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GESPRÄCHE

Heiko Hanel im Gespräch mit Wenzel Storch

Wenzel Storch hat bisher drei Spielfilme gedreht. Zwischen DER GLANZ DIESER TAGE und REISE INS GLÜCK auch den schönsten Deutschen Film: SOMMER DER LIEBE. Auf dem Land in der Nähe von Hildesheim erfand der ehemalige Ministrant das Kino neu. Wie jemand weitab einer auch nur rudimentär professionellen Filmindustrie derart visionäre Tripfilme drehen kann, bleibt ein Rätsel. Zum DVD-Start von SOMMER DER LIEBE kam Storch zu einer Lesung in den Frankfurter Club Voltaire. Ich hatte etwas Angst vor dem Interview; weil die Schauspieler ihn in den DVD-Extras als zeitweise unkommunikativen Gesellen beschreiben. Doch mitnichten. Eine Stunde lang gibt er bescheiden und umfassend Auskunft zu seiner Karriere als Filmemacher. Alle Filme sind unter so unglaublichen Produktionsbedingungen entstanden, dass deren Existenz schon ein Wunder ist. Viel Spaß bei diesem kleinen Ausflug in die surreale und leidenschaftliche Welt von Wenzel Storch.

Das Gespräch.

Wenzel Storch
Wenzel Storch

Ich habe SOMMER DER LIEBE 1994 bei Videodrom in Berlin auf VHS gekauft. Wieso hat das so lange gedauert, bis der Film auf DVD rauskam?
    Ich hatte die Veröffentlichung vor etwa 5 Jahren auf meiner Website angekündigt und den Erscheinungstermin dann jedes Jahr um 12 Monate verschoben. Aus 2006 wurde 2007 und schließlich 2010. Das hat mehrere Gründe. Zum einen die Erstellung des umfangreichen Making-of-Materials, dessen Schnitt relativ lange gedauert hat. Ursprünglich hatte ich vor, die DVDs selbst rauszubringen. Das hätte ich aber finanziell nicht bewältigen können. Dann ist Cinema Surreal auf den Plan getreten und hat die Veröffentlichung übernommen. 1994 ist SOMMER DER LIEBE erstmals bei Jelinski & Buttgereit als Kaufvideo erschienen. Die Kassette war damals relativ teuer, und so haben sich mitunter drei Leute eine VHS geteilt. Das Kaufvideo war ohnehin nur zwei Jahre erhältlich, denn 2006 ist Warner Brothers bei Jelinski & Buttgereit mit seinem großen Kriegsschiff vorgefahren und hat behauptet, die Kassetten aus dem Hause J & B würden sich nur deshalb so gut verkaufen, weil deren Logo dem Warner-Brothers-Logo ähnele. Es wurde also sowas wie Etikettenschwindel unterstellt, was total bescheuert war, weil man schon blind sein musste, um die Persiflage zu übersehen und die Logos zu verwechseln. Manfred Jeliniski hat mir damals erzählt, der Streitwert hätte so um eine halbe Million Mark gelegen. Jelinski & Buttgereit blieb nur die Kapitulation und das gesamte Programm musste vom Markt genommen werden. Da waren dann SOMMER DER LIEBE und DER GLANZ DIESER TAGE auch mit betroffen. Manfred Jelinski hat dann nach und nach die Buttgereit-Filme wieder rausgebracht, aber meine Sachen gab es dann nur noch als Rarität - im Besitz jener wenigen Leute, die den Film ursprünglich mal gekauft hatten.

Es gab ja auch nicht sehr viele Filmkopien von SOMMER DER LIEBE, oder?
    Ein paar gab es schon. Gedreht wurde er ja auf 8 mm. Ins Kino kam er dann als 16 mm Blow Up und hatte Mitte der Neunziger über 30.000 Zuschauer. Damit dürfte SOMMER DER LIEBE der meist gezeigte Super 8-Spielfilm in Deutschland gewesen sein. Abgesehen von DEUTSCHLAND PRIVAT, der hatte dreimal so viele Zuschauer. Aber der lief ja wegen seines hohen Hardcore-Anteils auch in Pornokinos. 16 mm Magnetton-Kopien sind ja leider nicht so belastbar, und so sind die meisten während des Verleihzeitraums kaputtgespielt worden. Es gab 7 oder 8 Kopien und von denen sind noch 2 übrig. Beide werden vom Werkstattkino München gepflegt. Wolfgang Bihlmeir kümmert sich darum, dass nicht völlig verschraddelte Kopien in die Kinos kommen.

