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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
Fantasy Filmfest 2021 - Teil 2
von André Becker

Fantasy Filmfest 2021 - Teil 2

Am Donnerstag präsentierte das Filmfest einen der außergewöhnlichsten Filme des Festivals in der publikumsstarken 20:15-Vorstellung. LAMB von Valdimar Jóhannsson wurde bereits in Cannes in der Sektion "Un Certain Regard" ausgezeichnet und schürte dementsprechend große Erwartungen, was darüber hinaus sicherlich auch damit zusammenhing, dass die Rechte an der isländischen Produktion bei A24 (THE GREEN KNIGHT, MIDSOMMAR, RELIC, SAINT MAUD) liegen. Der Kinosaal war jedenfalls annähernd voll besetzt und man spürte förmlich die Neugierde des bunt durchmischten Publikums.

Und was soll man sagen, LAMB war tatsächlich eine einmalige Kinoerfahrung. Ein Film, der sich konsequent jeder Kategorisierung entzog, dem dies aber dermaßen leichtfüßig gelang, dass man nur staunen konnte. Im Zentrum der Geschichte steht ein nicht mehr ganz so junges Paar, dass auf ihrem Bauernhof hoch in den isländischen Bergen einer ungewöhnlichen Geburt beiwohnt. Ein Lamm bringt ein Junges zur Welt, das deutlich menschliche Züge trägt. Ein Wunder? Eine Laune der Natur? Oder doch das Werk einer Macht, die jenseits aller Vorstellungen liegt? Was die Gründe auch sein mögen, das kinderlose Paar nimmt sich dem Wesen an und begegnet ihm mit aller Fürsorglichkeit liebender Eltern. Valdimar Jóhannsson erzählte diese märchenhafte Geschichte mit einer erstaunlichen Offenheit für das Unerklärliche. Auf ausufernde Erklärungen oder moralische Bewertungen verzichtete der Film fast vollständig. LAMB wirkte deshalb wie ein von der Wirklichkeit komplett entrückter Film, der durch die Darstellung der Lebensrealität des Paares einen eigenen Sinnzusammenhang bildete in dem alles auf ganz natürliche Weise möglich schien. Ein Film wie von einem anderen Stern und definitiv eines der Highlights des gesamten Festivals.

Fantasy Filmfest 2021 - Teil 2

Am Freitag folgte mit THE FEAST ein weiterer Film, der die Natur und ihre mannigfaltigen Bedeutungsebenen in den Fokus rückte. Die walisische Produktion wählte allerdings einen anderen Ansatz als der kaum genre-orientierte LAMB und setzte auf handfesten Horror, der langsam aber dann umso intensiver Gestalt annahm. Die auf dem Schweizer Festival NIFF prämierte Produktion punktete mit einer dichten, unwirklichen Atmosphäre, die vor allem davon zehrte, dass der Film seine begrenzten Settings (ein Haus, ein an das Anwesen angrenzender Wald) konsequent mit Metaphern auflud. Lee Haven Jones Film über eine Dinnerparty, die von unerklärlichen Geschehnissen überschattet wird und in Mord und Totschlag endet, überzeugte insgesamt aber nicht auf allen Ebenen. Zwar lieferte der Film mit dem Blick auf die milieuspezifische Zugehörigkeit der Protagonisten eine interessante Perspektive auf die damit einhergehenden sozialen Gräben zwischen Gästen und Bediensteten. Alles in allem kratze der Film diesbezüglich aber nur an der Oberfläche, so dass THE FEAST unterm Strich nur Durchschnittskost bot.

Erfahrungsgemäß sind beim Fantasy Filmfest die Wochenendtage besonders beliebte Festivaltage. So war es auch bei der diesjährigen Ausgabe. Lange Schlangen vorm Eingang der Kulturbrauerei und teils lange Wartezeiten vor den Sälen haben glücklicherweise dem Publikum aber nicht die Laune verdorben. Und das obwohl der Samstagabend-Film durchaus Anlass dazu gegeben hätte. Um 20:15 präsentierte man mit THE SADNESS einen schon jetzt berüchtigten Schocker aus Taiwan. Der Film um ein mutiertes Virus, dass bei den betroffenen Menschen ein enormes Gewaltpotential freisetzt und sie in rasende, sexbesessene Bestien verwandelt, wurde in manchen Reviews bereits als bissiger Kommentar auf die Coronapandemie interpretiert. Eine sehr fragwürdige Auslegung, erwies sich der Debütfilm von Rob Jabbaz doch als durchweg dilettantisch inszenierte Splatter-Orgie, bei der die wenigen Verweise auf die politischen und gesellschaftlichen Implikationen einer weltweiten Pandemie lediglich eine Alibifunktion erfüllten. Die permanente Aneinanderreihung von teils sehr grenzwertigen Geschmacklosigkeiten war als billige Provokation schnell durschaubar und kam auch beim Publikum eher mäßig an. Der sonst obligatorische Applaus bei Einsetzen des Abspanns blieb hier aus. Ein absolut verzichtbarer Film und das No Go des Festivals.

