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Reportage.
Fantasy Filmfest White Nights 2020
von André Becker

Fantasy Filmfest White Nights 2020

Die Fantasy Filmfest White Nights bieten seit mehreren Jahren eine schöne Möglichkeit um die Wartezeit bis zum großen Hauptfestival in den Herbstmonaten zu überbrücken. Auch in diesem Jahr gab es an jeweils zwei Tagen (mit Ausnahme von München, wo das Festival auf drei Tage verteilt war) wieder die volle Power Genre-Kino. Zehn Filme wurden gezeigt, darunter einige Deutschland-Premieren, bei denen zur großen Freude des Publikums teilweise ebenfalls die beteiligten Filmemacher anwesend waren (etwa bei der in Deutschland produzierten Horror-Anthologie DEATHCEMBER).

In Berlin fanden die White Nights diesmal im CineStar im Kino der Kulturbrauerei statt. Nachdem das Festival jahrelang in den Kinos rund um den Potsdamer Platz gastierte, musste für 2020 eine neue Spielstätte her, da das CineStar am Potsdamer Platz Anfang des Jahres den Betrieb einstellte und somit nicht mehr zur Verfügung stand. Der Ortswechsel machte sich allerdings nicht unbedingt bemerkbar. Weder bei den Zuschauerzahlen, noch bei der Stimmung, die ausgesprochen gut war und bei der man die Vorfreude auf die gezeigten Werke häufig mit Händen greifen konnte.

Die jeweiligen Filme bewiesen erneut die große Genre-Vielfalt des Festivals. Neben den üblichen Vertretern der Bereiche Horror, Action, Thriller und Mystery fanden sich sogar Komödien (JO JO RABBIT von Taika Waititi) im Programmheft. Frühaufsteher hatten dabei bereits zu den Mittagsstunden die Möglichkeit die ersten Werke zu begutachten. In Berlin markierte der südkoreanische Thriller THE BEAST am Samstag um 13:00 Uhr den Beginn des Festivals.

Fantasy Filmfest White Nights 2020

Ein durchaus lohnender Genre-Beitrag, der auf positive Weise, nicht das bot, was sich der eine oder andere nach einem Blick auf die Beschreibung des Programmhefts wohl vorgestellt haben mag. THE BEAST folgt vordergründig den Ermittlungen in einer Mordserie, die eine Industriestadt erschüttert und die beteiligten Cops an den Rand ihrer psychischen Belastbarkeit führt. Nach und nach webt Regisseur Lee Jung-Ho allerdings noch weitere Handlungsebenen hinzu, mit denen er ausgesprochen geschickt Themen wie Korruption, Machtmissbrauch und soziale Verrohung beschreibt. Mit seinen hochspannenden Sequenzen, den phantastischen Darstellern und der bis zum wahrhaft bitteren Ende durchgezogenen düsteren Inszenierung ein frühes Festival-Highlight das hoffentlich schnell auch hierzulande den Weg zu den Zuschauern findet.

Einen echten Knaller erwartete das Publikum am Samstag schließlich in der 20 Uhr-Vorstellung. VFW von Joe Begos erwies sich als genau die Sorte Party-Film, die man in den letzten Jahren mitunter schmerzlich auf den einschlägigen Festivals vermisst hat. Begos, der spätestens mit BLISS (von 2019) zu den Top-Newcomer-Regisseuren gezählt werden kann, fackelt ein Actionfeuerwerk ab, dass in jeder Sekunde den Geist der achtziger Jahre atmet. Großartig besetzt mit Stephen Lang, William Sadler und Blaxploitation-Legende Fred Williamson ist Begos einer der besten Retro-Filme der letzten Jahre gelungen. Das liegt vor allem daran, dass Begos augenscheinlich verstanden hat was all die Action- und Horrorstreifen der Achtziger so einmalig und vor allem so gut machte.

In knackigen neunzig Minuten fokussiert er sich bei seinem Belagerungs-Actioner auf das Wesentliche. Angriff, Gegenwehr, erneuter Angriff. Bis zum letzten Mann. Angesiedelt in einer runtergerockten Bar in einer Stadt, in der nur noch das Survival of the fittest Gültigkeit hat. Gewissenlose Gangleader und eine ganze Armada von mit Drogen vollgepumpten Kampfmaschinen vs. eine Gruppe von Kriegsveteranen. Eine einzige Raserei, die keine Zeit zum Atmen lässt und bei der kaum ein Knochen an seiner ursprünglichen Stelle bleibt. Trotz sichtbarer Budget-Knappheit schafft Begos wertige Bilder, die bewusst grobkörnig der guten alten analogen Filmkunst huldigen. Ein Film, der glücklicherweise seine Altstars nie vorführt und auf ein lustig gemeintes Too-old-for-this-shit-Gehabe reduziert (etwa wie in THE EXPENDABLES). Definitiv eines der Highlights der zwei Tage und uneingeschränkt empfehlenswert.