Alle Deutschen Medien haben sich damals mit dem Film beschäftigt und das war bei REISE INS GLÜCK genauso. Sogar die Bildzeitung fand Deinen Film damals gut. Und die Verrisse waren richtige Verrisse, was ja auch ganz nett sein kann. Da hätten Deine Filme doch ein viel größeres Publikum finden müssen, wenn man jetzt mal vom Super 8-Rekord abseht.
    Ja, das ist ein seltsames Phänomen, bei REISE INS GLÜCK noch viel extremer als bei SOMMER DER LIEBE. DIE REISE INS GLÜCK war selbst im Ausland ein großer Kritikererfolg und hierzulande hat sich fast das komplette Feuilleton drauf gestürzt. Es gab eine ganze Reihe zum Teil mehrseitiger Berichte, 4 Seiten "Titanic", 6 Seiten "Rolling Stone", eine Seite "Spiegel", große Artikel in der "FAZ" und der "Zeit", Titelseiten in "Splatting Image" und "Film & TV Kameramann". Die Besucherzahlen waren dementsprechend scheiße. Ich verstehe es auch nicht. Es fing damit an, dass kein Verleih DIE REISE INS GLÜCK haben wollte. Das war bei meinen Filmen immer so und hat von daher Tradition. Es lief eigentlich immer gleich ab. Der Film war fertig und ich habe ihn bei der Berlinale eingereicht. Dort bin ich mit allen meinen Filmen in allen Sektionen immer abgelehnt worden. Wenn man weiß, wie wichtig die Berlinale für das spätere Schicksal eines Filmes ist, war das jedes Mal - sozusagen zur Begrüßung - wie ein Schlag in die Fresse. Es gibt dort für Deutsche Filme ja mehrere Sektionen: die Deutsche Reihe, das Panorama, das Forum und noch irgendwas. Ich habe immer schön in allen Sektionen eingereicht und dann auf meine Ablehnung gewartet. SOMMER DER LIEBE war später allerdings ein ziemlicher Festivalerfolg, der lief auf rund zwanzig Festivals. Bei REISE INS GLÜCK waren's über 30, davon die Hälfte im Ausland, also habe ich ganz naiv gedacht, mit etwas Glück findet sich dieses Mal ein Verleih, der den professionell ins Kino bringt. Ich habe ihn dann 2004 fast allen deutschen Verleihern angeboten, aber alle haben die Hände überm Kopf zusammengeschlagen, und nicht wenige haben mir hämisch erklärt, wie scheiße sie meine Sachen fänden. Und wenn man was scheiße findet, ist es naheliegend, dass man das nicht verleihen möchte. Jedenfalls: die Reaktionen der sogenannten Branche entsprechen nicht im mindesten der Kritikerresonanz nach dem Kinostart. Weil ihn keiner wollte, habe ich den Film notgedrungen wieder selber verliehen. Beim Publikum gab es natürlich gespaltene Reaktionen. Die einen sind drei-, viermal hintereinander reingerannt und andere haben's halt gehasst.

Das ist ja klar, dass Deine Filme polarisieren.
    DER GLANZ DIESER TAGE, mein erster Film, ist wahrscheinlich am wenigsten zugänglich weil es so eine Art Ministranten- oder Messdiener-Report ist. Da waren die Besucherzahlen wirklich katastrophal, den haben im Kino höchstens 3.000 Zuschauer gesehen. REISE INS GLÜCK hatte im Kino, ebenfalls im Eigenverleih, 16.000 Zuschauer. Hinzu kommen nochmal 10.000 im Ausland, aber das sind Festivalbesucher, die zählen ja offiziell nicht. Wie auch immer: Die Zahlen sind für einen kleinen Verleih gar nicht schlecht. Kleinverleihe starten ja manchmal Filme, die dann bundesweit keine 300 Zuschauer erreichen. Da sind 16.000 nicht so übel, aber das steht natürlich in keinem Verhältnis zur Presseresonanz und zu dem Potential welches meiner Meinung nach da wäre. Ich vermute, es gibt viel mehr Leute, die den Film gut finden würden, wenn sie ihn denn kennen würden. Ich hatte also von Anfang an keinen Verleih und musste mir das Knowhow selber beibringen. Insofern war das beim ersten Film noch so eine Übungsphase. Dass da so wenige Leute reingegangen sind, hatte auch damit zu tun, dass ich keine Ahnung hatte. Bei SOMMER DER LIEBE war schon ein bisschen Routine im Spiel und ich wusste langsam wie das geht. Ich muss auch sagen, unter den Programmkinobetreibern gab es seinerzeit viele, die den Film gut fanden, und so wanderte er, nachdem er ein Vierteljahr in Berlin gelaufen war, durch rund 80 Städte. Die Vorstellungen waren auch verhältnismäßig oft ausverkauft, allerdings meist in recht kleinen Kinos.

