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FILM.
Das nennt man dann wohl einen filmbiografischen Royal Flush, wenn das "erste" und das "letzte" Werk eines Regisseurs als Meisterwerke erachtet werden. Und alles dazwischen auch. Schließlich ist Martin Scorsese einer der großen Visionäre der Filmbranche, der gemeinsam mit Coppola, Lucas, Spielberg und Co. in den 1970er Jahren New Hollywood begründet hat. Als wandelnde Film-Enzyklopädie könnte Scorsese im Grunde ständig über sich selbst dozieren. Über all die HUGO CABRETS, GOODFELLAS, TAXI DRIVERS und MEAN STREETS. Selbst sein müdes shot-for-shot-Remake DEPARTED: UNTER FEINDEN wird noch als Glanzleistung honoriert und seinerzeit gar mit Oscars überschüttet. Umso passender, dass big man Scorsese seine Ursprünge in Little Italy hat.
Von jenem Stadtviertel ließ sich der Italo-Amerikaner Anfang der 1970er inspirieren, als ihm sein Mentor Roger Corman nach zwei unpersönlichen Filmen auftrug, eine eigene Handschrift zu entwickeln. Das Ergebnis huldigten Cineasten und Filmkritiker wie die legendäre Pauline Kael dann als einen der großen amerikanischen Filme. Scorsese spielt hier erstmalig mit einem seiner späteren Lieblingsthemen: der Mafia - und den Kleinganoven, die an dieser partizipieren wollen. Ein junger Harvey Keitel gibt Charlie, einen Geldeintreiber seines Mafiaonkels, der ein Mal die Woche aber in der Kirche zur Beichte vorbeischaut. Charlie ist ein Gutmensch, der unentwegt als Streitschlichter auftritt und Anderen helfen will. Allen voran dem Taugenichts Johnny Boy.
Auftritt: Robert De Niro in seiner ersten Zusammenarbeit mit dem späteren Förderer und Freund Scorsese. Johnny Boy ist ein "Szenendieb", weil seine impulsive, aggressive und doch naive Art sich problemlos von allen anderen Figuren abhebt. Charlie und Co. wirken meist stocksteif, ohne rechte Persönlichkeit und mit fehlender Motivation. Der Konflikt in Charlies Charakter - wer kauft dem humanen Streitschlichter den Beine brechenden Geldeintreiber ab? - bleibt dabei auf der Strecke, während man sich Johnny Boys Antrieb zumindest zusammenreimen kann. He's the biggest jerk-off around, mault Michael (David Proval), einer von Charlie Freunden, dem Johnny Boy wie eigentlich jedem in Little Italy Geld schuldet.
De Niros mit leichtem Hang zum overacting gespielte Figur handelt, wie sie handelt, weil man sie so handeln lässt. Und, weil sich ihr keine Alternativen auftun. Er hat keinen Mafia-Onkel und Charlie, der Johnny Boy womöglich aus Zuneigung zu dessen Cousine (Amy Robinson), mit der er eine Affäre hat, beschützt, will ihm auch nicht helfen, zum respektierten Teil der Unterwelt aufzusteigen. Und so verfolgt MEAN STREETS - HEXENKESSEL die unabwendbare Abwärtsspirale bis zu ihrem vorhersehbaren Finale. Letztlich wird zwar nicht ganz klar, wodurch sich Scorseses dritter Spielfilm nun qualitativ von seinem Debüt WHO'S THAT KNOCKING AT MY DOOR? abhebt, vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass jenes einfach keinen De Niro besaß.
Inszenatorisch zeigt Scorsese jedenfalls manche Fingerfertigkeit, die er später zur Perfektion ausarbeiten sollte. Sein musikalisches Gespür gehörte jedoch nicht dazu, unterlegt er seine Bilder hier primär mit Musik aus den frühen 1960er Jahren. Reichlich anachronistisch erscheint es da, wenn toughe Machos in Little Italy mit "Be My Baby" der Ronettes, "I Love You So" von den Chantels oder "Please Mr. Postman" der Marvelettes unterlegt werden. Von Erfolg gekrönt war der Film dennoch, spielte das Sechsfache seiner Kosten ein und startete neben Scorseses Karriere auch die von Robert De Niro. Und allen Zweifeln zum Trotz lässt sich auch als Nicht-Scorsese-Fan feststellen, dass MEAN STREETS - HEXENKESSEL im Vergleich zu THE DEPARTED oder HUGO CABRET zu den besseren Werken des Regisseurs gehört. Vielleicht kein Royal Flush, aber immerhin ein Full House.
DVD.
Im Zuge der erstmaligen Blu-Ray-Veröffentlichung wurde eine neuerliche DVD-Fassung auf den Markt geworfen. Diese hier ist identisch mit der 2006er Special Edition-Version von Rough Trade, aber nicht im Bildformat 4:3. Und im Gegensatz zur 2002er Version (die wiederum brachte Rough Trade in 1.78:1 raus) hat more2c dieses Mal auch die O-Tonspur draufgepackt. Das ist umso dankbarer, da in dem 73er-Film weder Christian Brückner (De Niro) noch Joachim Kerzel (Keitel) ihre Stimmen liehen. Ton und Bild gehen sonst in Ordnung - wobei sich die Frage stellt, wer sich angesichts des Blu-Ray-Release die DVD holt? Denn Bonusmaterial findet sich hier keines. Obwohl, doch, den Trailer...
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