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TOKYO VAMPIRE HOTEL (Japan 2017)

von André Becker

Original Titel. TOKYO VAMPEIA HOTERU
Laufzeit in Minuten. 142

Regie. SION SONO
Drehbuch. SION SONO
Musik. TRICOT
Kamera. MAKI ITO . TOMOAKI IAWKURA . TADASHI KUWABARA
Schnitt. JUNICHI ITO . EMI ONODERA . YOSHIKI USHIRODA
Darsteller. AMI TOMITE . YUMI ADACHI . KAHO . MEGUMI KAGURAZAKA u.a.

Review Datum. 2018-06-02
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Wenn Sion Sono für Amazon eine Serie über Vampire dreht, sollte jedem Kenner des Filmemachers klar sein, dass der japanische Regisseur hier keine stinknormale Standardware abliefert. Sono schert sich bekanntermaßen wenig um vermeintlich festgesetzte Genre-Grenzen, insofern gleicht jeder neue Film von ihm einer prall gefüllten Wundertüte, deren Inhalt wahlweise verstört, begeistert oder einfach nur bombastisch unterhält.

TOKYO VAMPIRE HOTEL umfasst als Serie neun Folgen, ist auf Festivals (u.a. auf dem Japan Film Fest Hamburg) aber ebenfalls als Spielfilmversion zu sehen. Dieser Zusammenschnitt dauert annähernd zweieinhalb Stunden und bietet klassische Sono-Ware. Wie ein Flummi springt der Film zwischen entfesselter Action, düsterer Fantasy, Parodie und Love-Story hin und her. Das ist oftmals pure Reizüberflutung weist aber auch die für Sono typischen poetischen Szenen auf, die der Regisseur im Laufe der Jahre als seine ganz eigenen Filmsprache entwickelt hat. Rein thematisch ist der Film hingegen eher uninteressant. Es geht um verfeindete Clans und die jeweiligen Bestrebungen die Macht an sich zu reißen. Mittendrin ein junges Mädchen, dass zwischen die Fronten gerät und im Strudel der Gewalt selbstverständlich auch zu sich selbst finden muss. Zentraler Ort des Geschehens: Ein fast schon kafkaeskes Vampir-Hotel, dass für seine Gäste die eine oder andere böse Überraschung parat hat.

Wie bereits gesagt ist die eigentliche Story nicht wirklich aufregend und auch die mit einem Ortswechsel verbundenen Rückblicke (nach Rumänien) sind nicht unbedingt sinnstiftend. Interessant wird der Film durch Sonos gewohnt entfesselte Inszenierungsweise. Bereits die ersten 20 Minuten, die noch vor der Ankunft im Hotel spielen, sind dermaßen Over the top dass man sich immer wieder bewusst machen muss, dass Sono hier erst loslegt und das der Showdown noch bevorsteht. Wenn es dann im titelgebenden Hotel so richtig losgeht, gibt es erwartungsgemäß kein Halten mehr. Sono entfacht ein Feuerwerk aus abgefahrenen Ideen (irgendwo zwischen Pop-Art und Body-Horror), kruden Splatter-Orgien und jeder Menge Geschrei und Overacting. Das ist zweifellos nicht immer treffsicher und auf die Dauer machen sich ebenfalls leichte Abnutzungserscheinungen bemerkbar, nichtsdestotrotz schafft es Sono meist rechtzeitig tonale Wechsel vorzunehmen oder neue Perspektiven aufzuzeigen um so dem Ganzen frische Impulse zu verleihen.

Wirft man einen Blick auf die Meta-Ebene des Films wird zudem deutlich, dass Sono in gewohnt überspitzter Form z.B. ebenso vom Wahnsinn der Partnersuche und der Einsamkeit in Großstädten erzählt. Auch die Irrungen und Wirrungen adoleszenter Lebenswelten bildet Sono teils ausgesprochen pointiert und mit einem feinen Gespür für die vielen Nuancen jugendlicher Erfahrungsräume ab. Insgesamt gleicht TOKYO VAMPIRE HOTEL dabei zwar mehr den starken Vereinfachungen von TAG als den vielschichtigen Charakterzeichnungen seines gefeierten Trips LOVE EXPOSURE, die Ausarbeitung der fast ausschließlich weiblichen Charaktere ist dennoch ein dicker Pluspunkt, den die Festivalfassung für sich verbuchen kann.

Trotz der meterhohen Blutseen, die der Film im Verlauf der zweieinhalb Stunden genüsslich ausbreitet ist TOKYO VAMPIRE HOTEL näher am Mainstream amerikanischer Prägung als viele seiner bisherigen Werke. Die wirklichen Grenzüberschreitungen, die Sono in der Vergangenheit gerne auch mal dem Publikum als Spiegel ureigener Ängste und Perversionen vor die Nase hielt, sind hier genauso wenig aufzufinden, wie die schwer zu ertragener Gewaltdarstellungen die dem Regisseur nicht selten heftige Vorwürfe einbrachten (bzw. ihn nur darauf reduzierten). Zudem widmet sich Sono dem Vampir-Thema und den damit einhergehenden Mythen zwar kreativ, aber doch eindeutig mittels der hinreichend bekannten Prämissen und Zielkoordinaten des Genre-Kinos der letzten zwanzig Jahre.

Mit TOKYO VAMPIRE HOTEL hat Sono sicherlich nicht sein bestes Werk abgeliefert, als irrer Ritt, der hochtourig seine Themen und Motive durchrackert und nebenbei viele Konstanten im Schaffen des Regisseurs streift, offenbart die Filmfassung für ihr Publikum aber noch ein ausreichend wildes Unterhaltungsprogramm, über das man staunen und von dem man sich glücklicherweise auch stets mitreißen lassen kann.

TOKYO VAMPIRE HOTEL lief auf dem 19. Japan-Filmfest Hamburg und die Serien-Version ist auf Amazon Prime abrufbar!











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