Ich habe damals eine ziemlich hysterische Kritik von Georg Seeßlen gelesen und hab mir SOMMER DER LIEBE dann im Open Air Kino angesehen, wo die Leinwand weggeweht wurde, was ich im Zusammenhang mit dem Film ganz passend fand. Später lief er dann noch mal regulär im Mal Seh'n Kino, das auch das Open Air veranstaltet hatten. Da war dann aber der Super 8-Projektor kaputt und der Kurzfilm SCHACHT DAS WAR DEIN LEBEN fiel aus.
    Ach ja, das war kein offizieller Film, sondern eine Auftragsarbeit nach einer Idee von Hartmut El Kurdi. SCHACHT DAS WAR DEIN LEBEN war Bestandteil eines El-Kurdi-Theaterstücks, in dem sich ein Dorftrottel in ein Schwein verliebt. Für dieses Stück habe ich den Film hergestellt. Der ist 30 Minuten lang, stumm und wurde während der Aufführungen live von einer Blaskapelle begleitet. Den habe ich tatsächlich mal in Frankfurt im Mal Seh'n gezeigt, die einzige offizielle Kinovorführung an die ich mich erinnern kann. Dass da der Projektor kaputt gewesen sein soll, weiß ich gar nicht mehr. Aber egal. Ich rechne den ohnehin nicht zu meinen offiziellen Filmen. Da sind zwar eine Reihe recht schöner Szenen drin, aber auch viele Sachen, die sich nur im Kontext des Theaterstücks erschließen. Insofern bin ich auch nicht so dahinterher, den rauszubringen. 5 Minuten aus SCHACHT sind aber im Making-of von REISE INS GLÜCK zu sehen, in der Doku KÖNIG KNUFFI ERINNERT SICH NICHT. Da spielen allerlei Omas und der erwähnte Dorftrottel mit. Am Anfang flippern und kickern die Omas in einer Kneipe, ja und dann weiß ich auch nicht mehr ... Ich bin aber auch eher schlecht im Nacherzählen der eigenen Filme.

Du musst jetzt aber noch mal für alle die SOMMER DER LIEBE noch nicht kennen, sagen worum es da geht.
    Ich würde sagen, es ist eine Art Langhaarigen-Report. Man könnte auch sagen: ein Hippie-Verarschungs- oder Hippie-Exploitationfilm. Die Geschichte hangelt sich, wie schon bei DER GLANZ DIESER TAGE, an einem dünnen roten Faden entlang. Jürgen Höhne ist, wie in allen drei Filmen, der Hauptdarsteller und das optische Zentrum - weswegen die drei Filme in der Presse auch gern als Jürgen-Höhne-Trilogie bezeichnet werden. Jürgen, der übrigens nächstes Jahr 75 wird, war im wirklichen Leben LKW-Fahrer und hatte mit Film eigentlich nichts am Hut. Der ist durch Zufall da rein gerutscht, eigentlich nur, weil Bernd Röthig, der meine Filmplakate gestaltet, mal mit Jürgens Tochter zusammen war. In SOMMER DER LIEBE spielt er Oleander den Klosterschreck, einen wohlgenährten Taugenichts, der sich zur kalten Jahreszeit in Nonnenklöstern einnistet und breitmacht. Weil er nicht nur Charme hat, sondern auch handwerklich geschickt ist, verlieben sich die Nonnen in den seltsamen Gast, und mit der Zeit werden sie regelrecht abhängig. Am Anfang bebacken sie ihn so lange mit Weihnachtsplätzchen bis er in einem Berg von Keksen versinkt. Dafür repariert er ihnen dann den Original-Wim-Thoelke-Kumpelofen. Dann zieht er mit den Nonnen, denen er Ohrringe und Miniröckchen verpasst hat, los und begegnet allem, was die Siebziger Jahre in Deutschland so ausmachte.

