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I SAW THE DEVIL (Korea 2010)

von Andreas Neuenkirchen

Original Titel. AKMAREUL BOATDA
Laufzeit in Minuten. 141

Regie. KIM JEE-WON
Drehbuch. PARK HOON-JUNG
Musik. MOWG
Kamera. LEE MOGAE
Schnitt. NAM NA-YOUNG
Darsteller. LEE BYUNG-HUN . CHOI MIN-SIK . JEON GOOK-HWAN . JEON HO-JIN u.a.

Review Datum. 2011-03-21
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Über die Handlung von I SAW THE DEVIL von Kim Jee-won (A TALE OF TWO SISTERS, THE GOOD, THE BAD AND THE WEIRD) kann man nur zu viel verraten, oder zu wenig sagen. Reduziert man sie auf die Prämisse, klingt sie wie die eines x-beliebigen Retro-Rache-Reißers: Der Geheimagent Kim Soo-hyun (Lee Byung-hun) jagt den Serienmörder Kyung-chul (Choi Min-sik), der auch seine Verlobte auf dem Gewissen hat. Wer mehr gar nicht wissen möchte, überspringt einfach den nächsten Absatz.

Als der Agent den Killer stellt und in seine Gewalt bringt, übergibt er ihn nicht etwa dem Gesetz, oder richtet ihn gar selbst. Er bricht ihm lediglich eine Hand, lässt ihm ein bisschen Taschengeld da und verabschiedet sich fürs erste wieder. Dank Peilsender folgt er ihm aber, um ihn bei jedem weiteren Treffen weiteren, größeren Schmerz zuzufügen. Es bleibt nicht die einzige unerwartete Abbiegung, die der Film nimmt.

Das Statement von I SAW THE DEVIL ist so klar wie banal: Wer die Bestie mit den Mitteln der Bestie bekämpft, wird selbst zur Bestie. Wenn du lange in einen Abgrund blickst, und so weiter und so fort (Friedrich Nietzsche). Das behauptet auch jeder andere Rachefilm. In den meisten Fällen ist diese Behauptung aber bloß neoliberales Feigenblatt zur Legitimation von 90 Minuten Popcorn-Gewalt. In diesem Fall hingegen lässt sich vermuten, dass die Botschaft auch so gemeint ist. Kims Rache ist sadistischer Selbstzweck, um höhere Gerechtigkeit geht es ihm nicht. Er nimmt nicht nur in Kauf, dass Kyung-chul weitermordet, er ermutigt ihn regelrecht, um seinen eigenen selbstgerechten Zorn zu befeuern. Sympathie hat man mit diesem Teufel nicht. Mit dem anderen auch nicht. So wenig sich der Film auf Seite des Verfolgers schlägt, so wenig lässt er Mitleid mit dem Verfolgten aufkommen. So sehr er selbst leidet, man kann über das Leid, das er verursacht, nicht hinwegsehen. I SAW THE DEVIL ist keine permanente Gewaltorgie, aber die Gewaltdarstellung ist unmissverständlich und hässlich. Die allerhässlichsten Taten werden meist nur im Resultat gezeigt, nicht im Vollzug, und auch das nur kurz aber deutlich. So ist der Film vom Vorwurf der Folterpornografie freizusprechen.

Ob er derweil ein sinnvolles Plädoyer gegen Gewalt ist, sei dahingestellt, dafür ist er doch zu sehr Unterhaltung und gefällt sich in scheppernden Mano-a-mano-Kämpfen und der geleckten, oft atemberaubenden Edel-Optik, die man von koreanischen Thrillern nicht anders erwartet. So hässlich die Gewalt ist, so schön sind die Schneeflocken um sie herum, und zu allem wummert der imposante Klassik-Soundtrack. Mehr als eine Gewaltorgie ist dies eine Gewaltoper. Theatralisch auch der Einsatz christlicher Symbolik, vom engelsflügelbewehrten Rückspiegel im Wagen des Killers (dieses Bild wird in die Annalen der Thriller-Ikonografie eingehen, wahrlich ich sage euch) über Heiligenfiguren und Kruzifixe allüberall. Sinn, der über gelungene optisch-atmosphärische Spielerei hinausginge, ist nicht auszumachen. Um neutestamentarische Vergebung geht es trotz Kreuzsymbolik nicht, eher um alttestamentarisches Auge um Auge, und auch das ist frei von der Legitimation höherer Gewalten. Gott spielt hier keine Rolle, und die Teufel sind menschlich.

I SAW THE DEVIL ist ein Duell zweier Charaktere, die sich sehr ähnlich sind, aber zweier Schauspieler, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei den Charakteren kann man kaum von Gewinnern oder Verlierern sprechen. Schauspielerisch trägt eindeutig Choi Min-sik den Sieg davon. Von SHIRI über OLDBOY bis hierher ist er die Idealbesetzung für bizarre aber vorstellbare Gewalttäter. Lee Byung-hun hingegen ist doch besser in leichterer Kost wie THE GOOD, THE BAD AND THE WEIRD oder G.I. JOE aufgehoben. Charisma und Sexappeal hat er zweifelsohne, und völlig talentfrei ist er auch nicht, aber hier bleibt er sehr, sehr blass, insbesondere im Vergleich zu seinem Antagonisten. Möglicherweise war es Methode, ihn als Teufel mit Engelsgesicht zu besetzen. Möglicherweise verzichtet das Drehbuch auch bewusst darauf, die Figur biografisch und psychologisch zu unterfüttern. Vielleicht soll dieser Typ gar keine Projektionsfläche für Sympathien bieten. Das ist einerseits konsequent, andererseits verhindert es, dass man hier emotional so tief einsteigt wie etwa in den thematisch ähnlichen THE CHASER, in dem die Hauptfigur auch kein allzu feiner Kerl ist, aber mit einer Vergangenheit und einer nachvollziehbaren Entwicklung ausgestattet.

So bleibt I SAW THE DEVIL ein Film, dessen Ereignisse fesseln, während die Figuren einen kalt lassen. Es wird Menschen geben, die diesen Film lieben, und es wird Menschen geben, die ihn hassen. Vor allem wird es Menschen geben, die behaupten, dass man ihn lieben oder hassen muss. Und es wird sehr viele Menschen geben, die das unreflektiert nachplappern. Dennoch wird es auch einige geben, die ihn differenziert sehen, als teils gelungen, teils optimierbar. Aber eines wird ihnen allen gemein sein: Vergessen werden sie diesen Film so schnell nicht. Dafür ist er zu ungewöhnlich, zu überraschend und zu kompromisslos. So sollte großes Kino sein. Nicht immer, aber immer mal wieder.











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