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BERLIN SYNDROM (Australien 2017)

von André Becker

Original Titel. BERLIN SYNDROME
Laufzeit in Minuten. 116

Regie. CATE SHORTLAND
Drehbuch. CATE SHORTLAND . SHAUN GRANT
Musik. BRYONY MARKS
Kamera. GERMAIN MCMICKING
Schnitt. JACK HUTCHINGS
Darsteller. MAX RIEMELT . TERESA PALMER . MATTHIAS HABICH . LUCIE ARON u.a.

Review Datum. 2017-05-14
Kinostart Deutschland. 2017-05-25

Ganz im Sinne blumiger Reiseführer-Romantik gilt Berlin vielerorts als verheißungsvoller Sehnsuchtsort. Dass unzählige Feel-Good-Komödien, Sozialdramen und, ganz neu, deutsche Mumblecore-Verschnitte die Hauptstadt als Handlungsort wählen ist somit nicht weiter überraschend. Zahlreiche Filmemacher haben sich in den letzten Jahren aber ebenso mit der düsteren, der unheilvollen Seite der Metropole auseinandergesetzt, etwa URBAN EXPLORER von Andy Fletcher oder die Horroranthologie GERMAN ANGST der Regisseure Buttgereit, Kosakowski und Marschall.

BERLN SYNDROM von Cate Shortland (LORE, SOMMERSAULT) ist in seinen Bildern und Themen zwar nicht annähernd so drastisch wie die genannten Werke, einen schonungslosen Blick in menschliche Abgründe bekommt man aber auch hier mit Nachdruck präsentiert. Zur Einführung der Story reichen erst einmal wenige Worte: Junge Frau gerät an einen Psychopathen und wird fortan in einem verlassenen Gebäudekomplex (inklusive hübsch möblierter Wohnung) gefangen gehalten.

Diese allseits bekannte Psychothriller-Ausgangssituation wird allerdings durch mehrere erzählerische Kniffe aufgebrochen. Shortland legt ihren Film zunächst als Love-Story an. Clare (Teresa Palmer), eine australische Touristin mit Interesse an deutscher Geschichte, erliegt dem Charme des Berliner Lehrers Andi (Max Riemelt). Eine Er-trifft-Sie-Konstellation aus dem Lehrbuch. Liebende, die füreinander bestimmt scheinen. Der Moment als die Situation schließlich kippt, in der aus wild flatternden Schmetterlingen im Bauch eine alles zersetzende Todesangst wird, kommt deshalb so unvermittelt wie ein Polizei-Großeinsatz am Kottbusser Tor (wo der Film tatsächlich seinen Anfang nimmt).

Die Verfilmung des Romans von Melanie Joosten erzählt von blankem Entsetzen, purer Verzweiflung und leiser Hoffnung auf der Seite des Opfers und wahnhaften Obsessionen und destruktiver Machtausübung auf der Seite des Täters. Die Regisseurin widmet sich dabei auf fast gleichberechtigte Weise ihren Charakteren. Beide Personen sind als ambivalente Figuren angelegt, deren Verhalten letztlich im Strom der Ereignisse unausweichlich erscheint. Es ist Shortland hoch anzurechnen, das sie vor allem bei der Täter-Figur unter die Oberfläche dringt und hier ein erstaunlich vielschichtiges Profil aufzeigt. Andi ist keinesfalls nur der Psycho, sondern ebenso ein gebildeter junger Mann, der mit seinem rüstigen Professoren-Dad (Matthias Habich) Spieleabende verbringt und dessen erste (und spätere) Annäherungsversuche an seine Angebetete von zärtlicher Unbeholfenheit sind. Kühle Berechenbarkeit und jungenhafte Tapsigkeit liegen für Shortland aber sehr nah beieinander - bis hin zum Ausbruch grausamer Gewalt. Nicht weniger gekonnt fügt das Drehbuch die verschiedenen Charaktermerkmale von Clare zusammen. Sie, die scheinbar naive Touristin ist alles andere als ein passives Opfer. Shortland zeigt sie in ihrem Leidensweg als wehrhafte Persönlichkeit, die auch angesichts der Zuspitzung ihrer Lage Würde bewahrt und sich bis zuletzt nicht brechen lässt. Das zwischen ihr und Andi trotz allem so etwas wie eine erotische Grundspannung herrscht, vermittelt die Regisseurin, mal mehr, mal weniger offenkundig.

Die Kamera findet zudem immer wieder grandios schöne Bilder mit denen Shortland eine Ästhetik des Profanen ausartikuliert. Bei den Streifzügen Clares durch die verschlossene Wohnung und in ihren mit ruhiger Hand ausgeführten Alltagshandlungen vollzieht der Film eine sehr stringente Bildsprache, die eine spröde Poesie verströmt, die sofort gefangen nimmt. Diese ist jedoch stets doppelbödig gemeint. Die latente Gefahr, die Bedrohung durch die Täterfigur ist allgegenwärtig, besonders deutlich in einer eindrucksvollen Sequenz in einem verlassenen Wald, wo das Skript die Spannung gehörig nach oben schraubt.

BERLN SYNDROM ist ein Film, der nicht nur durch die vielschichtige Täter-Opfer-Perspektive außergewöhnliche Wege beschreitet. Shortlands behutsamer und gleichzeitig virtuoser Inszenierung ist es zu verdanken, dass der Psychothriller mit sicheren Schritten ins anvisierte Ziel gelangt. Sicherlich kein adäquater Film für das Stadtmarketing, aber ein intensives Erlebnis, das unter die Haut geht und das man so schnell nicht wieder vergisst.











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