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MISSION: IMPOSSIBLE - FALLOUT (USA 2018)

von Andreas Günther

Original Titel. MISSION: IMPOSSIBLE - FALLOUT
Laufzeit in Minuten. 147

Regie. CHRISTOPHER MCQUARRIE
Drehbuch. CHRISTOPHER MCQUARRIE
Musik. LORNE BALFE
Kamera. ROB HARDY
Schnitt. EDDIE HAMILTON
Darsteller. TOM CRUISE . REBECCA FERGUSON . SIMON PEGG . VING RHAMES u.a.

Review Datum. 2018-08-01
Kinostart Deutschland. 2018-08-02

MISSION: IMPOSSIBLE - FALLOUT sprüht vor Vitalität. Das bedeutet weit mehr, als dass Regisseur und Autor Christopher McQuarrie bloß die in MISSION: IMPOSSIBLE - ROGUE NATION begonnene Gesundungskur für das Franchise erfolgreich fortgesetzt hätte. Statt nur die Parameter zu verschieben - was allerdings schon beim vorherigen Film eine angenehme Wirkung entfaltet hat - zieht der Oscar-Preisträger (für das Drehbuch zu DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN) nun auch neue Grundlinien ein - anthropologisch, moralisch, ästhetisch, sogar zeitphilosophisch.

Eine Handvoll angetrunkener Männer stolpert in die großzügig gestaltete und in blendendem Weiß gehaltene Herrentoilette eines noblen Pariser Clubs. Beim Wasserabschlagen entdecken sie, dass unter einer Kabinentür zwei Paar Schuhe zu viel zu sehen sind. Sie johlen, stemmen sich an der Tür hoch, lachen, klopfen Sprüche, versuchen sich an der Kabinentür hochzustemmen. Endlich lassen sie ab und gehen, "La vie en rose" trällernd.

In der Kabine halten ein ziemlich geschundener Ethan Hunt (Tom Cruise) von der geheimen Spezialtruppe IMF und sein undurchsichtiger CIA-Kollege August Walker (Henry Cavill) einen Asiaten namens Lark zwischen sich, der mit Plutonium handeln soll. Sie haben ihn endlich überwältigen können. Er ist ohnmächtig, aber "La vie en rose" weckt ihn wieder auf und bringt ihn zu neuen Kräften. Walker fliegt mit der Kabinentür nach draußen, und Hunt hat sehr bald eine Pistole vor seinem Gesicht, deren Existenz er total vergessen hat. Zitternd vor Anstrengung ringt der eine darum, dass er die Waffe gerade halten kann, der andere darum, dass er es nicht kann.

MISSION: IMPOSSIBLE - FALLOUT fällt in den Zweikampfszenen so naturalistisch aus, dass wider besseres Genre-Wissen jeder Ausgang möglich scheint, Hunts Tod ebenso wie sein Überleben. Zum Tragen kommen die Tugenden einer Schauspielerführung, die das ganze Potenzial willkürlicher und unwillkürlicher Regungen in Momenten körperlichen Aufbäumens ausschöpft, einer Kameraführung, die keine Parteilichkeit kennt, und eines Schnitts, der ungehemmt die Wucht jedes Schlags und jeder Kugel mitnimmt.

Bedingung dieser Möglichkeiten ist die Dezentrierung des Helden Ethan Hunt. Was hat McQuarrie seinen Kollegen voraus, dass er die Eitelkeiten von Tom Cruise so zu zähmen versteht? Sein arrogantes Grinsen ist auf ein Zucken des Mundwinkels reduziert, das abfällige Kopfwackeln auf eine kurze Drehbewegung, und auch die geringe Körpergröße ist kein Geheimnis mehr. Ethan Hunt ist dabei eher melancholisch als lässig, im Zweifelsfall verdutzt und unangenehm überrascht statt allwissend, seine physische Konstitution hat Grenzen, und er macht Fehler. Vor allem aber ist er eingesenkt in die Gnade oder Ungnade der Umstände und ihrer weiteren Verkettung und muss immer wieder eine Art Ohnmacht vor dem Erhabenen generischer Kärfte aushalten.

Sicherlich ist davon schon viel in MISSION: IMPOSSIBLE - ROGUE NATION präsent, an den MISSION: IMPOSSIBLE - FALLOUT eng anschließt. Hunt und sein Team müssen verhindern, dass waffenfähiges Plutonium in die Hände von Anarchisten fällt. Under cover stellt sich Hunt gegenüber der Waffenhändlerin "Weiße Witwe" (Vanessa Kirby) als krimineller Käufer des Plutoniums vor. Wider Erwarten ist der Preis nicht Geld, sondern die Entführung ausgerechnet des inhaftierten Staatsfeindes Solomon Lane (Sean Harris), der in MISSION: IMPOSSIBLE - ROGUE NATION als Anführer eines terroristischen Syndikats den Weltuntergang anvisiert hat. Schwierig wird es für Hunt auch von anderer Seite: CIA-Chefin Sloan (Angela Bassett) hält Hunt für einen Verräter, sein eigener Chef Hunley (Alec Baldwin) misstraut ihm mindestens. Und MI 6-Kollegin Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) - wie Lane bereits in MISSION: IMPOSSIBLE - ROGUE NATION aufgetreten - will die Entführung von Lane nicht zulassen.

