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TAG (Japan 2015)

von André Becker

Original Titel. RIARU ONIGOKKO
Laufzeit in Minuten. 85

Regie. SION SONO
Drehbuch. SION SONO . YUSUKE YAMADA
Musik. MONO . SUSUMU AKIZUKI
Kamera. MAKI ITO
Schnitt. JUNICHI ITO
Darsteller. REINA TRIENDL . MARIKO SHINODA . ERINA MANO . YUKI SAKURAI u.a.

Review Datum. 2016-05-15
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Sion Sono wird (bereits seit einigen Jahren) neben Takashi Miike gerne als Aushängeschild und Wegbereiter des neuen japanischen Films gehandelt. Im Gegensatz zu Miike sind seine Ausflüge in den Kino-Mainstream allerdings wesentlich seltener. Nach wie vor liefert Sono eher sperrig-irritierende, nichtsdestotrotz aber meist höchst unterhaltsame Kost ab, für die er von Kritikern und Fans oftmals frenetisch abgefeiert wurde. Sein nicht nur aufgrund der Laufzeit Grenzen sprengendes Opus magnum LOVE EXPOSURE erntete diesbezüglich besonders viel Lob. TAG konnte dagegen nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit generieren und positioniert sich innerhalb der Filmografie von Sono als wenig bekanntes, fast schon marginalisiertes Werk aus der zweiten Reihe.

Tatsächlich ist diese Außenseiterstellung durchaus verwunderlich, liefert der Regisseur hier doch eine rasante Tour de force ab, die den Irrsinn früherer Filme locker in den Schatten stellt. Darüber hinaus kommt TAG auf den ersten Blick wie ein munter-grenzüberschreitender Genre-Film daher. In diesem Zusammenhang öffnet der Regisseur bewusst die Tür für Zuschauer, die am japanischen Kino insbesondere die skurrilen Splatter-Eskapaden jüngeren Datums schätzen. Hinter all den Exzessen, die Sono gerade in den Anfangsminuten genüsslich zelebriert steckt jedoch viel mehr, als es zunächst den Anschein hat. Auch die Anfangs stark verwirrende Dramaturgie des Films nimmt im Verlauf des Geschehens immer mehr Konturen an.

Sono startet seinen Film mit einer ausgesprochen derben Anfangssequenz. Ein japanisches Schulmädchen mit Namen Mitsuko überlebt einen verheerenden Unfall/Mordanschlag, der ihre gesamten Mitschülerinnen ins Jenseits befördert. Tief verstört ergreift sie die Flucht, die sie schließlich mitten zu ihrer Schule führt, wo die todgeglaubten Schülerinnen frohen Mutes auf den Schulbeginn warten. Kurze Zeit später gleicht aber auch die Schule einem Schlachtfeld. Erneut gelingt es Mitsuko zu entkommen, nur um sogleich festzustellen, dass sie in einem neuen (weiblichen) Körper steckt und wieder um ihr Leben fürchten muss. Bis Mitsuko dem Geheimnis der mysteriösen Geschehnissen auf die Spur kommt, muss sie zahlreiche Gefahren überstehen, die zunehmend absurdere Ausmaße annehmen.

TAG macht es dem Publikum mitunter sehr schwer. Sono gelingen hochpoetische Bilder, die er mit vielschichtigen Kontextualisierungen sozialer und popkultureller Sachverhalte anreichert. Die teils traumwandlerischen Abschnitte werden allerdings durch mehrere reichlich trashige Sequenzen konterkariert, die immer wieder aufs Neue für Verwunderung sorgen. Nicht wirklich gelungen sind außerdem die zahlreichen CGI-Effekte, die teilweise äußerst billig wirken und so das Filmvergnügen deutlich schmälern. Dennoch überwiegen die positiven Eindrücke, denn Sono nutzt die Abfolge der Ereignisse sehr geschickt, um konsequent die patriarchalisch geprägte japanische Gesellschaft mit ihrem ungebremsten Hang zu Objektivierung und Fetischen unter das Brennglas zu legen.

Sonos Film erzählt insofern (erneut) auf vieldeutig interpretierbare Weise eine Emanzipationsgeschichte über geschlechtsspezifisch determinierte Unterdrückung und weibliche Selbstermächtigung. Getragen durch die überzeugende Darstellerriege und den tollen Soundtrack der Postrock-Band Mono erzeugt TAG eine surreale Stimmung, die lange nachhallt und fast märchenhafte Züge annimmt. Dass der Regisseur das eine oder andere Mal ein wenig zu voyeuristisch das auskostet, was er eigentlich anprangert macht den Film angreifbar, lässt sich aber auch als konfrontative Aufforderung an das Publikum deuten, einmal selbst das Gesehene und den dezidiert männlichen Blick kritisch zu reflektieren. Obwohl die Produktion nicht die Sogwirkung früherer Werke des Regietalents erreicht bietet die Parabel einen teils verstörenden, insgesamt aber durchaus reizvollen Abstieg in die Phantasiewelt eines nach wie vor höchst begabten Filmemachers.











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