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WONDER WOMAN beschenkt mit einem kompositorisch reichen, vielschichtigen, tiefsinnigen, romantischen, metaphysischen, konfliktintensiven und dramatischen Kinoerlebnis. Nach einigen unterirdischen Superhelden-Filmen zeigt sich Licht am Ende des Tunnels - viel Licht. FIRST AVENGER: CIVIL WAR litt an dilettantischen Anschlussfehlern, ausgehendem Geld, unfreiwilliger Selbstparodie und einem ebenso absehbaren wie enttäuschenden Nullsummenspiel der Konfrontationen. In BATMAN VS. SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE war die Fehde zwischen Rächer und Retter erst grimmige Behauptung und dann nur noch lächerlich. Die Stories der beiden Streifen waren offenkundig voneinander abgekupfert - vielleicht ein Fall von Betriebsspionage zwischen Marvel und DC Comics/Warner.
Und dann kam auch noch SUICIDE SQUAD. Es dürfte der erste Superheldenfilm seit langem gewesen sein, an dem die US-amerikanische Kritik eine krude Handlung und atavistische Dialoge monierte. Dass im Produktionsteam um Zack Synder, verantwortlich für die Superheldenfilme bei DC Comics und Warner, die Nerven stressbedingt blank lagen, zeigte sich in Branchenberichten über chaotische und gehetzte Vorbereitungen und Dreharbeiten. So sollen für das Verfassen des Drehbuchs von SUICIDE SQUAD ganze sechs Wochen zur Verfügung gestanden haben. Doch mit WONDER WOMAN ist die Kreativitätskrise erstmal beendet. Zack Synder und seine Mitarbeiter ziehen sich an vielem aus dem Sumpf: an der emanzipatorischen Regie von Patty Jenkins, am mythen-, literatur-, geschichts- und tragikgesättigtem Drehbuch von Allan Heinberg - und nicht zuletzt am schönen schwarzen Schopf von Gal Gadot.
Ihre Wonder Woman war neben der hysterischen Performance von Jesse Eisenberg als Bösewicht schon in BATMAN VS. SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE der einzige Lichtblick. Schlagartig befreite ihre aparte Erscheinung Ben Afflecks Bruce Wayne/Batman von allen Komplexen und lockte ihn aufs Parkett charmanter Screwball-Comedy. Von den unsinnig aufeinander einprügelnden Jungs hob sich wohltuend die Ernsthaftigkeit und Integrität ab, mit der sie für das Überleben der Menschheit stritt, ohne je das Augenmaß für die Mittel zu verlieren. Mit Handflächen und Schild wehrt die Superheldin Geschosse und energetische Angriffe ab, mit gekreuzten Armen mobilisiert sie selbst Energie, die den Gegner in Bann schlägt. Ihr Schwert ist weitgehend für die Auseinandersetzung mit Kriegsgott Ares reserviert. Im Prinzip tötet sie nicht, sondern versucht, das Töten zu verhindern.
Eher schlank und trainiert als schön im klassischen Sinne, aber mit tiefgründigen und fesselnden Augen gesegnet, fiel die ehemalige Miss Israel und Sporttrainerin der israelischen Armee in BATMAN VS. SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE durch starke Ausstrahlung und große Präsenz auf. Im filmischen Solo-Auftritt von WONDER WOMAN ist die Wirkung von Gadot so groß, dass selbstbezügliche Witze möglich sind. "Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass wir von der Aufmerksamkeit für sie etwas ablenken müssen", herrscht Steve Trevor (Chris Pine) seine Londoner Sekretärin an und setzt Diana Prince eine schwarze Brille mit Fensterglas auf. Schon bald liegt das gute Stück zertreten am Boden.