SOMMER DER LIEBE ist ja mein Deutscher Lieblingsfilm, obwohl durchaus auch sehr kommerzielle Filme zu meinen Favoriten gehören. Das Besondere ist, dass der Film eben nicht nur die Siebziger Jahre parodistisch aufarbeitet, sondern ein ganz eigenes Jahrzehnt erschafft, das es so nie gegeben hat. Wenn Du also nur die Siebziger wiederherstellen wolltest, ist das im positiven Sinne ganz schön schief gegangen.
    Natürlich wollte ich nicht ernsthaft einen Film über die Siebziger Jahre machen. Der Film ist eher eine parodistische Verneigung vor dem buntesten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts, eine behämmerte und psychedelische Liebeserklärung - denn die Siebziger waren in Wirklichkeit ja eher grau und trist. Aber ich finde es immer sehr schwer, die eigenen Filme zu erklären oder zu interpretieren. Wenn man einen Film fertig hat, schlägt man die Zeitung auf und die Kritiker erklären einem dann, was man gemacht hat. Das ist eigentlich immer sehr praktisch. Und da SOMMER DER LIEBE sehr ausgiebig besprochen wurde, gab es ein paar Kritiken, die alles sehr schön auf den Punkt gebracht haben.

Im Booklet sagst Du, dass der Film ganz anders geworden sei als Du Dir das gedacht hattest. Ist das, was viele für ein Meisterwerk halten, in Wirklichkeit aus der Not geborener Zufall?
    Nee. Man dreht so einen Film ja nicht alleine. Da sind natürlich Einflüsse aller Beteiligten drin. Und dass der Film so ist, wie er ist, das ist natürlich gewollt und bewusst so gemacht. Wenn auch der Zufall - sozusagen als Co-Produzent - seine Hand im Spiel hat. Und das auch deshalb, weil ich seit meinem ersten Film oft Sachen nicht realisieren kann, die zwar im Drehbuch stehen für die aber kein Geld da ist. DER GLANZ DIESER TAGE sollte eigentlich in einem römisch-katholischen Wunderland spielen, in dem einem die gebratenen Hostien nur so in den Mund fliegen. Eine Art katholischer Propagandafilm, hergestellt hinter dem Rücken der Kirche. Da geht es um einen älteren Herrn, wie immer gespielt von Jürgen Höhne, der Priester werden möchte, aber verheiratet ist. Um dem Zölibat zu genügen, versucht er, seine Frau anzuzünden. Die ist aber schwer entflammbar - ein typischer Kalauer, charakteristisch für den etwas fragwürdigen Humor des Films. Jedenfalls: Gott ist so gerührt, dass der alte Mann für ihn seine Frau umbringen will, dass er ihn um 20 Jahre verjüngt. Dieser verjüngte Priester zieht nun in die Pfarrei seiner Träume und erlebt mit seinen Messbuben fröhliche Stunden. Während der heiligen Messe schneidet er sich im Predigerrausch die linke Hand ab. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn jetzt kann er sich aus den Handknochen ein Mobile basteln. Das ist, wenn man so will, der dramatische Höhepunkt des Films und eine Verbeugung vor Resl von Konnersreuth, der großen Stigmatisierten der katholischen Kirche. Zum Schluss kehrt er dann zurück zu seiner Frau. Dieses Happy End macht den Film letztlich zur Propaganda für die schönste Sache der Welt: die Institution der Ehe. Aber um auf den Zufall zurückzukommen: Im Drehbuch standen lauter Sachen die mit dem knappen Budget nicht zu realisieren waren. 37.500 Mark - so hoch war der Förderung für den Film - sind für einen abendfüllenden Ausstattungsfilm nun mal grotesk wenig. Deshalb habe ich erstmal alle großen Kulissen aus dem Drehbuch entfernt und kompliziertere Sequenzen in Trickszenen umgewandelt. Darum die vielen eingestreuten Trickszenen. Ich finde Stop-Motion zwar ganz schön, aber so ein großer Trickfilmfan bin ich auch wieder nicht. Die Animationen waren also hauptsächlich Notlösungen. Dadurch haben wir jetzt Animationsszenen, die es so im Deutschen Film noch nicht gab. Zum Beispiel die Popel-Rallye zum Vatikan, wo man zum Schluss in den Katakomben von St. Peter die größte Popelsammlung der Welt besichtigen kann. Der Flugzeugabsturz im Sperrholzwald - das ist die Szene mit der Milchreislawine gegen Ende von SOMMER DER LIEBE - ist auch so ein Beispiel. Einen realistischen Flugzeugabsturz drehen, das hätte uns natürlich überfordert. Und so wechseln Trickszenen munter mit Realszenen ab - ein Schnitt, und man ist bei der Sextherapie im Hühnerstall. Die Sexszene mit den Käfern in SOMMER DER LIEBE habe ich übrigens mit einer verbotenen Einstellung gedreht. In der Gebrauchsanweisung stand, dass man die Kamera so und so auf keine Fälle einstellen darf, weil das beschissen aussieht. Und das sah dann aber total gut aus. In einem Film, der SOMMER DER LIEBE heißt, muss natürlich viel Sommer und Liebe vorkommen! Das habe ich dann im Vorbeigehen gedreht.

