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Seit ein paar Jahren weigert es sich ruhig zu werden um Dominik Graf: In schöner Regelmäßigkeit erscheinen Artikel und Bücher von und über ihn, glühend huldvolle Blogposts, Interviews und zuletzt, lange überfällig, der erste amerikanische Großtext, "Graf Attack!" von Daniel Kasman auf mubi.com. Anlass dafür war eine Retrospektive beim Filmfest Rotterdam, in dessen Rahmen Graf im Gespräch mit Christoph Huber und Olaf Möller bewies, dass er auf Englisch ähnlich druckreif formuliert wie in seiner Muttersprache (bei YouTube unter "Critics' Talk" zu finden). Jetzt also eine Mono- oder eher Duografie von eben Huber und Möller, jenem ungleichen Brüderpaar der deutschsprachigen Filmkritik, die sich als Botschafter tendenziell unsichtbarer Nischenkinematografien verdient gemacht haben (u.a. bei CinemaScope und als Mitglieder der schraubig-preziösen, nicht immer nervenschonenden Ferroni Brigade).
Brüderlich teilen sie sich auch die Aufgabe der Graf-Werkserschließung, Huber in Form eines Langessays, Möller per erschöpfender Einzelfilmografie. Überschneidungen, Redundanzen gibt es dennoch erstaunlich wenige: Hubers Lektüre, wiewohl chronologisch angelegt, bemüht sich darum, motivliche Verbindungslinien zu ziehen, Stilphasen abzugrenzen (BRD, Nachwende, "postdigitale Raserei"), Grafs generische Einflüsse von Rohmer bis Fulci sowie seinen halb brechenden, halb ungebrochenen Umgang mit den Versatzstücken herauszustellen. Immer wieder versteigt Huber sich dabei in manieristisch-andeutelnde Handlungsumzirkelungen - synoptische Stimmungsmalerei, die dem Abstraktionswillen seiner Argumentation entsprechen mag, aber weder als Einführung noch Gedächtnisstütze so richtig taugt.
Möller dagegen tobt sich mit vibrierender Lust am Konkreten aus, an Figuren, Farben, Formen, Objekten: kein Blick von außen, sondern ins ontologische Eingeweide der filmischen Welt und ihres zeitgenössischen Realpendants (die ergiebigste Dimension bei der Gesamtwerkschau, darin scheinen sich beide Autoren einig, ist die historische). Möllers eigene Erinnerungen an die späte Bonner und frühe Berliner Republik - an die Wurst zum Beispiel, die's im FAHNDER zum Abendbrot gibt - funken immer wieder dazwischen, ein rezeptionsbiografisches "Genau so war's", das seine teils recht steilen Analysen (alte Splatting-Image-Schule) angenehm erdet. Die knappe Präzision der selten mehr als zweiseitigen Einträge kommt dem Graf'schen Schichtungs- und Verdichtungsfuror dabei nur entgegen; anders kann man einem palimpsestischen Monstrum wie dem SKORPION vermutlich kaum Herr werden. Wie Möller selbst schreibt: "Da ist Druck drin", in seinen Texten so sehr wie auf der Leinwand.
Und trotzdem: Über Graf redet letztlich niemand so eloquent wie Graf selbst. Im Zentrum des Buchs steht deswegen erneut ein Interview, geführt letzten Sommer im Münchner Hofbräukeller, was man im besten Sinne auch merkt am zunehmend lässigen Laberduktus, am schön mittranskribierten Verschleifen der Sprache. Dem Mann zuzuhören bereitet mittlerweile eine ähnliche Freude wie seine Filme zu schauen, eine Freude an der Rekombination idiomatischer Bausteine: Wenn Graf wie so oft schon von seinen Lehrjahren bei der Bavaria, vom SIEGER-Trauma oder von den "herrlichen Freuden der kulturellen Niederungen" erzählt, erkennt man Positionen, Obsessionen, sogar einzelne Wendungen wieder (etwa die "Leberkäsegesichter" im Dogmafilm). Die Gefahr, darin zur Gebetsmühle, zur Pose zu erstarren, ist Graf vollauf bewusst: Einmal sorgt er sich, dass ihm die Öffentlich-Rechtlichen nur deswegen Sonderfreiheiten einräumen, weil seine Exzessivität längst zur Marke, er selbst also vom "Schmuggler" (für Farberianer: von der Termite) zum Aushängeschild geworden ist. Und dann zitiert er - auch nicht zum ersten Mal - Nicolas Roegs "Satz aller Sätze": Even the unexpected must not be expected.
Derzeit arbeitet Graf an einem Film über Friedrich Schiller. Wer hätte das geahnt?
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