Dabei ist der Auftakt von WONDER WOMAN nicht unbedingt vielversprechend, gerade weil er nahtlosen Anschluss an BATMAN VS. SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE sucht. In der Zeit der Gegenwart strebt Diana Prince dem Pariser Louvre zu, wo sie als Kunstgeschichtlerin tätig ist. Untermalt von bedeutungsheischenden dumpfen Orchesterklängen fährt ein Transporter von 'Wayne Enterprises' vor, Fahrer und Sicherheitsmann öffnen die Ladetüren und entnehmen ein versiegeltes Behältnis. Aus dem Off macht Diana Bemerkungen über die dunkle Geschichte der Menschheit auf Platitüden-Niveau. An ihrem Schreibtisch öffnet sie die Sendung von Bruce Wayne. Sie enthält eine Photoplatte, die sie gegen Ende des Ersten Weltkriegs in ihrer Kampfmontur inmitten einer Handvoll verwegener, altmodisch gekleideter Gestalten zeigt. Hohles Pathos, Batman/Bruce Wayne als unsichtbarer Initiator der neuen Geschichte, ein Artefakt aus dem Vorgängerfilm, der die neue Geschichte diktiert - WONDER WOMAN schwebt in Gefahr, dass Schatten des gescheiterten BATMAN VS. SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE sie verschluckt. Zum Glück bewahrheitet sich diese Befürchtung nicht.
Der Schritt in die narrative Eigenständigkeit verläuft für WONDER WOMAN zunächst holprig. Die Schilderung, wie Diana, von göttlicher Abkunft, auf dem männerlosen Amazonen-Eiland Themyscira heranwächst, beweist zwar einen beeindruckenden Mut zur Naivität. Auch die mythologische Vorgeschichte, die Gegnerschaft zwischen den Amazonen und Kriegsgott Ares, vor dessen Zugriff Zeus die Amazonen auf ihrer Insel schützt, erhält in der Erzählung der Amazonen-Königin Hyppolita (Connie Nielsen), unterstützt von einer Collage aus Zeichnungen, eine agmessene, legendenhafte Tonalge. Aber die Besetzung der Diana als kleines Mädchen wie als Jugendliche ist verfehlt, kommt doch in diesen Darstellerinen nur die Begeisterung fürs Kämpfen zum Ausdruck, nicht der Zug des Nachdenklichen und Verantwortungsbewussten.
Erst Gal Gadod ist ganz auf der Höhe der Figur. Und mit dem Auftritt von Chris Pine als Steve Trevor kommt die Geschichte in Fahrt. Sein Propellerflugzeug durchbricht die durchsichtige Schutzhülle der Amazoneninsel und kracht ins Meer. Diana zieht den bewutsslosen Steve aus dem Flugzeug und an den Strand. Verwundert betrachtet sie den ersten Mann, dem sie begegnet. "Wow" sagt er seinerseits, als er sie erblickt, ein Ausruf, der ein Pop-Art-Kunstwerk von Roy Rauschenberg ebenso in Erinnerung bringt wie das erste Comicheft von 'Captain America'.
Dann erscheinen deutsche Kriegsschiffe in der Bucht, deutsche Soldaten landen. Gegen Maschinengewehre und Karabiner verteidigen die Amazonen ihre Insel mit Schwerthieben und Pfeil und Bogen. Unter schweren Verlusten obsiegen sie. Kampfkunst, Kampfethos und hochentwickelte Kultur treffen auf die Maschinisierung des Tötens in der Moderne - WONDER WOMAN setzt an dieser Stelle jene Polarität in Kraft, die den ganzen Film und seine Erfahrungen des Leidens formen wird. Steve, Amerikaner, aber Spion für die Briten, berichtet von einem gigantischen Krieg, der unter den Menschen tobt. Die Menschheit überhaupt steht vor der Ausrottung, sollte es dem deutschen Oberbefehlshaber Ludendorff (Danny Huston) gelingen, ein von Dr. Isabelle Maru (Elena Anaya) entwickeltes neuartiges Nervengas einzusetzen. Gegen den Einspruch von Hyppolita will Diana Ludendorff in den Arm fallen. Sie vermutet Kriegsgott Ares hinter den Vernichtungsplänen. Im Namen der Mission der Amazonen, für Frieden und Nächstenliebe zu streiten, bricht sie mit Steve an die europäische Front auf.
