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MIDSOMMAR (USA 2019)

von André Becker

Original Titel. MIDSOMMAR
Laufzeit in Minuten. 147

Regie. ARI ASTER
Drehbuch. ARI ASTER
Musik. THE HAXAN CLOAK
Kamera. PAWEL POGORZELSKI
Schnitt. LUCIAN JOHNSTON
Darsteller. FLORENCE PUGH . JACK REYNOR . VILHELM BLOMGREN . WILL POULTER u.a.

Review Datum. 2019-09-25
Kinostart Deutschland. 2019-09-26

Bereits mit seinem Langfilmdebüt bewies Ari Aster das er es hervorragend versteht ein Familiendrama im Gewand eines Horrorfilms zu inszenieren. HEREDITARY - DAS VERMÄCHTNIS war insgesamt zwar keinesfalls perfekt, dennoch kreierte Aster mit diesem Kritikerliebling ein außergewöhnlich intensives Filmerlebnis. Ausgesprochen aufwühlend erzählt der Regisseur hier vom Zerbrechen einer Familie. Ausgelöst durch einen Todesfall verliert insbesondere die Mutter der Familie jeden Halt. Tür und Tor für finstere Mächte sind damit geöffnet. Tod und Unheil brechen über die restlichen Familienmitglieder ein.

Das neueste Werk von Aster wählt ähnlich eindringliche Bilder für seine Geschichte. Allerdings mit dem feinen Unterschied, dass der Regisseur diesmal die Paarbeziehung seiner zwei Hauptfiguren in den Blick nimmt. MIDSOMMAR schildert eindrücklich das Zerfallen und letztendliche Scheitern dieser Beziehung. Von Anfang an macht er dabei klar, dass es keine einfachen Schuldzuweisungen geben kann.

Dani (Florence Pugh) weiß zwar, dass sie mit ihren Familienproblemen die Beziehung zu Christian (Jack Reynor) gefährdet, nichtsdestotrotz schafft sie es nicht ihn davon abzuschirmen. Als sowohl ihre psychisch instabile Schwester als auch ihre Eltern umkommen, gerät ihr fragiles seelisches Gleichgewicht schließlich komplett aus den Fugen. Christan erweist sich in den Folgewochen allerdings keineswegs als verlässlicher Partner. Insbesondere sein Plan allein mit seinen Freunden nach Schweden zu einer Studienreise aufzubrechen, wirkt auf Dani wie ein Affront.

Da Christian davon ausgeht, dass Dani die Einladung sowieso ablehnen wird, lädt er sie nach anfänglichem Zögern doch noch ein, sie auf ihrem Trip zu begleiten. Überraschenderweise und zum Unmut seiner Doktoranden-Freunde (u.a. Will Poulter) willigt Dani ein. Ziel ihrer Reise ist eine abgelegene Gemeinde, die während der Sommerzeit ein Fest feiert, von dem sich die Doktoranden einen einmaligen Blick in längst vergessene Traditionen versprechen. Nachdem die erste Euphorie über die Schönheit der Natur, die einzigartigen Trachten und die positive Haltung der Bewohner vorbei ist, dämmert den Besuchern dass sie einen Ort betreten haben an dem jenseits aller Vorstellungskräfte eigene Regeln gelten.

MIDSOMMAR spielt fast während der gesamten Laufzeit am helllichten Tag und grenzt sich somit von einem Großteil der Horrorfilme der letzten Jahre konsequent ab. Asters Film sticht aber nicht nur aus diesem Grund aus der Masse der Genre-Produktionen heraus. Erneut gelingt es dem Regisseur auf ausgesprochen vielschichtige Weise das Seelenleben seiner Protagonisten zu beleuchten. Mit einem selten in dieser Form gesehenen Gespür für die feinen Nuancen zwischenmenschlicher Kommunikation zeigt Aster die verschiedenen Ebenen einer dysfunktionalen Beziehung. Diesbezüglich ist besonders der Wechsel zwischen den Perspektiven der Hauptfiguren ein großer Gewinn der enorm auf die Komplexität des Drehbuchs einzahlt.

Florence Pugh verleiht Dani eine strahlende Kraft, die einen Gegenpol zu ihrer Verletzlichkeit bildet, die stets präsent ist, die aber nur selten offenkundig hervortritt. In das Gemeindeleben reiht sich Dani zögerlich, aber dann umso deutlicher ein. Fast schon zwangsläufig, so scheint es zumindest, verliert sie sich in den endlosen Tagen ihres Aufenthalts. Das ihr von den Gastgebern von vornherein eine Rolle zugewiesen wurde kann (und will) sie nicht verstehen. Christian bleibt distanzierter, legt diese Haltung aber schrittweise ab und erliegt (wenn auch aus anderen Gründen als Dani) den Verlockungen der Gemeinschaft.

MIDSOMMAR weist in Hinblick auf die Stimmung und die Ausgangslage der Geschichte recht eindeutige Bezüge zu THE WICKER MAN auf. Wie Robin Hardys Genre-Klassiker aus dem Jahr 1973 bildet auch in Asters Werk das Aufeinanderprallen der Kulturen einen narrativen Fixpunkt. Das gleiche gilt für das Thema Sexualität, das in beiden Filmen an zentralen Stellen gleichermaßen Verheißung und Verderben ist. Beide Filme spielen darüber hinaus mit der auf vermeintliche Sehnsuchtsorte projizierten Überhöhung. Im Falle von Asters Werk ein Bullerbü-Paradies in dem Gewalt in der Vorstellung der Städter schlicht nicht vorkommen kann. Ein Trugschluss, der für die Besucher doppelt fatale Konsequenzen hat. Asters Film steuert zudem auf einen ähnlich eindrucksvollen Schlussakt wie THE WICKER MAN hin. Es ist ein Finale das man nicht vergisst und das sich in die Netzhaut brennt. Grausam schön.

Asters Film beschreitet trotz der Gemeinsamkeiten mit Robin Hardys Genre-Hybrid in vielen Punkten jedoch gänzlich andere Wege. Von besonderem Interesse sind für ihn die Aspekte der Spiegelung und Verstärkung. Dani, Christian und seine Peer Group werden von dem Ort und der Gemeinschaft förmlich aufgesogen. Emotionen und Konflikte brechen unmittelbar hervor und werden durch das Kollektiv aufgefangen. Dies tritt besonders in einer Sequenz in den letzten Filmminuten zutage. Danis Schmerz ist der Schmerz der Gemeinschaft. Eine Szene die einen bis ins Mark trifft.

MIDSOMMAR ist beängstigend gut inszeniertes Kino mit dem Ari Aster endgültig zu den interessantesten Filmemachern unserer Zeit aufgestiegen ist. Definitiv einer der besten Filme des Jahres und ein wichtiger Impuls für alle Genre-Regisseure Konventionen hinter sich zu lassen und Grenzen jeglicher Art einzureißen.











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