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Es war noch nie leicht Kind zu sein. Erst recht nicht, wenn man in ein Alter kommt, in dem einem die Entscheidungen der Eltern nur noch komisch und unangebracht vorkommen. Etwas, das immer mehr Heranwachsende kennen, hyperaktive Kinder gibt es ja leider genügend. Max (Max Records) ist einer von ihnen. Irgendwie aber auch nicht. Eines Abends stürmt er die Treppe hinunter, verfolgt seinen kleinen Hund, als würde er ihn jagen und gleich fressen wollen. Nicht der Hund erscheint hier als Tier, sondern der kleine Junge. Alles nur ein Spiel, wenn auch ein sehr intensives. Was soll Max aber auch anderes übrig bleiben, wenn seine ältere Schwester keine Zeit für ihn hat, die Mutter arbeiten ist und der Vater die Familie verlassen hat? Max flüchtet sich statt in Langeweile in seine eigene Fantasiewelt. Besteht diese anfangs noch aus einem selbstgebauten Iglu im Vorhof, einem Wildkatzenkostüm und sonstigen Wohnutensilien, die er in seinem Zimmer zu einer Höhle aufschlägt, wird er schon bald in eine andere Welt gelangen. Wenn Max einmal zur Ruhe kommt, so wie an diesem Abend, als er seine Mutter in die Racheaktion an seiner Schwester einweiht, dann sind seine Imagination nahezu keine Grenzen gesetzt. Seine Mutter notiert in einer der schönsten Szenen des Filmes seine Gedanken um einen ausgegrenzten Vampir. Im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren mit einer ungemein schönen Bildkomposition diktiert Max seiner Mutter (Catherine Keener) die wenigen Sätze. Doch nicht nur der Vampir ist ein Außenseiter, da er seine Zähne verloren hat, auch Max ist einer, und das weiß er auch.
Es kommt, wie es kommen muss, er befolgt die Anweisungen seiner Mutter einmal mehr nicht, es kommt zum Konflikt, an dessen Ende Max' endgültige Flucht steht, eine Flucht nicht nur aus dem elterlichen Haus, sondern auch aus der Realität. Über den Ozean gelangt der dorthin, wo die wilden Kerle wohnen. Die Imaginationskraft von Kindern ist immer wieder Sujet des Mediums Film, wenn auch meist in Zeiten des Krieges. In PANS LABYRINTH flüchtete sich ein kleines Mädchen vor den Schrecken des Krieges und ihrer dysfunktionalen Familie in eine Fantasiewelt, wo sie zur Prinzessin ernannt wurde. Etwas, das ihr dabei half, besser mit der Situation fertig zu werden. Auch in THE FALL ist es das kleine Mädchen, das sich in eine andere Welt imaginiert. Diese Welt ist nicht frei von Problemen, aber sie ist immer noch angenehmer als die derzeitige Realität. Der auf Maurice Sendaks Kinderbuch basierende WO DIE WILDEN KERLE WOHNEN hat dies schon einige Zeit vorher erkannt, versetzt Max auf eine Insel, auf der auch ihm eine bedeutende Rolle zuteil wird. Durch sein Verhalten, das von anderen noch als aggressiv oder unangebracht angesehen wurde, wird er hier schnell zum König ernannt, was nicht zuletzt auch seiner Intelligenz zuzuschreiben ist. Die Königsrolle steht ihm anfangs gut, er schafft es tatsächlich Verantwortung zu übernehmen und Frieden zwischen den verschiedenen Charakteren zu schaffen. Doch wie alles auf dieser Welt ist auch dieser Frieden nur von kurzer Dauer.
