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KAPITELWAHL

DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM (USA 1955)

von Björn Lahrmann

Original Titel. THE MAN WITH THE GOLDEN ARM
Laufzeit in Minuten. 115

Regie. OTTO PREMINGER
Drehbuch. WALTER NEWMAN . LEWIS MELTZER
Musik. ELMER BERNSTEIN
Kamera. SAM LEAVITT
Schnitt. LOUIS R. LOEFFLER
Darsteller. FRANK SINATRA . KIM NOVAK . ELEANOR PARKER . DARREN MCGAVIN u.a.

Review Datum. 2012-11-18
Erscheinungsdatum. 2011-08-26
Vertrieb. KOCH MEDIA

Bildformat. 1.33:1
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . ENGLISCH (DD 2.0)
Untertitel. keine
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Ein abgerocktes Redstone-Gebäude voller Einzimmerwohnungen, irgendwo in Chicago. Die im ersten Stock ist fast noch großzügig zu nennen, das Bett hat eine eigene Nische links hinter der Tür, vis à vis schließt die Küchenzeile mit einem Runderker ab, den ein kleines Jazzschlagzeug ausfüllt. Zosch (Eleanor Parker), die Frau, die hier wohnt, tut zwar vor aller Welt so, als säße sie im Rollstuhl, kann aber eigentlich mühelos stehenden Fußes vom Erkerfenster aus das Geschehen auf den drei Straßen beobachten, die sich vorm Haus sternförmig treffen. Im Erdgeschoss wohnt, in deutlich beengteren Verhältnissen, Molly (Kim Novak), ein Barmädchen, das im Nachtclub quer über die Kreuzung arbeitet, häufiger aber in der Pinte direkt nebenan zu finden ist, wo sie zumeist die Sitzgruppe direkt unterm Fenster mit dem Neonschild BEER okkupiert. Der Rest des Stammpublikums ist schnell aufgezählt: Ein blinder Dauertrinker links an der Theke, daneben gelegentlich, auf einen schnellen Schnaps, der verschlagene Pusher Louie von gegenüber, und immer mittenmang das ulkige Factotum Sparrow, gutmütig, zurückgeblieben, mit Hund.

Das sind summa summarum Welt und Personal, in deren Schoß Frankie Machine (Frank Sinatra), wohl schon zum x-ten Mal, von der Entziehungskur zurückkehrt: Mit Zosch ist er verheiratet, mit Sparrow befreundet, mit Molly würde er gern durchbrennen, mit Louie hat er noch eine Rechnung offen. Schluss, raus will er aus dem Teufelskreis, endlich clean bleiben, als Drummer im eigenen Leben den Takt angeben mit jenem talentierten "goldenen" Arm, den er zuvor als Residenzspieler in einer illegalen Kartenrunde verschleudert hatte. Auch die fand nur wenige Schritte die Straße runter statt, der Ausrichter trägt den wunderbar ostküstigen Gangsternamen Schwiefka, und er will Frankie zurück. Was weiter passiert, geben die Gesetze des gehobenen Melodrams vor: Das Netz von Abhängigkeiten spannt sich immer straffer, bis es zu großem schauspielerischem Effekt platzt. "Oscar bait" würde man sowas heute wohl schimpfen, und tatsächlich ist die Kritik damals nicht gerade gnädig mit Otto Premingers Meisterwerk umgesprungen - ein Meisterwerk nichtsdestotrotz, weil es um seine fundamentale Falschheit weiß und brillant Profit aus ihr schlägt.

Nelson Algren, Autor der Romanvorlage, hat sich über die Entscheidung echauffiert, seine abgerissenen Loser mit attraktiven Stars zu besetzen und den urbanen Straßenrealismus auf eine sichtbar artifizielle Soundstage zu verfrachten. Das ist zum einen natürlich der Schizophrenie des US-Studiosystems geschuldet, europäischen Trends der Stunde nacheifern zu wollen, ohne die eigenen Komfortzonen zu verlassen. Preminger, zum anderen, der hier den ersten Schritt vom Noir zum Themafilm macht, spielen diese Umstände glücklich in die Hände: Der vielleicht größte aller Innenraumregisseure misst und lotet das elaborierte Set mit neugierig gleitenden Tracking Shots aus, bis man jeden schmutzigen Winkel kennt, ein auswegloses Ökosystem unter der Glasglocke, wie es 50 Jahre später Charlie Kaufman in SYNECDOCHE, NEW YORK wiedererrichtet hat. Frankies Fluchtimpulse sind chancenlos gegen den purgatorialen Sog dieses Meta-Orts, Parkers überzeichnetes Tragödienspiel, den erotischen Magnetismus der Novak. Sinatra frisst schicksalsergeben alle Intensitäten in sich hinein, bis er mit shake, rattle 'n' roll implodiert in einer Cold-Turkey-Szene, die höchstens von Gene Hackman in FRENCH CONNECTION II übertroffen wird.

Von Wilders VERLORENEM WOCHENENDE zu den Hausfrauen-im-Suff-Melos der 90er einerseits, von Cormans THE TRIP zu ENTER THE VOID andererseits ist die zweigleisige Stratifizierung des Suchtfilms - belehrende Abstoßung vs. hypnagogische Rauschbebilderung - relativ konstant geblieben. DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM ist nichts von beidem. Trotz Elmer Bernsteins aufpeitschendem Jazz-Score, trotz darstellerischer Verausgabung an allen Fronten überwiegt eine Stimmung abgeschlagener Bitterkeit, an der die Enge und Zwänge des Lebensumfelds mehr Schuld tragen als ein läppischer Fix. Unter Premingers nüchternem Blick wird die zyklische Junkieexistenz schlicht zu einer weiteren Form bürgerlicher Beständigkeit, wie sie zeitgleich heiß und in Technicolor Douglas Sirk attackiert hat. Einmal stehen Frankie und Molly vorm Schaufenster eines Küchengeschäfts, wo zwei adrette Puppen in häuslicher Szene erstarrt sind: Sie an der Spüle, den Rücken gekehrt, er lesend am Tisch. "Why doesn't he talk to her?", empört sich Frankie und improvisiert für das künstliche Paar einen Dialog, der in seiner farblosen White-Collar-Kodifiziertheit ("How was your day? What's for supper?") die eigene Frage beantwortet: Wo der Wunschtraum so seelentötend ist wie die Realität, setzt man sich lieber schweigend den nächsten Schuss.

DVD.
Die übliche Minimalausgabe: Ordentliches Bild, ordentlicher Ton (Deutsch/Englisch), keine Untertitel, keine Extras.








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