Du liebst also Ausstattungsfilme, aber hattest kein Geld.
    Ich hatte vor allem keine Lust, Filme über die Wirklichkeit zu drehen. Die Realität habe ich ja, wenn ich aus dem Fenster schaue. Die muss nicht noch verdoppelt werden. So ist man dann ganz schnell beim Ausstattungsfilm. Bei SOMMER DER LIEBE haben wir versucht, ein möglichst bescheuertes Hippiewunderland aus Sperrmüllresten zusammenzubasteln - insofern ist die Realität natürlich wieder mit im Spiel. Im Landkreis Hildesheim gab es damals noch einen öffentlichen Sperrmüllplan, da standen für jeden Tag zwei, drei Dörfer drauf. Da sind wir dann abends losgefahren und haben alles eingesackt, was bunt und poppig aussah. Und aus diesem ganzen Quatsch haben wir dann die Kulissen zusammengebaut.

Du hast auch Jugendmagazine geopfert?
    Nee, nicht geopfert. Zwischen 12 und 15 habe ich regelmäßig zwei Musikmagazine gelesen, die hießen "Pop" und "Popfoto". Das waren Hefte voll mit langhaarigen Männern und mittendrin eingeheftete Riesenposter. Die Poster sind natürlich im Laufe der Jahre verschüttgegangen, also habe ich, als die Dreharbeiten näher rückten, auf Flohmärkten danach gesucht. Per Zufall bin ich auf einen Händler getroffen, der behauptet hat, er hätte den ganzen Keller voll mit diesem Zeug. Wir sind dann zu dem Typen hin, und der hatte tatsächlich Abertausende dieser Poster im Keller. Ich habe dem dann für 300 Mark Hunderte von Postern abgekauft. Da waren auch Exemplare dabei, die ich für den Film nicht opfern wollte. Zum Beispiel ein Melanie- und ein traumhaft schönes Demis-Roussos-Poster. Den Großteil der Poster kannte ich aus meiner Jugend, und das geht wohl vielen so, die in SOMMER DER LIEBE Poster aus ihren Jugendzimmern wiederentdecken.

Wie bist Du an Hans Paetsch gekommen?
    Paetsch war natürlich die Traumbesetzung. Jeder, der in den sechziger Jahren großgeworden ist, kennt die "Europa"-Märchenplatten mit der legendären Stimme. Hans Paetsch ist der Deutsche Märchenerzähler, der Godfather of Fairytales. Und ein Erzähler war wichtig, weil man die Handlung sonst gar nicht begriffen hätte. Dieser rote Faden hat die Szenen ja erst in einen Kontext gestellt. Ich hatte seine Telefonnummer irgendwo her und habe ihn eines Abends, ich weiß noch genau, es war so gegen 6 Uhr, einfach angerufen. Er war nicht zu Hause, aber sein Anrufbeantworter ging dran und klang bereits wie eine Märchenplatte. Der fing an mit: "Leider bin ich gerade aushäusig ...", natürlich im typischen, heimelig-magischen Paetsch-Sound. Ich habe dann noch drei- oder viermal angerufen und dabei Bier getrunken. Ich wurde von mal zu Mal betrunkener, und als ich ihn dann endlich dranhatte, war ich breit und habe ihm das Projekt ziemlich umständlich geschildert. Da hat er dann spontan zugesagt, für etwa 200 Mark! Wir hatten ja auch kein Geld für ein Studio und sind dann also, der Cutter und Filmkomponist Iko Schütte und ich, zu Hans Paetsch gefahren. Der wohnte in einem Dorf bei Hamburg, und in seinem Arbeitszimmer haben wir dann mit einem alten Kassettenrekorder die Erzählerstimme aufgenommen. Vorher haben wir ihm eine unscharfe Arbeitskopie des Films gezeigt, weil wir nicht wollten, dass er sich nachträglich ärgert, weil gegen Ende des Films ja doch relativ viel Blut fließt. Wir haben ihm also die Szene vorgeführt, in der Oleander die Füße abgesägt werden. Wir saßen zu viert in Paetschs Wohnzimmer, Hans Paetsch hat sich vorne im Fernsehsessel totgelacht, und weiter hinten saß seine Frau auf dem Sofa, hat sich die Augen zugehalten und immer wieder "Ohgottogott, Hans!" gerufen. Die Erzählerstimme passte dann dermaßen gut in den Film, dass wir nach Anhören der Aufnahmen noch mal mit neuen Texten zu ihm hin sind.

