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Eigentlich ist die Reihe "Texte zur Zeit" von Bertz+Fischer eine ziemlich praktische. Format nahezu A6, 100 bis 250 Seiten dick, auf den Punkt - sollte man meinen. Doch gerade weil in der Kürze die Würze und die Essenz gerade bei wissenschaftlichen Publikationen nur selten herausdestilliert werden können, scheitert auch KATASTROPHE UND KAPITALISMUS: PHANTASIEN DES UNTERGANGS in der Generierung eines diskursiven Mehrwerts, der sich nicht auf eine Phrase auf dem akademische Bierdeckel beschränkt.
Jan Distelmeyer, Professor für Mediengeschichte und -theorie an der Universität und Fachhochschule Potsdam kommt zu einer wahrhaft überraschenden Erkenntnis für den Weltuntergang in Filmen ab 2007: Er konstatiert, dass das Ende der Welt inzwischen nur noch zusammen gedacht wird mit dem Ende des Kapitalismus. Und da der Kapitalismus das Battle gegen den Kommunismus schon vor über 20 Jahren mit dem kleinen Finger für sich entschieden hat, aber 2007 erstmals kollabierte, sind bei Katastrophenszenarien alle betroffen, aufgrund der Vernetzung global, ohne Hoffnung auf Überleben. An die Stelle ausgewählter Personengruppen und Helden ist das abwehrunfähige Kollektiv getreten - Gründe für die Katastrophe treten in den Hintergrund. Das Ganze wird natürlich noch etwas angereichert um die Mechanismen einer Verschwörungserzählung, einer auf Vertrauensbruch basierender Bedrohung, die so wenig greifbar und manifest ist wie die Regulierungsinstrumente, Derivate und Wertpapierspekulationen des Finanzmarktes, die schon in ihrem Vorhandensein den Kollaps provozieren, früher oder später.
Auf Seite 112 beginnt das Quellenverzeichnis in dem leicht zu lesenden, aber dennoch um Anspruch bemühten Essays, der durchsetzt ist mit Szenenbildern und Kinoplakaten der filmischen Exempel. Bis Seite 88 wird Distelmeyer nicht müde, das Spannungsfeld seiner filmsoziologischen Möchtegern-Enthüllungstheorie zu skizzieren, ja sogar den "Urschleim" der Verknüpfung von Film und Gesellschaft, Siegfried Kracauers Analyse VON CALIGARI ZU HITLER, heranzuziehen. Er kommt vom 100. Film in die 1000. Publikation, welche die Finanzkrise mit bestimmten Katastrophen vergleicht. Mit "Es war ein Erdbeben" war am 11. September 2009 beispielsweise ein Interview mit Peer Steinbrück im SPIEGEL überschrieben - und auf dem Cover des Nachrichtenmagazins prangte dann auch die Frage "Geht die Welt Bankrott?" mit dem Motiv von abstürzenden Papierfliegern aus Banknoten. David Bordwell und Thomas Elsaesser werden weggeschoben, Ulrich Beck und Frank Schirrmacher herangezogen. Mit einer Filmanalyse hat diese Suche nach Analogien zwischen Finanzkrise und einem austauschbaren Medium im Rahmen seines "Work in Progress" beim ungefilterten, betont multiperspektivischem Aufsaugen von allem journalistischen wie akademischen Geschwätz zum Thema nichts zu tun. Genauso gut hätte er sich der bildenden Kunst widmen können, dem Comic, schlicht: anderen popkulturellen Phänomenen, die in sich Geschichten erzählen - gerade weil er sich nicht für die intrinsischen Narrative des Mediums interessiert.
Fallbeispiele, Analogien, Herleitung, Theoriebildung - zumindest bei der Argumentation macht Distelmeyer in KATASTROPHE UND KAPITALISMUS Vieles richtig. Leider beschränkt er sich jedoch aufgrund der vielen Fallbeispiele auf das Oberflächliche, Offensichtliche: Auswirkungen auf Genre-Klassifikationen oder mögliche Veränderungen der Ästhetik im Angesicht dieses "neuen" Katastrophenfilms bleiben dabei unreflektiert. So steht am Ende ein selten unvollständiges Bild einer neuen Stilfamilie des Kinos und des Genrefilms, zu der man gerne fernab von philosophischen Kommentaren der Kollegen gern noch etwas mehr analytischen Tiefgang erwartet hätte. Der attestierte "anthropozentrische Trend der gegenwärtigen Katastrophenfilme" (S. 111), um MELANCHOLIA, CONTAGION, I AM LEGEND und Co. bleibt eine Behauptung anhand der Handlung und Dramaturgie, aber seine Auswirkung auf die Gestaltungsmerkmale bleibt nebulös.
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