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DREILEBEN (Deutschland 2011)

von Björn Lahrmann

Original Titel. DREILEBEN
Laufzeit in Minuten. 270

Regie. CHRISTIAN PETZOLD . DOMINIK GRAF . CHRISTOPH HOCHHÄUSLER
Drehbuch. CHRISTIAN PETZOLD . DOMINIK GRAF . MARKUS BUSCH . CHRISTOPH HOCHHÄUSLER
Musik. STEFAN WILL
Kamera. HANS FROMM . MICHAEL WIESWEG . REINHOLD VORSCHNEIDER
Schnitt. CLAUDIA WOLSCHT . STEFAN STABENOW
Darsteller. LUNA MIJOVIC . JEANETTE HAIN . SUSANNE WOLFF . JÖRG RAMPKE u.a.

Review Datum. 2011-03-28
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Mutter und Tochter spielen im Garten von Oma und Opa. Hier wird die Tochter für ein paar Tage bleiben, während die Mutter eine Dienstreise macht: Johanna, genannt Jo (Jeanette Hain), ist Polizeipsychologin und wird ins Thüringische abberufen, wo ein entlaufener Mörder durch die Wälder streift. Mit der Tochter wettet sie um die Anzahl von Autobahnbrücken, die auf ihrem Weg liegen; sechs, sagt sie, mehr, die Tochter. Vera (Susanne Wolff), eine alte Studienfreundin, bei der Johanna im mitteldeutschen Mief unterkommt, wird ihr sagen: sie könne einfach nicht verlieren, habe es nie gekonnt. Die Wette gewinnt die Tochter.

Ein bisschen plump könnte man auch das DREILEBEN-Projekt als Wette auffassen: Zwei Berliner Schüler, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler, fordern den fernseherprobten Genre-Auteur Dominik Graf auf eigenem Terrain heraus. (Eine E-Mail-Konversation, im Magazin Revolver abgedruckt, legt davon Zeugnis ab.) Drei TV-Filme sind parallel entstanden, die sich Handlungsort und hauchdünne Storyschnittmengen teilen, davon ab jedoch eher die distinktiven Sprachen ihrer Macher sprechen. Konzeptuell ist das schon mal eine leichte Enttäuschung, insofern Gemeinsamkeiten zwischen den kreativen Generationen - Graf und Petzold, Petzold und Hochhäusler trennen jeweils rund zehn Jahre - interessanter auszumachen gewesen wären als die Differenzen, die ohnehin bekannt sind.

Aber immerhin: Drei neue Arbeiten hochgeschätzter Regisseure auf einen Schlag, ein öffentlich-rechtliches Überraschungsei der erfreulichen Sorte. Eine Win/Win/Win-Situation für den Zuschauer ist leider nicht (ganz) dabei herausgesprungen. Um ein ziemlich hell strahlendes Graf-Zentrum - er erzählt die Jo-Geschichte - stehen Petzold (vorn) und Hochhäusler (hinten) Spalier in unterschiedlichen Schattierungen von Gelungenheit. Petzolds ETWAS BESSERES ALS DEN TOD hat anfangs Genremäßiges im Sinn, vielleicht, weil das schon in JERICHOW so gut geklappt hat. Ein Krankenpfleger (Jacob Matschenz) rettet eine störrische Ostblock-Beauty (Luna Mijovic) vorm Motorradgangrape, fast wähnt man sich bei Corman im Rockerfilm. Statt dessen wird eine stressige On-Off-Romanze draus, bei der sich die Liebenden abwechselnd und auf nicht immer interessante Weise zum Arschloch machen. Mit durchaus präzisen Blicken und Worten zersägt Petzold einmal mehr kleinbürgerliche Klassenverhältnisse, weiß aber aus dem Stückwerk Konkretes nicht zu formen.

Eben diese Bürde lastet auf dem jüngsten der Regisseure, also, die ganze Chose nachträglich zusammenzuleimen: Er begleitet den Mörder, der in den anderen beiden Filmen bloß als Spurenelement vorhanden ist, auf der Flucht. Mit geradezu autistischer Hartnäckigkeit lässt Hochhäusler seinen leading man Jörg Rampke durch die Walachei tapsen und Selbstgespräche mit Mutti führen, dazu fängt Reinhold Vorschneider - zuletzt Kamera bei IM SCHATTEN und DER RÄUBER - seltsamst hyperreale Naturstimmungen ein. Zwischen Elementar-Horror mit Buhmännern im Gebüsch und sonntäglichem Waldspaziergang (inklusive Butterstullenvesper) changiert EINE MINUTE DUNKEL frustrierend unschlüssig hin und her, dazu kommt ein arg dürrenmattiger Subplot um einen pensionierten Bullen, der eher ablenkt als aufpeppt. Das Ergebnis ist ein bisschen Grimm, ein bisschen Lynch, vor allem jedoch: ein bisschen träge.

Aber Graf. KOMM MIR NICHT NACH heißt sein knisterndes Drei-Personen-Stück, das er zusammen mit Markus Busch verfasst hat und das man sich auch im Theater vorstellen könnte, aber nicht will, weil da der Graf'sche Inszenierungsfuror und die exzellenten Darsteller fehlen würden. Zur eher peripheren, wunderbar provinzmuffigen Polizeigeschichte - allein die Kirmesplakate an Laternenpfählen atmen mehr deutsche Wirklichkeit als Petzold und Hochhäusler zusammen - kommt eine Beziehungskiste zwischen Jo und Vera, die bei nächtlichen Rotweingelagen die gemeinsame Vergangenheit erforschen, sowie Veras Mann Bruno, den Misel Maticevic so aggressiv selbstironisch und schluffig spielt, dass man seine letzten Gangsterrollen fast hinterrücks in Frage stellen möchte. Ständig kommt es zu tolldreisten Tonlagenwechseln und schamlos unsubtilen Reißschwenks; ein Ehestreit endet z.B. in der Großaufnahme eines obszön roten Vulkangemäldes, das im Hintergrund schon die ganze Zeit gebrodelt hat.

Man könnte jetzt böse sein und sagen: Graf verdirbt den anderen Köchen den Brei, weil sein kleines Kammerspiel das große dreilebige Ganze recht nonchalant beiseite drängt. Anders als z.B. bei Lucas Belvaux' TRILOGIE, die ein und dieselbe Geschichte als Thriller, Komödie und Melodram erzählte, gerät hier das Aufspüren von Verzahnungen einigermaßen reizlos, nicht zuletzt, weil KOMM MIR NICHT NACH allein schon so viele faszinierende Brüche in sich vereint: Als intimes, wortgewandtes Lustspiel besitzt es eine lebensmittige Melancholie, die Petzold verschmäht; als Whodunit mit einem Bein im Absurden übertrifft es Hochhäuslers Beitrag, weil Graf das Unheimliche nicht an die Oberfläche zerrt, sondern an den Rändern, hinter Lattenzäunen und Bierzeltplanen, umso perfider schmoren lässt. Sollte es jemals ein thüringisches TWIN PEAKS geben: Dieser Film wäre die ideale Pilotfolge. Mit den anderen beiden könnte man hingegen gut und gern bis zur verkorksten zweiten Staffel warten.











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