Die Stimme macht soviel aus. Sie suggeriert, dass man in diesem Film gut aufgehoben ist.
    Das berührt genau die Frage, wie sowas entsteht. Man könnte ja denken, das war von Anfang an geplant. Aber hätte man die Handlung ohne weiteres begriffen, gäbe es auch keinen Erzähler und damit keine Paetsch-Stimme. Als wir den Termin hatten, hatten wir übrigens noch gar keine Texte. Die habe ich dann mit Frank Peters in einer Nacht geschrieben. Frank Peters spielt den schwarz angemalten Stehgeiger auf dem Open Air, den Musiker mit dem umgebundenen Rettich und der Lakritzgeige. Die Szene hat dann übrigens einigen Ärger ausgelöst, als, angeblich wegen Rassismus und Sexismus, eine Kopie des Films aus einem Göttinger Kino entwendet wurde. (Das Bekennerinnen-Schreiben des für die Aktion verantwortlichen Lesben-Kommandos kann man auf wenzelstorch.de nachlesen.) Zu dem Zeitpunkt hatte ich in meiner kleinen Plattensammlung zwei Paetsch-Platten, und zwar gar nicht mal die Besten. Eine mit orientalischen Märchen, ich glaube es war "Der kleine Muck", und eine "Winnetou"-Platte, wo Paetsch den Intschu-Tschuna spricht. Um uns anzutörnen, das heißt, um in den spezifischen Klang und Tonfall reinzukommen, haben wir beim Texten abwechselnd die beiden Märchenplatten aufgelegt. Dass ihm die Sätze auf den Leib geschrieben sind, hat Hans Paetsch dann auch sofort registriert. Als er den Zettel mit den Texten studierte, musste er an zwei Stellen spontan loskichern. Einmal bei der Sache mit den Vaginalzäpfchen ("Angelockt vom verführerischen Duft der köstlichen Vaginalzäpfchen findet sich ein Schwarm liebeshungriger Bienen ein"), und einmal an der Stelle, wo sich der Sextherapeut als ein Schüler des großen Werner Höfer entpuppt. Da war dann klar, dass das gut werden würde.

Den Ton für die Lakritzgeige hat Dein Vater eingespielt.
    Mein Vater hat Hausmusik produziert. Das fand ich als Kind schon grausam. Stundenlang musste da mit den Eltern rumgeflötet werden. Er war auch so ein Schifferklavier-Enthusiast, der gerne stundenlang Volks- und Wanderlieder in der Küche zum Besten gab. Ich habe als Grundschüler von meinem Großvater eine Geige geschenkt bekommen, und sollte demzufolge Geigenunterricht nehmen. Ich bin heute noch froh, dass ich da drum rumgekommen bin. Schifferklavier und Geige, damit kann man mich jagen! Jedenfalls: Mein Vater hat die Geige einkassiert und an Weihnachten zur Bescherung drauf rumgespielt. Das wurde dann zur Tradition, Dabei konnte er wirklich nicht besser spielen als im Film, und das ist ja ein ziemliches Gequietsche. Wir haben die Szene mit dem Stehgeiger, wie alle Szenen, stumm gedreht und nachsynchronisiert. Bei der Lakritzgeige wussten wir dann nicht, wie wir dass glaubhaft vertonen. Da ist mir mein Vater eingefallen. Ich bin dann unter einem Vorwand zu ihm hin und habe gefragt, ob er mir mal was auf eine Kassette geigt. Ohne Verdacht zu schöpfen, hat er mir dann eine Stunde lang alles, was ihm an Volks- und Kirchenliedern durch den Kopf geschossen ist, vorgegeigt. In bester Laune - ihm sind dabei mehrfach die Saiten gerissen, das war wirklich sensationell. Iko, der im Film auch den Drogendealer spielt, hat daraus dann ein Potpourri fabriziert, eine Art Best-of. In der Filmszene sind ja mehrere Volks- und Wanderlieder zu hören, und ein Schlenker aus La Paloma ist auch mit drin. Die Kassette habe ich neulich wieder mal in die Finger gekriegt. Wenn man die am Stück durchhört, erweitert sich das Bewusstsein.

