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SPIDER-MAN: HOMECOMING (USA 2017)

von Andreas Günther

Original Titel. SPIDER-MAN: HOMECOMING
Laufzeit in Minuten. 133

Regie. JON WATTS
Drehbuch. JONATHAN GOLDSTEIN . JOHN FRANCIS DALEY
Musik. MICHAEL GIACCHINO
Kamera. SALVATORE TOTINO
Schnitt. DEBBIE BERMAN . DAN LEBENTAL
Darsteller. TOM HOLLAND . MICHAEL KEATON . MARISA TOMEI . LAURA HARRIER u.a.

Review Datum. 2017-07-13
Kinostart Deutschland. 2017-07-13

Seit WONDER WOMAN ist für DC Comics/Warner Entwarnung angesagt: Die Kreativitätskrise darf als überwunden gelten. Bei der Konkurrenz Marvel hält sie indes unvermindert an. THE FIRST AVENGER: CIVIL WAR erwies sich als zäh und handwerklich dilettantisch, konnte sich weder ganz ernstnehmen, noch auf die Schippe nehmen. Trotz martialischen Tamtams blieb die Mär von der Superhelden-Fehde fade und vorhersehbar, ihr Kräftemessen als lächerliche Ritterturniersausekarambolage. Der neue Spiderman, in dessen blaurotem Kostüm Tom Holland damals debütierte, verliert nun auch noch den Halt.

Wie in THE FIRST AVENGER: CIVIL WAR meint auch SPIDER-MAN: HOMECOMING in der amerikanischen Seele wühlen zu müssen. Letztlich ist das wieder eine Suche nach der Daseinsberechtigung des Superheldentums. THE FIRST AVENGER: CIVIL WAR versuchte, die innere Spaltung der amerikanischen Nation im internen Zerwürfnis des Avenger-Teams zu spiegeln. Das misslang zwar, aber immerhin kam der Film in Gang und konnte vor lauter infantilem Aktionismus das staatstragende Über-Ich ein wenig abschütteln. SPIDER-MAN: HOMECOMING kommt so weit nicht.

Das mittlerweile zweite Rebooting des adoleszenten Netzewerfers mit bürgerlichem Namen Peter Parker entwächst kaum der Exposition und schwingt sich nur gelegentlich zu einer einigermaßen vergnüglichen Teenie-Detektivgeschichte über die Häuserschluchten auf. Die meiste Zeit betreibt der Streifen hochsymbolische Meditation des amerikanischen Patienten. Das erinnert nicht wenig an das berühmte Starren des Kaninchens auf die Schlange oder an die Ohnmacht angesichts eines allesverschlingenden Malstroms. Den vermag SPIDER-MAN: HOMECOMING nur zu beschreiben, aber nicht wenigstens fiktiv-idealisierend zum Stillstand zu bringen, und fällt am Schluss selbst hinein. Die Credits verweisen auf acht Drehbuchautoren, aber wahrscheinlich haben noch viel mehr mitgewirkt. Viele Köche verderben den Brei. In diesem Fall werfen sie auch noch eine äußerst üble reaktionäre Pille ein.

Dabei hüpft SPIDER-MAN: HOMECOMING zunächst fröhlich im Melting-Pot herum und badet im Liberalismus von 'Big Apple' New York. Mehr Multi-Kulti geht kaum. Für die Tante May (Marisa Tomei) des -School-Schülers Peter Parker interessiert sich ein netter asiatischer Kellner. Peter parliert Italienisch mit dem Deli-Besitzer gegenüber Tante Mays Wohnung, wo er lebt. Peters Freund Ned (Jacob Batalon) ist augenscheinlich Native American. Die Nachrichten des Schulfernsehens moderieren ein Afroamerikaner und eine WASP-Blondine. Und verknallt ist Peter Parker in Liz (Laura Harrier), Sprecherin einer Gruppe von Eierköpfen, die für nationale Wissenswettbewerbe fleißig trainiert - schlank, groß, hübsch, afroamerikanisch und definitiv der ältesten Tochter der Obamas sehr ähnlich. Wie herrlich gewagt das wirkt. Nichtsdestoweniger gibt es aber nun einmal diese amerikanische Zerrisenheit. SPIDER-MAN: HOMECOMING kümmert sich um sie ebenso abendfüllend wie befremdlich.

