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UNENDLICHE TIEFEN

Special.
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von Matthias Mahr

Rückblick auf die Schwerpunkte

Neben dem Hauptprogramm bietet die VIENNALE jedes Jahr diverse Schwerpunkte zu Personen und Themen. Abgesehen von der großen, bereits zur Halbzeit erwähnten Filmmuseumsretrospektive waren diesmal kleinere Personenretros, beim Festival immer Tributes genannt, den Schwestern Olivia de Havilland und Joan Fontane sowie dem britischen Dokumentarfilmer Peter Whitehead gewidmet.

Der wohl berühmteste der neun ausgewählten Filme mit Olivia de Havilland war wohl Victor Flemings Südstaatenepos GONE WITH THE WIND, die Vorstellung, auf die man sich dieses Jahr vielleicht am meisten freuen konnte war aber die vom großartigen THE ADVENTURES OF ROBIN HOOD. Das populäre Paar de Havilland & Flynn arbeitete mit Michael Curtiz bereits beim legendären CAPTAIN BLOOD, der leider bei diesem Tribute übergangen wurde, und dem weit weniger bekannten CHARGE OF THE LIGHT BRIGADE, so war es trotz angeblicher Animositäten zwischen Flynn und Curtiz naheliegend, dass er auch für diesen Film verpflichtet wurde, nachdem das Studio den ersten Regisseur William Keighley wegen mangelnder Vitalität in den Actionszenen feuerte. Der Film mag nicht überall historisch korrekt sein, ein Tigerfell in Lady Marians Kammer scheint nicht so recht in die Zeit zu passen und in jedem Fall wirkt alles zu sauber, obwohl die Handlungen der Personen, etwa was die Tischmanieren betrifft, sehr authentisch wirken. Dennoch spielt Curtiz hier eine seiner großen Stärken aus, die in vielen seiner US-Filme, auch dem berühmtesten, CASABLANCA, weit weniger zur Geltung kamen: das Talent große Opulenz stilsicher statt kitschig umzusetzen. Das Tempo wechselt zudem für einen Swashbuckler perfekt zwischen Romantik, witzigen Dialogen und schweißtreibender Action. Vom Nachmittagsfernsehen oder aus Kindheitserinnerungen wird dieser Klassiker wohl den meisten bekannt sein, was aber natürlich kein Ersatz dafür wäre, sich diesen in Technicolor gedrehten Traum erneut im Kino zu geben und so war es fast selbstverständlich, dass bei dieser Vorstellung der Saal randvoll war.

Joan Fontaine kennt man neben ihrem Part in George Cukors Ensemblestück THE WOMEN wohl vor allem aus ihren Hitchcockrollen in REBECCA und SUSPICION, welche auch beide im Tribute liefen. Ein besonderes Gustostück war aber LETTER FROM AN UNKNOWN WOMAN. Max Ophüls adaptierte hier eine Novelle von Stefan Zweig, die eine tragische Liebe im Wien der Jahrhundertwende (19./20. Jhd.) zum Inhalt hat. Man muss für solche Melodramen gar kein besonderes Faible haben um hiervon berührt zu sein und um die große Könnerschaft in der Inszenierung, die geschickte Erzählform und die handwerkliche Präzision aller Beteiligten zu würdigen. Neben Fontaine glänzt auch Lois Jourdan in der männlichen Hauptrolle. Die Kameraarbeit in s/w ist perfekt, die Stimmung düster, man wähnt sich fast eher in einem Film Noir als einem herkömmlichen Kostümdrama. Ein wunderbar trauriger Kontrast zum fröhlichen Technicolor bei ROBIN HOOD.

