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INLAND EMPIRE (USA/Polen/Frankreich 2006)

von Jörg Buttgereit

Original Titel. INLAND EMPIRE
Laufzeit in Minuten. 172

Regie. DAVID LYNCH
Drehbuch. DAVID LYNCH
Musik. ANGELO BADALAMENTI
Kamera. nicht bekannt
Schnitt. DAVID LYNCH
Darsteller. LAURA DERN . JEREMY IRONS . JUSTIN THEROUX . HARRY DEAN STANTON u.a.

Review Datum. 2007-02-03
Kinostart Deutschland. 2007-04-26

Schon die erste Sekunde des Films läßt wohligen Gänsehautschauer entstehen. Dabei sieht man nur ein Licht, das Schlagschatten der Buchstaben des Filmtitels erahnen läßt. Aber der Ton ist überlebensgroß und unendlich tief. Ein Dröhnen. Man wird sofort an den kleinen aufrecht stehenden Körperhaaren in den Film gesogen und... ist verloren.

Die Schauspielerin Nicki Grace (Laura Dern) hüpft freudig erregt wie ein kleines Mädchen in ihrer Hollywood Villa umher. Soeben hat sie die Hauptrolle in dem Film "On High in Blue Tomorrows" von dem renommierten Regisseur Kingsley Steward (Jeremy Irons) bekommen. Doch schon kurz nach Drehbeginn verliert sich die Schauspielerin in ihrer Rolle der Sue Blue und auch der Zuschauer kann bald nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Kingsley beichtet, man hätte schon einmal versucht, dieses Drehbuch zu verfilmen. Doch die Hauptdarsteller seien unter mysteriösen Umständen ermordet worden.

Von einer Besprechung eines David Lynch-Films erhofft man sich als Leser ja insgeheim immer, der Kritiker würde einem all die Dinge erklären, die man wieder mal nicht verstanden hat. Aber auch als Kritiker hat man Vieles nicht verstanden, und man wird es auch beim zweiten Sehen nicht verstehen. Besonders die Passagen in Polnisch. Richtig. Der Film ist zum Teil in Lodz gedreht. Dort spricht man polnisch. Untertitel werden uns vorenthalten. Unsere Träume sind ja schließlich auch nicht untertitelt. "I can't tell if it's yesterday or tomorrow and it's a real mindfuck" sagt Laura Dern im Film. Und sie hat recht.

Der Film ist ein einziger Hirnfick. Er folgt gänzlich der Logik eines Traums. "A woman in trouble" hat Lynch die Handlung des Films zusammengefaßt. Das muß reichen. Wenn Lynch so weiter macht, ist er bald wieder da angekommen, wo er vor 30 Jahren angefangen hat: Bei seinem hermetischen Erstlingswerk ERASERHEAD. Auch INLAND EMPIRE ist ein cineastischer Alptraum, der 172 Minuten andauert, sich aber nicht so lang anfühlt. Wenn man morgens aufwacht, weiß man ja auch nicht, wie lange man geschlafen und geträumt hat. Genauso verhält es sich bei diesem Film. Ist man erst mal drin, wird es zeitlos.

Zum ersten Mal dreht der Meister (aus Kostengründen?) einen Kinofilm mit der Digitalkamera. Die scharfen Zelluloid-Cinemascopebilder seiner letzten Filme sind einer verrauscht-matschigen Videoästhetik gewichen. Das klingt schrecklich, ist es aber keineswegs. Denn Lynch ist ein verdammter Poet und weiß genau, wie man Schmutz und unruhiges Bildrauschen in die sonst so gnadenlos überrealistische digitale Bildästhetik bekommt. Er unter- und überbelichtet auf Teufel komm raus. In seinen mit Geisterbildnachziehern und viereckigem digitalen Kornrauschen verklebten Bildern sitzt das Grauen. Das Transfer auf 35mm für die Kinofilmkopie gibt den Bildern den letzten Schliff. Zu den viereckigen Pixeln der Digitalbilder gesellt sich das runde Korn der Filmemulsion. Hoffen wir, das die spätere Auswertung auf DVD von genau so einer Kinofilmkopie gemacht wird. Ansonsten ist zu befürchten, das der Film zu scharf wirkt. Träume sind nicht scharf. Sie sind schemenhaft.

Der ausgelassen ungestüme Musical-Nachspann des Films läßt einen schließlich aus der Trance erwachen. Grade noch rechtzeitig um einen unspektakulären Cameo-Auftritt von Laura Elena Harring (MULHOLLAND DRIVE) und Nastassja Kinski zu bemerken. Was soll die Kinski hier? Egal. Die polnischen Strichmädchen, die den ganzen Film über so bitterlich geweint haben, lachen und tanzen wieder. Lynch tröstet uns, wie ein Vater, der ins Kinderzimmer gekommen ist um uns nach diesem bösen Alptraum zu trösten.

INLAND EMPIRE ist ein Film den man fühlt. Von der ersten bis zur letzten Minute. Er ist eine schemenhafte Erfahrung, die allerdings eine größtmögliche Offenheit und Tapferkeit vom Zuschauer verlangt. Gut so.











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