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MELANCHOLIA (Dänemark/Schweden/Frankreich 2011)

von Benjamin Hahn

Original Titel. MELANCHOLIA
Laufzeit in Minuten. 130

Regie. LARS VON TRIER
Drehbuch. LARS VON TRIER
Musik. nicht bekannt
Kamera. MANUEL ALBERTO CLARO
Schnitt. MOLLY M. STENSGAARD
Darsteller. KIRSTEN DUNST . CHARLOTTE GAINSBOURG . KIEFER SUTHERLAND . CHARLOTTE RAMPLING u.a.

Review Datum. 2011-08-19
Kinostart Deutschland. 2011-10-06

Eigentlich müsste man Lars von Trier eins in die Fresse hauen. Nicht für diesen Film, sondern dafür, dass er sich selbst mit seiner missglückten Pressekonferenz in Cannes ein Bein gestellt hat und dieser Film auf ewig der sein wird, über den von Trier zur persona non grata wurde. Diese Art von Aufmerksamkeit hat MELANCHOLIA nicht verdient.

Doch der Reihe nach: Worum geht es überhaupt? Justine (Kirsten Dunst) feiert auf dem Anwesen ihrer Schwester und ihres Schwagers (Charlotte Gainsbourg und Kiefer Sutherland) ihre Hochzeit mit Michael (Alexander Skarsgård), dem Sohn ihres Chefs (Stellan Skarsgård). Nicht nur das kalte, abweisende Verhalten ihrer nach der Scheidung von ihrem Mann die Ehe ablehnenden Mutter (Charlotte Rampling) und das frivole Verhalten ihres Vaters (John Hurt), sondern auch eine offenbar chronische Depression stürzen Justine in eine tiefe Melancholie, die das Fest eskalieren lässt. Währenddessen rast ein Planet durchs Weltall und hält genau auf die Erde zu...

Ein Familienfest, das eskaliert? Man merkt es schon, wir sind im skandinavischen Kino. Und dennoch: Bis auf die wackelige Handkamera, die den Film dominiert, erinnert hier fast gar nichts mehr an die unter anderem durch von Trier etablierte Ästhetik des skandinavischen Gegenwartskino. Stattdessen stecken wir hier mittendrin in einem auf Hochglanz und Perfektion polierten Familiendrama mit All-Star-Cast, in dem dann auch noch die Welt untergeht. Keine Sorge, das ist kein Spoiler: Von Trier zeigt die Auslöschung der gesamten Menschheit bereits in den ersten Minuten des Films - furchtbar pathetisch, aber auch irgendwie passend zu den Klängen Wagners und gefilmt in extremen Zeitlupen, an denen er sich seit seinem letzten Film festgebissen hat. Sieht aber auch wirklich sehr schick aus.

Das Pathos der ersten Minuten, es wird erst im Finale wiederkommen. Und während es am Anfang merkwürdig deplatziert wirkt, ist es am Ende genau richtig. Dazwischen aber erzählt von Trier in seinem zweigeteilten Film recht unaufgeregt und mit Blick für die Details die Geschichte einer kranken Frau, die kein Glück empfinden kann und deshalb sich und ihre Umwelt ins Unglück stürzt und andererseits die Geschichte ihrer Schwester, die unfreiwillig unter den Depressionen mitleidet. Charlotte Gainsbourg spielt diese Schwester mit großem Einsatz, aber ihre Leistung aus ANTICHRIST kann sie nicht wiederholen.

Doch das ist ehrlich gesagt nicht weiter tragisch, denn gegen Kirsten Dunst, die hier die Hauptrolle spielt, hätte sie ohnehin keine Chance gehabt. Dunst nämlich zeigt hier die gesamte Facette ihres Könnens: Von der zerbrechlichen jungen Frau, die vom Leben überfordert ist, über das apathische Seelenwrack in der tiefsten Depression bis hin zur mütterlich auftretenden, besonnenen Frau, die sich im Angesicht der unausweichlichen Auslöschung stark gibt - die Bandbreite an Emotionen und Gefühlslagen, die von Trier ihr abverlangt, ist enorm. Dunst gelingt es, diesen Anforderungen bravourös gerecht zu werden - und lässt dafür sogar die Hüllen fallen…

Doch noch einmal zurück zum Einfluss des skandinavischen Films: Dass MELANCHOLIA die Ausgeburt des selbigen ist, lässt sich bei genauerer Betrachtung dann doch nicht so einfach verleugnen, wie ich oben behauptet habe. Eindeutig wird das an der Dramaturgie. Es wird viel geredet, bedeutungsschwanger geschaut und symbolträchtiges ins Bild gerückt - wer nicht mindestens ein Sympathisant der um von Trier etablierten DOGMA 95-Gruppe ist und die Filme von Susanne Bier und Thomas Vinterberg nicht mag, der wird an diesem Film keine Freude haben. Nach seinem torture porn trifft Arthouse-Exzess namens ANTICHRIST hat sich der Däne nämlich nun wieder auf das zurückbesonnen, was das skandinavische Kunstfilmkino am besten kann: die Reflexion komplexer Beziehungen. Das ist stellenweise sehr fordernd und vielleicht täte eine leichte Straffung (z.B. in Form des Verzichts auf Udo Kiers, als eine Art comic relief eingesetzten, Hochzeitsplaner) dem Film durchaus gut, aber wer sich auf die knapp 130 Minuten lange Beobachtung einer psychisch labilen Frau und ihres Beziehungsgeflechts einlässt, der wird mit einer sehr ausführlichen, aber auch in sich packenden psychologischen Studie belohnt werden.

Hinsichtlich seiner Tiefgründigkeit - und das mag überraschen - ist MELANCHOLIA der zugänglichste seiner Filme. Er selbst mag das - so zumindest war es in einigen Interviews zu lesen - anders sehen, aber während von Trier sein Publikum sonst gerne mit kuriosen, aber interessanten Filmtheorien fordert (man denke nur an die Fiktion als realer Virus in EPIDEMIC oder den Film als hypnotische Traumerfahrung in EUROPA) oder es schockiert (mit dem Gewaltexzess in ANTICHRIST oder der extremen Misanthropie in DANCER IN THE DARK), ist MELANCHOLIA einfach nur ein psychologischer Film - nicht simpel, sondern durchaus vielschichtig, aber eben nicht mehr selbstreferentiell oder meta-reflexiv. Ausnahmsweise ist hier mal alles so, wie es scheint - und das ist durchaus eine angenehme Abwechslung zum sonst doch eher sehr verkopften Kino des dänischen Regisseurs.

Einen "wunderschönen Film über das Ende der Welt" nennt das Presseheft diesen Film. Man kann da nur zustimmen.











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