Anders als die beiden Schwestern, die doch beide schon um die 90 Jahre alt sind konnte Peter Whitehead persönlich nach Wien kommen. Bekannt wurde er vor allem für seine Musikfilme, allen voran mit den Rolling Stones, mit THE FALL präsentierte er aber auch seinen, nach eigener Einschätzung, politischsten Film. Der Film beginnt im Oktober 1967 und sollte ursprünglich die Bürgerrechtsbewegung und den Wiederstand gegen den Vietnamkrieg am Beispiel New York beleuchten. Doch einmal beim Drehen musste Whitehead mehrmals das Konzept ändern weil sich die Ereignisse in der Zeit überschlugen. Als er bereits einen in sich geschlossenen Film fertig gestellt hatte, sichtbar eingerahmt mit einer Rauf- und Runterfahrt in einem Fassadenaufzug bekam er noch eine besondere Chance: Die protestierenden Studenten der Columbia University akzeptierten ihn als "ihren Kameramann" während sie sich im Frühjahr '69 in der Universität einschlossen. Die wirklich einzigartigen Bilder dieser Aktion wurden gleichzeitig als Epilog wie als heimlicher Höhepunkt diesem Film angehängt. Was BOBBY heuer versuchte ist hier vor Ort deutlich besser geglückt: Den Geist dieser Zeit einzufangen.

Eine ganz andere Form von Personenschwerpunkt fand am 20.10. in der Urania statt. Es war Elfriede Jelineks 60. Geburtstag und zur Feier wurden sechs ihrer Lieblingsfilme gezeigt. Einiges davon konnte man bereits in der Carte Blanche, die ihr vor wenigen Jahren im Metrokino gestellt wurde, sehen: VERTIGO und CARNIVAL OF SOULS, statt LOST HIGHWAY ihres erklärten Lieblingsregisseurs gab es damals MULHOLLAND DR.. Überraschend, wenn man dann hier in Ulrike Ottingers BILDNIS EINER TRINKERIN einen Zwerg vor den roten Vorhang treten sieht. Vielleicht ein Zufall, doch erinnern auch manch andere Bilder dieses ebenso visuell interessanten wie teilweise witzigen Films, bei dem sich trotzdem das Publikum lichtete wie in wenigen anderen Vorstellungen, entfernt an Lynch.

Mit Fassbinders LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD war ein weiterer deutscher Autorenfilm in der Jelinek-Auswahl, diesem widmete aber auch das Filmarchiv Austria seinen Schwerpunkt. "Aufhänger" war hier der vorwiegend in Deutschland arbeitende Österreicher Herbert Vesely. Doch waren auch prominentere wie Fassbinder, Herzog, Kluge, Vlado Kristl (dem bereits letztes Jahr ein kleines "In Memoriam" gewidmet war, wobei es lediglich bei seinen bekannten DER DAMM Überschneidungen in den Programmen gab) und Wenders mit Werken aus den 60er und 70er Jahren vertreten. Von letzterem wurde auch die bekannte witzig-essayistische Miniatur 3 AMERIKANISCHE LP'S gezeigt, kein Autorenfilm im eigentlichen Sinn, stammt doch das Drehbuch von Peter Handke. Auch das Regiepärchen Straub/Huillet war mit zwei Kurzfilmen vertreten. Zu ihnen hat VIENNALE-Direktor Hans Hurch eine besondere Affinität, arbeitete er doch mit ihnen als Regieassistent. Insofern überrascht es wenig, dass sich das Duo, nicht unbedingt zur Freude aller, häufiger am Spielplan der VIENNALE fand, auch dieses Jahr waren sie mit ihrem neuen (Huillets letztem) Film QUEI LORO INCONTRI im allgemeinen Spielfilmprogramm vertreten.