Der Rückblick auf das "Mission: Impossible" - Actionthriller-Franchise gestaltet sich nicht unbedingt rühmlich. Der erste Film, schlicht MISSION: IMPOSSIBLE genannt wie die zugrundeliegende Fernsehserie, war ein mittelmäßiger Whodunit mit einem überlegenen, weil noch jungen Ethan Hunt. MISSION: IMPOSSIBLE II trug die furiose Action-Handschrift von Meister John Woo. Die Dreharbeiten überschattete aber ein Dauerkonflikt zwischen dem Star und Woo wegen des karnevalistischen Masken-Spiels, das letzterer mit Cruises Physiognomie trieb. Wohl deshalb gab es keine weitere Zusammenarbeit. MISSION: IMPOSSIBLE III beeindruckte mit Philip Seymour Hoffman als Bösewicht, der noch den lächerlichsten Dialog-Zeilen Gravität verlieh, einem Tom Cruise, der auch richtig bösartig sein konnte, und einer Ikonogrpahie, die an Peckinpahs OSTERMAN-WOCHENENDE angelehnt war. MISSION: IMPOSSIBLE - PHANTOM PROTOKOLL dann erstickte in Fomelhaftigkeit, hastigen Szenenskizzen und beliebigem Spiel mit Auslassungen. MISSION: IMPOSSIBLE - ROGUE NATION gelang die vollumfängliche Wiederblebeung

Doch auch gegenüber dem ausgezeichneten Vorgänger-Film markiert MISSION: IMPOSSIBLE - FALLOUT einen Quantensprung. Orientiert sich MISSION: IMPOSSIBLE - ROGUE NATION noch am romantisch konnotierten Thriller à la CHARADE, setzt MISSION: IMPOSSIBLE - FALLOUT stärker Akzente des film noir. Die Düsternis vieler Bilder verleiht den Themen Verrat, falsche Identität und Skrupellosigkeit besondere Eindringlichkeit. Trotzdem fügen sich Momente der Hommage und des Humors - für letztere zeichnet insebsondere Simon Pegg als Hunts Helfer Benji verantwortlich - ohne Reibungsverluste ins Gesamtkonzept.

Auch geht die geradezu europäische Sinnlichkeit, Lebendigkeit und Verspieltheit, die in MISSION: IMPOSSIBLE - ROGUE NATION verblüfft hat, nicht verloren, sondern gelangt zu neuen Höhepunkten. Auf den Spuren von Resnais' LETZTES JAHR IN MARIENBAD nähern sich Ethan und Ilsa symbolistisch-surreal einander verfehlend an in übersonnten Pariser Säulen- und Laubengängen. Pittoresken Genuss gewährt ferner das vom ersten James-Bond-Regisseur Terence Young und ursprünglich von Louis Feuillade praktzierte Inszenierungsprinzip, die unglaublichen Abenteuer im Vordergrund mit den atemberaubend normalen Alltagsverrichtungen im Mittel- und Hintergrund zu verschränken.

Überdies findet mit MISSION: IMPOSSIBLE - FALLOUT das Franchise erstmalig zu einer akzeptablen Moral. In MISSION: IMPOSSIBLE - ROGUE NATION hieß sie noch: Außergewöhnliche Situationen erfodern außergewöhnliche Maßnahmen. Inzwischen klänge das wohl zu trumpisch. Nun heißt es: Jeder Einzelne zählt. Hunt beweist die Gültigkeit der Maxime, wenn er lieber seinen Freund und Mitarbeiter Luther (Ving Rhames) schützt als alles dafür zu tun, unbedingt das Plutonium in die Finger zu kriegen. Mit anderen Worten: Der Zweck heiligt niemals die Mittel. Zur Erinnerung: In MISSION: IMPOSSIBLE - PHANTOM PROTOKOLL sprengte Hunt den Kreml, und gut war.

McQuarrie entreißt das Franchise zynischer Gleichgültigkeit und erfüllt es mit Menschlichkeit. Da darf sich niemand wundern, wenn er auch die eingefahrenen Genre-Konventionen in Sachen Apokalypse-Verhinderung auf neue Gleise führt. Als hätte er Deleuzes Kino-Philosophien "Das Bewegungs-Bild" mit seinen Zweifeln am Action-Film angesichts des Zerreißens des senso-motorischen Bandes zwischen Wahrnhemung und erfolgreicher Handlung und "Das Zeit-Bild" über die chronolgische Zerfaserung im Avantgarde-Films gelesen, enthebt McQuarrie das - übrigens lupenrein dostojewskiisch begründete und angestrebte - Weltende der linearen Zeit und macht daraus ein Ereignis, das stattgefunden haben wird.











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