Was hat er später zu der Zweckentfremdung gesagt?
    Mein Vater war ja in katholischen Dingen sehr fanatisch. Insofern bin ich froh, dass er den GLANZ DIESER TAGE nie gesehen hat. SOMMER DER LIEBE hat er einmal gesehen und daraufhin den Kontakt zu mir abgebrochen. Er soll total geschockt gewesen sein - vielleicht hat er sein eigenes Gegeige wiedererkannt.

Ihr habt interessante Töne benutzt. Der Motor des Jaguars ist ein Rasenmäher, oder?
    Das war der Rasenmäher des Nachbarn. Da hat Iko, der für die Nachvertonung zuständig war, einfach das Mikro aus dem Fenster gehängt.

Kommt DER GLANZ DIESER TAGE auch noch auf DVD raus?
    Angepeilt ist Herbst. Wenn es sich wieder sehr verzögert, kann es auch Januar werden. (Erscheint 2012! Termin noch offen! Anm. d. Redaktion) Da wird auch wieder sehr umfangreiches Bonusmaterial dabei sein. Auch viele nicht verwendete Trickszenen wie "Das Wursthaus im Spessart" oder "Das Märchen vom Schwanz des Pfarrers". Wir haben ja grundsätzlich jede Idee sofort in Bilder umgesetzt und die Entscheidung, wie das später in den Film passt, erstmal vertagt. Beim Schnitt war dann vieles an sich zwar gut, machte aber im Kontext keinen Sinn mehr. Bei DER GLANZ DIESER TAGE ist die Produktionsgeschichte ja mindestens so unterhaltsam wie der eigentliche Film. Ein Beispiel: Ich war damals vorübergehend Vegetarier, und als frischgebackener Vegetarier ekelt man sich ja extrem vor Wurst und Fleisch. Ich wollte unbedingt eine Szene haben, in der ganz viel Wurst drin vorkommt - eine Trickszene, die in einer stinkenden Wurstwelt spielt. Wir haben dann für 100 Mark Wurst und Fleisch bei Horten eingekauft und aus dem Material ein Eigenheim gebaut, mit Dachziegeln aus Mortadella, einer Dachrinne aus Gehirn, einem Vorgärtchen aus Fleisch usw. Die Basis war eine alte Matratze, die wir zunächst mit Schmalz grundiert haben, damit die Wurst auch hält. Darauf wurden dann kleine Mettberge errichtet, von denen Trittsteine aus Rotwurst zu dem Häuschen führten. Die Fensterscheiben waren liebevoll aus Sülze gefertigt, mit einem kleinen Teelicht dahinter. Das sah ganz prima und idyllisch aus, aber wir hatten leider keine Handlung. Wir dachten, die käme schon noch, wenn das Haus fertig wäre. Es gab nicht mal Figuren oder Fahrzeuge oder sowas. Wir haben das einmal mit der Kamera abgeschwenkt und dann weggeschmissen. In dem Stil ist damals relativ viel gelaufen.

Ich brauchte mal für einen Kurzfilm Skulpturen, d.h. Bauwerke aus Hackfleisch. Um zur Herstellung des White House Geld zu sparen, haben wir eine dünne Schicht Hackfleisch auf die Vorderseite eines Kartons aufgezogen, von dem man dann nur die Vorderseite gesehen hat. Die Schicht ist dann aber immer abgefallen.
    So ist das ja immer bei Tricksachen, wenn man das mit billigsten Mitteln improvisiert. Unsere Kulissen waren immer nach ein paar Stunden kaputtgefilmt. Wenn wir Glück hatten, hielten die bis zum Ende der letzten Einstellung. Manchmal auch nicht. Oft sah das so scheiße aus, dass man das keinem zeigen konnte. Das macht dann aber auch den Charme aus. Im Nachhinein ist man dann meist wieder froh, dass alles so schön schiefgelaufen ist.