Das mit insgesamt elf Programmen umfangreichste (sieht man von der Filmmuseum-Retro ab) und wohl auch ungewöhnlichste Special lief unter dem Titel "Tales of the Jungle". Die gezeigten Filme wurden durch zwei Events ergänzt. So projizierte an fünf Abenden die Künstlergruppe Lichttapete bunte Urwaldmotive auf jeweils ein Gebäude in Wien, darunter die beiden Festivalkinos Urania und Gartenbau. In der Urania legten zusätzlich am gleichen Abend, dem 19.10., zwei DJs "Tracks from the Jungle" auf.
An filmischen Beispielen wurde aus dem Dschungel ein sehr bunter Reigen geboten. So gab es zwei ethnologische "Dokudramen" zu sehen: Den Stummfilm CHANG: A DRAMA OF WILDERNESS der KING KONG-Filmer Cooper & Schoedsack sowie EN DSCHUNGELSAGA von Arne Sucksdorff, der eine ähnliche Geschichte erzählt, das gleiche Motiv einer Falle gegen den "bösen" Tiger verwendet, aber in Farbe und Cinemascope. (Oder laut VIENNALE-Katalog genaugenommen dessen schwedischem Clon "AgaScope".)
Es gab "Arthouse-Beispiele", die schon in VIENNALE-Programmen der letzten Jahren zu finden waren: Lisandro Alonsos meditativ schöner LOS MUERTOS, der 2004 den STANDARD-Publikumspreis gewonnen hat (sein heuriges Semisequel FANTASMA war aber eine Enttäuschung im allgemeinen Spielfilmprogramm) und Apichatpong Weerasethakuls SUD PRALAD (TROPICAL MALADY). Weerasethakuls gehört auch zu den Regisseuren, die bei der VIENNALE-Programmierung hoch im Kurs stehen, ohne dass sich jedem zwangsläufig erschließen muss, weshalb.
Es gab aber auch das genaue Gegenteil davon: Von Robert Siodmaks COBRA WOMAN gab man sich optimalerweise das erste Screening. Gab hier doch Kenneth Anger, dem dieses Jahr so was wie ein eigener heimlicher Schwerpunkt gesetzt wurde, mit einem Programm neu restaurierter Kopien seiner Kurzfilmklassiker und einem Dokumentarfilm über ihn am 22.10. eine wirklich unterhaltsame kleine Einführung über den Film an sich und Angers Jugendschwarm Maria Montez im Speziellen. Aber auch der Film an sich ist durchaus witziger Camp, anders als Umberto Lenzis DIE RACHE DER KANNIBALEN (CANNIBAL FEROX), bei dem der Kult, der von so vielen um diesen Film betrieben wird, schwer nachvollziehbar wird. Es mag an der miserabel bedienten Kopie gelegen haben und vor allem der deutschen Synchro, deren Dialoge einem wirklich die Schuhe ausziehen können. Werktreue oder war hier Brandt im Spiel? Egal, die Geschichte kommt auch eher träge in Gang, die Ekelszenen sind deftig, aber nicht sonderlich zahlreich. Man konnte sich mehr erwarten.
Der wirkliche Höhepunkt dieses im Ganzen doch sehr schönen Special Programms war letztlich Luis Buñuels LA MORT EN CE JARDIN mit Simone Signoret in der Hauptrolle. Ein Möglichkeit wäre es vielleicht, die beiden letzten Sätze zu kombinieren: Kein wirklich typischer Buñuel (selbst der von Michel Piccoli dargestellte Pater kam trotz leichter Spitzen relativ sympathisch weg), sondern ein klassischer Suspensefilm in der Tradition von LOHN DER ANGST. Und die Spannungsschraube wird hier wirklich auf großartige Weise langsam Richtung des Unerträglichen angezogen. Den Horror des Dschungels: Hier fand man ihn eher als bei den Kannibalen.

Weitere Infos gibt es unter: www.viennale.at

Der Halbzeitreport
Rückblick auf das Hauptprogramm
Rückblick auf die Schwerpunkte
Special zur Viennale '06











Eindrücke.
Regisseur Kenneth Anger
Julie Depardieu
Regisseur Erich Langjahr
Maria Järvenhelmi
Viennale Präsident Eric Pleskow und Regisseurin Andrea Eckert
Gala-Abend im Wiener Rathaus
Der Viennale-Screen bei der beeindruckend beleuchteten Staatsoper
Dschungelprojektion auf dem Verkehrsbüro in der Friedrichstraße
Die italienische Regisseurin und Preisträgerin Mirjam Kubescha
Verleihung des Preises der Standard-Viennale Publikumsjury
Abschlussfest im Palais Auersperg
Viennale



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