Schon von Beginn an schien die Gruppe der wilden Kerle alles andere als homogen, es gab Außenseiter und Ausgegrenzte, Verachtete und Verabscheute. Etwas, das Max nur zu gut zu kennen scheint. So entwickelt sich langsam aber sicher so etwas wie Vertrauen und Freundschaft zwischen dem Jungen und den wilden Kerlen. Diese muss sich Max aber auch hart erkämpfen, er muss für etwas einstehen, sich dabei oft selbst in den Hintergrund stellen. So viele Träume in dieser Welt auch wahr werden, so viele werden aber auch von der Realität wieder eingeholt. WO DIE WILDEN KERLE WOHNEN ist dabei von Beginn an von einer magischen Leichtigkeit durchzogen, die all diese schwer erscheinenden Themen und Probleme dennoch würdig anzuschneiden vermag. Egal ob die Exposition im Schnee und der anschließende Wutausbruch im Zimmer der Schwester, Spike Jonze vermag wundervolle Bilder abzuliefern, die einen schnell ins Geschehen eintauchen lassen. Einmal auf der Insel der Wilden angekommen, fangen eben diese Bilder jedoch sukzessive an ihre Grenzen zu stoßen. Zu lange hält sich der Film an Punkten auf, zu redundant wirken einzelne Szenen. Das Creature-Design ist dabei natürlich über allem erhaben, denn endlich versteht es ein Regisseur ein perfektes Mittelmaß aus CGI und praktischen Effekten zu finden. Zu keinem Zeitpunkt wirken die Männer, die sich lediglich ein Kostüm übergestülpt haben, lächerlich oder unangemessen, geschweige denn wie Kaufhausmaskottchen. Auch ihre namhaften Synchronsprecher (u.a. James Gandolfini und Forst Whitaker) gestalten sich hervorragend, hauchen sie der tollen Computermimik doch eindrucksvoll Leben ein.
Jonzes Filmadaption von WO DIE WILDEN KERLE WOHNEN hängt gerade in diesem Mittelteil, der auch mit seinen zugegeben tollen Landschaften schnell übersättigend wirkt. Die Botschaft des Filmes wird schnell klar, dafür hat auch Sendaks Buch nicht viele Seiten benötigt. Irgendwo zwischen Initiationsgeschichte, rebellierender Jugend und psychologischen Bildern, entwickelt sich Jonzes Leinwandadaption zu zäh. Wäre Max Records nicht solch ein unglaublich talentierter Nachwuchsdarsteller, der den Film ohne größere Probleme komplett allein auf seinen Schultern trägt, dann bliebe nicht mehr allzu viel übrig, um länger in diesen bisweilen tollen Bildern zu schwelgen. Natürlich ist es auch eine Frage danach, inwiefern man sich selbst und seine eigene Kindheit in Max und seiner Reise wieder erkennt. Was war man(n) selbst? Rebell oder Mutters Liebling? Baute man sich Forts und Höhlen oder konnte man damit eher wenige anfangen? Und wie waren bei einem selbst die Familienverhältnisse? Zuletzt steht natürlich auch die Frage nach dem Buch im Raum, ob man es selbst (vor-)gelesen (bekommen) hat oder eben nicht. Die Kinder von damals sind heute jedenfalls groß geworden, auch wenn das Kind in ihnen vielleicht noch still und leise schlummert und sie bisweilen in einen wilden Kerl verwandelt. Max blühende Fantasie, die nichts Negatives darstellen muss, im Gegenteil, hat ihn reifen lassen, er hat nun gelernt Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und weiß es, wie es sich anfühlt, wenn man von anderen wenig oder gar nicht verstanden wird. Eine Reifeprozess, der für die Entwicklung eines Kindes von unschätzbarem Wert ist.
Es ist nicht gerade leicht für einen Film, wenn er auf technischer Seite nahezu vollends überzeugt, aber den Zuschauer einfach nicht richtig für sich gewinnen kann und in der Lage ist ihn emotional einzubinden. Gerade hierin liegt aber auch das größte Problem von WO DIE WILDEN KERLE WOHNEN, denn die anfängliche Magie, die noch in der harten Realität verankert ist, verfliegt leider zusehends. Vielleicht liegt die Magie aber auch gerade darin, dass man gelernt hat dies alles als selbstverständlich anzusehen, Erwachsen geworden zu sein und ständig Verantwortung zu übernehmen (oder besser gesagt zu müssen). Uns Erwachsenen ist es leider verwehrt in die innere Imagination zu flüchten, wobei es uns hin und wieder sicherlich alles andere als schaden würde.
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