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KAPITELWAHL

TWIN PEAKS - DEFINITIVE GOLD BOX EDITION (USA 1990-1991)

von Heiko Hanel

Original Titel. TWIN PEAKS - DEFINITIVE GOLD BOX EDITION
Laufzeit in Minuten. 1448

Regie. DAVID LYNCH . MARK FROST . LESLI LINKA GLATTER u.a.
Drehbuch. MARK FROST . DAVID LYNCH . HARLEY PEYTON u.a.
Musik. ANGELO BADALAMENTI . DAVID SLUSSER
Kamera. RON GARCIA . FRANK BYERS
Schnitt. DUWAYNE DUNHAM . JONATHON P. SHAW . TONI MORGAN u.a.
Darsteller. KYLE MACLACHALN . MICHAEL ONTKEAN . RICHARD BEYMER . LARA FLYNN BOYLE u.a.

Review Datum. 2007-11-23
Erscheinungsdatum. 2007-11-15
Vertrieb. PARAMOUNT

Bildformat. 1.33:1
Tonformat. DEUTSCH (DD 1.0) . ENGLISCH (DD 5.1/DD 2.0)
Untertitel. DEUTSCH . ENGLISCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Ende der Achtzigerjahre verursachte David Lynch einen kleinen Skandal, als er sich von der großen Leinwand zum Fernsehen wandte und mit dem serienerfahrenen Mark Frost den 30-Teiler TWIN PEAKS auf den Bildschirm brachte. Der Regisseur von surrealen Meisterwerken wie BLUE VELVET und ERASERHEAD, der es geschafft hatte, seine düsteren, gewaltreichen Visionen von seelischen Abgründen ohne Rücksicht auf kommerzielle Interessen der Filmstudios einer begeisterten, aber recht überschaubaren Fangemeinde vorzuführen, wollte plötzlich eine von Werbeblöcken eingekeilte Seifenoper inszenieren. Und das auch noch mit Hilfe von Aaron Spelling, dem Produzenten der immens erfolgreichen Jugendserien BEVERLY HILLS 90210 und MELROSE PLACE. Unter den misstrauischen Blicken der Freunde des Undergroundfilms revolutionierte Lynch 1991 die Fernsehserie und lehrte Tausende eines Besseren, die nicht geglaubt hatten, dass Qualitäten eines Kinofilms ins kommerzielle Serienprogramm übertragbar sind.

Die Geschichte der Kleinstadt Twin Peaks, die in einen Strudel aus Gewalt und geheimnisvollen Vorkommnissen gerät, nachdem Laura Palmer, die beliebteste Schülerin der örtlichen High School, ermordet in einem Plastiksack am Seeufer gefunden wird, zog damals Millionen Zuschauer weltweit in ihren Bann. Indem Lynch sich bei Schauspielern, Kameramännern, Cuttern und Soundtrackkomponisten aus seinem bewährten Team bediente und gleichzeitig mehrere Independent-Regisseure engagierte, entstand eine Form von Filmästhetik, die bis dahin noch nicht auf dem kleinen Bildschirm zu sehen war. Während er Gewalttätigkeiten im Gegensatz zu seinem Leinwandwerken eher suggerierte als vorführte, nutzte er das Medium des Mehrteilers, indem er sich sehr viel Zeit nahm, die Eigenarten der Kleinstädter zu bebildern, was bei einem 2-Stundenfilm nur zu Hindernissen in der Dramaturgie geführt hätte. Und die Eigenheiten sind zahlreich. Der Polizist Andy ist so sensibel, dass er beim Anblick von Leichen jedes Mal weinen muss. So auch beim Anblick der toten Laura Palmer, die wie Zuschauer und Polizei später erfahren, nicht nur Cheerleader sondern auch kokainabhängig und von dunklen Visionen gequält war. Der hinzugezogene FBI-Agent Dale Cooper liebt Bäume, Kirschkuchen und Kaffee, spricht seiner Sekretärin die unwichtigsten Nebensachen in ein Diktiergerät und ermittelt Verdächtige nach der Zen-Methode, indem er deren Namen laut ausspricht und dann Steine mit verbundenen Augen auf Flaschen wirft. Die neurotische Ehefrau des örtlichen Automechanikers glaubt nach einem Unfall wieder 16 zu sein und verliebt sich in einen Schüler. Der Hotelbesitzer Ben Horne versucht, durch Intrigen, das Sägewerk an sich zu reißen. Der eingeflogene Gerichtsmediziner hasst Kleinstädte und wird nach zahlreichen Beleidigungen vom sonst friedfertigen Sheriff verprügelt. Laura Palmer scheint nicht von einem Menschen sondern von einem Dämon namens Bob ermordet worden zu sein und die Lösung des Falles findet sich in den dichten Wäldern, die das Städtchen im amerikanischen Nordwesten umgeben. Bis zur Lösung des Problems begegnet Dale Cooper in Träumen und Visionen tanzenden und rückwärts sprechenden Zwergen, der toten Laura Palmer und natürlich dem Dämon Bob persönlich, der zunehmend zu einer existenzialistischen Bedrohung für Twin Peaks wird. Bis dahin interessiert den Zuschauer dann auch gar nicht mehr, wer jetzt eigentlich der Mörder war, weil man schon längst selbst in diesen geheimnisvollen Ort eintauchen möchte, in dem alle Einwohner entweder böse, verrückt oder beides sind und die mystisch aufgeladene Natur zahlreiche Geheimnisse birgt.

