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JULIA X (USA 2011)

von Alexander Karenovics

Original Titel. JULIA X: 3-D
Laufzeit in Minuten. 92

Regie. P. J. PETTIETTE
Drehbuch. MATT CUNNINGHAM
Musik. RYAN BEVERIGE
Kamera. JASON GOODMAN
Schnitt. ROB NEAL
Darsteller. VALERIE AZLYNN . KEVIN SORBO . ALICIA LEIGH WILLIS . VING RHAMES u.a.

Review Datum. 2011-10-11
Kinostart Deutschland. 2012-06-21

Zuerst die schlechte Nachricht: JULIA X ist quasi ein Best-Of aller mißglückten Momente aus THE LOVED ONES. Die gute: wer THE LOVED ONES gesehen hat, weiß, daß selbst die schwächeren Momente hier origineller und gewitzter waren als so mancher Slasher-Sommerhit der vergangenen Jahre. Für einen richtig guten Film reicht dass natürlich nicht, wer aber sein Nacho-Menü mit Stacheldraht mag, den erwartet eine temporeiche und blutige Horrorfarce mit gut gelaunten Schauspielern, die einen zumindest wachhält. So ganz unkritisch sollte man den durchweg oberflächlichen Werten dennoch nicht verfallen, doch dazu am Ende noch ein paar Worte.

Am Anfang war Facebook. Dann das erste Offline-Date im Diner um die Ecke. Zu mir oder zu dir? Wie soll Julia (Valerie Azlynn) auch ahnen, daß der charmante Fremde (Kevin Sorbo) ihr gegenüber ein perverser Serienkiller ist ... kurz darauf zieht er Julia bereits an einer Kette unter die Decke und stempelt ihr mit einem Brandeisen ein X auf den Oberschenkel. So weit, so SAW; glücklicherweise folgt aber der erste Wendepunkt auf den Fuß: Julia gelingt die Flucht, und der vielleicht launigste Teil des Films nimmt seinen Lauf: eine abenteuerliche Hatz quer durch Sümpfe und baufällige Häuser hindurch, bei der konsequent alle (not) To-Dos des Slasher-Knigges abgehakt werden: zur Tür hinaus oder die Treppe rauf? Wegrennen oder starr vor Angst verweilen? Sich verstecken, oder laut um Hilfe rufen? (Immer B angekreuzt? Glückwunsch, Sie sind ein Lemming.) Das macht Spaß, obgleich selten so spannend wie man's gerne hätte: zu betont selbstreferentiell und ironisch wurden die Situationen angerichtet, außerdem haben wir von Julia und ihrem Verfolger bislang nicht mehr gesehen als zwei Panels eines täglichen Zeitungs-Comicstrips.

So wirklich Partei ergreifen möchte man selbst dann nicht, wenn es Julia und ihrer Schwester Jessica (Alicia Leigh Willis) letztendlich gelingt, den Spieß umzudrehen: als sich der vermeintliche Antagonist mit Stacheldraht gefesselt in Julias Küche wiederfindet und mittels allerhand spitzer Gerätschaften aus dem Heimwerker-Kit Manieren beigebracht bekommt, wird schnell klar, daß die beiden Schwestern auch nicht alle Tassen im Schrank haben. Vor allem Alicia Leigh Willis fühlt sich sichtlich wohl in ihrer Rolle, zieht als Comicbuch-Lolita alle Verhaltens-Register einer manischen Femme Fatale aus Nerdvana. Hellster Stern am bewölkten Himmel ist jedoch Kevin Sorbo, der hier seinem TV-Saubermann-Image die Schneeketten aufzieht und ein paar Schubladen-Vorstellungen von seinem schauspielerischen Können genüßlich in den Humus pflügt.

Sterile Lollipop-Erotik, hysterischer Folter-Humor und Bonbon-Art Deko in gesättigten Primärfarben als überdosiertes Antibiotikum gegen Aufmerksamkeits-Lags - selbstverständlich funktioniert das, allerdings ist bei solch einer ganzheitlichen Attacke auf's Nervensystem man schnell gegen subtilere Reize resistent. Wie jemand, der auf einer Partie stündlich die Musik ein paar Dezibel höher dreht, und wer sich weiter unterhalten möchte, muß halt irgendwann schreien. Und wenn sich alle Anschreien, hört keiner die Musik mehr; da hilft es dann nur noch, den Bass reinzuknallen.

Und spätestens wenn der Folterabend seinen Höhepunkt erreicht und das unvermeidliche Duell Sicko vs. Psycho eingeläutet wird, erledigt sich auch der Bedarf an Identifikations-Figuren. Eine leidlich raffinierte Thriller-Satire wird zum Itchy & Scratchy-Cartoon: wenn's die Porzellan-Vase nicht tut, dann vielleicht der Schürhaken. Und ob das auf Dauer wirklich so toll ist, sei dahingestellt - bei so viel physischem Exzess sollte der letzte Gelegenheitsgucker irgendwann raffen, daß hier keine gewiefte Pointe mehr nachfolgen kann, außer: "immer zweimal mehr auf die Fresse als du mir". Ein kurzfristiges, pubertäres Vergnügen, dem mehr Substanz und Doppelbödigkeit im geradlinigen dritten Akt nicht geschadet hätten; immerhin hat hier mal jemand was Neues probiert, als uns einfach HOSTEL 3(-D) aufzutischen.

Alles super also. Facebook-Chat auf abwesend stellen, Popcorn in die Mikrowelle und abfeiern. Oder?

JULIA X gibt wirklich alles, uns mit leckerem Eye-Candy um den Finger zu wickeln: Settings und Ausstattung werden so bunt und zuckersüß serviert wie ein Schokokuchen auf einer Tim Burton-Fete; fast könnte man vergessen, mit was für einer geschmacklosen Grundidee hier Schabernack getrieben wird. Und genau das, man muß es einmal ausgesprochen haben, macht den Film auch ein bißchen gefährlich - bei aller Sympathie für Darsteller und originellem Konzept: wenn die Konsequenzen eines brisanten Themas wie Date Rape in einer Zeit, in der 14-jährige bereits Facebook als Kontaktbörse nutzen, auf die lustige Schulter genommen und einfach weggelacht werden, bleibt ein giftiger Nachgeschmack, der selbst nach einem Literbecher Cola nicht verschwindet - Vorhang auf für den KICK-ASS der Torture-Porns. Bevor jetzt aber der Diskurs entgleist, flüchte ich mich an dieser Stelle in den Opportunismus und übergebe für weitere moralische Überlegungen an jene Experten, die weniger über Horrorfilme, als um deren schädliche Auswirkungen wissen; die haben zwar auch nicht immer den Durchblick, dafür das klügere Vokabular. Und was können wir tun? Ein Räucherstäbchen anzünden, zum Beispiel, und ausnahmsweise mal nicht für ein ungeschnittenes Release, sondern für ein mündiges Publikum beten; und das nicht nur auf dem Personalausweis.

That's all, Folks!











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