Gibt es neue Projekte?
    Die Produktion von REISE INS GLÜCK hat ja katastrophal lange gedauert. Eines Tages war das Geld komplett alle und es standen auf 1.000 Quadratmetern, in einer Lagerhalle am Hildesheimer Hafen, 20 meterhohe, halbfertige Kulissen rum. Die Folge war, dass sich die Produktion über knapp 10 Jahre hingezogen hat. Danach hatte ich komplett die Nase voll und habe seither mit Film nichts mehr gemacht. Nur ein Musikvideo für Bela B und die Dokus für die DVDs. Die haben zusammengenommen eine Laufzeit von fast 8 Stunden und so hübsche Titel wie SITZFUSSBALL UND GRUPPENSEX oder WIE MAN AUS DÜNGERSTREUERN UND GÜLLEPUMPEN EIN SCHIFF BAUT. Einige der Dokus laufen hin und wieder auch in Programmkinos. Da habe ich praktisch alle alten Filmreste zusammengekehrt und, vermischt mit Interviews mit den Beteiligten, zu einem großen Paket verschnürt. Auch für den GLANZ DIESER TAGE sind die Making-of-Dokus so gut wie fertig, es fehlt nur noch Rocko Schamonis Erzählerstimme.

ROLLO ALLER von Hendrik Peschel müsste eigentlich auch mal auf DVD rauskommen.
    Find ich auch. Vorher müsste Henna Peschel aber erstmal ROLLO ALLER 3 fertig stellen. Gedreht ist der ja schon, er muss angeblich nur noch geschnitten werden. Henna hat mich dadurch leider überholt: REISE INS GLÜCK hat knapp 10 Jahre gedauert und ROLLO ALLER 3 mittlerweile 12 Jahre.

Mit DER BULLDOZER GOTTES hast Du ja auch ein Buch geschrieben.
    Das versammelt so ziemlich alle Kolumnen, die ich zwischen 2007 und 2009 für "Konkret" geschrieben habe. Außerdem habe ich meine Schränke durchwühlt und noch allerlei bekloppte Zeichnungen mit reingepackt. Apropos: Wahrscheinlich werden nächstes Jahr neben der GLANZ DIESER TAGE-DVD auch ein Bildband über alle drei Filme und die Soundtracks als Doppel-Vinyl und CD erscheinen. Die DVD wie immer bei Cinema Surreal, der Bildband im Martin Schmitz Verlag und die Soundtracks bei Staatsakt.

Der Trickfilmer Bill Plympton hat mir mal nahegelegt, jeden Künstler zu fragen, warum er Kunst macht. Das wäre die wichtigste Interviewfrage. Er selbst will das Publikum im Kino lachen hören.
    Mit dem habe ich mich auch mal unterhalten, aber leider noch keinen Film von ihm gesehen. Mit den Begriffen Kunst und Künstler habe ich sowieso mein Problem. Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, warum ich das alles mache ... Man setzt sich ja nicht hin, in irgendeine Ecke und brütet rum, und der Film ist dann Jahre später das Ergebnis der angestellten Überlegungen. Ich kann das gar nicht immer genau rekonstruieren, aber es entsteht eine Idee und dann genug Energie und dann strömen noch die Leute zusammen, die das dann machen. Ich arbeite ja sehr ungern, insofern macht mir das gar keine besondere Freude, Filme zu drehen. Selbst billig und mit einfachen Mitteln ist Filmemachen immer noch eine riesige Schinderei, und man weiß ja auch nie, was am Ende bei rauskommt. Texte schreiben finde ich andererseits auch nicht so toll. Das ist ja eine sehr einsame Tätigkeit. Vielleicht macht man das alles, weil man sich auf dem Wege ungestraft mit Sachen beschäftigen kann, die unkontrolliert in einem rumspuken. Es ist ja auch nicht so, dass man auf seine Filme schaut und die dann so richtig geil findet. Als Hauptverantwortlicher sieht man ja vor allem die Schwächen. Dazu kommt, man verbringt gerade mit Ausstattungsfilmen eine unglaublich lange Zeit seines Lebens. Alles wiederholt sich dabei so oft, dass man den Film irgendwann in- und auswendig kennt. Das dauert immer Jahre, bis ich mir meine Filme mit Abstand wieder ansehen kann. Bei der Premiere oder auf Festivals ist es dann am Anfang noch total interessant zu sehen, wie der Film funktioniert. Irgendwann weiß man das dann, und die Reaktionen des Publikums sind dann nicht mehr so interessant.




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