Der letzte Festivaltag bescherte dem Publikum u.a. eine Charakterstudie mit Sharlto Copley (DISTRICT 9), der in dem bereits auf der diesjährigen Berlinale gezeigtem TED K einen Mann mimte, der als einer der ersten Ökoterroristen in die Geschichte einging. Als Abschlussfilm wurde schließlich ein Film ausgewählt über den, zum Zeitpunkt der Aufführung, kaum Informationen verfügbar waren. Kein Poster, kein Trailer, kaum Rezensionen im Web. Glücklicherweise ließ sich das Publikum davon aber nicht abschrecken und vertraute hier den Festival-Organisatoren, die in den vorherigen Tagen des Festivals nicht müde wurden den Film mit überschwänglichen Worten anzupreisen.

Fantasy Filmfest 2021 - Teil 2

SILENT NIGHT hat zwar nicht das Zeug zum Film des Jahres und auch in die Annalen der Festivalgeschichte wird das Debütwerk von Camille Griffin wohl höchstwahrscheinlich nicht eingehen, sehenswert war die rabenschwarze Komödie aber dennoch. Wie der Titel bereits andeutet spielt der Film an Weihnachten und zeigt uns in den ersten Einstellungen eine verschneite Landschaft in der sich ein nobles Landhaus befindet. Hier treffen nach und nach verschiedene Gäste ein, die aus unterschiedlichen Teilen des Landes anreisen um das Fest in geselliger Runde zu verbringen. Die Stimmung ist ausgelassen, erste kleinere Streitereien sind aber ebenso zu verzeichnen. Business as usual also? Mitnichten, denn das Ende naht. Eine Giftwolke wird am nächsten Tag über die Erde hinwegziehen und ausnahmslos alle Menschen töten. Vor den Gasen flüchten, in Bunkeranlagen verkriechen, medizinisch intervenieren? Alles total sinnlos und so hat die Regierung allen Einwohnern eine sogenannte Exit-Pille bereitgestellt, die zumindest ein schmerzloses Ableben garantiert. Die geladenen Gäste sind jedoch nicht willens ihrem unvermeidbaren Schicksal ins Auge zu blicken und vermeiden konsequent jede Auseinandersetzung mit dem Thema. Lediglich der Junge Art (Roman Griffin) mag nicht in das Ausblenden aller Tatsachen einstimmen und bringt die Stimmung mit seinen Kommentaren gehörig ins Wanken.

SILENT NIGHT bot jede Menge pointierte Dialog-Gefechte und haufenweise Situationskomik, die Camille Griffin virtuos in die eigentlich sehr bittere Rahmenhandlung einbaute. Mit mal sehr laut und mal sehr leise gestelltem Humor, aber ebenfalls sehr berührenden Momenten, behandelte der Film unseren Umgang mit dem Tabuthema Tod und zeigte welche grotesken Verdrängungsmethoden der Mensch so im Repertoire hat. Hoch anrechnen muss man zudem die Konsequenz mit der Griffin ihre Geschichte zu Ende führte. Eine Konsequenz, die Zugeständnisse an das Mainstream-Publikum nur in sehr homöopathischen Dosen zuließ.

Und so endete das Festival mit einem eher ungewöhnlichen Abschluss, der fast gleichberechtigt Komik und Tragik nebeneinander platzierte und der vor allem ganz großes Schauspielerkino bot. Nach insgesamt acht Tagen bleibt als Resümee, dass das Fantasy Filmfest abermals gezeigt hat, dass man hier wahrhaft fantastische Filme entdecken kann, die in allen nur erdenklichen Genres unterwegs sind. Und das ein eher unscheinbarer Kandidat (die Anarcho-Comedy BEYOND THE INFINITE TWO MINUTES von Junta Yamaguchi) den lokalen Fresh-Blood-Award einheimste, beweist das auch das Publikum dem Blick über den Tellerrand durchaus wohlwollend gegenüber steht.

Der erste Teil.

Mehr auf fantasyfilmfest.com

 



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