TWIN PEAKS spielt mit allen Klischees der Seifenoper, bricht sie, bestätigt diese dann wieder frech, um dann seelische Abgründe auszuloten. TWIN PEAKS ist ein großartiges, fesselndes Ganzes, das in der Fernsehlandschaft der frühen Neunziger Jahre völlig einzigartig dastand. Für viele Couch-Potatoes öffnete sich durch das Meisterwerk von Lynch und Frost eine Tür zum Surrealismus und zur Kunst. Nie waren Kamerabewegung, Sounddesign und Schnitt so suggestiv aufeinander abgestimmt. Die hypnotische Musik von Angelo Badalamenti rührt sogar ohne die Bilder zu Tränen. Lynch spielte mit den Nerven seiner Zuschauer, um sie dann durch bizarren Humor wieder zu erlösen. TWIN PEAKS ist gespickt mit Referenzen zu zahlreichen Filmklassikern, vor allem der Fünfziger und Sechziger Jahre. Neben Zitaten aus VERTIGO, SUNSET BOULEVARD und DER ZAUBERER VON OZ sind es vor allem das zeitlose Blockhaus-Design und die Mode im Ort, die mit Bikerjacken, Rollkragenpullis und karierten Röcken ein fiftiesinfiziertes Paralleluniversum zur amerikanischen Wirklichkeit bildet. Etwa in der Mitte der zweiten Staffel ließ das Engagement der Macher und in Folge auch die Publikumsgunst deutlich nach und die Produzenten der Serie entzogen Lynch und Frost teilweise die Entscheidungsgewalt, was zu einigen sehr mäßigen Folgen führte, in denen Skurrilitäten zum Selbstzweck das Konzept sprengten und unterschiedliche Episodenregisseure wechselhafte Leistungen ablieferten. Die letzten beiden Folgen unter strenger Aufsicht der beiden Schöpfer überzeugten dann wieder durch Spannung, surrealem Touch und blanken Horror.

Der Hype um die Serie ging damals auch in Deutschland soweit, dass in der Nachrichtensendung eines Konkurrenzkanals von RTL, der TWIN PEAKS damals ausstrahlte, das Ende verraten wurde. In den USA gibt es am Drehort das jährliche TWIN PEAKS-Festival, auf dem, ähnlich wie bei den STAR-TREK-Conventions regelmäßig Schauspieler der Serie Anekdoten erzählen und reichlich Kirschkuchen gegessen wird. TWIN PEAKS war Vorläufer heutiger Mystery-Serien wie BUFFY oder auch AKTE X, die sich allerdings deutlich handlungszentrierter und weniger mutig gaben. David Lynch ließ damals noch einen Kinofilm folgen, der weitgehend auf Unverständnis stieß weil er das geschaffene Universum dekonstruierte und nur noch die unschönen Seiten der Kleinstadt vorführte. Im Anschluss drehte er mit dem selben Team sieben Folgen der Comedyserie ON THE AIR, von denen mangels Interesse nur 4 gesendet wurden, um dann 10 Jahre später mit MULHOLLAND DRIVE eine neue Serie zu beginnen, von der dann nur der umgeschnittene Pilotfilm ins Kino kam, nachdem die amerikanischen Sender keinen Platz mehr für Experimente zuließen. Das war dann auch Lynchs letzter Flirt mit dem Bildschirm.

