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UNKNOWN IDENTITY (Großbritannien/Deutschland/Frankreich/Kanada/Japan/USA 2011)

von Björn Lahrmann

Original Titel. UNKNOWN
Laufzeit in Minuten. 113

Regie. JAUME COLLET-SERRA
Drehbuch. OLIVER BUTCHER . STEPHEN CORNWELL
Musik. JOHN OTTMAN . ALEXANDER RUDD
Kamera. FLAVIO LABIANO
Schnitt. TIM ALVERSON
Darsteller. LIAM NEESON . DIANE KRUGER . BRUNO GANZ . JANUARY JONES u.a.

Review Datum. 2011-02-26
Kinostart Deutschland. 2011-03-03

Der U-Bahn-Tunnel am Platz der Luftbrücke scheint Böses anzuziehen. In Andrzej Zulawskis POSSESSION erlitt Isabelle Adjani hier eine monströse Niederkunft, 30 Jahre später muss Liam Neeson durch den niedrigen Schacht vor finstren Verfolgern flüchten. Neeson spielt Dr. Martin Harris - den Doktor betont er so insistent, wie Guttenberg es nie wieder können wird -, einen amerikanischen Biologen, der anlässlich einer Getreidekonferenz das winterliche Berlin besucht. Wobei: So ganz sicher ist das alles nicht mehr. Eine Taxifahrt in die Spree wirbelt manches durcheinander, vornehmlich Identitäten und Stadtteile (das Adlon ist jetzt in Kreuzberg). Harris' Frau (January Jones, frisch gebügelt von der MAD MEN-Stange) zeigt dem Gatten mit einem Mal verächtlich den entzückenden Rücken, zumal bereits ein anderer Herr (Aidan Quinn) an ihrer Seite weilt, der seinerseits Dr. Martin Harris zu sein vorgibt.

An dieser Stelle fallen in der Regel die Namen Hitchcock und Polanski, Urväter des Nothing's what it seems-Thrillers, dessen Zeichen sich in Wahrheit längst verselbständigt haben. Natürlich ist Neeson ein Mann, der zuviel wusste (bzw. zuviel davon vergessen hat), natürlich geht's auf seiner Selbstfindungs-cum-Prügel-Odyssee zunehmend frantic her. Wieso aber korrekt zitieren, was ohnehin Public Domain ist? UNKNOWN IDENTITY zieht es mit charmanter Schamlosigkeit ins Referenzoffene, ohne störendes Hommagieren und Fußnotensetzen. Jaume Collet-Serra, der vor zwei Jahren den herrlich bescheuerten ORPHAN kredenzte, etabliert sich hier endgültig als unakademischer Materienkenner, der sich in seiner Disziplin frank und frei zu bewegen weiß: Allenthalben Zooms auf verdächtige Koffer, Dutch Angles (das ist, wenn die Kamera so ein bisschen zur Seite kippt, um geistige Umnachtung anzukündigen) und Schnitte auf Füße, die ihren Schritt verdoppeln. Das Skript wurde von einem gewissen Butcher zusammengemetzgert, der nicht nur weiß, was er tut, sondern auch, dass das Publikum es ebenfalls weiß. Soll heißen: Wer den Twist nicht errät, ist doof, alle anderen werden immerhin nicht sinnlos auf falsche Fährten gelotst.

Nebenbei ist UNKNOWN IDENTITY ein wirklich toller Anti-Sarrazin-Berlinfilm geworden. Mit der Energie eines übermütigen Gastarbeiters reißt Collet-Serra die Innenstadt an sich und montiert sie nach Belieben neu zusammen, alles liegt plötzlich um die Ecke von allem, und wer in die abgeranzten Waggons der U6 einsteigt, kommt aus den Hochglanzzügen der U2 wieder raus. Deutschland mag sich Neeson als hysterische Passkontrolldiktatur präsentieren, wo ohne ID nicht mal in schmierigen Bumshotels ein Zimmer zu bekommen ist - warm und empfänglich hingegen sind Neuköllner Mietbaracken mit fußballspielenden Türkenjungs im Treppenhaus. Dort hausiert die expatriierte Diane Kruger, die als serbisches illegal alien in Strickmütze und Doc-Martens-Tretern endlich mal richtig gut aussieht. Sie ist die glücklose Taxifahrerin vom Anfang und rehabilitiert sich später bei diversen Verfolgungsjagden, die nicht nur fetzen wie die Sau, sondern auch prima als Stadtführungen funktionieren. "Zu Ihrer Rechten" - Pirouette mit quietschenden Reifen - "pardon, Ihrer Linken sehen Sie jetzt Dussmann, wo der gemeine Snob seine Bücher kauft."

Abseits automotiver Rambazamben mag die Joel-Silver-Action von UNKNOWN IDENTITY ein Quäntchen behäbiger und altmodischer ausfallen als die Luc-Besson-Action aus TAKEN; das Prinzip, Liam Neeson mit grimmiger Miene durch europäische Hauptstädte bolzen zu lassen, darf dennoch spätestens jetzt gern verfranchised werden. Im Kleingedruckten sollte dann stehen, dass mindestens eine heimische Schauspiellegende von der Last des ewig öden Legendenschauspiels befreit werden muss. Hervorragend klappt das schon mal mit Bruno Ganz, der als kalterkriegsgraues Helferlein mit Stasi-Knowhow seinen schönsten Auftritt seit einer kleinen Unendlichkeit hinlegt. Überhaupt: Oskar Schindler und Adolf Hitler in einem heiß gestrickten B-Movie endlich ihrer wahren Bestimmung zuzuführen, ist womöglich der größte Dienst, den die deutsche Filmförderung ihrem Land je erwiesen hat.











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