Der Herausgeberband ACTIONKINO - MODERNE KLASSIKER DES POPULÄREN FILMS hat es sich zur Aufgabe gemacht ein in der Filmwissenschaft gerne stiefmütterlich behandeltes Genre einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Bereits im ersten Kapitel nähern sich die Herausgeber Ingo Irsigler, Gerrit Lembke und Willem Strank dabei einer entscheidenden Fragestellung: Welche kinematographischen Elemente machen einen Film überhaupt zu einem Actionfilm und welche Zuschreibungen können daraus abgeleitet werden? Insgesamt elf mehr oder minder naheliegende Thesen werden diesbezüglich aufgeschlüsselt und mit zahlreichen Beispielen untermauert.
Ein Abschnitt widmet sich erwartungsgemäß dem von Sittenwächtern und übereifrigen Pädagogen gerne vehement artikulierten Vorwurf der Gewaltpornographie. Ein Stigma, welches dem Actionkino seit jeher anhaftet. Die weiteren genrespezifischen Thesen befassen sich darüber hinaus mit der Körperlichkeit der Protagonisten ("Actionfilme brauchen Actionhelden") , den sozialen Aspekten des Actionfilms ("Actionhelden sind Einzelgänger") sowie ausgewählten narrativen Konzepten des Genres ("Actionfilme sind reaktionär").
Das erste Kapitel bietet einen hervorragenden und äußerst lesenswerten Einstieg in das Buch. In zum Teil recht kurzen Abschnitten werden die jeweiligen Thesen vorgestellt, beschrieben und analysiert. Das in diesem Zusammenhang interessante Punkte, etwa der insbesondere im Actionkino der achtziger Jahre sehr präsente ideologische Unterbau zahlreicher Produktionen, lediglich mit wenigen Sätzen abgehandelt werden, ist zwar schade jedoch wohl unvermeidbar angesichts der Fülle weiterer genretypischer Spezifika.
Im Gegensatz zum ersten Kapitel fokussieren sich die restlichen acht Buchabschnitte auf einzelne Filme bzw. auf ausgesuchte Film-Reihen. Das Label Moderne Klassiker (wie es so schön im Untertitel des Buches heißt) ist allerdings nicht wirklich zutreffend. Obwohl durchaus wegweisende Werke thematisiert werden (z.B. DIRTY HARRY, THE TERMINATOR, inklusive der Fortsetzungen) sind mit CASINO ROYALE oder den EXPENDABLES-Filmen Produktionen vertreten, die filmhistorisch gesehen (noch?) keinen Klassikerstatus innehaben.
Dies macht aber auch den Reiz des Buchs aus, da sich die Autoren eben nicht nur auf die klassischen Werke beziehen und ebenso die gegenwärtigen Ausprägungen und Neuausrichtungen des Genres im Auge behalten. Hervorzuheben ist hier sicherlich der Text "Die Rückkehr der Körpertäter" von Gerrit Lembke, der sich ausführlich mit Sylvester Stallones postmodern kodierten Actionfilmen THE EXPENDABLES und THE EXPENDABLES 2 auseinandersetzt. Ein weiteres Kapitel, das primär das Actionkino der letzten Jahre unter die Lupe nimmt, ist die Analyse der MISSION: IMPOSSIBLE-Reihe von Dominik Orth.
ACTIONKINO - MODERNE KLASSIKER DES POPULÄREN FILMS schließt eine Lücke in der deutschsprachigen Filmwissenschaft. Es ist den Autoren hoch anzurechnen, dass sie ein oftmals marginalisiertes Genre dadurch einem akademischen Diskurs öffnen. Aufgrund der größtenteils leicht zugänglichen Sprache eignet ist der Band aber ebenfalls für eine filmwissenschaftlich nicht geschulte Leserschaft. Bemängeln muss man das die Autoren mehrere bedeutsame Strömungen des Actionfilms stark ausblenden. Comicverfilmungen und damit eine zusätzliche Spielart des Genres werden lediglich am Rande erwähnt. Das gleiche gilt für die Filme aus dem Segment Direct-to-DVD. Eine wissenschaftliche Hinwendung zu den Werken von beispielsweise Isaac Florentine oder Jesse V. Johnson wäre sicherlich lohnenswert gewesen. Auch das moderne asiatische Kino wird (fast komplett) ausgespart. Dies ist ausgesprochen bedauerlich, bieten doch die Regiearbeiten von John Woo, Tsui Hark, Ringo Lam oder Johnny To eine Vielzahl unterschiedlicher Bedeutungsebenen für eine vertiefende Filmanalyse an.
Nichtsdestotrotz ist der bei Bertz + Fischer in der Reihe Deep Focus veröffentlichte Band im Gesamtergebnis gelungen. Wie vom Verlag gewohnt sind die Artikel überwiegend lesenswert und mit der nötigen Sorgfalt und dem Blick fürs Detail recherchiert. Sehr schön ist dabei, dass die Autoren immer wieder auf die allgemeine mediale Rezeption der Filme eingehen. Nicht alle (primär negativ konnotierten) Zuschreibungen werden in diesem Kontext entkräftet. Dennoch merkt man den Texten den Willen an, das schlechte Image des Genres mit analytischen Mitteln zur Diskussion zu stellen. Insgesamt ist der mit 176 Seiten recht schlanke Band also eine lohnenswerte Veröffentlichung, die an die hohe Qualität der übrigen Bände aus der Deep Focus-Reihe nahtlos anknüpft.
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