Die Comic-Figur 'Wonder Woman' entstand im Kriegsjahr 1941 und war als moralische Unterstützung für die alliierten Soldaten im Kampf gegen die Achsenmächte Hitlerdeutschland, Italien und Japan gedacht. WONDER WOMAN ist stattdessen 1918, also Ende des Ersten Weltkriegs, angesiedelt. Aus vielen Gründen ist das eine nachvollziehbare Entscheidung. Sich mit der Vernichtung der europäischen Juden auseinanderzusetzen, die das ideologische Motiv der deutschen Kriegsaggression war, wäre eine zu große Hypothek gewesen. Außerdem erweisen sich die trivialliterarischen Nebenprodukte und das im Ersten Weltkrieg grassierende Frauenbild als reichhaltiger Fundus. So verfasste John Buchan nicht nur vor dem Ersten Weltkrieg den Spionageroman 'Die neundundreißig Stufen', den Hitchcock später verfilmte, sondern im selben Genre nach Beginn der Kampfhandlungen auch 'Grünmantel', prall gefüllt mit fiesen stiernackigen deutschen Offizieren, verführerischen Spioninnen, vielumraunten Geheimwaffen und englische Gentlemen. Die Frau hat die Propaganda des Ersten Weltkriegs entweder als Trostpflaster für den Soldaten oder als hinterhältige Verräterin chrakterisiert. Das Produktionsteam um Zack Snyder sieht überdies den Reiz der Epoche zu recht darin, dass Frauenrechte und die Mechanisierung des Tötens Thema wurden.
Aus diesen Vorgaben erschaffen Regisseurin Jenkins und Drehbuchautor Heinberg den grandiosen Hauptteil des Films. Sie bürsten dabei kräftig gegen den Strich. Mit Danny Huston als Ludendorff bleibt es beim stiernackigen deutschen Offizier, er bekommt sogar die Züge des massenmörderischen Nazis. Indes dämpfen comichafte Lakonie und der Spitzname "Dr. Poison" die Bösartigkeit von Dr. Maru. Und der einzig erkennbare englische Gentleman entpuppt sich als das Gegenteil davon. Im Gegenzug ist die Wunderfrau aller gängigen Klischees ledig, die das Zeitalter bereithält, in dem sie sich wiederfindet: Sie ist aufrichtig und furchtlos, edelmütig und kämpferisch, und sie ist von Männern nicht nur unabhängig, sondern ihnen auch überlegen. So wird sie zum überzeitlichen Ideal der Emanzipation.
Mehr noch: Sie wird sogar zur überzeitlichen Kritikerin der condition humaine. Diese macht einen erbämlichen Eindruck mit ihren greisen Generälen, die aus der Etappe millionenfaches Blutvergießen befehlen, und mit Kleidungsvorschriften, die die Frauen gefangen setzen. Diana zerreißt den patriarchalen Stoff, der sie bewegungslos machen soll, und erhebt die Stimme umso lauter, wenn die Alten schreien, die Frau solle endlich aus dem Raum verschwinden. Dabei kann sie nicht umhin, zwar für die Menschheit zu kämpfen, ist aber nahe daran, an deren selbstgemachtem Unglück und Unfähigkeit zum Guten zu verzweifeln. Die Greuel eines Krieges mit fürchterlichen Verstümmelungen und unendlichem Leid für die Zvilbevölkerung erschüttern sie.
Die Verhältnisse ändern - ja, aber wie? Diana will den gordischen Knoten aus Schuld und Mord zerschlagen, der die Menschheit unterwirft, findet aber nur unter Schwierigkeiten einen Ansatzpunkt. Warum er nicht lieber zuhause geblieben sei statt schmutzigen Profit zu erzielen, herrscht sie einen von Steves Getreuen an, einen Indianerhäutpling (Eugene Brave Rock), der Geschäfte mit den verfeindeten Lagern macht. Er habe kein Zuhause mehr, sagt der Ansgesprochene, sie hätte ihm alles genommen. "Wer?" fragt Diana. Der Häuptling weist auf den schlafenden Steve: "Seine Leute". Da ist es schon fast ein Trost, dass wenigstens einen Teil der Verantwortung für den Schlamassel Ares trägt, dessen Beweggründe für den Vernichtungszug so überzeugend sind wie schon lange nicht mehr bei einem Widerpart des Guten.
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