit und der Erwartung, die Täuschungen der Wahrnehmung und die Verwebung von Chiffrierung und Dechiffrierung, gehen dabei wie von selber über Bord.
Wie die Jahreszahl im Titel signalisiert, spielt das Sequel 30 Jahre später. Das Cyborgs herstellende Unternehmen Tyrrel ist bankrott gegangen. Aber die von ihr verwendete Technologie konnte sich die Wallace Corporation trotz eines globalen Blackouts weitgehend aneignen. Sie stellt damit Arbeitscyborgs bzw. -replikanten her, zu denen auch Polizisten wie der Beamte K (Ryan Gosling) vom Los Angeles Police Department zählen. Er und seine Kollegen sind damit beauftragt, die älteren Seriennummern von Tyrrel "in den Ruhestand" zu versetzen, sprich: zu vernichten. Auf der Farm eines der älteren Cyborgs finden sich Knochenüberreste einer Replikantenfrau, die offenbar ein Kind zur Welt gebracht hat, ein Ding der Unmöglichkeit. Im Auftrag seiner Chefin Lieutenant Joshi (Robin Wright) soll K den Verbleib des Kindes klären. Die Spur führt ihn zur Wallace Corporation und Wallace' undurchsichtiger Stellvertreterin Luv (Sylvia Hoeks). Sehr bald ist K überzeugt, dass es sich bei den Eltern um Officer Deckard (Harrison Ford) und Rachael (Sean Young) handelt. Was das Kind betrifft, hat K eine Ahnung, die ihn zwar verstört, aber ihm auch eine unbekannte Hoffnung gibt...
Welcher Version von DER BLADE RUNNER der neue Film folgt, wird rasch klar: Diejenige, für die Roland Kibbee, renommierter Genrefilm- und COLUMBO-Autor, das Voice-Over im Stil eines Film Noir verfasst hat. Die Science-Fiction-Thematik erhielt so den Überzug einer Detektivgeschichte in der Hardboiled-Tradtion von Hammett, Chandler und McDonald. Diese Hybridisierung ist freilich schon in Ridely Scotts Bildern angelegt. Motivisch speisen sie sich nicht zuletzt aus dem so genannten Mickey-Spillane-Spoof des Musicals THE BAND WAGON, in dem Fred Astaire und Cyd Charisse die gewaltpornographischen Exzesse eines anderen Autors der Schwarzen Serie, Mickey Spillane, parodierend nachtanzen. Die Balleteinlagen vom Kugelhagel umgemähter Statisten und Komparsen dürften ihrerseits die Choreographie John Woos angeregt haben. Außerdem entsprach Sean Young, die in BLADE RUNNER 2049 lediglich als Computereinspielung dabei ist (und deshalb zum Boykott des Films aufgerufen hat), durch ihr Oszillieren zwischen gefühlloser Maschine und simulierter Emotionalität ziemlich genau der charakterlich zweifelhaften Femme fatale der Noir-Traditon. Einer solchen begegnet K in Luv, und wie Jack Nicholson im Retro-Noir CHINATOWN trägt er bald ein Pflaster quer über der Nase und bewegt sich auf seiner Suche nach Deckard in sepiafarbenen Extérieurs und Intérieurs.
Lange sieht es so aus, als ob BLADE RUNNER 2049 zu früh seine Pointe verrät. Eine wirklich überraschende Wendung bewahrt davor, verhindert aber nicht die Mittelmäßigkeit des Films. Die missglückte dramaturgische Handhabung des Rätselhaften an sich ist daran schuld. Natürlich muss jeder Film irgendwann seine Karten aufdecken. Aber manchmal fällt die Lösung so genial aus wie in PRISONERS, wo in der allerersten Einstellung der Grimmesche Märchenwald zuzüglich Wild und Jäger bereits den entscheidenden Hinweis auf den Täter-Typus des Entführers zweier kleiner Mädchen gibt. Nur ahnt das kein Zuschauer und teilt so die Blindheit des väterlichen und des professionellen Ermittlers in dem Fall. Freilich ist das ein Höhepunkt in der Auseinandersetzung mit unseren Sehgewohnheiten, den Villeneuve bislang nicht wieder erreicht hat. Dreiviertel von SICARIO bilden ein mysteriöses Zeichengewebe, ehe Josh Brolin mit einem Erklärungsmonolog für Emily Blunt es zerreißt, und ARRIVAL rettet sich im kritischen Moment in die Ellipse.