DVD.
Nach jahrelangem Streit um die Rechte der zweiten Staffel und unzähligen Drohungen der zahlreichen Fans ist nun endlich die komplette Serie weltweit als DVD-Box veröffentlicht worden. David Lynch hat die Restauration von Bild und Ton und den Transfer auf DVD selbst überwacht, die nun der damaligen Fernsehversion deutlich überlegen ist. Das Bild ist scharf, die englischsprachige 5.1 Neuabmischung kommt wohl dem recht nahe, was sich Lynch atmosphärisch so vorgestellt hat. Zusätzlich gibt es die ursprüngliche Stereotonspur. Auf deutsch wurde nur der originale Monoton mitgegeben. War ja auch seit damals keine Zeit für eine Restaurierung. Zu jeder Folge gibt es eine Einführung der Log Lady.

Das Bonusmaterial fällt umfangreich und spannend aus. Während sich David Lynch früher gar nicht zu seinen Filmen äußerte und auch noch nie einen Audiokommentar gesprochen hat, wurde er seit INLAND EMPIRE plötzlich geschwätzig. Den zahlreichen Interviews zu seinem letzten Film konnte man in diesem Jahr eigentlich gar nicht entgehen. Und auch zur restaurierten Fassung von ERASERHEAD drehte Lynch eine 90-minütige Dokumentation. Das Leckerli dieser Box ist ein etwa halbstündiges Gespräch zwischen Lynch, seinem damaligen Assistenten, sowie Kyle MacLachlan und Mädchen Amick, den Darstellern von Dale Cooper und Shelly Johnson. Hier erzählt Lynch tatsächlich Anekdoten von damals und wirkt zum Teil sogar etwas verlegen, vor allem in Anwesenheit der reizenden Mädchen Amick. Es wird reichlich Kirschkuchen gegessen und Kaffee getrunken. Mehr über die Entstehungsgeschichte der Serie erfährt man in einer 90-minütigen Dokumentation, in der Lynch zwar nicht vorkommt aber sich natürlich alle Interviewten, einschließlich Mark Frost, ausgiebig über ihn auslassen. In der rührendsten Szene imitiert Angelo Badalamenti David Lynch, wie Dieser während der Entstehung des Soundtracks euphorisch ausrastet. Es sei bei Fernsehserien damals üblich gewesen, alle nicht verwendeten Szenen zu vernichten. So konnten nur ein paar eher uninteressante deleted Scenes aus der zweiten Staffel gerettet werden. Neben zahlreichen Audio- und Videopromotionclips finden sich Werbespots für eine japanische Kaffeemarke, die damals mit Hilfe der Serienschauspieler und des Drehteams hergestellt wurden, Auftritte von Kyle MacLachlan in Saturday Night Life, das Musikvideo von Julie Cruise zum Titelsong und ein bizarrer filmischer Gruß an die kämpfenden Truppen im Golfkrieg (!!!). Ein ausführlicher Bericht über die jährlich stattfindenden Fanconventions erinnert in seiner Nerdhaftigkeit an ähnliche Reportagen zu STAR TREK und der ROCKY HORROR PICTURE SHOW. Aber auch das gehört zum Hype um die Serie. Ein Wermutstropfen ist das Fehlen des Spielfilms FIRE WALK WITH ME, den Lynch nach Absetzen der Serie als Prequel fürs Kino drehte. Die Rechte gehören dem französischen Verleih MK2 und bleiben wohl auch da. In Deutschland ist bereits eine DVD erschienen. Eine Doppel-DVD mit unveröffentlichten Szenen ist wohl geplant, kann aber aus Kostengründen auch ausfallen.

Ein Wort muss noch zur dreisten Veröffentlichungspolitik von Paramount verloren werden. Nachdem die erste Staffel bereits vor 5 Jahren in einer sehr schönen Edition aufgelegt wurde, verzögerte sich die Veröffentlichung der zweiten Staffel aus Copyrightgründen bis Anfang diesen Jahres. Daraufhin veröffentlichte Paramount die zweite Staffel in zwei schmucklosen Einzelboxen, um dann mit der Gold Edition im Vorweihnachtsgeschäft noch mal abkassieren zu können. Die größte Frechheit ist allerdings, dass die zum Teil sehr aufschlussreichen Audiokommentare von Episodenregisseuren der ersten Staffel auf der Komplettbox einfach weggelassen wurden. So muss man sich als Komplettist die erste Staffel noch mal dazukaufen oder warten, bis Paramount Weihnachten 2008 wahrscheinlich eine Platinum Edition herausbringt. Kein feiner Zug, Herr und Frau Paramount! Abgesehen davon ist die DEFINITIVE GOLD BOX EDITION von TWIN PEAKS die sorgfältige Aufarbeitung einer sensationellen und ungewöhnlichen Fernsehserie, die eine Anschaffung lohnt.








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