Metallfacharbeiter Adrien Toomes (Michael Keation) will sich mit seinen Kumpels für die miese finanzielle Behandlung des Porletariats rächen. Er schafft Schrott von außerirdischen Raumschiffen beseite, um daraus Superwaffen zu schmieden und sie an Gangs zu verscherbeln. Peter Parker/ Spiderman kommt ihm auf die Spur. Als eine Art Junior-Partner der 'Avengers' versucht er seine erwachsenen Kollegen auf das Problem aufmerksam zu machen. Doch sein väterlicher Betreuer 'Iron Man' (Robert Downey Jr.) runzelt nur die Stirn. Immerhin ist Spiderman für den Kampf gegen Toomes mit einem patenten neuen Spinnenanzug ausgestattet. Dessen Features und Funktionen erläutert ihm eine sexy weibliche Stimme (im Original ist es die von Jennifer Connelly). Erst nennt Peter sie 'Suit Lady', dann 'Karen', letzteres ganz offensichtlich eine Verdichtung von 'caring', 'sorgen'. In diesem Anzug steckend, befindet sich Peter, das ist durchaus frech, sowohl in einem Mutterleib als auch in einer Geliebten. Doch damit hat sich das Coming of Age auch: Es bleibt 'Coming', Kommen ohne Ankunft. Peter Parker/Spiderman erlebt weder die Geburt des Helden noch wird er wahrhaft Liebender.

In dieser wie auch in vielerlei anderer Hinsicht ist das Ringen um eine Fähre zwischen Manhattan und dem New Yorker Festland geradezu erdrückend bedeutungsschwer. Das fängt mit dem Namen des Fährschiffs an: 'Spirit of America'. Toomes sägt es anarchisch auseinander, Wassermassssen dringen ein, geparkte Autos fluten davon, Menschenmassen kreischen und drohen in den Wellen zu versinken. Hechelnd vernäht Spiderman die beiden auseinanderdriftenden Hälften mit seinen Spinnenfäden - notdürftige Versorgung einer klaffenden Wunde, wie sie durch den Konflikt um Trump und schon so lange zwischen Republikanern und Demokraten gerissen ist. Doch die Rettung ist keine mehr, sobald sie bewusst wird. Jemand applaudiert Spiderman. Das schafft eine Schieflage, die die Fäden zerreißen lässt. Nun hält nur noch Spiderman selbst zusammen, was auseinanderstrebt. 'Iron Man' hilft mit einer überlegenen Schweißarbeit. Bildlich deutlicher lässt sich der Ruf nach dem starken Mann kaum artikulieren.

Damit der Kitt wenigstens äußerlich hält, sind Trennungen an anderer Stelle nötig. Peter muss den neuen Anzug wieder abgeben, er stiftet damit zuviel Unruhe, findet 'Iron man'. Nichts mehr mit sexy Karen/Caring. Der andere Unruheherd, die sich anbahnende ethnienübergreifende Liebesgeschichte zwischen Peter und Liz, scheint ebensowenig vereinbar mit dem vermeintlichen Konsens. Der Eingriff der Drehbuchautoren fällt schockierend grobschlächtig aus. Bei moderner Kunst heißt es dreist: Ist das Kunst oder kann das weg? Für Liz heißt es: Ist die erlaubt oder muss die weg? Die Antwort ist grausam und aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Dem geht eine Wendung voraus, die zwar der Handlung überraschende Spannung injiziert, aber in Richtung eines 'equal but seperate' -Rassismus weist. SPIDER-MAN: HOMECOMING degeneriert zum beängstigenden Gegenentwurf zu Jeff Nichols' LOVING. Statt als gesellschaftlichen Fortschritt werden Verbindungen zwischen Schwarz und Weiß unterschwellig als Gefährdungen mit dem Keim des Verbrechens präsentiert.

Leser der Comics werden da wohl Einspruch erheben, darauf hinweisen, dass es ja noch die Nerd Michelle gibt, die ebenfalls Peters Interesse erweckt und auch nicht weiß ist. Mag ja sein, aber für SPIDER-MAN: HOMECOMING gilt das nicht unbedingt. Und der Vergleich zwischen der Darstellung von Michelle einerseits, gespielt von Zendaya, und Liz andererseits offenbart nur die Dramatik der Tabuisierung des anderen Körpers, wie man es auch wenden mag. Saltvatore Totinos Kamera zeigt Liz für Peter nur als attraktives Ausstellungsstück, sei es mit einem Blick in ihr T-Shirt auf einen Teil der linken Brust, im schulterfreien Badeanzug oder im kurzen Abschlussballkleid. Sie ist auf Reize reduziert und schon damit als Risiko markiert. Die bebrillte Michelle hingegen ist allemal erlaubt, weil bildungstechnisch ent-erotisiert und trotz kluger Sprüche domestiziert. Die Zeichen dafür sind unübersehbar. Sie liest 'Of Human Bondage' von Somerset Maugham, Identitätsfindungsroman eines Autors, der seine Homosexualität vor seiner heterosexuellen Leserschaft schicklichst verborgen gehalten hat. Sie trägt ein hochgeschlossenss T-Shirt mit dem Konterfei der Lyrikerin Sylvia Plath, die für den Ausstieg aus der bürgerlichen Welt nicht den Mut fand und lieber den Kopf in den Gasofen steckte. Wohl im Bemühen, auch ein paar Trump-Wähler ins Kino zu locken, macht SPIDER-MAN: HOMECOMING den bürgerrechtlichen Salto rückwärts. Das nicht zum An-der-Decke-krabbeln wie es Spiderman tut, sondern zum Vor-Wut-durch-die-Decke gehen.











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