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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
AUSCHWITZ Premiere am 13.02.2011 im Kino Babylon, Berlin
von Martin Eberle

AUSCHWITZ Premiere am 13.02.2011 im Kino Babylon, Berlin

Verhaltener Applaus, nicht begeistert aber auch nicht unfreundlich. Das war jetzt also der Film, der der Welt zeigen soll, wie es in Auschwitz wirklich war.

Vor der Filmvorführung wendet sich Boll noch an das Publikum. Heute Abend soll nicht nur sein neuester Film vorgestellt werden, Bolls Klage gegen Berlinale-Chef Dieter Kosslick ist das erste Thema. Boll geht vor Gericht, weil die Bearbeitungsgebühr für eingereichte Filme (€ 125,-) reine Schikane und Geldabzocke sei. Die Filme würden zum Teil noch nicht mal angeschaut (zumindest von Cannes weiß Boll das zu sagen), zudem hat wahrscheinlich kein einziger Wettbewerbsfilm diese Gebühr entrichten müssen. Ungerecht, nach den Berlinale-Richtlinien darf das nicht sein, Gleichheit für alle, und nun soll Goliath Kosslick den David Boll mal richtig kennen lernen. Dienstreise nach Australien, kuscheln mit Kidman, alles auf Steuerzahlers Kosten, das soll nun bald ein Ende haben, spätestens nach den ersten Hausdurchsuchungen.

Boll plaudert souverän, seine Polemiken gegen die Filmförderungs- und Festivalseilschaften sitzen, kommen auch gut an. Seine Kritik ist ja auch durchaus berechtigt, die Tristesse und Eintönigkeit der deutschen Filmlandschaft begründet sich nicht zuletzt auch auf die hiesige Förderungspolitik. So wie Boll erzählt, wirkt er nicht mehr wie der Querulant, den man nach der Vorberichterstattung vermuten wollte. Eher wie ein spitzbübischer Pfiffikus, der ein eingefahrenes, sich selbst perpetuierendes System pointiert vorführt.

AUSCHWITZ Premiere am 13.02.2011 im Kino Babylon, Berlin
AUSCHWITZ Premiere

Aber Moment, da war doch noch was! Hier sitzt doch auch der Mann, der an eben diesem Abend mit seinem Film AUSCHWITZ, von der Berlinale abgelehnt, den Massenmord an den europäischen Juden wieder ins Gedächtnis der unwissenden Jugend rufen möchte, mit drastischen Bildern, der ersten filmischen Verarbeitung, die so richtig zeigt, wie es wirklich war. Ein Anspruch, den Boll in der folgenden Diskussion zurücknimmt.
Ja, gut, vielleicht wirklich nicht die ultimativ realistische Darstellung, dann doch eher eine Studie, eine Impression. Und ganz bestimmt kein abgefilmter Parkplatz! Aber ist doch trotzdem super! Für das bisschen Geld...
Die sehr vorsichtig vorgebrachte Publikumsfrage, ob es sich denn nicht zumindest seltsam angefühlt hat, in den selben Kulissen zunächst einen Nazi-Vampir-Horror-Flick zu drehen (BLOODRAYNE III), um dann direkt im Anschluss einen ernsthaften, den ultimativen Auschwitz-Film zu realisieren, mag Boll dann schon mal gar nicht erst verstehen.

Der hehre Anspruch des Films, von Boll leidenschaftlich und glaubwürdig vorgetragen, erhält dann auch noch in Verbindung mit der mindestens ebenso leidenschaftlich geführten Fehde Boll vs. Kosslick, Boll vs. Establishment-Mafia, Boll vs. den Rest der Welt einen weiteren Dämpfer. Bei allen Themen, die er anreißt, geht es dann doch zuletzt um ihn selbst, um seine Leistungen, die in seinem Heimatland niemand anerkennen möchte. Im Übrigen brächten seine Filme ein Vielfaches dessen ein, was ein Fatih Akin an der Kinokasse so macht. Er sei von arte ausgeladen worden, bei einer DURCH DIE NACHT MIT-Folge mit Michel Friedman mitzumachen, weil er zu kontrovers sei. Ron Howard sähe in seinem DARFUR ein Meisterwerk. Kosslick, der Berlinale-Diktator könne ihn seit über 20 Jahren nicht leiden etc. etc.

AUSCHWITZ Premiere am 13.02.2011 im Kino Babylon, Berlin
AUSCHWITZ Premiere

Ist Boll nicht dann doch einfach nur diese Aufmerksamkeitssuchmaschine? Braucht er den Skandal, den Nimbus des widerständigen outcast, der von der kenntnislosen Filmwelt verachtet wird? Vielleicht ist es die Profilneurose desjenigen, der nicht mitspielen darf und nach Jahren der Verletzungen und Verächtlichmachungen ("der schlechteste Filmemacher der Welt") auch gar nicht mehr will? Oder ist er dann doch einfach nur der geschickte Geschäftsmann, der die Gesetze der Mediengesellschaft beherrscht und für sich auszunutzen weiß? Fragen über Fragen, alle betreffen Boll. Ist dann AUSCHWITZ nicht vielleicht doch nur ein weiteres Vehikel, die Maschinerie weiter am Laufen zu halten und beständig Aufmerksamkeit zu generieren? Immerhin ein Film, der in seiner Umsetzung so hilflos gescheitert wirkt wie das Schulprojekt einer überforderten Video-AG, nur dadurch erträglich, weil man sich vorstellen kann, glauben möchte, dass Uwe Boll sich ganzen Herzens einer guten und wichtigen Sache verschrieben hat.
Aber im Ernst: kann jemand, der sich mit dem Medium Film beschäftigt, wirklich glauben, dass es reicht, eine Kamera aufzustellen und draufzuhalten, um zu zeigen, wie es in den Gaskammern wirklich gewesen sein muss? Und das auch noch mit Rückgrat verwechseln? Fällt Boll denn nicht selber auf, wie wenig er seinen eigenen postulierten Ansprüchen gerecht wurde? Hat er denn außer der BBC-Doku, auf die er sich recherchetechnisch beruft, mal etwas anderes gesehen? Claude Lanzmanns beklemmenden, traurigen, unendlich bewegenden 500-Minüter SHOAH zum Beispiel, ein Film, der eben nicht den groben Pinsel schwingt?

Boll fordert die Anerkennung als Filmemacher ein, denkt aber zuallererst als Produzent: er argumentiert ökonomisch, wenn es eigentlich um Haltung ginge. Stets ist es der Markt, der ihm Recht gibt und die anderen blöd aussehen lässt, stets sind es die wirtschaftlichen Beschränkungen, die den Film dann halt so aussehen lassen, wie er nun mal eben aussieht. Und wäre es denn besser, fragt Boll ins Publikum, statt unter widrigen Umständen einen Film zu machen sich einen Ferrari zu kaufen? Eine Frage, die er sich nur rhetorisch stellt, mit der er sich aber vielleicht doch mal etwas ernsthafter befassen sollte.




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