Zwar verblüfft die Auflösung in BLADE RUNNER 2049, lässt aber merkwürdig kalt. Das liegt zum einen daran, dass K und seine Vorgesetzte beim Verfolgen ihrer Fährte einigermaßen begriffsstutzig sind, und zwar so ermüdend lange, dass das Ahnungsvermögen des Zuschauers davoneilt. Dass es düpiert wird, ist dringend notwendig, um die Drehbuchautoren nicht als vollkommen einfallslose Idioten schrecklich vorhersehbarer Skripte dastehen zu lassen. Aber es geschieht so spät, dass das Publikum sich schon gehörig gelangweilt hat. Zum anderen hat das, was sich dann enthüllt, viel Kovergenz mit dem anstehenden Fest der Christenheit. Unwillkürlich klingt die anberaumte Erlöser-Litanei nach kalendarischer metaphysischer Beliebigkeit. Der höhere Sinn, der so verkrampft eingeschleust wird, macht dabei auf Handlungsebene kaum Sinn. Die Proportionen zwischen Hermetik und Klartext erscheinen unheilbar verschoben.
Die langen Einstellungen in PRISONERS sind Stundengläser gewesen, Mahnung gnadenlos verinnender Zeit, die einen furchtbaren Handlungsdruck auf alle ausgeübt hat, die nach den entführten Kinder suchen. In BLADE RUNNER 2049 steht die Zukunft verschiedener Spezies auf dem Spiel, und doch teilt sich kein bisschen Eile mit. Die Re-Auratisierung der Endzeitstimmung des ersten Films erzeugt Langatmigkeit. Villeneuve bringt noch mehr Regen und nun sogar Schnee, unterstreicht das Röhren und Brummen (unterstützt von Hans Zimmer) küchenschabenartiger Flugmaschinen und erschließt klaustrophobisch-unendliche Ödnis und Unwirtlichkeit à la Tarkowskij. Aber der Versuch, die kammerspielartige Dystopie des ersten Films in die Weite zu tragen, dünnt den zweiten aus. Die Detektivgeschichte trägt dann nicht mehr. Die Story, die sich Hampton Fancher, einer der Drehbuchautoren von damals, für BLADE RUNNER 2049 ausgedacht hat, ist zu klein angelegt. Und eine mit Philip K. Dicks Roman vergleichbare Substanz bietet sie ohnehin nicht. Literarische Reminiszenzen - das Kürzel K aus dem Oeuvre Kafkas, die Anspielungen auf Nabokov und Stevenson - machen den Mangel nicht wett.
Mit DER BLADE RUNNER einen existenziellen Science-Fiction-Film zu drehen, nachdem das Genre sich auf bellizistische Space Operas und Horror im All ausgerichtet hatte, war ein Wagnis, das an der Kinokasse zunächst floppte. Der spätere Ruhm und der Gehalt des Werkes gaben Ridely Scott und seinem Kreativteam indes recht. Tatsächlich passte DER BLADE RUNNER ja eigentlich sehr gut zu den kalt glitzernden 1980er Jahren. Das Replikanten-Sujet stellte die Herrschaft der Simulakren, der Kopien ohne Urprung und der Zeichenregimes ohne Bedeutungstiefe, nachdrücklich in Frage. BLADE RUNNER 2049 hingegen risikiert bloß die Geduldsprobe für die Zuschauer. Im Übrigen hangelt er sich an Genre-Gemeinplätzen entlang und klammert sich an den Wert der Leinwand-Personae von Ryan Gosling und Harrison Ford. Ob irgendein geistiges Potenzial darin steckt, ist zweifelhaft.
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