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Special.
Durch die Nacht mit... Harmony Korine & Gaspar Noé
von Björn Lahrmann

Durch die Nacht mit... Harmony Korine & Gaspar Noé

Der Dragon Park in Nashville, Tennessee, scheint dem Beatles-Trickfilm YELLOW SUBMARINE entwachsen. Zwischen psychedelischen Lindwürmern, die einst von Schwangeren auf LSD entworfen wurden, hocken kichernd schwarze Mädchen. "Was macht ihr hier?", fragen sie. "Wir drehen einen Film", erklärt Harmony Korine, "über einen Mann, der herkommt und den Verstand verliert." Korine ist hier aufgewachsen, kennt also die Symptomatik. Besagter Mann - der Fremde, der zu sägenden Harmonikas wie im Spaghettiwestern die Stadt betritt - ist Gaspar Noé. Cowboyhut steht ihm gut; der mächtige Hufeisenschnäuzer erinnert an die Village People. Mit Nashville verbindet er: White Trash, Countrymusik - und den Film von Robert Altman, natürlich.

Dass es bei DURCH DIE NACHT MIT... nicht bloß um die Begegnung zweier Künstler, sondern immer auch um Blickwinkel auf einen Ort geht, stellt diese schöne Episode klar wie selten. Über Korine und Noé, immerhin zwei der spannendsten Regisseure am Kipppunkt von Mainstream und Avantgarde, erfährt man vergleichsweise wenig; die klassischen Gesprächsthemen - Arbeitsmethoden, biografische bullet points, Lebensphilosophien - werden gemieden oder versanden schlichtweg mangels Konzentration. Wie Figuren in einem lakonischen Buddy Movie zuckeln sie durch Nashvilles Seitenstraßen, Noé gibt den sediert vor sich hingrinsenden Stummen, Korine den hyperaktiven Fremdenführer. Jeder Ort hier hat eine Geschichte, Harmony kennt sie alle oder lügt sie sich aus dem Stand zusammen, wer weiß: über die Stripperin mit dem verlängerten Rückgrat, den Kinobetreiber, der sich auf die eigenen Pornos einen runterholt usw.

Als er das Drehbuch zu Larry Clarks KIDS verfasste, war Korine gerade einmal neunzehn Jahre alt. Die Tendenz seiner eigenen Filme geht zur behavioristischen Groteske, auf die Spitze getrieben im jüngsten Werk, TRASH HUMPERS: In Seniorenmasken marodieren Korine und seine Freunde durch ihre Heimatstadt und schlagen gackernd alles kurz und klein. Premiere feiert das auf bröckeligem VHS gekurbelte Etwas in Harmonys Lieblingskino, und zwar jetzt, deshalb wird Gaspar kurzerhand mitgeschleift. Auf dem Weg begegnet man dem Typenensemble der Stadt; jeder kennt Harmony und umgekehrt, sei's die naseweise Teenagerreporterin oder die Betreiberin der Hähnchenkombüse. Mit Herzlichkeit spricht er von seiner "erweiterten Familie", fügt aber einschränkend hinzu, ein Problem mit "den Weißen" zu haben: "Die machen immer nur alles kaputt." Wie zur Bestätigung werden er und Gaspar, als sie später die örtliche Nachbildung des Parthenon besichtigen wollen, von einer kaukasischen Schreckschraube verjagt.

Den Blick des Heimischen kreuzen nun nicht eine, sondern gleich zwei Außenseiter-Perspektiven. Noé, zum Ersten, vermeint an jeder Ecke ein designiertes Set, in jedem Straßenpriester einen potenziellen Darsteller zu erkennen. Nicht mal beim Besuch auf dem Schießstand kann er die filmische Brille ablegen: "Ich hätte den Namen eines Kritikers auf die Zielscheibe schreiben sollen", knurrt er. Und das, obwohl ENTER THE VOID doch eigentlich überall gut weggekommen ist! Als das zersiebte Blatt zurückfährt, erwartet man beinahe ein Grinsen in der Silhouette.

Ausgesprochen filmreif gerät die Folge auch insgesamt. Das ist, zum Zweiten, der Verdienst von Bruce LaBruce. Der Kanadier, der seit knapp zwei Jahrzehnten schwule Pulp-Fantasien am äußersten Rand der Kinobranche realisiert, war schon 2006 bei DURCH DIE NACHT MIT... zu Gast. Seine erste selbst inszenierte Episode überformt er mit allen Mitteln der Kunst zum ungestümen Dokufiktionshybriden, flink geschnitten, immer in Bewegung, mit kompilationsverdächtigem Soundtrack. Harmonys Einbügerungsmaßnahmen zum Trotz bleibt Nashville emphatisch künstlich, jede Leuchtreklame ist irgendwie Zitat, jeder Spaziergänger ein Komparse. In einer Szene flanieren die Herren über einen Schrottplatz, tollen im Sperrmüll, treiben Späße mit ausrangierten Gehhilfen. "Ein toller Ort zum Drehen", schwärmt Noé. "Ja", gibt Korine zurück. "Erinnert mich an Zuhause."

Durch die Nacht mit... Harmony Korine & Gaspar Noé
Durch die Nacht mit... Harmony Korine & Gaspar Noé


Kritik von Björn Lahrmann
Gespräch mit Harmony Korine
Gespräch mit Bruce LaBruce
Special zur Folge Harmony Korine & Gaspar Noé

Durch die Nacht mit... Forum



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