Fantasy Filmfest White Nights 2020

Am Sonntag begann das Programm dann sogar noch früher als am vorherigen Tag. Um 12:00 Uhr präsentierte das Festival den indonesischen Actionfilm GUNDALA. Der von Joko Anwar inszenierte Streifen war jedoch nicht der erhoffte Action-Overkill, sondern versank nach einem recht vielversprechenden und stimmungsvollen Beginn in der Mittelmäßigkeit. Die zahlreichen Actionszenen setzten eher auf Quantität statt auf Qualität und entfalteten in keiner Szene die Rasanz und Kinetik die nötig gewesen wäre, um mehr als ein müdes Achselzucken hervorzurufen. Insgesamt eher eine Enttäuschung und nicht die erhoffte knallharte, indonesische Superhelden-Version, die das Programmheft versprach.

Am Abend gab es dann ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Die Regisseure Justin Benson und Aaron Moorhead waren bereits mehrfach mit ihren Filmen im Festivalprogramm vertreten und so war es kaum verwunderlich, dass auch ihr neuestes Werk mit Namen SYNCHRONIC durch das Filmfest-Team ausgewählt wurde. In der Einführung des Films erfuhr man dann gleich, dass der Film gegenwärtig noch in einer sehr frühen Vermarktungsphase steckt. Aus diesem Grund fehlt bis zum jetzigen Stand weiterhin ein finales Poster-Artwork und ein Verleih/Vertrieb für den deutschen Sprachraum. Bis der Film regulär startet, wird es insofern noch eine Weile dauern. Umso größer war die Vorfreude die neueste Regiearbeit von Benson und Moorhead auf der großen Leinwand (am Sonntag wurden die Filme in Berlin in einem größeren Saal gezeigt) zu sehen.

Und was soll man sagen: SYNCHRONIC ist ein echter Benson/Moorhead. Wesentlich stromlinienförmiger im Erzählmodus und Inszenierungsstil als die Vorgänger (THE ENDLESS, SPRING) aber genauso faszinierend mysteriös in Punkto Stimmung und Thematik. Auf den ersten Blick erzählt der Film (nur) von einer Droge, die ihre Konsumenten nach der Einnahme in unterschiedliche Zeitzonen schickt und sie dort im schlimmsten Fall auch physisch gefangen hält. Sehr schnell wird allerdings offenkundig das es Benson und Moorhead um mehr geht. Um die ganz großen Fragen, die der Film ungewöhnlich philosophisch angeht. Benson/Moorhead bleiben sich darüber hinaus weiter treu und legen einen weiteren Fokus des Films auf die Männerfreundschaft der beiden Hauptdarsteller (Jamie Dornan, Anthony Mackie).

Fantasy Filmfest White Nights 2020

Die größte Qualität von SYNCHRONIC liegt deswegen vor allem im Zusammenspiel der unterschiedlichen Ebenen: Eine mit den Motiven des Thrillers arbeitende Geschichte, die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen und die fein ausformulierte Darstellung der Bromance (die natürlich im Endeffekt wieder auf die philosophischen Themen zurückkommt). Wer sich auf diese eigentümliche, teils stark entschleunigte Mixtur einlässt, wird mit einem ungewöhnlichen Filmerlebnis belohnt, dass entweder nachhaltig beeindruckt oder eher gelangweilt zurücklässt (diesen Schluss lassen speziell die Reaktionen im Berliner Publikum zu).

Die Filme der White Nights waren daher mal wieder eine ausgesprochen schöne Alternative zum Blockbuster-Futter, das sonst die Kinosäle beherrscht und dem man im Jahresverlauf viel zu selten entkommt. Ein großer Dank geht somit an die Personen hinter dem FFF, die seit Jahren das Genre-Kino in all seiner Vielfalt einem (meist) sehr aufgeschlossenen Publikum nahebringen.

Mehr auf fantasyfilmfest.com

 



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